Entscheidungsstichwort (Thema)
Herstellung einer Aufrechnungslage mit gläubigerbenachteiligender Wirkung im Insolvenzverfahren
Leitsatz (redaktionell)
Eine Aufrechnung im Insolvenzverfahren ist unzulässig, wenn ein Insolvenzgläubiger die Möglichkeit der Aufrechnung durch eine anfechtbare Rechtshandlung erlangt hat. Eine anfechtbare Rechtshandlung liegt auch dann vor, wenn der Aufrechnende im Wege der Abtretung die Forderung erlangt hat.
Normenkette
InsO § 96 Abs. 1 Nr. 3, § 130 Abs. 1 Nr. 2
Verfahrensgang
OLG Naumburg (Urteil vom 17.09.2008; Aktenzeichen 5 U 72/08) |
LG Magdeburg (Entscheidung vom 07.05.2008; Aktenzeichen 9 O 2205/07) |
Tenor
Auf die Beschwerde der Beklagten gegen die Nichtzulassung der Revision im Urteil des 5. Zivilsenats des Oberlandesgerichts Naumburg vom 17. September 2008 wird die Revision zugelassen, soweit die Beklagte zur Zahlung von 410.640 EUR verurteilt wurde. Im Übrigen wird die Beschwerde zurückgewiesen.
Gründe
Rz. 1
1. Erfolg hat die Nichtzulassungsbeschwerde im Blick auf die Verurteilung der Beklagten zur Zahlung von 410 640 EUR, wie sich aus dem Senatsurteil vom 17. Dezember 2009 – IX ZR 214/08 (z.V.b.) ergibt, auf das vollinhaltlich Bezug genommen wird.
Rz. 2
2. Hingegen ist die Beschwerde zurückzuweisen, soweit die Beklagte gegen die unstreitige Klageforderung in Höhe von 34 800 EUR mit auf sie nach Zahlung von Insolvenzausfallgeld gemäß § 187 Abs. 3 SGB III übergegangenen Forderungen aufrechnet. Insoweit ist ein Zulassungsgrund nicht gegeben. Der Wirksamkeit der Aufrechnung steht § 96 Abs. 1 Nr. 3 InsO entgegen.
Rz. 3
a) Zu § 96 Abs. 1 Nr. 3 InsO ist anerkannt, dass die gläubigerbenachteiligende Wirkung, die mit der Herstellung einer Aufrechnungslage eintritt, selbständig angefochten werden kann. Der Verwalter kann die Wirkungen der Anfechtung auf die Herstellung der Aufrechnungslage beschränken (BGH, Urt. v. 22. Oktober 2009 – IX ZR 147/06, WM 2009, 2394, 2395 Rn. 11).
Rz. 4
b) Die Aufrechnung ist nach § 96 Abs. 1 Nr. 3 InsO unzulässig, wenn ein Insolvenzgläubiger die Möglichkeit der Aufrechnung durch eine anfechtbare Rechtshandlung erlangt hat. Die Regelung ist nicht auf Rechtshandlungen des späteren Insolvenzschuldners beschränkt, sofern der inzident zu prüfende Anfechtungstatbestand – hier (bei zugunsten der Beklagten unterstellter Kongruenz) § 130 Abs. 1 Nr. 2 InsO – eine solche nicht voraussetzt (HKInsO/Kayser, 5. Aufl. § 96 Rn. 32). Als Rechtshandlung kommt grundsätzlich jedes Rechtsgeschäft in Betracht, das zum anfechtbaren Erwerb einer Gläubiger- oder Schuldnerstellung führt (BGH, Urt. v. 22. Oktober 2009, aaO Rn. 15). Danach liegt eine Rechtshandlung vor, wenn der Aufrechnende als Schuldner im Wege der Abtretung eine Forderung erlangt hat (OLG Köln NJW-RR 2001, 1493, 1494 m.w.N.; HmbKomm-InsO/Jacoby, 3. Aufl. § 96 Rn. 12). Ebenso sind Rechtshandlungen Dritter anfechtbar, die – wie im Streitfall die Beantragung von Insolvenzausfallgeld – kraft eines gesetzlichen Forderungsübergangs dem Aufrechnenden eine Gläubigerstellung verschaffen (vgl. BGH, Urt. v. 22. Oktober 2009, aaO Rn. 16 ff).
Rz. 5
c) Die Voraussetzungen des § 130 Abs. 1 Nr. 2 InsO sind gegeben, weil die Beklagte die zur Aufrechnung gestellten Forderungen nach Kenntnis des Antrags auf Eröffnung des Insolvenzverfahrens über das Vermögen der Schuldnerin erworben hat. Da die Aufrechnung zu einer vollen Befriedigung der Beklagten führt, liegt auch eine objektive Gläubigerbenachteiligung (§ 129 InsO) vor.
Fundstellen