Leitsatz (amtlich)
Vermag der nach Eröffnung des Insolvenzverfahrens selbstständig tätige Schuldner die daraus herrührenden Verbindlichkeiten nicht zu erfüllen, haben die Neugläubiger, solange das Insolvenzverfahren nicht abgeschlossen ist, grundsätzlich kein rechtlich geschütztes Interesse an der Eröffnung eines weiteren Insolvenzverfahrens.
Normenkette
InsO § 14 Abs. 1, §§ 35-36, 89 Abs. 2
Verfahrensgang
LG Neubrandenburg (Beschluss vom 27.06.2003; Aktenzeichen 4 T 100/03) |
AG Neubrandenburg |
Tenor
Die Rechtsbeschwerde der Gläubigerin gegen den Beschluss der 4. Zivilkammer des LG Neubrandenburg v. 27.6.2003 wird als unzulässig verworfen.
Der Gegenstandswert des Beschwerdeverfahrens wird auf 1.000 EUR festgesetzt.
Gründe
I.
Mit Beschluss v. 15.1.2001 wurde das Insolvenzverfahren über das Vermögen des Schuldners, der ein Restaurant betrieb, eröffnet. Dieses Verfahren dauert noch an.
Die Gläubigerin hat beim Insolvenzgericht beantragt, ein zweites Insolvenzverfahren über das Vermögen des Schuldners zu eröffnen, und zur Begründung vorgetragen: Der Schuldner habe den Betrieb des Restaurants mit Einverständnis des Insolvenzverwalters fortgesetzt. Er sei nicht mehr in der Lage, die neu entstandenen Verbindlichkeiten, insb. die Lohnansprüche seiner Mitarbeiter, zu denen die Antragstellerin gehöre, zu begleichen. Er habe ihr nunmehr wirksam zum 28.2.2003 gekündigt.
Das Insolvenzgericht hat den Antrag als unzulässig abgewiesen, das LG die sofortige Beschwerde zurückgewiesen und die Rechtsbeschwerde zugelassen. Die Antragstellerin verfolgt mit diesem Rechtsmittel ihr Begehren weiter.
II.
Die gem. § 7 InsO, § 574 Abs. 1 Nr. 1 ZPO von Gesetzes wegen statthafte Rechtsbeschwerde ist unzulässig.
1. Die Zulassungsentscheidung des LG bindet den Senat nicht. Das Beschwerdegericht besitzt keine rechtliche Kompetenz, über diese Frage zu entscheiden. Ist die Rechtsbeschwerde nach § 574 Abs. 1 Nr. 1 ZPO statthaft, obliegt die Prüfung der besonderen Zulässigkeitsvoraussetzungen des § 574 Abs. 2 ZPO allein dem BGH als Rechtsbeschwerdegericht (BGH, Beschl. v. 20.2.2003 - V ZB 59/02, MDR 2003, 645 = BGHReport 2003, 632 = WM 2003, 1829 [1830]).
2. Die Rechtsbeschwerde ist unzulässig; denn die Rechtssache hat keine grundsätzliche Bedeutung, und eine Entscheidung des Rechtsbeschwerdegerichts ist auch weder zur Fortbildung des Rechts noch zur Sicherung einer einheitlichen Rechtsprechung erforderlich (§ 574 Abs. 2 ZPO).
a) Das von der Rechtsbeschwerde angesprochene Problem, ob das gesamte vom Schuldner nach Eröffnung des Insolvenzverfahrens erworbene Vermögen zur Insolvenzmasse i.S.d. § 35 InsO gehört oder diese Vorschrift das Neuvermögen nicht erfasst, welches der Schuldner zur Erfüllung von Neuverbindlichkeiten benötigt, hat der Senat, soweit die Rechtsfrage hier entscheidungserheblich werden kann, bereits mit Beschluss v. 20.3.2003 (BGH, Beschl. v. 20.3.2003 - IX ZB 388/02, MDR 2003, 831 = BGHReport 2003, 834 = NZI 2003, 389 [392]) beantwortet. Danach gehören die Einkünfte, die der Schuldner aus selbstständiger Tätigkeit nach Eröffnung des Insolvenzverfahrens erzielt, in vollem Umfang und nicht lediglich in Höhe des nach Abzug der Ausgaben verbleibenden Gewinns zur Insolvenzmasse. Der Senat hat damit der Sache nach bereits dort die gegenteilige, insb. von Nerlich/Römermann/Andres (Nerlich/Römermann/Andres, InsO, § 35 Rz. 93), vertretene Mindermeinung abgelehnt. In Anbetracht des zweifelsfreien Wortlauts der Vorschrift des § 35 InsO, der sich mit dem eindeutig geäußerten Willen des Gesetzgebers deckt (vgl. BT-Drucks. 12/2443, 122), besteht keine Veranlassung, in eine erneute Sachprüfung einzutreten. Die Auffassung von Röllenbleg, die Regelung des § 35 InsO über den Neuerwerb verstoße gegen Grundrechte des Schuldners (NZI 2004, 176 [178 f.]), geht offensichtlich fehl, weil sie den rechtlichen Zusammenhang mit den Regeln über die Restschuldbefreiung verkennt (vgl. Lwowski in MünchKomm/InsO, § 35 Rz. 44 f.; Uhlenbruck, InsO, 12. Aufl., § 35 Rz. 38 f.) und nicht hinreichend berücksichtigt, dass der Schuldner beantragen kann, ihm von den erwirtschafteten Einnahmen ebenso viel zu belassen, wie ihm bei Einkünften aus abhängiger Tätigkeit zustände (vgl. BGH, Beschl. v. 20.3.2003 - IX ZB 388/02, MDR 2003, 831 = BGHReport 2003, 834 = NZI 2003, 389 [392]).
b) Die Annahme der Vorinstanzen, die Antragstellerin habe nicht dargelegt, dass der Schuldner Vermögen habe, welches weder gem. § 35 InsO zur Insolvenzmasse gehört noch nach § 36 InsO unpfändbar ist, steht daher in Einklang mit der Rechtsprechung des Senats. Auf dieser Grundlage ist die Ansicht des LG, die Antragstellerin, habe kein rechtliches Interesse an der Eröffnung des Insolvenzverfahrens dargetan, nicht ernsthaft zu bezweifeln.
Fundstellen
Haufe-Index 1170152 |
BGHR 2004, 1318 |
NJW-RR 2004, 1349 |
EWiR 2004, 987 |
StuB 2005, 143 |
WM 2004, 1589 |
ZAP 2004, 1027 |
InVo 2004, 442 |
MDR 2004, 1260 |
NZI 2004, 444 |
ZInsO 2004, 739 |
RENOpraxis 2005, 27 |
ZVI 2004, 518 |