Leitsatz (amtlich)
Rechtsstreitigkeiten zwischen Wohnungseigentümern wegen Entziehung des Wohnungseigentums sind Wohnungseigentumssachen gem. § 43 Nr. 1 bzw. Nr. 2 WEG in der seit dem 1.7.2007 geltenden Fassung.
Normenkette
WEG §§ 18, 43 Nrn. 1-2
Verfahrensgang
LG Karlsruhe (Beschluss vom 08.03.2013; Aktenzeichen 11 S 201/12) |
AG Staufen (Entscheidung vom 05.10.2012; Aktenzeichen 3 C 5/10) |
Tenor
Die Beschwerde gegen die Nichtzulassung der Revision in dem Beschluss der 11. Zivilkammer des LG Karlsruhe vom 8.3.2013 wird auf Kosten der Kläger als unzulässig verworfen.
Der Gegenstandswert des Beschwerdeverfahrens beträgt 280.000 EUR.
Gründe
I.
Rz. 1
Die Parteien bilden eine aus zwei Einheiten bestehende Wohnungseigentümergemeinschaft. Die Kläger wollen im Wege der Entziehungsklage gem. § 18 WEG erreichen, dass die Beklagte ihr Wohnungseigentum veräußern muss. Das AG hat die Klage abgewiesen. Das LG hat die Berufung der Kläger durch Beschluss zurückgewiesen. Mit ihrer Beschwerde wenden sich die Kläger gegen die Nichtzulassung der Revision.
II.
Rz. 2
Die Nichtzulassungsbeschwerde ist gem. § 62 Abs. 2 WEG nicht statthaft.
Rz. 3
1. Dieser Norm zufolge finden die Bestimmungen über die Nichtzulassungsbeschwerde in Wohnungseigentumssachen nach § 43 Nr. 1 bis 4 WEG keine Anwendung auf vor dem 31.12.2014 verkündete Entscheidungen. Nach nahezu einhelliger Meinung gilt dies auch für die Entziehungsklage, die gem. § 43 Nr. 1 oder Nr. 2 WEG als wohnungseigentumsrechtliche Streitigkeit einzuordnen sei (OLG Köln, ZWE 2010, 461; Klein in Bärmann, WEG, 12. Aufl., § 43 Rz. 74; Spielbauer/Then, WEG, 2. Aufl., § 18 Rz. 14; Heinemann in Jennißen, WEG, 3. Aufl., § 19 Rz. 7; Niedenführ in Niedenführ/Kümmel/Vandenhouten, WEG, 10. Aufl., § 43 Rz. 67; BeckOK/WEG/Hogenschurz, Edition 18, § 18 Rz. 52; Lemke/Müller, Immobilienrecht, § 18 WEG Rz. 8, § 43 Rz. 2; Palandt/Bassenge, BGB, 73. Aufl., § 18 WEG Rz. 6, unklar § 43 Rz. 3, in der nur § 18 Abs. 3 WEG genannt ist; a.A. Riecke/Schmidt/Abramenko, WEG, 3. Aufl., § 43 Rz. 10; Bärmann/Pick, WEG, 19. Aufl., § 18 Rz. 14, offen gelassen in dem Beschluss des BGH v. 10.10.2013 - V ZR 281/12, WuM 2013, 760).
Rz. 4
2. Der Senat teilt diese Auffassung. Rechtsstreitigkeiten zwischen Wohnungseigentümern wegen Entziehung des Wohnungseigentums sind Wohnungseigentumssachen gem. § 43 Nr. 1 bzw. Nr. 2 WEG in der seit dem 1.7.2007 geltenden Fassung.
Rz. 5
a) Das Wohnungseigentumsgesetz in der bis zum 30.6.2006 geltenden Fassung nahm in § 43 Nr. 1 Ansprüche auf Entziehung des Wohnungseigentums (§§ 18, 19) ausdrücklich von den dort geregelten Wohnungseigentumssachen aus. Aus diesem Grund unterlagen Entziehungsklagen dem Verfahren nach der Zivilprozessordnung. Dagegen sieht die seit dem 1.7.2007 geltende Neufassung des § 43 Nr. 1 WEG eine entsprechende Sonderregelung für das Entziehungsverfahren nicht mehr vor. Zugleich wurde § 51 WEG a.F. gestrichen; dieser Vorschrift zufolge war das AG für Rechtsstreitigkeiten zwischen Wohnungseigentümern wegen Entziehung des Wohnungseigentums zuständig. Entgegen der Auffassung der Kläger ist dem Gesetzgeber kein redaktionelles Versehen unterlaufen. Vielmehr lassen sowohl die Gesetzessystematik als auch die Gesetzesbegründung darauf schließen, dass für eine gesonderte Regelung des Entziehungsverfahrens deshalb kein Bedarf mehr gesehen wurde, weil es wie andere Wohnungseigentumssachen nunmehr ohnehin nach der Zivilprozessordnung zu behandeln ist (vgl. BT-Drucks. 16/887, 42 zu Nr. 17; so bereits BGH, Beschl. v. 10.10.2013 - V ZR 281/12, WuM 2013, 760). Insbesondere gibt es keine Anhaltspunkte dafür, dass Entziehungsklagen abweichend von dem früheren Recht in erster Instanz den LG zugewiesen werden sollten; diese wären nach Streichung des § 51 WEG a.F. aber aufgrund des Streitwerts in aller Regel zuständig, wenn die Verfahren nicht zu den Wohnungseigentumssachen zählten, für die das AG ohne Rücksicht auf den Wert des Streitgegenstands ausschließlich zuständig ist (§ 23 Nr. 2c) GVG).
Rz. 6
b) Entgegen der Auffassung der Kläger ist nicht das dem Gemeinschaftsverhältnis der Wohnungseigentümer vorgelagerte sachenrechtliche Grundverhältnis betroffen, über das in dem allgemeinen Verfahren nach der Zivilprozessordnung zu verhandeln und entscheiden wäre (BGH, Urt. v. 30.6.1995 - V ZR 118/94, BGHZ 130, 159, 164 ff.). Richtig ist zwar, dass die Vollstreckung eines Entziehungsurteils, in dem die Pflicht zur Veräußerung tituliert ist, sachenrechtliche Folgen hat. Die Entziehungsklage betrifft aber im Kern das Gemeinschaftsverhältnis. Denn die Entziehung des Wohnungseigentums stellt eine Sanktion für schwerste Verstöße gegen die in dem Gemeinschaftsverhältnis wurzelnden Pflichten dar; die darauf gerichtete Klage dient vornehmlich der Entfernung des störenden Eigentümers aus der Gemeinschaft als ultima ratio.
Rz. 7
c) Ob sich die Einordnung als Wohnungseigentumssache aus § 43 Nr. 1 WEG ergibt, weil die Wohnungseigentümer Inhaber des Entziehungsrechts sind (vgl. nur BeckOK/WEG/Elzer, Edition 18, § 43 Rz. 131; Riecke/Schmid/Abramenko, WEG, 3. Aufl., § 43 Rz. 5 und 12), oder ob aufgrund der Ausübung des Entziehungsrechts durch die Gemeinschaft vielmehr § 43 Nr. 2 WEG einschlägig ist (so beispielsweise Klein in Bärmann, WEG, 12. Aufl., § 43 Rz. 74; Spielbauer/Then, WEG, 2. Aufl., § 43 Rz. 6), ist für die Anwendbarkeit von § 62 Abs. 2 WEG ohne Belang.
Rz. 8
d) Anders als die Kläger meinen, ist die Entziehungsklage auch dann Wohnungseigentumssache, wenn die Gemeinschaft - wie hier - nur aus zwei Wohnungseigentümern besteht. Zwar wird das Entziehungsrecht in Zweiergemeinschaften gem. § 18 Abs. 1 Satz 2 WEG nicht durch die Gemeinschaft der Wohnungseigentümer ausgeübt (vgl. auch § 19 Abs. 1 Satz 2 WEG); auch ist ein Entziehungsbeschluss entbehrlich (Senat, Urt. v. 22.1.2010 - V ZR 75/09, ZWE 2010, 179 f.). Die Einordnung als Wohnungseigentumssache ergibt sich aber ohne Weiteres aus § 43 Nr. 1 WEG. Obwohl das Recht nicht durch die Gemeinschaft ausgeübt wird, liegt der Schwerpunkt der Entziehungsklage ebenso wie in größeren Gemeinschaften in dem Gemeinschaftsverhältnis der beiden Wohnungseigentümer. Zu der in § 18 Abs. 1 Satz 2 WEG enthaltenen Regelung hat sich der Gesetzgeber nur deshalb veranlasst gesehen, weil jedenfalls bei Geltung des gesetzlichen Kopfprinzips (§ 25 Abs. 2 Satz 1 WEG) in Zweiergemeinschaften keine Mehrheitsbeschlüsse möglich sind (BT-Drucks. 16/887, 69).
Rz. 9
3. Weil die Nichtzulassungsbeschwerde nicht statthaft ist, ist sie als unzulässig zu verwerfen. Selbst wenn die Statthaftigkeit der Nichtzulassungsbeschwerde Rechtsfragen von grundsätzlicher Bedeutung aufwirft, sind diese in dem gegebenen Verfahren zu klären; die Zulassung der Revision setzt entgegen der Rechtsauffassung der Kläger eine statthafte und auch im Übrigen zulässige Nichtzulassungsbeschwerde voraus.
III.
Rz. 10
Die Kostenentscheidung beruht auf § 97 Abs. 1 ZPO. Die Festsetzung des Gegenstandswerts beruht auf § 49a GKG. Das Interesse beider Parteien entspricht dem Verkehrswert des Wohnungseigentums der Beklagten; gem. § 49a Abs. 1 Satz 2 GKG ist für eine Entziehungsklage daher der volle Verkehrswert maßgeblich (OLG Köln, ZWE 2010, 461; Suilmann in Jennißen, WEG, 3. Aufl., § 49a GKG Rz. 15a; so schon für die Rechtslage vor dem 1.7.2007 BGH, Beschl. v. 21.9.2006 - V ZR 28/06, NZM 2006, 873).
Fundstellen
Haufe-Index 6471029 |
EBE/BGH 2014, 67 |
NJW-RR 2014, 452 |
NZM 2014, 247 |
ZMR 2015, 231 |
ZfIR 2014, 255 |
JZ 2014, 244 |
MDR 2014, 335 |
WuM 2014, 164 |
ZWE 2014, 139 |
GuT 2013, 154 |
MietRB 2014, 107 |
NJW-Spezial 2014, 193 |