Leitsatz (amtlich)
Regelmäßig mit der Vollstreckung eines Urteils gleichartigen Inhalts verbundene Nachteile rechtfertigen eine Einstellung der Zwangsvollstreckung aus einem mit der Revision angegriffenen, vorläufig vollstreckbar erklärten Urteil nicht.
Beinhaltet das Urteil ein zeitlich begrenztes Unterlassungsgebot, ist zu berücksichtigen, daß jedes Hinausschieben der Zwangsvollstreckung die Verurteilung weitgehend, gegebenenfalls sogar vollständig entwerten kann.
Normenkette
ZPO § 719 Abs. 2
Verfahrensgang
LG München I (Aktenzeichen 21 O 17973/88) |
OLG München (Aktenzeichen 6 U 1704/96) |
Tenor
Der Antrag, die Zwangsvollstreckung aus dem am 16. März 2000 verkündeten Urteil des 6. Zivilsenats des Oberlandesgerichts München einstweilen einzustellen, wird zurückgewiesen.
Gründe
I. Die Klägerin ist Inhaberin des unter anderem für die Bundesrepublik Deutschland erteilten europäischen Patents …, das auf eine Anmeldung vom 8. Oktober 1983, für die unter anderem eine Priorität vom 18. Oktober 1982 in Anspruch genommen worden ist, zurückgeht und 16 Ansprüche für eine Kupplungsvorrichtung zur drehfesten und auswechselbaren Verbindung eines Werkstückes mit einer Bearbeitungseinrichtung umfaßt.
Die Beklagte stellt in S. Kupplungsvorrichtungen her, die als Teil eines Systems mit dem Namen „M.” weltweit durch Niederlassungen vertrieben werden. In der Bundesrepublik Deutschland erfolgt der Vertrieb durch die Beklagte zu 2. Die Beklagte zu 1 ist Inhaberin des unter anderem für die Bundesrepublik Deutschland erteilten europäischen Patents …, das auf einer Anmeldung vom 23. Juli 1987 beruht und nach Anspruch 1 eine Spannvorrichtung für ein Werkzeug für eine Werkzeugmaschine, insbesondere eine Senkerodiermaschine betrifft. Kupplungsvorrichtungen nach dem „M.” machen von dieser Erfindung Gebrauch.
Die Klägerin hat zunächst wegen einer zum „M.” gehörenden Kupplungsvorrichtung Patentverletzungsklage erhoben und den Patentverletzungsvorwurf in zweiter Instanz auf eine weitere Ausführungsform der Beklagten zu 1 erstreckt. Das Landgericht hat die Klage abgewiesen. Auf die Berufung der Klägerin hat das Oberlandesgericht nach Einholung eines Sachverständigengutachtens die Beklagten im wesentlichen antragsgemäß zur Unterlassung und Rechnungslegung verurteilt sowie eine Entschädigungs- bzw. Schadensersatzpflicht der Beklagten festgestellt.
Die Beklagten, die vor dem Oberlandesgericht vergeblich Vollstreckungsschutzantrag gemäß § 712 ZPO gestellt haben, haben Revision eingelegt. Nachdem beide Parteien die nach dem angefochtenen Urteil möglichen Sicherheitsleistungen erbracht haben und die Klägerin die Zwangsvollstreckung aus dem angefochtenen Urteil betreibt, beantragen die Beklagten,
die Zwangsvollstreckung aus dem angefochtenen Urteil einstweilen einzustellen.
Die Klägerin ist diesem Begehren entgegengetreten.
II. Das Gesuch der Beklagten nach einstweiliger Einstellung der Zwangsvollstreckung ist zulässig. Ein gesetzlicher Grund zur Einstellung ist jedoch nicht gegeben.
1. Für den Fall, daß gegen ein vorläufig vollstreckbar erklärtes Urteil Revision eingelegt ist, sieht das Gesetz (§ 719 Abs. 2 ZPO) eine Einstellung der Zwangsvollstreckung nur vor, wenn die Vollstreckung dem Schuldner einen nicht zu ersetzenden Nachteil bringen würde und nicht ein überwiegendes Interesse des Gläubigers entgegensteht. Durch diese Ausnahmeregelung kommt zum Ausdruck, daß eine Suspendierung der gesetzlichen Vollstreckbarkeit eines Urteils eines Oberlandesgerichts nur bei Vorliegen besonderer Nachteile in Betracht kommt, die gerade in der Person des Schuldners sich zu realisieren drohen. Regelmäßig mit einer Vollstreckung eines Titels des betreffenden Inhalts verbundene Nachteile reichen nicht aus. Sie sind als normale Folge des ergangenen Urteils und seiner Vollstreckbarkeit hinzunehmen (Sen.Beschl. v. 22.04.1998 – X ZR 6/98, Umdr. S. 6 f.; vgl. auch BGH, Beschl. v. 07.09.1990 – I ZR 220/90, NJW-RR 1991, 186, 187 m.w.N.).
a) Die normale Konsequenz des hier zu beurteilenden Unterlassungstitels ist, daß die Beklagten mit Kupplungsvorrichtungen nach dem „M.” der Klägerin keine Konkurrenz durch Benutzungshandlungen in der Bundesrepublik Deutschland mehr machen können, die bisher im wesentlichen darin bestanden, daß solche Kupplungsvorrichtungen an Werkzeugmaschinenhersteller und -exporteure sowie an gewerbliche Benutzer von Werkzeugmaschinen geliefert wurden. Der Verlust dieses Marktes einschließlich des behaupteten Umsatzverlustes von 30 % und eine hierdurch bedingte Reduzierung der Zahl der bei den Beklagten beschäftigten Personen stellen mithin Umstände dar, die grundsätzlich nicht zu einer Einstellung der Unterlassungsvollstreckung Anlaß geben können. Dabei ist insbesondere zu berücksichtigen, daß die von dem Schuldner befürchteten Nachteile einer baldigen Vollstreckung mit von dem Gläubiger erhofften und nach Maßgabe des vollstreckbaren Urteils als berechtigt zu vermutenden Vorteilen korrespondieren. Bei einem durch die Laufzeit des Klageschutzrechts (Patents) zeitlich begrenzten Unterlassungsgebot würde jedes Hinausschieben der Zwangsvollstreckung dazu führen, daß die Verurteilung zur Unterlassung weitgehend und bei einem zeitnahen Ablauf des Schutzrechts sogar vollständig ins Leere ginge. Das würde dem Grundsatz der Vollstreckbarkeit eines Berufungsurteils widersprechen (vgl. BGH, Beschl. v. 06.07.1979 – I ZR 55/79, GRUR 1979, 807; Zöller/Herget, ZPO, 21. Aufl, § 719 Rdn. 6 m.w.N.). Daß hier ausnahmsweise etwas anderes gelten könnte, legen die Beklagten nicht dar.
Sie verweisen darauf, daß in Deutschland der eigene Marktanteil von ca. 20 % auch bei Aufhebung des Berufungsurteils nicht zurückgewonnen werden könne, weil im Falle der Vollstreckung die Werkzeugmaschinen herstellenden oder exportierenden Abnehmer ihre Werkzeugmaschinen mit einem Kupplungssystem eines Wettbewerbers ausrüsten müßten und einen wiederholten Systemwechsel nicht vornehmen würden. Dies verkennt die Tragweite des gerichtlichen Verbots. Es richtet sich weder an die Kunden der Beklagten noch an rechtlich selbständige Niederlassungen der Beklagten zu 1 in anderen Ländern. Die deutschen Abnehmer der Beklagten sind deshalb durch das angefochtene Urteil und seine Vollstreckbarkeit nicht gehindert, sich das „M.” auf ausländischen Märkten zu beschaffen. Wenn sie – wie dem Vorbringen der Beklagten zu entnehmen ist – einen Systemwechsel zu vermeiden trachten, kann nicht ausgeschlossen werden, daß sie von dieser Möglichkeit tatsächlich auch Gebrauch machen werden. Auch ein in Deutschland entwickelter Standard, der traditionsgemäß weltweit breite Anerkennung und Benutzung gefunden haben mag, ist daher entgegen der Darlegung der Beklagten nicht schlechthin hinfällig.
b) Aus der beschränkten Tragweite des gerichtlichen Verbots folgt zugleich, daß einen außergewöhnlichen Nachteil auch die Behauptung der Beklagten nicht darzutun vermag, weil in der Bundesrepublik Deutschland die bedeutendsten weltweit anbietenden Werkzeugmaschinenhersteller und -exporteure ihren Sitz hätten, sei im Falle der Zwangsvollstreckung für das „M.” nicht nur der deutsche Markt verschlossen, sondern auch der Absatz weltweit gefährdet. Abgesehen davon ist die behauptete Bedeutung des deutschen Marktes für das „M.” der Beklagten zu 1 nicht glaubhaft gemacht. Die Klägerin hatte bereits im Rahmen des Vollstreckungsschutzantrages nach § 712 ZPO eine Erklärung vorgelegt, in der H. H. unter Nennung der Namen der maßgeblichen Unternehmen an Eides statt versichert hat, daß in Deutschland im wesentlichen vier Hersteller in Betracht zu ziehen seien, diese aber im internationalen Vergleich nur geringe Marktanteile hätten; das weltweit bedeutendste Unternehmen habe seinen Sitz in der Schweiz und produziere dort sowie in USA und China. Bedeutende, nicht in der Bundesrepublik Deutschland produzierende Werkzeugmaschinenhersteller seien außerdem vier Unternehmen in Japan, wovon eines der größte Einzelkunde für das System der Beklagten zu 1 sei. Da außerdem angegeben war, praktisch alle Hersteller böten die betreffenden Maschinen je nach den Bedürfnissen der Kunden mit unterschiedlichen Spannsystemen an, hätte mithin durch Beweismittel oder eidesstattliche Versicherung (§ 294 ZPO) dargetan werden müssen, daß dieser Sachverhalt weniger wahrscheinlich als derjenige ist, der dem eigenen Vorbringen der Beklagten zugrunde liegt. Dazu ist die von den Beklagten vorgelegte eidesstattliche Versicherung des H. N. vom 16. Mai 2000 nicht geeignet. Sie beschränkt sich im Hinblick auf die hier interessierende Frage auf die bloße Behauptung, Deutschland sei der in Europa bedeutendste Anbieter von Werkzeugmaschinen und führende Exporteur für solche Maschinen weltweit. Durch eine derart pauschale Darstellung kann die jedenfalls teilweise auch Einzelheiten benennende Darstellung der Klägerin nicht als entkräftet angesehen werden.
c) Ein nicht zu ersetzender Nachteil für die Beklagten ergibt sich auch nicht aus dem zu erwartenden zukünftigen Verhalten im Ausland ansässiger Werkzeugmaschinenhersteller und -exporteure, auf das die Beklagten ergänzend abstellen. Sie müssen das gerichtliche Verbot nicht beachten; gegen sie kann aus ihm nicht vollstreckt werden. Das gerichtliche Verbot und seine Vollstreckung haben deshalb entgegen der Meinung der Beklagten auch nicht automatisch eine allgemeine, vom Bestimmungsland der betreffenden Werkzeugmaschinen unabhängige Umrüstung auf Spannsysteme anderer Anbieter zur Folge, abgesehen davon, daß auch die interne Logistik, die eine solche Folge nach sich ziehen könnte, seitens der Beklagten nicht glaubhaft gemacht ist. Der Darstellung in der eidesstattlichen Versicherung von H. H., daß die Erstausstattung mit einem Spannsystem einem einheitlichen Standard nicht folge, sondern sich nach den Bedürfnissen der Kunden richte und daß viele internationale Werkzeugmaschinenhersteller in verschiedenen Ländern verschiedene Spannsysteme verwendeten, steht insoweit lediglich die ebenso pauschale Versicherung von H. N. gegenüber, aufgrund der allgemein üblichen internen Logistik der Werkzeugmaschinenhersteller könnten im Ausland ansässige Kunden für das Kupplungssystem, mit welchem ihre Maschinen ausgerüstet würden, keine Unterschiede machen dahingehend, ob sie ihre Werkzeugmaschinen für einige Länder mit dem „M.”, für Deutschland jedoch mit einem anderen Kupplungssystem ausrüsten müssen.
d) Die vorstehenden Ausführungen gelten entsprechend, was die Benutzer von Werkzeugmaschinen im In- und Ausland betrifft. Soweit ihre Werkzeugmaschinen bereits mit dem „M.” ausgerüstet sind, dürfte ihre Bereitschaft, bei diesen Maschinen einen Systemwechsel vorzunehmen, sogar besonders gering sein.
e) Im Hinblick auf die Vollstreckung der Verurteilung zur Rechnungslegung behaupten die Beklagten selbst nicht, daß ihnen hierdurch ein nicht zu ersetzender Nachteil entstehe.
Unterschriften
Rogge, Jestaedt, Melullis, Scharen, Mühlens
Fundstellen
BB 2000, 2016 |
NJW 2000, 3008 |
BGHR |
EWiR 2001, 95 |
GRUR 2000, 862 |
Nachschlagewerk BGH |
ZIP 2000, 1405 |
InVo 2000, 349 |
MDR 2000, 1152 |