Leitsatz (amtlich)
Die Verletztenrente aus der gesetzlichen Unfallversicherung kann als laufende Geldleistung insgesamt wie Arbeitseinkommen gepfändet werden.
Normenkette
InsO § 36 Abs. 1 S. 1; SGB I § 54 Abs. 3 Nr. 3, Abs. 4; SGB VII § 56; ZPO §§ 850c, 850e Nrn. 2, 2a
Verfahrensgang
LG Karlsruhe (Beschluss vom 06.08.2015; Aktenzeichen 11 T 713/14) |
AG Karlsruhe (Beschluss vom 16.10.2014; Aktenzeichen G1 IK 826/14 (2) E) |
Tenor
Auf die Rechtsbeschwerde des weiteren Beteiligten zu 1) wird der Beschluss der Zivilkammer XI des LG Karlsruhe vom 6.8.2015 aufgehoben.
Die sofortige Beschwerde der Schuldnerin gegen den Beschluss des AG Karlsruhe vom 16.10.2014 wird zurückgewiesen.
Die Kosten der Rechtsmittelverfahren hat die Schuldnerin zu tragen.
Der Gegenstandswert des Rechtsbeschwerdeverfahrens wird auf 2.531,76 EUR festgesetzt.
Gründe
I.
Rz. 1
Über das Vermögen der am 15.2.1943 geborenen Schuldnerin wurde auf ihren beim Insolvenzgericht am 11.9.2014 eingegangenen Antrag am 15.9.2014 das Insolvenzverfahren eröffnet und der weitere Beteiligte zu 1) zum Insolvenzverwalter bestellt. Die Schuldnerin bezieht bei der weiteren Beteiligten zu 2) eine gesetzliche Altersrente und bei der weiteren Beteiligten zu 3) eine Verletztenrente aus der gesetzlichen Unfallversicherung. Die Renten liegen jeweils unterhalb der Pfändungsfreigrenzen für Arbeitseinkommen (§ 850c ZPO).
Rz. 2
Der Insolvenzverwalter hat beantragt, beide Renten nach § 36 Abs. 1 InsO, § 850e Nr. 2 und 2a ZPO zusammenzurechnen. Nach Zusammenrechnung der Renten errechne sich ein pfändbarer Betrag i.H.v. monatlich 10,47 EUR. Das Insolvenzgericht hat diesem Antrag entsprochen und angeordnet, der unpfändbare Grundbetrag sei in erster Linie der gesetzlichen Altersrente zu entnehmen. Auf die sofortige Beschwerde der Schuldnerin hat das LG diesen Beschluss aufgehoben. Mit seiner vom LG zugelassenen Rechtsbeschwerde möchte der Insolvenzverwalter die Wiederherstellung der amtsgerichtlichen Entscheidung erreichen.
II.
Rz. 3
Die Rechtsbeschwerde ist statthaft, weil das Beschwerdegericht im vollstreckungsrechtlichen Rechtszug nach §§ 567 Abs. 1, 793 ZPO, § 36 Abs. 4 Satz 1 InsO die Rechtsbeschwerde zugelassen hat (§ 574 Abs. 1 Satz 1 Nr. 2, Abs. 3 Satz 2 ZPO). Sie ist auch im Übrigen zulässig (§ 575 ZPO). Insbesondere ist der weitere Beteiligte zu 1) durch die Aufhebung des Zusammenrechnungsbeschlusses beschwert, weil aufgrund des Beschlusses des AG ab dem 16.10.2014 ein pfändbarer Betrag in die Insolvenzmasse fiel. In der Sache hat die Rechtsbeschwerde Erfolg und führt zur Aufhebung der angefochtenen Entscheidung (§ 577 Abs. 5 ZPO) und zur Wiederherstellung der amtsgerichtlichen Entscheidung.
Rz. 4
1. Das Beschwerdegericht hat ausgeführt: Die Pfändbarkeit der gesetzlichen Unfallrente richte sich allein nach § 54 SGB I. Nach § 54 Abs. 3 Nr. 3 SGB I seien Ansprüche auf Geldleistungen, die durch einen Körper- oder Gesundheitsschaden bedingten Mehrbedarf ausglichen, unpfändbar. Die gesetzliche Unfallrente erfülle verschiedene Funktionen und diene nicht allein dem Einkommensersatz wegen der Minderung der Erwerbsfähigkeit, sondern solle auch den eingetretenen immateriellen Schaden kompensieren und den durch die Körperschäden entstandenen Mehrbedarf ausgleichen. Wegen dieser verschiedenen Funktionen sei die Unfallrente insgesamt unpfändbar.
Rz. 5
2. Diese Ausführungen halten rechtlicher Nachprüfung in einem entscheidenden Punkt nicht stand.
Rz. 6
a) Nach § 35 Abs. 1 InsO erfasst das Insolvenzverfahren das gesamte Vermögen, das dem Schuldner zur Zeit der Eröffnung des Verfahrens gehört und das er während des Verfahrens erlangt (Insolvenzmasse). Gegenstände, die nicht der Zwangsvollstreckung unterliegen, gehören nach § 36 Abs. 1 Satz 1 InsO nicht zur Insolvenzmasse. § 850e ZPO gilt entsprechend (§ 36 Abs. 1 Satz 2 InsO). Nach § 36 Abs. 1 Satz 2 InsO, § 850e Nr. 2 Satz 1 ZPO sind mehrere Arbeitseinkommen auf Antrag des Insolvenzverwalters (§ 36 Abs. 4 Satz 2 InsO) vom Insolvenzgericht als dem besonderen Vollstreckungsgericht bei der Pfändung zusammenzurechnen. Nach § 36 Abs. 1 Satz 2 InsO, § 850e Nr. 2a Satz 1 ZPO sind mit dem Arbeitseinkommen ebenfalls auf Antrag des Insolvenzverwalters auch Ansprüche auf laufende Geldleistungen nach dem Sozialgesetzbuch zusammenzurechnen, soweit diese der Pfändung unterworfen sind. Analog § 850e Nr. 2 und 2a ZPO werden auch unterschiedliche laufende Geldleistungen nach dem Sozialgesetzbuch zusammengerechnet, soweit sie pfändbar sind (BGH, Beschl. v. 5.4.2005 - VII ZB 20/05, WM 2005, 1369, 1370; v. 3.12.2009 - IX ZB 247/08, BGHZ 183, 258 Rz. 2, 11; v. 18.9.2014 - IX ZB 68/13, NZI 2014, 957 Rz. 13).
Rz. 7
Die Pfändbarkeit von Sozialleistungen ergibt sich aus § 54 SGB I. Danach sind laufende Geldleistungen unter den Voraussetzungen des § 54 Abs. 3 SGB I unpfändbar. Im Übrigen können sie nach § 54 Abs. 4 SGB I wie Arbeitseinkommen gepfändet werden. Wie das LG richtig gesehen hat, ist die Verletztenrente aus der gesetzlichen Unfallversicherung deswegen nur dann unpfändbar, wenn sie nach § 54 Abs. 3 Nr. 3 SGB I dafür bestimmt ist, den durch einen Körper- oder Gesundheitsschaden bedingten Mehraufwand auszugleichen.
Rz. 8
b) Die Verletztenrente nach § 56 SGB VII ist entgegen der Ansicht des Beschwerdegerichts in voller Höhe nach § 54 Abs. 4 SGB I wie Arbeitseinkommen pfändbar. Sie fällt nicht unter § 54 Abs. 3 Nr. 3 SGB I. Denn diese Schutzvorschrift erfasst nicht Leistungen, die den durch Körper- oder Gesundheitsschäden bedingten Einkommensverlust ausgleichen, weil dadurch kein Mehraufwand ausgeglichen wird (Hauck/Noftz/Häusler, SGB, 2009, § 54 SGB I Rz. 53; Schlegel/Voelzke/Pflüger, jurisPK-SGB I, 2. Aufl., § 54 SGB I Rz. 68; Kasseler Kommentar zum Sozialversicherungsrecht/Siefert, 2016, § 54 SGB I Rz. 37; BeckOK-Sozialrecht/Gutzler, 2016, § 54 SGB I Rz. 12; Krauskopf/Baier, Soziale Krankenversicherung, Pflegeversicherung, 2016, § 54 SGB I Rz. 27).
Rz. 9
aa) Von den Zivilgerichten wurde die gesetzliche Unfallrente bislang als pfändbar angesehen (vgl. BGH, Beschl. v. 20.12.2005 - VII ZB 62/05, nv; LG Leipzig, Beschl. v. 22.1.2009 - 8 T 8/09, BeckRS 2010, 03373 - jeweils unter Hinweis auf § 850b ZPO; LG Heilbronn, NZS 2015, 588). Ebenso hat das LSG Baden-Württemberg entschieden: Die Verletztenrente nach § 56 SGB VII stelle keine § 53 Abs. 3 Nr. 3 SGB I unterfallende Leistung dar (UV-Recht Aktuell 2014, 760 Rz. 37). Das BSG hat die Entscheidung zwar abgeändert, zu dieser Frage jedoch keine Stellung genommen, weil es die Anfechtungsklagen im Gegensatz zum LSG für unzulässig erachtet hat (BSG, Urt. v. 26.4.2016 - B 2 U 13/14 R, UV-Recht Aktuell 2016, 456 Rz. 16, 18 ff.).
Rz. 10
Die Literatur stimmt dem ganz überwiegend zu. Die Verletztenrente nach §§ 56 ff. SGB VII gleiche nur den durch Körper- und Gesundheitsschäden bedingten Einkommensverlust aus und falle deswegen nicht unter § 54 Abs. 3 Nr. 3 SGB I (Hauck/Noftz/Häusler, a.a.O.; Schlegel/Voelzke/Pflüger, a.a.O.; Kasseler Kommentar zum Sozialversicherungsrecht/Siefert, a.a.O.; Kasseler Kommentar zum Sozialversicherungsrecht/Ricke, 2016, § 56 SGB VII Rz. 2; Kohte in Kindl/Meller-Hannich/Wolf, Gesamtes Recht der Zwangsvollstreckung, 3. Aufl., Schwerpunktbeiträge, 3., Rz. 19; vgl. Zöller/Stöber, ZPO, 31. Aufl., § 850i Rz. 27; Stöber, Forderungspfändung, 16. Aufl., Rz. 1369a, 1378; vgl. auch BVerfG, BVerfGK 18, 377, 381). Dem entspricht die Handhabung in der Praxis (vgl. Dahm, Die Sozialversicherung 2003, 205, 206). Erwogen wird allenfalls, ob ein der Grundrente nach dem Bundesversorgungsgesetz entsprechender Teil der Verletztenrente aus der gesetzlichen Unfallversicherung unpfändbar ist (Hauck/Noftz/Kranig, SGB VII, 2010, § 56 SGB VII Rz. 8 im Hinblick auf § 18a Abs. 3 Nr. 4 SGB IV und § 93 Abs. 2 Nr. 2 SGB VI im Unterschied zu heute §§ 11, 11a SGB II).
Rz. 11
bb) Die Verletztenrente aus der gesetzlichen Unfallversicherung ist nach den Regelungen der §§ 56 ff. SGB VII nicht dazu bestimmt, den durch einen Körper- oder Gesundheitsschaden bedingten Mehraufwand auszugleichen (§ 54 Abs. 3 Nr. 3 SGB I), ihr kommt vielmehr eine Lohnersatzfunktion zu.
Rz. 12
(1) Auch in anderen rechtlichen Zusammenhängen wird in der obergerichtlichen Rechtsprechung diese Lohnersatzfunktion der Verletztenrente aus der gesetzlichen Unfallversicherung betont.
Rz. 13
(a) Nach der ständigen Rechtsprechung des BGH ist die Verletztenrente aus der gesetzlichen Unfallversicherung mit dem Erwerbsschaden des Unfallgeschädigten in vollem Umfang kongruent, weil die Zweckbestimmung dieser Rente ausschließlich im Ausgleich des (abstrakt berechneten) Erwerbsschadens liegt (§ 116 SGB X). Sie stellt eine gesetzlich geregelte Entschädigung dafür dar, dass der Verletzte infolge des Unfalls in seiner Fähigkeit beeinträchtigt ist, sich einen Erwerb zu verschaffen. Dabei wird nicht auf den tatsächlich eingetretenen Verdienstentgang abgestellt, sondern nach Bruchteilen der vollen Erwerbsfähigkeit ermittelt, inwieweit der Verletzte mit den ihm verbliebenen Kräften auf dem allgemeinen Arbeitsmarkt zumutbar noch in Wettbewerb treten kann. Die Verletztenrente stellt daher eine laufende pauschale Entschädigung für Erwerbseinbußen dar (BGH, Urt. v. 3.12.2002 - VI ZR 304/01, BGHZ 153, 113, 120 f.).
Rz. 14
Auch hat der BGH nicht im Hinblick auf § 93 Abs. 2 Nr. 2a SGB VI die Kongruenz zwischen dem zivilrechtlichen Erwerbsschaden und der vom Unfallversicherer gezahlten Verletztenrente teilweise verneint (BGH, a.a.O., S. 124). § 93 Abs. 1 SGB VI trifft im Rahmen der gesetzlichen Rentenversicherung eine besondere Regelung für den Fall, dass die gesetzliche Rente mit weiteren Sozialleistungen zusammentrifft (BGH, a.a.O., S. 126). Diese Regelung bezweckt die Verhinderung einer Doppelversorgung durch funktionsgleiche Leistungen aus verschiedenen Versicherungssystemen (BGH, a.a.O., S. 127). § 93 Abs. 2 Nr. 2a SGB VI regelt davon abweichend, dass bei der Ermittlung der Summe der zusammentreffenden Rentenbeträge ein Teil der Verletztenrente aus der Unfallversicherung unberücksichtigt bleibt, um eine Besserstellung Schwerverletzter zu erreichen. Doch ist eine Absicht des Gesetzgebers, der Verletztenrente, über die bestehende Rechtslage hinausgehend, eine grundsätzlich neue Funktion - und sei es auch nur für einen Teilbetrag - zuzuweisen, aus dieser Regelung nicht erkennbar (BGH, a.a.O., S. 127, 129).
Rz. 15
(b) Der BGH hat die Verletztenrente aus der gesetzlichen Unfallversicherung unter Berufung auf die Lohnersatzfunktion unterhaltsrechtlich als Einkommen des Rentenempfängers angerechnet (BGH, Urt. v. 20.1.1982 - IVb ZR 647/80, NJW 1982, 1593; v. 13.4.1983 - IVb ZR 373/81, NJW 1983, 1783, 1784; Dose in Wendl/Dose, Das Unterhaltsrecht in der familienrichterlichen Praxis, 9. Aufl., § 1 Rz. 121). Das BVerwG hat die Verletztenrente bei der Ermittlung des wohngeldrechtlich maßgebenden Einkommens insgesamt angerechnet, weil sie eine laufende pauschale Entschädigung für einen abstrakt berechneten Erwerbsschaden durch unfallbedingte Erwerbseinbußen gewährt (BVerwGE 101, 86, 89 f.; BGH, Urt. v. 3.12.2002 - VI ZR 304/01, BGHZ 153, 113, 123 f.). Das BSG hat im Verhältnis der nachrangig zu leistenden Hilfe zum Lebensunterhalt nach dem Bundessozialhilfegesetz zur Verletztenrente nach § 56 SGB VII (§ 76 BSHG, heute § 82 SGB XII) den Zweck der Verletztenrente im Lohnersatz gesehen (BSGE 90, 172, 176).
Rz. 16
(c) Allerdings hat das Beschwerdegericht mit Recht auf den tatsächlichen Funktionswandel der Verletztenrente aus der gesetzlichen Unfallversicherung aufmerksam gemacht (vgl. BGH, Urt. v. 3.12.2002, a.a.O., S. 121 f., 124 ff.). Das BSG betont in seiner Rechtsprechung, dass die Verletztenrente neben der Funktion des Einkommensersatzes auch die der Kompensation immaterieller Schäden (vgl. BSGE 82, 83, 93; 90, 172, 176) und des Mehrbedarfsausgleichs (BSGE 71, 299, 301 f.; BSG, UV-Recht Aktuell 2008, 888, 894) erfülle. Das bedeute jedoch nicht, dass diese Funktionen einer "Zweckbestimmung" i.S.d. § 77 Abs. 1 BSHG a.F. (§ 83 Abs. 1 SGB XII) gleichzuachten wären. Die von der Rechtsprechung aufgezeigten Funktionen ergäben sich nicht - wie dies § 77 Abs. 1 BSHG (§ 83 Abs. 1 SGB XII) voraussetzten - unmittelbar aus dem Gesetz oder dem Gewährungszusammenhang (vgl. auch BSG, UV-Recht Aktuell 2008, 888, 894; BSGE 90, 172, 176).
Rz. 17
(2) Diese Überlegungen gelten auch bei der Beantwortung der Frage, ob die Verletztenrente der gesetzlichen Unfallversicherung nach § 54 SGB I gepfändet werden kann.
Rz. 18
(a) Dem Recht der gesetzlichen Unfallversicherung lässt sich nicht entnehmen, dass die Verletztenrente auch nur teilweise nicht zur Sicherung des Lebensunterhalts bestimmt sein soll. Dort ist nicht geregelt, dass durch die Rentenzahlung immaterielle Schäden kompensiert und der Mehraufwand ausgeglichen werden soll. §§ 56 ff. SGB VII klären nur den Beginn, die Dauer und die Höhe sowie die Berechnungsmodalitäten der Verletztenrente. Nach dieser gesetzgeberischen Konzeption handelt es sich daher bei der Verletztenrente um eine abstrakt berechnete Verdienstausfallentschädigung, die ebenso wie der Arbeitslohn selbst der Sicherung des Lebensunterhalts dient (BVerfG, BVerfGK 18, 377, 384; BSG, UV-Recht Aktuell 2008, 888, 894; vgl. BVerwGE 101, 86, 89; BSGE 90, 172, 176).
Rz. 19
Auch wenn der gesetzlichen Unfallversicherung zusätzlich die Funktion zukommt, Nichterwerbsschäden abzugelten, ergibt sich dies nicht aus der gesetzlichen Regelung der Verletztenrente in §§ 56 ff. SGB VII, sondern folgt aus der tatsächlichen Änderung der wirtschaftlichen, technischen und sozialen Rahmenbedingungen, die dazu geführt hat, dass eine Minderung der Erwerbsfähigkeit bei leichten oder mittelschweren Unfällen keine oder fast keine Lohneinbußen und auch bei schweren Unfällen nur teilweise Lohneinbußen verursacht. Dieser "tatsächliche" oder "wirtschaftliche Funktionswandel" ist jedoch nicht mit einer Zweckbestimmung durch den Gesetzgeber selbst gleichzusetzen (BVerfG, BVerfGK 18, 377, 384, 385; BGH, Urt. v. 3.12.2002 - VI ZR 304/01, BGHZ 153, 113, 121 f.).
Rz. 20
(b) Die generelle Unpfändbarkeit der Ansprüche der Schuldnerin gegen den Träger der gesetzlichen Unfallversicherung wäre auch aus verfassungsrechtlichen Gründen nicht zu rechtfertigen. Zu den Eigentumsrechten i.S.v. Art. 14 Abs. 1 GG gehören auch schuldrechtliche Forderungen. Der verfassungsrechtlich gewährleistete Schutz erstreckt sich insb. auf das Befriedigungsrecht des Gläubigers. Der Staat, der selbst das Zwangsvollstreckungsmonopol ausübt, darf den davon betroffenen Gläubigern das Einkommen bestimmter Schuldnerkreise nicht generell als Haftungsgrundlage entziehen. Pfändungsverbote sind nur aus Gründen des Sozialstaatsprinzips (Art. 20 Abs. 1, Art. 28 Abs. 1 GG) gerechtfertigt, um die eigene Lebensgrundlage des Schuldners durch Pfändungsfreibeträge (§§ 850 ff. ZPO) zu sichern (BGH, Beschl. v. 25.8.2004 - IXa ZB 271/03, BGHZ 160, 197, 200).
Rz. 21
(c) Schließlich ist den Anrechnungsvorschriften der § 18a Abs. 3 Satz 1 Nr. 4 SGB IV und § 93 Abs. 2 Nr. 2 SGB VI nicht zu entnehmen, dass die Versichertenrente nach § 56 SGB VII zumindest in Höhe der Grundrente unpfändbar sein müsse. Der Gesetzgeber lässt schon nicht einen der Grundrente nach dem Bundesversorgungsgesetz entsprechenden Betrag bei der Verletztenrente aus der Unfallversicherung in allen sozialrechtlichen Anrechnungsvorschriften unberücksichtigt. Im Rahmen der Grundsicherung für Arbeitsuchende ist eine Privilegierung der Verletztenrente aus der gesetzlichen Unfallversicherung in Höhe der Grundrente nach § 31 BVG vielmehr nach §§ 11, 11a SGB II nicht vorgesehen. Eine dahin erweiterte Auslegung des § 11a Abs. 1 Nr. 2 SGB II kommt angesichts des klaren Wortlauts der Vorschrift grundsätzlich nicht in Betracht (BSG, SozR 4-4200 § 7 Nr. 4 Rz. 20; Eicher/Schmidt, SGB II, 3. Aufl., § 11a Rz. 7; Gagel/Striebinger, SGB II/SGB III, 2016, § 11a SGB II Rz. 11 m.w.N.; Hauck/Noftz/Hengelhaupt, SGB, 2015, § 11a SGB II Rz. 83). Im Übrigen folgt aus der teilweisen Privilegierung der Verletztenrente in Höhe der Grundrente im Recht der Sozialleistungen noch nicht die entsprechende Unpfändbarkeit. Diese hätte der Gesetzgeber in § 54 SGB I ausdrücklich regeln müssen.
Rz. 22
Von Verfassungs wegen ist die Unpfändbarkeit eines Teils der Verletztenrente aus der gesetzlichen Unfallversicherung nicht geboten. Schützenswerte Interessen der Schuldnerin werden durch die Möglichkeit der Pfändung der Verletztenrente aus der gesetzlichen Unfallversicherung in vollem Umfang, der Zusammenrechnung ihrer beiden Renten und der sich daraus ggf. ergebenden teilweisen Pfändbarkeit nicht berührt. Wegen ihrer (konkret darzulegenden) krankheitsbedingten Mehraufwendungen kann sie nämlich nach § 850 f Abs. 1 Buchst. b ZPO, auf den § 54 Abs. 4 SGB I verweist (Zöller/Stöber, ZPO, 31. Aufl., § 850i Rz. 35), eine Erhöhung des unpfändbaren Betrages verlangen, wenn die Voraussetzungen dieser Regelung vorliegen (vgl. zur Erhöhung des Pfändungsfreibetrags wegen der Kosten einer medizinischen Behandlung BGH, Beschl. v. 23.4.2009 - IX ZB 35/08, NJW 2009, 2313 Rz. 10).
Rz. 23
c) Ebenso ist die gesetzliche Altersrente nach § 54 Abs. 4 SGB I wie Arbeitseinkommen pfändbar (vgl. BGH, Beschl. v. 10.10.2003 - IXa ZB 180/03, NJW 2003, 3774, 3775). Dies wird von der Schuldnerin auch nicht in Frage gestellt.
Fundstellen
Haufe-Index 9951704 |
DB 2016, 7 |
DStR 2016, 14 |
NJW 2016, 9 |
NJW 2017, 959 |
JurBüro 2017, 264 |
WM 2016, 2317 |
ZAP 2017, 222 |
DZWir 2017, 100 |
JZ 2017, 79 |
MDR 2017, 173 |
NZI 2016, 7 |
NZI 2017, 295 |
NZI 2017, 33 |
Rpfleger 2017, 166 |
ZInsO 2016, 2391 |
GK/BW 2017, 277 |
InsbürO 2017, 76 |
NJW-Spezial 2017, 55 |
RENOpraxis 2017, 88 |
ZVI 2017, 117 |
r+s 2017, 110 |
AiSR 2017, 80 |
GK/Bay 2017, 361 |
RENO 2017, 19 |