Entscheidungsstichwort (Thema)
Versagung der Restschuldbefreiung bei Falschangaben des Schuldners
Leitsatz (amtlich)
Vorsätzliche oder grob fahrlässige Falschangaben des Schuldners zu seinen wirtschaftlichen Verhältnissen begründen die Versagung der Restschuldbefreiung nur dann, wenn sie subjektiv dem Zweck dienen, Leistungen zu erhalten oder zu vermeiden.
Normenkette
InsO § 290 Abs. 1 Nr. 2
Verfahrensgang
LG Halle (Saale) (Beschluss vom 10.10.2006; Aktenzeichen 2 T 601/06) |
AG Halle (Saale) (Entscheidung vom 28.07.2006; Aktenzeichen 59 IK 229/03) |
Tenor
Auf die Rechtsbeschwerde des Schuldners wird der Beschluss der 2. Zivilkammer des LG Halle vom 10.10.2006 aufgehoben.
Die Sache wird zur erneuten Entscheidung - auch über die Kosten der Rechtsbeschwerde - an das Beschwerdegericht zurückverwiesen.
Der Wert des Beschwerdegegenstandes beträgt 5.000 EUR.
Gründe
I.
[1] Auf Antrag des Schuldners vom 14.10.2003 wurde über sein Vermögen am 25.11.2003 das Insolvenzverfahren eröffnet, in dem er Restschuldbefreiung begehrt. Das durch das Finanzamt Naumburg vertretene beteiligte Land hat im Schlusstermin am 6.3.2006 beantragt, dem Schuldner die Restschuldbefreiung zu versagen. Der Antrag ist darauf gestützt, dass der Schuldner anlässlich einer von der Finanzverwaltung gegen ihn erwirkten fruchtlosen Pfändung am 12.2.2001 ein in seinem Eigentum stehendes - bereits seinerzeit sowohl der Zwangsversteigerung als auch der Zwangsverwaltung unterstelltes und inzwischen von der Treuhänderin mangels eines zu erwartenden Erlöses freigegebenes - Hausgrundstück verschwiegen hat.
[2] Das AG hat den Versagungsantrag zurückgewiesen; auf die Beschwerde des Landes hat das LG dem Antrag stattgegeben. Mit seiner Rechtsbeschwerde verfolgt der Schuldner sein Begehren auf Restschuldbefreiung weiter.
II.
[3] Die statthafte Rechtsbeschwerde (§ 574 Abs. 1 Satz 1 Nr. 1 ZPO, §§ 7, 6 Abs. 1, § 289 Abs. 2 Satz 1 InsO) ist begründet.
[4] 1. Das LG hat dem Schuldner die Restschuldbefreiung in Anwendung von § 290 Abs. 1 Nr. 2 InsO versagt, weil er das ihm gehörende Grundstück nicht als Vermögenswert angegeben habe. Den Schuldner entlaste es nicht, dass die Zwangsversteigerung über das Grundstück angeordnet worden sei, weil der Gläubiger berechtigt gewesen sei, in diesem Verfahren seine Ansprüche anzumelden. Ferner komme es nicht auf den Willen einer Gläubigerbenachteiligung an.
[5] 2. Dagegen wendet sich die Rechtsbeschwerde mit Erfolg.
[6] a) Zu Unrecht meint die Rechtsbeschwerde freilich, im Rahmen einer Zwangsvollstreckung gemachte unrichtige Angaben seien nicht geeignet, den Versagungsgrund des § 290 Abs. 1 Nr. 2 Variante 3 InsO auszulösen. Falls der von dem subjektiven Tatbestand vorausgesetzte Zusammenhang, Leistungen an öffentliche Kassen zu vermeiden, tatsächlich gegeben ist, erfüllen - wie der Senat bereits entschieden hat (Beschl. v. 9.2.2006 - IX ZB 19/05, WM 2006, 1296 f.) - auch unrichtige Angaben ggü. den Vollstreckungsbeamten des Finanzamts den Versagungsgrund des § 290 Abs. 1 Nr. 2 InsO. Die Ausführungen der Rechtsbeschwerde geben keine Veranlassung, von dieser Gesetzesauslegung abzugehen.
[7] b) Jedoch beeinträchtigt die angefochtene Entscheidung - wie die Rechtsbeschwerde zutreffend rügt - den Schuldner in seinem Verfahrensgrundrecht aus Art. 103 Abs. 1 GG.
[8] aa) Der Anspruch auf rechtliches Gehör ist verletzt, wenn im Einzelfall deutlich wird, dass Vorbringen überhaupt nicht zur Kenntnis genommen oder doch bei der Entscheidung nicht erwogen worden ist. Zwar muss das Gericht nicht jeden Sachvortrag in den Urteilsgründen ausdrücklich erörtern. Wenn das Gericht aber auf den wesentlichen Kern des Tatsachenvortrags einer Partei zu einer Frage, die für das Verfahren von besonderer Bedeutung ist, nicht eingeht, lässt dies auf die Nichtberücksichtigung des Vortrags schließen (BGH, Beschl. v. 11.9.2007 - X ZB 15/06 Tz. 17 zur Veröffentlichung bestimmt; BGH, Beschl. v. 21.7.2005 - IX ZB 80/04, NZI 2005, 687).
[9] bb) So verhält es sich im Streitfall. Das Beschwerdegericht hat entscheidungserhebliches Vorbringen des Schuldners, mit dem er auf den Versagungsantrag des beteiligten Landes erwidert hat, ersichtlich nicht zur Kenntnis genommen.
[10] (1) Der Versagungsgrund des § 290 Abs. 1 Nr. 2 InsO greift durch, wenn der Schuldner vorsätzlich oder grob fahrlässig schriftlich unrichtige oder unvollständige Angaben über seine wirtschaftlichen Verhältnisse gemacht hat, um einen Kredit zu erhalten, Leistungen aus öffentlichen Mitteln zu beziehen oder - wie im Streitfall - Leistungen an öffentliche Kassen zu vermeiden. Der zweigliedrige subjektive Tatbestand erfordert, dass der Schuldner vorsätzlich oder grob fahrlässig unrichtige Angaben gemacht hat, um einen Kredit oder öffentliche Leistungen zu erhalten. Neben vorsätzlich oder grob fahrlässig gemachten unrichtigen Angaben verlangt die Vorschrift, wie der Wortlaut "um ... zu" verdeutlicht, ein finales Handeln zur Verwirklichung der Zielsetzung, hier einer Leistungsvermeidung (BGH, Beschl. v. 9.2.2006, a.a.O.; Braun/Lang, InsO, 3. Aufl., § 290 Rz. 13; HmbKomm-InsO/Streck, 2. Aufl., § 290 Rz. 20; FK-InsO/Ahrens, InsO, 4. Aufl., § 290 Rz. 24; Römermann in: Nerlich/Römermann, InsO § 290 Rz. 54). Nach der eindeutigen Tatbestandsfassung des § 290 Abs. 1 Nr. 2 InsO kann auch im Fall grob fahrlässiger Falschangaben auf diesen - eher mit vorsätzlichem Handeln korrespondierenden - finalen Zusammenhang nicht verzichtet werden (Döbereiner, Die Restschuldbefreiung nach der Insolvenzordnung 1997 S. 126; Stephan in MünchKomm/InsO, § 290 Rz. 40; Kübler/Prütting/Wenzel, InsO § 290 Rz. 13). Da sich die Unredlichkeit des Schuldners in dem zielgerichteten Handeln hinreichend manifestiert, ist es, wenn zwischen den unrichtigen Angaben und den tatbestandlich vorausgesetzten Leistungen ein objektiver Zusammenhang besteht, ohne Bedeutung, ob der Schuldner mit Hilfe der Falschangaben sein Ziel tatsächlich erreicht hat (Stephan in MünchKomm/InsO, § 290 Rz. 41; FK-InsO/Ahrens, a.a.O.).
[11] (2) Das LG hat zu den subjektiven Anforderungen keine ausdrücklichen Feststellungen getroffen. Seine konkludente Annahme, die subjektiven Voraussetzungen seien erfüllt, lässt wesentliches Vorbringen des Schuldners außer Betracht.
[12] Der Schuldner hat zu dem Vorwurf, das Grundstück nicht angegeben zu haben, ausgeführt, er habe sich wegen der angeordneten Zwangsverwaltung und Zwangsversteigerung "wahrscheinlich davon leiten lassen", dass das Grundstück für ihn nicht mehr "verfügbar" gewesen sei. Keinesfalls habe dadurch jemand "geschädigt oder bevorteilt" werden sollen. Diese Äußerung lässt für sich genommen keine sichere Schlussfolgerung darauf zu, ob der Schuldner vorsätzlich, grob fahrlässig oder lediglich fahrlässig gehandelt hat. Überdies ging der Schuldner nach dem Inhalt seines die fehlende Verfügbarkeit betonenden und jeden Schädigungswillen in Abrede stellenden Vorbringens möglicherweise davon aus, dass weitere Gläubiger in dem Zwangsvollstreckungsverfahren über das Hausgrundstück - wie auch die Freigabe durch die Treuhänderin belegt - ohnehin keinen Erlös erzielen würden. Hatte der Schuldner dieses Bewusstsein, deutet dies darauf hin, dass mit den unrichtigen Angaben nicht der Zweck verfolgt wurde, Leistungen an öffentliche Kassen zu vermeiden. Die Zurückweisung der Sache gibt dem Beschwerdegericht Gelegenheit, die übergangene Stellungnahme zu würdigen und ggf. zu dem von dem Antragsteller nachzuweisenden Versagungsgrund weitere Feststellungen zu treffen (vgl. BGHZ 156, 139, 147).
Fundstellen
Haufe-Index 1888618 |
BGHR 2008, 395 |
EBE/BGH 2008 |
WM 2008, 412 |
WuB 2008, 473 |
ZAP 2008, 305 |
DZWir 2008, 173 |
MDR 2008, 409 |
NZI 2008, 195 |
Rpfleger 2008, 276 |
VuR 2008, 194 |
WuM 2008, 98 |
ZInsO 2008, 157 |
InsbürO 2008, 117 |
NJW-Spezial 2008, 214 |
RENOpraxis 2008, 57 |
ZVI 2008, 83 |
FMP 2010, 100 |