Leitsatz (amtlich)
a) Kind i.S.d. § 99 FamFG kann auch eine Person sein, die das 18. Lebensjahr bereits vollendet hat, wenn diese nach dem insoweit anwendbaren Recht noch minderjährig ist.
b) Ist der Zeitpunkt des Eintritts der Volljährigkeit sowohl für die internationale Zuständigkeit als auch für die verfahrensgegenständliche Frage, ob die Vormundschaft beendet ist, maßgeblich, so handelt es sich insoweit um eine doppelrelevante Tatsache, für die im Rahmen der Zuständigkeitsprüfung die Minderjährigkeit als gegeben zu unterstellen ist.
c) Auch wenn das deutsche Gericht seine internationale Zuständigkeit bei Anordnung einer Vormundschaft auf Art. 8 Abs. 1 Brüssel IIa-VO stützt, ist die hypothetische Zuständigkeit nach Art. 5 und 6 KSÜ ausreichend dafür, dass gem. Art. 15 Abs. 1 KSÜ deutsches Recht zur Anwendung kommt (im Anschluss an BGH v. 16.3.2011 - XII ZB 407/10, FamRZ 2011, 796).
d) Die Regelung in Art. 12 Abs. 1 der Genfer Flüchtlingskonvention erfasst auch die Frage der Volljährigkeit eines Flüchtlings, so dass sie die Staatsangehörigkeitsanknüpfung des Art. 7 Abs. 1 EGBGB verdrängt.
e) Der Anwendungsbereich des Haager Erwachsenenschutzübereinkommens ist nur für Schutzmaßnahmen eröffnet, die die Hilfsbedürftigkeit wegen einer psychischen oder körperlichen Behinderung oder Krankheit auffangen sollen, nicht aber bei der Vormundschaft wegen Minderjährigkeit.
f) Zu den Anforderungen an die Feststellung des Eintritts der Volljährigkeit nach ausländischem Recht (hier der Republik Guinea).
Normenkette
BGB § 1773 Abs. 1, § 1882; EGBGB Art. 7 Abs. 1; EGBGB § 24 Abs. 1 S. 1; FamFG § 99 Abs. 1; Brüssel IIa-VO Art. 8 Abs. 1; KSÜ Art. 2; KSÜ §§ 5-6, 15 Abs. 1, § 16 Abs. 1; ErwSÜ Art. 1 Abs. 1; ErwSÜ § 13 Abs. 1; GFK Art. 12 Abs. 1
Verfahrensgang
OLG Hamm (Beschluss vom 15.05.2017; Aktenzeichen II-6 UF 175/16) |
AG Bochum (Beschluss vom 28.10.2016; Aktenzeichen 58 F 316/16) |
Tenor
Auf die Rechtsbeschwerde des Betroffenen wird der Beschluss des 6. Senats für Familiensachen des OLG Hamm vom 15.5.2017 aufgehoben.
Die Sache wird zur erneuten Behandlung und Entscheidung, auch über die Kosten des Rechtsbeschwerdeverfahrens, an das OLG zurückverwiesen.
Wert: 3.000 EUR
Gründe
A.
Rz. 1
Gegenstand des Verfahrens ist die Frage, wann die Vormundschaft für einen als minderjähriger unbegleiteter Flüchtling nach Deutschland eingereisten Staatsangehörigen der Republik Guinea endet.
Rz. 2
Der im Juni 1997 geborene Betroffene ist Staatsangehöriger der Republik Guinea. Nachdem er unbegleitet nach Deutschland eingereist war, stellte das AG mit Beschluss vom 5.5.2014 das Ruhen der elterlichen Sorge fest, ordnete die Vormundschaft an und wählte die Beteiligte zu 1), eine Rechtsanwältin, als Vormund aus. Über eine Anerkennung des Betroffenen als Flüchtling ist noch nicht entschieden.
Rz. 3
Mit Beschluss vom 28.10.2016 hat das AG festgestellt, dass die Vormundschaft beendet sei, weil der Betroffene mit Vollendung des 18. Lebensjahres volljährig geworden sei. Die vom Vormund namens des Betroffenen eingelegte Beschwerde hat das OLG zurückgewiesen. Hiergegen wendet sich der Betroffene mit der zugelassenen Rechtsbeschwerde.
B.
Rz. 4
Die Rechtsbeschwerde hat Erfolg. Sie führt zur Aufhebung des angefochtenen Beschlusses und zur Zurückverweisung der Sache an das OLG.
I.
Rz. 5
Dieses hat zur Begründung seiner Entscheidung ausgeführt, die internationale Zuständigkeit deutscher Gerichte ergebe sich aus Art. 8 Abs. 1 Brüssel IIa-VO, weil der Betroffene seinen Lebensmittelpunkt in Deutschland habe und sich für das Fortbestehen der Vormundschaft auf seine Minderjährigkeit berufe. Die Vormundschaft habe aber gem. §§ 1773, 1882 BGB kraft Gesetzes mit Vollendung des 18. Lebensjahres geendet. Anordnung wie Beendigung der Vormundschaft richteten sich nach deutschem Recht, weil der Betroffene bei der Anordnung noch 16 Jahre alt gewesen und damit gem. Art. 15 Abs. 1 des Haager Kinderschutzübereinkommens (KSÜ) deutsches Recht anwendbar gewesen sei. Dem stehe nicht entgegen, dass die Zuständigkeit der deutschen Gerichte aus der Brüssel IIa-VO und nicht aus Art. 5 ff. KSÜ folge.
Rz. 6
Die Vorfrage der Volljährigkeit des Betroffenen sei hingegen gem. Art. 7 EGBGB nach dem Recht des Staates zu beurteilen, dem der Betroffene angehöre. Eine vorrangige Bestimmung ergebe sich zum einen nicht aus den Bestimmungen des Haager Kinderschutzübereinkommens. Zum anderen hindere auch Art. 12 der Genfer Flüchtlingskonvention (GFK) nicht die Anwendbarkeit von Art. 7 EGBGB, weil dieses Übereinkommen die Frage der Volljährigkeit ebenfalls nicht regele. Das dort genannte Personalstatut sei mit demjenigen in Art. 5 EGBGB nicht gleichzusetzen und erfasse daher nicht zwingend die Volljährigkeit. Eine Anknüpfung auch dieser Frage an die Flüchtlingseigenschaft im Sinne der Konvention würde den Rechtsverkehr von und mit Flüchtlingen erheblich erschweren, weil bis zu deren bestandskräftiger öffentlich-rechtlicher Anerkennung oftmals Jahre vergingen und bis dahin alle Gerichte gehalten wären, die Flüchtlingseigenschaft inzident - unter Umständen auch mit aufwendigen Beweisaufnahmen - zu prüfen. Erhebliche Probleme ergäben sich so beispielsweise für Arbeitgeber und Vermieter von Flüchtlingen, was dem Sinn und Zweck der Genfer Flüchtlingskonvention, nämlich der Förderung der Integration von Flüchtlingen, zuwider laufen würde.
Rz. 7
Daher sei die Frage der Volljährigkeit des Betroffenen nach dem Recht der Republik Guinea zu beurteilen. Aus Art. 168 des Code de l'Enfant der Republik Guinea ergebe sich, dass die Volljährigkeit mit Vollendung des 18. Lebensjahres eintrete. Denn diese Vorschrift aus dem Jahr 2008 besage, dass ein Kind unter 18 Jahren nur mit Zustimmung seiner Eltern bzw. des Inhabers der elterlichen Gewalt Verträge abschließen könne, woraus zu folgern sei, dass es mit 18 eigenverantwortlich handeln könne. Art. 443 des Code Civil der Republik Guinea aus dem Jahr 1983, wonach die Volljährigkeit erst mit Vollendung des 21. Lebensjahres eintrete, stehe dem nicht entgegen. Denn nach Art. 6 Code Civil könne ein neueres Gesetz ein früheres auch stillschweigend aufheben. Bestätigt habe diese Rechtslage das Ministerium für Auswärtige Angelegenheiten der Republik Guinea (auf Anfrage der Deutschen Botschaft in Conakry) mit Schreiben vom 3.5.2016 und die Botschaft der Republik Guinea in ihrer offiziellen, auf Grundlage der Rechtsauskunft ihres Justizministeriums abgegebenen Stellungnahme vom 30.9.2016. Damit habe sie ihre anderslautende Auskunft (Volljährigkeit mit Vollendung des 21. Lebensjahres) vom 19.9.2016 korrigiert. Andere Erkenntnisquellen zur Feststellung des ausländischen Rechts stünden nicht zur Verfügung. Der in Aussicht genommene Sachverständige habe als Ergebnis seiner Vorermittlungen mitgeteilt, dass nach seiner Meinung die Gesetzeslage klar und die in der Stellungnahme der Botschaft vom 30.9.2016 mitgeteilte Rechtsauffassung richtig sei. Gerichtsentscheidungen aus Guinea zur Frage der Volljährigkeit habe er nicht gefunden. Vor dem Hintergrund des ganz erheblichen Gewichts der offiziellen Verlautbarung der Botschaft der Republik Guinea bestünden keine Zweifel, dass nach dem Recht in Guinea die Volljährigkeit mit Vollendung des 18. Lebensjahres eintrete.
II.
Rz. 8
Das hält rechtlicher Nachprüfung nicht stand.
Rz. 9
1. Im Ergebnis zu Recht ist das OLG von der internationalen Zuständigkeit der deutschen Gerichte ausgegangen, die unbeschadet des Wortlauts von § 72 Abs. 2 FamFG auch in den Verfahren nach dem Gesetz über das Verfahren in Familiensachen und in den Angelegenheiten der freiwilligen Gerichtsbarkeit in der Rechtsbeschwerdeinstanz von Amts wegen zu prüfen ist (BGH BGHZ 203, 372 = FamRZ 2015, 479 Rz. 11).
Rz. 10
a) Dabei kann zum einen offen bleiben, ob sich - wie das OLG angenommen hat (ebenso etwa OLG Bremen FamRZ 2017, 1227, 1228; OLG Karlsruhe FamRZ 2015, 1820, 1822; zweifelnd OLG Karlsruhe Beschl. v. 7.9.2017 - 18 WF 62/17 - juris Rz. 11 f.) - die internationale Zuständigkeit aus Art. 8 Abs. 1 der Verordnung (EG) Nr. 2201/2003 des Rates vom 27.11.2003 über die Zuständigkeit und die Anerkennung und Vollstreckung von Entscheidungen in Ehesachen und in Verfahren betreffend die elterliche Verantwortung und zur Aufhebung der Verordnung (EG) Nr. 1347/2000 (ABl. EU Nr. L 338, 1; im Folgenden: Brüssel IIa-VO) ergibt. Hierfür müsste auch ein Minderjähriger, der das 18. Lebensjahr vollendet hat, als Kind im Sinne dieser Norm einzustufen sein, was streitig ist (bejahend etwa OLG Koblenz FamRZ 2017, 1229; verneinend etwa Johannsen/Henrich Familienrecht 6. Aufl., § 99 FamFG Rz. 7; MünchKommFamFG/Gottwald 2. Aufl. Art. 8 EWG VO 2201/2003 Rz. 3; Zöller/Geimer ZPO, 32. Aufl. Art. 8 EuEheVO Rz. 1; vgl. auch Hüßtege in Thomas/Putzo ZPO, 38. Aufl. Art. 8 EuEheVO Rz. 1a; Siehr in MünchKomm/BGB, 6. Aufl. Art. 8 EuEheVO Rz. 3; Siehr IPrax 2010, 583, 584 f.; v. Hein FamRZ 2015, 1822).
Rz. 11
Zum anderen bedarf keiner Klärung, ob sich die internationale Zuständigkeit für die Aufhebung der auf der Grundlage des Haager Übereinkommens über die Zuständigkeit, das anzuwendende Recht, die Anerkennung, Vollstreckung und Zusammenarbeit auf dem Gebiet der elterlichen Verantwortung und der Maßnahmen zum Schutz von Kindern vom 19.10.1996 (Kinderschutzübereinkommen - KSÜ; BGBl. 2009 II S. 602, 603) angeordneten Maßnahme aus Art. 5 und 6 i.V.m. Art. 3 lit. c ergibt, obwohl dieses Abkommen gem. Art. 2 KSÜ nur auf Kinder von ihrer Geburt bis zur Vollendung des 18. Lebensjahres anzuwenden ist.
Rz. 12
Schließlich kann dahinstehen, ob die internationale Zuständigkeit der deutschen Gerichte aus Art. 5 und 6 i.V.m. Art. 3 lit. c des Haager Übereinkommens über den internationalen Schutz von Erwachsenen vom 13.1.2000 (Erwachsenenschutzübereinkommen - ErwSÜ; BGBl. 2007 II S. 323, 324) folgt. Dessen Anwendungsbereich bestimmt Art. 1 Abs. 1 ErwSÜ dahingehend, dass das Übereinkommen bei internationalen Sachverhalten auf den Schutz von Erwachsenen anzuwenden ist, die aufgrund einer Beeinträchtigung oder der Unzulänglichkeit ihrer persönlichen Eigenschaften nicht in der Lage sind, ihre Interessen zu schützen.
Rz. 13
b) Die internationale Zuständigkeit der deutschen Gerichte folgt nämlich selbst dann, wenn die nach § 97 FamFG vorrangigen völkerrechtlichen Vereinbarungen und Rechtsakte der Europäischen Gemeinschaft nicht eingreifen, jedenfalls aus § 99 Abs. 1 Satz 1 Nr. 2 i.V.m. § 151 Nr. 4 FamFG (vgl. auch OLG Karlsruhe Beschl. v. 7.9.2017 - 18 WF 62/17 - juris Rz. 14).
Rz. 14
Der Betroffene hat seinen gewöhnlichen Aufenthalt im Inland und mit der Vormundschaft geht es um eine der von § 99 FamFG erfassten Kindschaftssachen. Kind im Sinne der Vorschrift kann auch eine Person sein, die das 18. Lebensjahr bereits vollendet hat, sofern nach dem insoweit - etwa gem. Art. 7 EGBGB - anwendbaren Recht damit nicht das Ende der Minderjährigkeit verbunden ist (vgl. OLG Karlsruhe Beschluss vom 7.9.2017 - 18 WF 62/17 - juris Rz. 14; BeckOK/FamFG/Sieghörtner [Stand: 1.10.2017] § 99 Rz. 23 m.w.N.; Staudinger/Henrich BGB [2014] Art. 21 EGBGB Rz. 145; Zöller/Geimer ZPO, 32. Aufl. Art. 8 EuEheVO Rz. 1; ohne Begründung a.A. Haußleiter/Gomille FamFG 2. Aufl., § 99 Rz. 2; Prütting/Helms/Hau FamFG 4. Aufl., § 99 Rz. 34). Denn die Kindschaftssachen i.S.d. § 99 FamFG stellen nicht auf die Vollendung des 18. Lebensjahres, sondern jeweils auf die Minderjährigkeit ab, wobei die Vorfrage des Eintritts der Geschäftsfähigkeit grundsätzlich gem. Art. 7 Abs. 1 EGBGB wiederum selbständig an das Recht des Staates anzuknüpfen ist, dem die Person angehört. Dass der Begriff der Kindschaftssachen des § 99 FamFG enger - nämlich auf Personen unter 18 Jahren begrenzt - sein soll als der des § 151 FamFG, ist nicht ersichtlich.
Rz. 15
Wann für den Betroffenen die Volljährigkeit eintritt, ist mithin sowohl für die internationale Zuständigkeit als auch für die verfahrensgegenständliche materiell-rechtliche Frage, ob die Vormundschaft beendet ist, maßgeblich. Es handelt sich insoweit um eine doppelrelevante Tatsache, so dass im Rahmen der Zuständigkeitsprüfung die Minderjährigkeit als gegeben zu unterstellen ist (vgl. BGHZ 212, 318 = NJW 2017, 827 Rz. 22 m.w.N.; Keidel/Sternal FamFG 19. Aufl., § 3 Rz. 41; zur davon abzugrenzenden Frage, ob ein ausländischer Staat der deutschen Gerichtsbarkeit unterliegt, vgl. BGHZ 209, 290 = MDR 2016, 903 Rz. 23 m.w.N.).
Rz. 16
2. Die Rechtsbeschwerde ist begründet.
Rz. 17
a) Nicht zu beanstanden ist, dass das OLG die Beschwerde des Betroffenen für zulässig gehalten und dabei insb. die hierfür nach § 59 FamFG erforderliche Beschwer bejaht hat. Diese scheitert nicht daran, dass jedenfalls nach deutschem Recht die Vormundschaft mit Eintritt der Volljährigkeit von Gesetzes wegen endet (§§ 1882, 1773 Abs. 1 BGB) und der amtsgerichtliche Beschluss, in dem dies bejaht wird, das Ende lediglich deklaratorisch feststellt. Denn wie das OLG zutreffend ausführt, ist der Betroffene durch die mit der gerichtlichen Feststellung verbundene Rechtsscheinwirkung in seinen Rechten beeinträchtigt, so dass ihm der Rechtsmittelzug zur Verfügung stehen muss, um diese Wirkung zu beseitigen (vgl. OLG Karlsruhe FamRZ 2015, 1820, 1822; Erman/Schulte-Bunert BGB, 15. Aufl., § 1882 Rz. 5; MünchKomm/BGB/Spickhoff 7. Aufl., § 1882 Rz. 16; a.A. Staudinger/Veit BGB [2014] § 1882 Rz. 22).
Rz. 18
b) Von Rechtsfehler beeinflusst ist hingegen die Annahme des OLG, das Ende der Vormundschaft richte sich nach deutschem Recht. Vielmehr erscheint möglich, dass mangels vorrangiger Verweisung in das deutsche Recht insoweit gem. Art. 24 Abs. 1 Satz 1 EGBGB das Recht der Republik Guinea zur Anwendung kommen muss.
Rz. 19
aa) Anders als das OLG meint, führt der Umstand, dass der Betroffene bei Anordnung der Vormundschaft dem Haager Kinderschutzübereinkommen gemäß dessen Art. 2 unterfiel, nicht ohne Weiteres dazu, dass sich auch der Zeitpunkt des Endes der Vormundschaft nach deutschem Recht richtet.
Rz. 20
Unerheblich ist hierfür, ob das AG seine internationale Zuständigkeit bei Anordnung der Vormundschaft auf Art. 8 Abs. 1 Brüssel IIa-VO gestützt hat. Denn die sog. hypothetische Zuständigkeit nach Art. 5 und 6 KSÜ war ausreichend dafür, dass gem. Art. 15 Abs. 1 KSÜ deutsches Recht zur Anwendung kam (vgl. BGH v. 16.3.2011 - XII ZB 407/10, FamRZ 2011, 796 Rz. 12, 30 ff.; Palandt/Thorn BGB, 77. Aufl. Anh. Art. 24 EGBGB Rz. 21 m.w.N. auch zur Gegenmeinung; Staudinger/v. Hein BGB [2014] Vorbem. zu Art. 24 EGBGB Rz. 2c m.w.N.). Das Erlöschen der elterlichen Verantwortung - zu der gem. Art. 1 Abs. 2 KSÜ auch das durch die Vormundschaft begründete Sorgeverhältnis gehört - kraft Gesetzes bestimmt sich dann grundsätzlich gem. Art. 16 Abs. 1 KSÜ nach dem Recht des gewöhnlichen Aufenthalts des Kindes. Die vom Haager Kinderschutzübereinkommen hierdurch vorgenommene Verweisung in das deutsche Recht endete aber mit der Vollendung des 18. Lebensjahres, weil dieser Zeitpunkt nach Art. 2 KSÜ den Anwendungsbereich des Übereinkommens insgesamt begrenzt. Die letztlich auf das Haager Kinderschutzübereinkommen gestützte Annahme des OLG, das Ende der Vormundschaft richte sich nach §§ 1882, 1773 Abs. 1 BGB, wäre daher nur zutreffend, wenn die Minderjährigkeit des Betroffenen in eben diesem Zeitpunkt geendet hätte. Dann nämlich fielen Vormundschaftsende und zeitliches Ende der Verweisung des Art. 16 Abs. 1 KSÜ zusammen, was für die Anwendbarkeit des aus dem gewöhnlichen Aufenthalt des Betroffenen folgenden deutschen Rechts ausreichend wäre.
Rz. 21
Die Frage, ob die Minderjährigkeit des Betroffenen mit Vollendung des 18. Lebensjahres geendet hat, ist aber nach internationalem Privatrecht selbständig anzuknüpfen und lässt sich auf der Grundlage der tatrichterlichen Feststellungen nicht bejahen.
Rz. 22
(1) Der Eintritt der Volljährigkeit mit Vollendung des 18. Lebensjahres folgt danach für den Betroffenen nicht aus § 2 BGB i.V.m. - ggf. über § 2 Abs. 1 AsylG - Art. 12 Abs. 1 des Abkommens über die Rechtsstellung der Flüchtlinge vom 28.7.1951 (Genfer Flüchtlingskonvention - GFK; BGBl. 1953 II S. 559, 560), das für das Personalstatut eines Flüchtlings in das Recht seines Wohnsitzes und in Ermangelung eines solchen seines Aufenthaltslandes verweist.
Rz. 23
Anders als das OLG meint, erfasst die Regelung in Art. 12 Abs. 1 GFK allerdings die Frage der Volljährigkeit des Flüchtlings. Richtig ist zwar, dass der Begriff des Personalstatuts in der Konvention selbst nicht definiert ist. Die Geschäftsfähigkeit und insb. die Frage der Volljährigkeit gehören jedoch sowohl aus deutscher Sicht als auch bei konventionsautonomer Auslegung zum Kernbereich des Personalstatuts (vgl. zum Ganzen v. Hein FamRZ 2015, 1822, 1823 m.w.N.), so dass Art. 12 Abs. 1 GFK die Staatsangehörigkeitsanknüpfung des Art. 7 Abs. 1 EGBGB verdrängt (OLG Hamm Beschl. v. 3.5.2017 - 10 UF 6/17 - juris Rz. 12 ff.; v. Hein FamRZ 2015, 1822, 1823; Böhmer/Siehr/Verschraegen Das gesamte Familienrecht [Stand: August 2017] Art. 7 EGBGB Rz. 18 und Art. 5 EGBGB Rz. 24; Erman/Hohloch BGB, 15. Aufl. Art. 7 EGBGB Rz. 2; MünchKomm/BGB/Lipp 6. Aufl. Art. 7 EGBGB Rz. 34; Palandt/Thorn BGB, 77. Aufl. Anh. Art. 5 EGBGB Rz. 23; Staudinger/Hausmann BGB [2013] Art. 7 EGBGB Rz. 20; a.A. OLG Karlsruhe FamRZ 2015, 1820, 1821; jurisPK/BGB/Ludwig [Stand: 1.3.2017] Art. 7 EGBGB Rz. 7). Dass dies zur Folge hat, dass der Tatrichter in Fällen wie dem vorliegenden die Flüchtlingseigenschaft eigenständig prüfen muss (BGH BGHZ 169, 240 = FamRZ 2007, 109), kann nicht ausschlaggebend dafür sein, die mit Art. 12 Abs. 1 GFK bezweckte rechtliche Entkoppelung des Flüchtlings von dem Nationalstaat, der ihm zur Flucht Anlass gegeben hat, nicht umzusetzen (vgl. auch Staudinger/Bausback BGB [2013] Anhang IV zu Art. 5 EGBGB Rz. 68). Mit der Genfer Flüchtlingskonvention sollten Flüchtlinge möglichst weitgehend integriert und den Einwohnern des Wohnsitzstaates praktisch gleichgestellt werden. Dies bedingt aber auch, die Frage ihrer Volljährigkeit nach dem Recht des Wohnsitz- bzw. Aufenthaltslandes zu beurteilen (vgl. Staudinger/Bausback BGB [2013] Anhang IV zu Art. 5 EGBGB Rz. 47).
Rz. 24
Eine nicht staatenlose Person wie der Betroffene des vorliegenden Verfahrens ist Flüchtling nach Art. 1 Abschnitt A Abs. 2 GFK i.V.m. dem Protokoll über die Rechtsstellung der Flüchtlinge vom 31.1.1967 (BGBl. 1969 II S. 1293, 1294), wenn sie sich aus der begründeten Furcht vor Verfolgung wegen ihrer Rasse, Religion, Nationalität, Zugehörigkeit zu einer bestimmten sozialen Gruppe oder wegen ihrer politischen Überzeugung außerhalb des Landes befindet, dessen Staatsangehörigkeit sie besitzt, und den Schutz dieses Landes nicht in Anspruch nehmen kann oder wegen dieser Befürchtungen nicht in Anspruch nehmen will (vgl. auch § 3 Abs. 1 AsylG). Feststellungen dazu, ob dies auf den Betroffenen zutrifft, hat das OLG - von seinem Rechtsstandpunkt aus folgerichtig - bislang nicht getroffen.
Rz. 25
(2) Die Annahme des OLG, die Volljährigkeit des Betroffenen ergebe sich aus dem wegen Art. 7 Abs. 1 Satz 1 EGBGB maßgeblichen Recht der Republik Guinea als dem Heimatrecht des Betroffenen, hält den Rügen der Rechtsbeschwerde nicht stand.
Rz. 26
(a) Auf eine Verletzung ausländischen Rechts kann die Rechtsbeschwerde nach dem Gesetz über das Verfahren in Familiensachen und in den Angelegenheiten der freiwilligen Gerichtsbarkeit nicht gestützt werden. Der deutsche Tatrichter hat ausländisches Recht im Wege des Freibeweises zu ermitteln. In welcher Weise er sich die notwendigen Kenntnisse verschafft, liegt in seinem pflichtgemäßen Ermessen. Das Rechtsbeschwerdegericht überprüft insoweit auf entsprechende Verfahrensrüge nur, ob der Tatrichter sein Ermessen rechtsfehlerfrei ausgeübt, insb. die sich anbietenden Erkenntnisquellen unter Berücksichtigung der Umstände des Einzelfalls hinreichend ausgeschöpft hat. An die Ermittlungspflicht sind dabei umso höhere Anforderungen zu stellen, je komplexer und je fremder im Vergleich zum deutschen das anzuwendende Recht ist. Bei Anwendung einer dem deutschen Recht verwandten Rechtsordnung und bei klaren Rechtsnormen sind die Anforderungen geringer (BGH, Beschl. v. 24.5.2017 - XII ZB 337/15, FamRZ 2017, 1209 Rz. 13 f. m.w.N.).
Rz. 27
(b) Gemessen hieran ist das OLG ohne ausreichende Ermittlungen zu dem Ergebnis gelangt, dass die Volljährigkeit (auch) nach dem Recht der Republik Guinea mit der Vollendung des 18. Lebensjahres eintrete.
Rz. 28
Welches Volljährigkeitsalter nach dem Recht der Republik Guinea gilt, wird in der obergerichtlichen Rechtsprechung uneinheitlich beantwortet. Während einige OLG von der Volljährigkeit erst mit Vollendung des 21. Lebensjahres ausgehen (OLG Karlsruhe Beschl. v. 7.9.2017 - 18 WF 62/17 - juris Rz. 28 ff.; OLG Brandenburg StAZ 2017, 111; OLG Bremen Beschl. v. 23.2.2016 - 4 UF 186/15 - juris Rz. 9 ff.), stimmen andere mit der angefochtenen Entscheidung überein (OLG Oldenburg Beschl. v. 5.9.2017 - 13 WF 76/17 - juris Rz. 14; OLG Hamm [10. Senat für Familiensachen] Beschl. v. 3.5.2017 - 10 UF 6/17 - juris Rz. 17 ff.). Dabei ist der Ausgangspunkt jeweils identisch, wonach gemäß dem - bislang nicht ausdrücklich aufgehobenen - Art. 443 des Code Civil der Republik Guinea die Volljährigkeit auf das vollendete 21. Lebensjahr festgesetzt wird (vgl. auch Henrich/Arnold in Bergmann/Ferid Internationales Ehe- und Kindschaftsrecht [Stand: 1.3.2006] "Guinea" S. 14, 33). Unterschiedlich wird hingegen eingeschätzt, welche rechtlichen Konsequenzen sich aus dem im Jahr 2008 eingeführten Code de l'Enfant der Republik Guinea und insb. aus dessen Art. 168 ergeben, der nach den tatrichterlichen Feststellungen besagt, dass ein Kind unter 18 Jahren nur mit Zustimmung seiner Eltern bzw. des Inhabers der elterlichen Gewalt Verträge abschließen kann. Teilweise wird der Code de l'Enfant allein als Gesetzeswerk gesehen, das die Rechte von Kindern in Guinea näher regele, nur Anwendung auf Personen unter 18 Jahren finde und keine Regelungen über den Eintritt der Volljährigkeit enthalte (vgl. OLG Bremen Beschl. v. 23.2.2016 - 4 UF 186/15 - juris Rz. 11). Demgegenüber wird zur Begründung einer mit diesem Gesetzeswerk verbundenen - nach Art. 6 Code Civil möglichen - stillschweigenden Änderung des Volljährigkeitsalters darauf verwiesen, dass das Gesetz u.a. in Art. 271 ff. Bestimmungen zur Entlassung aus der elterlichen Sorge enthalte, die diejenigen im Code Civil zu dieser Materie ersetzten und zum Teil von ihnen abwichen (vgl. OLG Oldenburg Beschluss vom 5.9.2017 - 13 WF 76/17 - juris Rz. 13).
Rz. 29
Das OLG hat sich auf die Mitteilungen des Ministeriums für Auswärtige Angelegenheiten der Republik Guinea vom 3.5.2016 und der Botschaft der Republik Guinea vom 30.9.2016 gestützt. Allerdings hatte Letztere noch unter dem 19.9.2016 erklärt, die Volljährigkeit werde "laut Zivilgesetzbuch mit 21 Jahren erreicht". Angesichts dieser aus sich heraus unklaren Gesetzeslage, die zu divergierenden Beurteilungen in der obergerichtlichen Rechtsprechung geführt hat, und den unterschiedlichen Auskünften der Behörden Guineas durfte sich das OLG nicht mit der ersichtlich auf einer vorläufigen Einschätzung beruhenden Auskunft des in Aussicht genommenen Gutachters begnügen, ihm scheine die Gesetzeslage klar zu sein. Vielmehr sind bei dieser Sachlage an die Ermittlungspflicht höhere Anforderungen zu stellen, die es gebieten, ein aussagekräftiges Sachverständigengutachten einzuholen.
Rz. 30
bb) Die Anwendbarkeit deutschen Rechts auf das Ende der Vormundschaft ergibt sich auch nicht aus Art. 13 Abs. 1 ErwSÜ, weil der Anwendungsbereich des Haager Erwachsenenschutzübereinkommens in einem Fall wie dem vorliegenden nicht eröffnet ist (a.A. v. Hein FamRZ 2015, 1822).
Rz. 31
Nach Art. 1 Abs. 1 ErwSÜ ist dieses Übereinkommen bei internationalen Sachverhalten auf den Schutz von Erwachsenen anzuwenden, die aufgrund einer Beeinträchtigung oder der Unzulänglichkeit ihrer persönlichen Eigenschaften nicht in der Lage sind, ihre Interessen zu schützen. Zwar ist gem. Art. 2 Abs. 1 ErwSÜ Erwachsener eine Person, die das 18. Lebensjahr vollendet hat, und können die von Art. 1 in Bezug genommenen Maßnahmen laut Art. 3 lit. c ErwSÜ auch die Vormundschaft umfassen. Gleichwohl ist der Anwendungsbereich hier nicht eröffnet. Denn die Vormundschaft für den Betroffenen ist nicht wegen einer Beeinträchtigung oder Unzulänglichkeit i.S.d. Art. 1 Abs. 1 ErwSÜ angeordnet worden. Die dort genannten Fähigkeiten sind nur persönlich, wenn sie zur Psyche oder zum Körper des Erwachsenen gehören, so dass nur Schutzmaßnahmen erfasst sind, die die Hilfsbedürftigkeit wegen einer psychischen oder körperlichen Behinderung oder Krankheit auffangen sollen (vgl. Lagarde BT-Drucks. 16/3250, 33; MünchKomm/BGB/Lipp 6. Aufl. Art. 1-4 ErwSÜ Rz. 11; Palandt/Thorn BGB, 77. Aufl. Anh. Art. 24 EGBGB Rz. 2; Helms FamRZ 2008, 1995, 1996 und 1999; OLG Brandenburg StAZ 2017, 111; in diesem Sinn auch OLG Karlsruhe Beschluss vom 7.9.2017 - 18 WF 62/17 - juris Rz. 13). Um eine solche Hilfsbedürftigkeit handelt es sich bei der Minderjährigkeit jedoch nicht.
Rz. 32
Nichts anderes folgt aus Art. 2 Abs. 2 ErwSÜ, der die Anwendung des Übereinkommens auf Maßnahmen sicherstellt, die hinsichtlich eines Erwachsenen zu einem Zeitpunkt getroffen worden sind, in dem er das 18. Lebensjahr noch nicht vollendet hatte (a.A. offensichtlich Staudinger/v. Hein BGB [2014] Vorbem. zu Art. 24 EGBGB Rz. 35a). Auch insoweit geht es allein um Maßnahmen in dem von Art. 1 Abs. 1 ErwSÜ umschriebenen Rahmen. Denn mit Art. 2 Abs. 2 ErwSÜ soll der Fall geregelt werden, dass die zuständigen Behörden in Anwendung des Haager Kinderschutzübereinkommens Maßnahmen getroffen haben, die auf den Schutz eines behinderten Kindes abzielen, wobei sie vorsehen, dass diese Maßnahmen nach der Volljährigkeit des Kindes weiterhin durchgeführt werden oder mit seiner Volljährigkeit wirksam werden (Lagarde BT-Drucks. 16/3250, 33 f.); nach deutschem Recht kommen insoweit etwa eine gem. § 1908a BGB für einen 17-Jährigen eingerichtete, erst mit dem Eintritt seiner Volljährigkeit wirksam werdende Betreuung, oder ein nach dieser Norm vor Vollendung des 18. Lebensjahres angeordneter Einwilligungsvorbehalt in Betracht.
Rz. 33
c) Selbst wenn - wozu das OLG keine Feststellungen getroffen hat - das für das Ende der für den Betroffenen angeordneten Vormundschaft ggf. gem. Art. 24 Abs. 1 Satz 1 EGBGB anwendbare Recht der Republik Guinea eine den §§ 1882, 1773 Abs. 1 BGB vergleichbare Regelung enthalten sollte (vgl. dazu OLG Karlsruhe Beschluss vom 7.9.2017 - 18 WF 62/17 - juris Rz. 23, 25: Vormundschaft endet mit dem Eintritt der Volljährigkeit), kann die angefochtene Entscheidung keinen rechtlichen Bestand haben. Denn in jedem Fall hält die Annahme des OLG, dass der Betroffene mit Vollendung des 18. Lebensjahres volljährig geworden sei, rechtlicher Nachprüfung nicht stand.
Rz. 34
3. Die angefochtene Entscheidung ist daher gem. § 74 Abs. 5 FamFG aufzuheben. Die Sache ist nach § 74 Abs. 6 Satz 2 FamFG an das OLG zurückzuverweisen, das die erforderlichen Feststellungen auf der Grundlage ausreichender Ermittlungen zu treffen haben wird.
Fundstellen
Haufe-Index 11519617 |
BGHZ 2019, 165 |
NJW 2018, 613 |
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IPRax 2018, 8 |
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JZ 2018, 176 |
JZ 2018, 180 |
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NDV-RD 2018, 31 |
Rpfleger 2018, 259 |
ZAR 2018, 11 |
FF 2018, 132 |
FamRB 2018, 140 |
ZKJ 2018, 227 |