Leitsatz (amtlich)
In Zuständigkeitsbestimmungsverfahren ist eine Divergenzvorlage an den Bundesgerichtshof nach § 36 Abs. 3 ZPO nur zulässig, wenn der Bundesgerichtshof das zunächst höhere gemeinschaftliche Gericht ist und die Bestimmungszuständigkeit eines Oberlandesgerichts sich aus § 36 Abs. 2 ZPO ergibt.
Normenkette
ZPO § 36 Abs. 3
Verfahrensgang
AG Wetzlar |
OLG Frankfurt am Main |
Tenor
Die Sache wird an das Oberlandesgericht Frankfurt am Main zur Entscheidung in eigener Zuständigkeit zurückgegeben.
Gründe
I.
Die Parteien, beide türkische Staatsangehörige, sind durch rechtskräftiges Urteil des Amtsgerichts – Familiengericht – W. geschieden. Noch während das Ehescheidungsverfahren anhängig war, stellte die Ehefrau einen Antrag auf Teilung des Hausrats. Mit Beschluß vom 13. Januar 2000 gab das Familiengericht des Amtsgerichts W. das Verfahren über den Antrag auf Hausratsteilung an die allgemeine Prozeßabteilung desselben Gerichts ab mit der Begründung, die Hausratsverordnung finde keine Anwendung, da türkisches Recht anzuwenden sei und das türkische Recht eine entsprechende Regelung nicht kenne. Die allgemeine Prozeßabteilung des Amtsgerichts W. lehnte mit Verfügung vom 16. Februar 2000 die Übernahme des Verfahrens ab und legte die Sache dem Oberlandesgericht Frankfurt am Main zur Entscheidung über die Zuständigkeit vor. Sie ist der Ansicht, daß wegen des starken Inlandbezugs deutsches Recht anzuwenden sei.
Mit Beschluß vom 21. März 2000 legte das Oberlandesgericht Frankfurt am Main die Sache gemäß § 36 Abs. 3 ZPO dem Bundesgerichtshof zur Bestimmung des zuständigen Gerichts vor. Das Oberlandesgericht hält das Familiengericht für zuständig, sieht sich an einer entsprechenden Entscheidung aber gehindert durch Entscheidungen anderer Oberlandesgerichte.
II.
Die Voraussetzungen für eine Vorlage an den Bundesgerichtshof sind nicht gegeben. Zwar bestimmt § 36 Abs. 3 ZPO in der seit dem 1. April 1998 geltenden Fassung, daß das Oberlandesgericht eine Sache unter Begründung seiner Rechtsauffassung dem Bundesgerichtshof vorzulegen hat, wenn es bei der Bestimmung des zuständigen Gerichts in einer Rechtsfrage von einer Entscheidung eines anderen Oberlandesgerichts oder des Bundesgerichtshofs abweichen will. Wie das vorlegende Oberlandesgericht nicht verkennt, wird in der Literatur die Meinung vertreten, § 36 Abs. 3 ZPO bilde eine „innere Einheit” mit dem gleichzeitig eingeführten § 36 Abs. 2 ZPO und erlaube deshalb eine Vorlage an den Bundesgerichtshof nur dann, wenn das Oberlandesgericht nach Absatz 2 anstelle des Bundesgerichtshofs als des zunächst höheren gemeinsamen Gerichts zur Bestimmung der Zuständigkeit berufen sei, nicht dagegen, wenn das Oberlandesgericht selbst das gemeinsame höhere Gericht und somit nach § 36 Abs. 1 ZPO „originär” berufen sei (Zöller/Vollkommer, ZPO 21. Aufl. § 36 Rdn. 10). Die Frage ist bisher vom Bundesgerichtshof nicht entschieden worden. Der X. Zivilsenat des Bundesgerichtshofs, der mit einer ähnlichen Fallkonstellation befaßt war, brauchte die Frage nicht zu vertiefen, weil sich in dem von ihm entschiedenen Fall die Unzulässigkeit der Vorlage an den Bundesgerichtshof jedenfalls aus anderen Gründen ergab und er seine Entscheidung auf diese anderen Gründe gestützt hat (BGH, Beschluß vom 5. Oktober 1999 – X ARZ 247/99 – NJW 2000, 80 f.).
Der Senat schließt sich der dargelegten Literaturmeinung an. Für diese Auslegung des § 36 Abs. 3 ZPO spricht die Entstehungsgeschichte der Vorschrift, aber auch die Systematik des § 36 Abs. 1 bis 3 ZPO.
Bis zu der am 1. April 1998 in Kraft getretenen Neufassung des § 36 ZPO war bei einem Kompetenzkonflikt verschiedener Gerichte grundsätzlich das im Rechtszug zunächst höhere Gericht zur Bestimmung der Zuständigkeit berufen. Lagen z.B. bei allgemeinen Zivilsachen die Gerichte im Bezirk ein und desselben Landgerichts, war dieses Landgericht berufen, lagen sie in den Bezirken verschiedener Landgerichte, aber ein und desselben Oberlandesgerichts, war dieses Oberlandesgericht zuständig, lagen sie in den Bezirken verschiedener Oberlandesgerichte, hatte der Bundesgerichtshof das zuständige Gericht zu bestimmen. Soweit die Oberlandesgerichte originär zuständig waren, bestand keine Möglichkeit der Vorlage an den Bundesgerichtshof.
Nach dem neuen § 36 Abs. 2 ZPO ist eine originäre Bestimmungszuständigkeit des Bundesgerichtshofs entfallen. Ist der Bundesgerichtshof das zunächst höhere gemeinschaftliche Gericht, so ist nach dieser Vorschrift das Oberlandesgericht zur Bestimmung der Zuständigkeit berufen, zu dessen Bezirk das zuerst mit der Sache befaßte Gericht gehört. Aus den Gesetzesmaterialien zu den neuen Absätzen 2 und 3 des § 36 ZPO ergibt sich, daß die Neuregelung das Ziel hatte, den Bundesgerichtshof von diesen Verfahren zu entlasten. In dem Bericht des Rechtsausschusses heißt es, um das vorrangig für die Sicherung der Einheitlichkeit der Rechtsprechung und die Fortbildung des Rechts bestimmte oberste Bundesgericht von der zunehmenden Belastung durch diese Routineaufgaben freizustellen, solle die Zuständigkeit für die Gerichtsstandsbestimmung vom Bundesgerichtshof auf die Oberlandesgerichte verlagert werden (BT-Drucks. 13/9124 S. 45 f.). Diese erklärte Absicht des Gesetzgebers verbietet eine Auslegung der Neufassung des § 36 ZPO, durch welche ein neuer, bisher nicht gegebener Zugang zum Bundesgerichtshof erst geschaffen würde. Soweit das Oberlandesgericht als das gemeinschaftliche höhere Gericht originär zur Bestimmung der Zuständigkeit berufen ist, muß es deshalb dabei verbleiben, daß eine Vorlagemöglichkeit zum Bundesgerichtshof weiterhin nicht besteht.
Entscheidend für diese Auslegung des § 36 Abs. 3 ZPO spricht auch, daß nach dem eindeutigen Wortlaut der Neuregelung das Landgericht, wenn es das gemeinsame höhere Gericht ist, nach wie vor abschließend über die Zuständigkeit zu entscheiden hat, ohne daß ein Rechtsmittel oder eine Divergenzvorlage vorgesehen ist. Es gibt keinen Grund, warum das Oberlandesgericht im Rahmen seiner originären Bestimmungszuständigkeit weniger Kompetenz haben sollte als das Landgericht. Soweit ein Gericht aufgrund seiner originären Bestimmungszuständigkeit tätig wird, nimmt das Gesetz bei solchen „Routineaufgaben” (Bericht des Rechtsausschusses aaO) eine mögliche Divergenz zu den Entscheidungen anderer Gerichte in Kauf.
Entscheidend anders ist die Konstellation, wenn das Oberlandesgericht nicht originär zuständig ist, sondern nach dem neuen § 36 Abs. 2 ZPO anstelle des Bundesgerichtshofs entscheidet. In diesen Fällen sind zwei oder auch mehrere Oberlandesgerichte betroffen, die eine bestimmte, die Zuständigkeit betreffende Rechtsfrage unterschiedlich beantwortet haben können. Zur Entscheidung über die Zuständigkeit ist dann nach § 36 Abs. 2 ZPO das Oberlandesgericht berufen, zu dessen Bezirk das zuerst mit der Sache befaßte Gericht gehört. Gäbe es in solchen Fällen nicht die Pflicht zu einer Divergenzvorlage, könnte die Frage, welches Gericht für zuständig erklärt wird, von den Parteien manipuliert werden oder hinge vom Zufall ab. Es ist deshalb sinnvoll, daß der Gesetzgeber für die Fälle – und nur für diese –, in denen das Oberlandesgericht nach § 36 Abs. 2 ZPO tätig wird, eine Divergenzvorlage vorgeschrieben hat.
Im vorliegenden Fall ist das Oberlandesgericht Frankfurt am Main als das gemeinsame höhere Gericht nach § 36 Abs. 1 ZPO berufen. Eine Vorlage an den Bundesgerichtshof ist deshalb unzulässig.
Unterschriften
Blumenröhr, Krohn, Gerber, Sprick, Weber-Monecke
Fundstellen
Haufe-Index 539517 |
BB 2000, 2124 |
NJW 2000, 3214 |
FuR 2001, 136 |
JR 2001, 335 |
Nachschlagewerk BGH |
MDR 2000, 1209 |