Entscheidungsstichwort (Thema)

Meistbegünstigungsgrundsatz. Anerkennung und Vollstreckung ausländischer Schiedssprüche. Maßgeblichkeit des Rechtssystems

 

Leitsatz (amtlich)

a) Die durch den Meistbegünstigungsgrundsatz des Art. VII Abs. 1 UNÜ gebotene Anwendung schiedsfreundlicheren nationalen Rechts umfasst die Bestimmungen zur Anerkennung und Vollstreckung von Schiedssprüchen (§§ 1025 ff. ZPO) und die (nationalen) Kollisionsregeln sowie das danach als Statut der Schiedsvereinbarung berufene nationale Recht.

b) Unterliegt die Schiedsvereinbarung nach dem - durch den lex fori-Grundsatz bestimmten - internationalen Privatrecht des Exequaturstaates einem nationalen Recht, das liberalere Formvorschriften hat als diejenigen des Art. II Abs. 1 und 2 UNÜ, ist dieses anerkennungsfreundlichere nationale Recht gem. Art. VII Abs. 1 UNÜ maßgeblich.

 

Normenkette

Übereinkommen v. 10.6.1958 über die Anerkennung und Vollstreckung ausländischer Schiedssprüche (BGBl. 1961 II, 121 - UNÜ) Art. VII Abs. 1

 

Verfahrensgang

OLG Oldenburg (Oldenburg) (Beschluss vom 01.02.2005; Aktenzeichen 9 SchH 3/04)

 

Tenor

Auf die Rechtsbeschwerde der Antragstellerin wird der Beschluss des 9. Zivilsenats des OLG Oldenburg v. 1.2.2005 aufgehoben.

Die Sache wird zur erneuten Entscheidung, auch über die Kosten des Rechtsbeschwerdeverfahrens, an das OLG zurückverwiesen.

Wert des Beschwerdegegenstandes: 34.387,83 EUR

 

Gründe

I.

Die Antragstellerin beansprucht von der Antragsgegnerin restliche Vergütung für die Erledigung von Baggerarbeiten. Sie erhob deshalb Schiedsklage gegen die Antragsgegnerin vor der Schiedskommission "Allgemeine Geschäftsbedingungen für E. betriebe" in W./Niederlande. Die Antragsgegnerin rügte die Zuständigkeit dieses Schiedsgerichts.

Durch Schiedsspruch ("Arbitraal vonnis") v. 17.12.2003 verurteilte das Schiedsgericht die Antragsgegnerin, an die Antragstellerin 34.387,83 EUR nebst Zinsen und Kosten zu zahlen. Das OLG hat entschieden, der Schiedsspruch sei im Inland nicht anzuerkennen. Mit der Rechtsbeschwerde verfolgt die Antragstellerin ihr Begehren, den Schiedsspruch für vollstreckbar zu erklären, weiter.

II.

Die gem. § 574 Abs. 1 S. 1 Nr. 1 i.V.m. § 1025 Abs. 4, § 1065 Abs. 1 S. 1, § 1062 Abs. 1 Nr. 4 Fall 2 ZPO statthafte Rechtsbeschwerde ist auch im Übrigen zulässig, weil die Rechtssache grundsätzliche Bedeutung hat (§ 574 Abs. 2 Nr. 1 ZPO).

Die Rechtsbeschwerde ist begründet; sie führt zur Aufhebung des angefochtenen Beschlusses und zur Zurückverweisung der Sache an das OLG (§ 577 Abs. 4 S. 1 ZPO).

1. Das OLG hat im Wesentlichen ausgeführt:

Die Vollstreckbarerklärung nach dem Übereinkommen v. 10.6.1958 über die Anerkennung und Vollstreckung ausländischer Schiedssprüche (BGBl. 1961 II, 121 - im Folgenden UNÜ) sei zu versagen, weil die Entscheidung des Schiedsgerichts nicht durch eine "schriftliche Vereinbarung" i.S.d. Art. V Abs. 1 lit. a, Art. II Abs. 2 UNÜ legitimiert gewesen sei. Die Parteien hätten die zu erbringenden Leistungen mündlich vereinbart. Zwar habe sich auf den Rechnungen der Antragstellerin ein Hinweis auf Allgemeine Geschäftsbedingungen befunden, die eine Schiedsklausel enthalten hätten. Das habe aber - mangels gesonderten Hinweises auf die Schiedsklausel - der von Art. II Abs. 2 UNÜ geforderten Schriftform nicht genügt.

Dem UNÜ könne nationales, hier also deutsches, Recht vorgehen, soweit es der Vollstreckbarkeitserklärung günstiger sei. Es gebe aber keinen Schiedsvertrag, der den Anforderungen des § 1031 Abs. 1 bis 3 ZPO entspreche.

2. Die Begründung des OLG hält in einem entscheidenden Punkt der rechtlichen Prüfung nicht stand. Auf Grund der bisher getroffenen Feststellungen kann nicht ausgeschlossen werden, dass die Parteien eine formwirksame Schiedsvereinbarung geschlossen haben und damit dem Antrag auf Vollstreckbarerklärung des Schiedsspruchs stattzugeben ist.

a) Die Rechtsbeschwerde nimmt hin, dass das OLG die Formerfordernisse, die Art. II UNÜ an eine Schiedsvereinbarung stellt, im Streitfall nicht für erfüllt angesehen und deshalb die Anerkennung des Schiedsspruchs nach dem UNÜ versagt hat. Dagegen ist auch nichts zu erinnern.

Art. II Abs. 1 UNÜ fordert eine schriftliche Vereinbarung. Darunter ist gem. Art. II Abs. 2 UNÜ eine Schiedsklausel in einem Vertrag oder eine Schiedsabrede zu verstehen, sofern der Vertrag oder die Schiedsabrede von den Parteien unterzeichnet oder in Briefen oder in Telegrammen enthalten ist, die sie gewechselt haben. Hier hatten die Parteien indes lediglich mündliche Abreden über die Beauftragung der Antragstellerin mit Baggerarbeiten getroffen. Der Verweis auf die in AGB niedergelegte Schiedsklausel befand sich allein auf Rechnungen, die die Antragstellerin der Antragsgegnerin übersandte, mithin nicht in gewechselten Schriftstücken.

b) Die Rechtsbeschwerde meint, nach dem Meistbegünstigungsgrundsatz des Art. VII Abs. 1 UNÜ sei der Rückgriff auf nationales Recht erlaubt. Die Formerfordernisse des danach maßgeblichen § 1031 ZPO seien - entgegen der Auffassung des OLG - erfüllt. Dem ist nicht beizutreten.

aa) An dieser Stelle mag - was noch zu erörtern sein wird - mit der Rechtsbeschwerde davon ausgegangen werden, dass Art. VII Abs. 1 UNÜ die Anwendung des § 1031 ZPO gestattet. Die Vorschrift kann der Rechtsbeschwerde aber nicht zum Erfolg verhelfen; denn die dort niedergelegten Formalien einer Schiedsvereinbarung sind ebenfalls nicht eingehalten.

bb) Die Schiedsvereinbarung war weder in einem von den Parteien unterzeichneten Dokument (§ 1031 Abs. 1 Alt. 1 ZPO) noch in - nicht notwendigerweise unterschriebenen - gewechselten Dokumenten oder anderen Formen der Nachrichtenübermittlung (§ 1031 Abs. 1 Alt. 2 ZPO) enthalten. Lediglich die einseitig von der Antragstellerin der Antragsgegnerin übermittelten Rechnungen enthielten einen Verweis auf AGB, die u.a. ein Schiedsverfahren vorsahen.

Die Rechnungen können auch nicht als kaufmännische Bestätigungsschreiben aufgefasst werden, die gem. § 1031 Abs. 2 Alt. 1 i.V.m. Abs. 3 ZPO wirksam auf die AGBmäßige Schiedsklausel Bezug genommen hätten. Die Rechnungen waren - ebenso wenig wie die von der Rechtsbeschwerde in den Rechnungen gesehenen Auftragsbestätigungen - dazu bestimmt, den Vertragsschluss und den Inhalt der getroffenen Vereinbarungen verbindlich festzulegen; mit ihnen sollten erkennbar lediglich die von der Antragstellerin erbrachten Werkleistungen ggü. der Antragsgegnerin abgerechnet werden.

c) Auf einem anderen Wege könnte aber der von der Rechtsbeschwerde geltend gemachte Meistbegünstigungsgrundsatz (Art. VII Abs. 1 UNÜ) zur Anerkennung der Schiedsvereinbarung und damit des Schiedsspruchs führen:

aa) Das UNÜ lässt die Anwendung nationalen Rechts zu, soweit es der Anerkennung und Vollstreckung des Schiedsspruchs günstiger ist (Art. VII Abs. 1 UNÜ). Das deutsche Gericht ist deshalb befugt, auch ohne dass sich die Parteien darauf berufen, auf das anerkennungsfreundlichere innerstaatliche Recht in toto zurückzugreifen; denn es hat das Recht - völkerrechtliche Verträge ebenso wie (originär-)nationales Recht - von Amts wegen zu beachten (zuletzt BGH, Beschl. v. 25.9.2003 - III ZB 68/02, MDR 2004, 228 = BGHReport 2003, 1434 = SchiedsVZ 2003, 281 [282], m.w.N.).

bb) Nach dem vorbeschriebenen Meistbegünstigungsgrundsatz wäre mithin - sofern schiedsfreundlicher - das deutsche Recht, d.h. die Vorschriften der Zivilprozessordnung zur Anerkennung und Vollstreckung ausländischer Schiedssprüche (§ 1025 Abs. 4, §§ 1061 bis 1065 ZPO) anwendbar. Dort wird aber (vgl. § 1061 Abs. 1 S. 1 ZPO) abgesehen von wenigen eigenständigen Regelungen (Musielak/Voit, ZPO, 4. Aufl., 2005, § 1061 Rz. 11) das UNÜ in Bezug genommen (dessen formfordernden Art. II Abs. 1 und 2 wie dargelegt hier nicht genügt worden ist). Weitgehend wird zwar der Meistbegünstigungsgrundsatz (Art. VII Abs. 1 UNÜ) dahin verstanden, dass er - unter Durchbrechung der Rückverweisung des nationalen Rechts auf das UNÜ - die Anwendung von im Vergleich zu Art. II Abs. 2 UNÜ zurückhaltenderen nationalen Formvorschriften wie die des § 1031 ZPO erlaubt (Stein/Jonas/Schlosser, ZPO, 22. Aufl., 2002, Anh. § 1061 Rz. 159; so wohl auch Schwab/Walter, Schiedsgerichtsbarkeit, 7. Aufl., 2005, Kap. 44 Rz. 12 f., jeweils m.w.N.; Gottwald in MünchKomm/ZPO, 2. Aufl., 2001, Art. II UNÜ Rz. 13; a.A. Zöller/Geimer, ZPO, 25. Aufl., 2005 § 1061 Rz. 2; Musielak/Voit, ZPO, 4. Aufl., 2005, § 1061 Rz. 14, § 1031 Rz. 18; Münch in MünchKomm/ZPO, 2. Aufl., 2001, § 1061 Rz. 6, unter Hinweis in Fn. 27 auf Moller, NZG 1999, 143 [145, 146]). Für ein solches anerkennungsfreundlicheres Verständnis des Meistbegünstigungsgrundsatzes spricht viel. Das kann jedoch dahinstehen; die Formerfordernisse des danach ggf. berufenen § 1031 ZPO sind hier nicht erfüllt (s.o. unter II. 2. b) bb)).

cc) Die durch den Meistbegünstigungsgrundsatz gebotene Anwendung schiedsfreundlicheren nationalen Rechts gilt allerdings nicht nur für die Bestimmungen zur Anerkennung und Vollstreckung von Schiedssprüchen (§§ 1025 ff. ZPO); sie umfasst - was das OLG nicht berücksichtigt hat - ferner die (nationalen) Kollisionsregeln und das danach als Statut der Schiedsvereinbarung berufene nationale Recht. Unterliegt die Schiedsvereinbarung nach dem - durch den lex fori-Grundsatz bestimmten - internationalen Privatrecht des Exequaturstaates einem nationalen Recht, das liberalere Formvorschriften hat als diejenigen des Art. II Abs. 1 und 2 UNÜ, ist dieses anerkennungsfreundlichere nationale Recht gem. Art. VII Abs. 1 UNÜ maßgeblich (Stein/Jonas/Schlosser, ZPO, 22. Aufl., 2002, § 1031 Rz. 24; Schwab/Walter, Schiedsgerichtsbarkeit, 7. Aufl., 2005, Kap. 44 Rz. 12). So könnte der Streitfall liegen, was im Verfahren der Rechtsbeschwerde indes nicht abschließend entschieden werden kann.

Kollisionsrecht ist hier das (deutsche) EGBGB als lex fori. Danach kommt es für das Recht, dem die Schiedsvereinbarung unterliegt - und dessen Form regiert (vgl. Art. 11 Abs. 1 Alt. 1 EGBGB) - auf die Parteivereinbarung an (BGHZ 40, 320 [322 ff.]; BGH, Urt. v. 9.3.1978 - III ZR 78/76, BGHZ 71, 131 [137]; Urt. v. 25.5.1970 - VII ZR 157/68, AWD 1970, 417 [418]; Schwab/Walter, Schiedsgerichtsbarkeit, 7. Aufl., 2005, Kap. 43 Rz. 5 ff., Kap. 44 Rz. 17; Schlosser, Das Recht der internationalen privaten Schiedsgerichtsbarkeit, 2. Aufl., 1989 Rz. 253, m.w.N.). Diesbezüglich hat die Antragstellerin vorgetragen, die Parteien hätten, was gem. Art. 28 Abs. 2 EGBGB zu vermuten sei, den zwischen ihnen geschlossenen Vertrag über Baggerleistungen und die Schiedsvereinbarung niederländischem Recht unterstellt. Nach der somit maßgeblichen niederländischen Rechtsprechung sei für die Einbeziehung der die Schiedsklausel enthaltenden AGB ausreichend, wenn bei langjährigen Geschäftsbeziehungen - wie geschehen - ein entsprechender Hinweis auf die Rechnungen oder auf dem Briefpapier erfolge (Schlosser, Das Recht der internationalen privaten Schiedsgerichtsbarkeit, 2. Aufl., 1989 Rz. 380, 382, zum EuÜ zur Lehre von der "facture acceptée").

Das OLG hat diesen Punkt nicht geklärt. Es lässt sich im Rahmen der rechtlichen Prüfung deshalb nicht ausschließen, dass die Formgültigkeit der Schiedsvereinbarung nach dem weniger strengen niederländischen Recht zu beurteilen ist und dies zur Anerkennung der Schiedsvereinbarung als formwirksam führt. Nach den Feststellungen des OLG kann auch nicht davon ausgegangen werden, dass der Vollstreckbarerklärung ein sonstiges Hindernis entgegensteht.

 

Fundstellen

Haufe-Index 1443594

NJW 2005, 3499

BGHR 2006, 124

WM 2005, 2201

IPRax 2006, 266

InVo 2006, 161

ZfRV 2005, 231

ELF 2005, 154

EuLF 2005, 234

SchiedsVZ 2005, 306

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