Leitsatz (amtlich)
Sieht das Gericht im Unterbringungsverfahren von der vollständigen schriftlichen Bekanntgabe eines Gutachtens an den anwaltlich nicht vertretenen Betroffenen ab, weil zu besorgen ist, dass die Bekanntgabe die Gesundheit des Betroffenen schädigen oder zumindest ernsthaft gefährden werde, muss ein Verfahrenspfleger bestellt, diesem das Gutachten übergeben werden und die Erwartung gerechtfertigt sein, dass der Verfahrenspfleger mit dem Betroffenen über das Gutachten spricht (im Anschluss an BGH v. 16.5.2018 - XII ZB 542/17, FamRZ 2018, 1196; v. 22.2.2017 - XII ZB 341/16, FamRZ 2017, 923).
Normenkette
FamFG § 37 Abs. 2, §§ 321, 325 Abs. 1
Verfahrensgang
LG Paderborn (Beschluss vom 25.07.2018; Aktenzeichen 5 T 187/18) |
AG Lippstadt (Entscheidung vom 11.06.2018; Aktenzeichen 11 XVII 17/07 B) |
Tenor
Der Betroffenen wird gegen die Versäumung der Frist zur Einlegung und Begründung der Rechtsbeschwerde gegen den Beschluss der 5. Zivilkammer des LG Paderborn vom 25.7.2018 Wiedereinsetzung in den vorigen Stand gewährt (§ 17 FamFG).
Auf die Rechtsbeschwerde der Betroffenen wird der vorgenannte Beschluss aufgehoben.
Die Sache wird zur erneuten Behandlung und Entscheidung, auch über die Kosten des Rechtsbeschwerdeverfahrens, an das LG zurückverwiesen.
Gründe
I.
Rz. 1
Die Betroffene wendet sich gegen die Genehmigung ihrer Unterbringung.
Rz. 2
Sie leidet nach den vom LG getroffenen Feststellungen u.a. an einer paranoid-halluzinatorischen Schizophrenie. Die Betroffene war in der Vergangenheit krankheitsbedingt mehrfach geschlossen untergebracht.
Rz. 3
Nach Einholung eines Sachverständigengutachtens und Anhörung der Betroffenen hat das AG die geschlossene Unterbringung der Betroffenen längstens bis zum 11.6.2019 genehmigt. Auf die Beschwerde der Betroffenen hat das LG die Unterbringungsdauer bis zum 23.5.2019 verkürzt und die Beschwerde im Übrigen zurückgewiesen. Hiergegen wendet sich die Betroffene mit ihrer Rechtsbeschwerde.
II.
Rz. 4
Die Rechtsbeschwerde ist begründet. Sie führt zur Aufhebung des angefochtenen Beschlusses und zur Zurückverweisung der Sache an das LG.
Rz. 5
1. Zu Recht rügt die Rechtsbeschwerde, dass die Entscheidung verfahrensfehlerhaft ergangen ist, weil das Sachverständigengutachten der Betroffenen nicht ordnungsgemäß bekanntgegeben worden ist.
Rz. 6
a) Nach § 321 Abs. 1 Satz 1 FamFG hat vor einer Unterbringungsmaßnahme eine förmliche Beweisaufnahme durch Einholung eines Gutachtens über die Notwendigkeit der Maßnahme stattzufinden. Die Verwertung des Sachverständigengutachtens als Grundlage einer Entscheidung in der Hauptsache setzt gem. § 37 Abs. 2 FamFG voraus, dass das Gericht den Beteiligten Gelegenheit zur Stellungnahme eingeräumt hat. Insoweit ist das Gutachten mit seinem vollen Wortlaut im Hinblick auf die Verfahrensfähigkeit des Betroffenen (§ 316 FamFG) grundsätzlich auch ihm persönlich zur Verfügung zu stellen. Durch eine Bekanntgabe an einen Verfahrenspfleger kann allenfalls dann ein notwendiges Mindestmaß rechtlichen Gehörs sichergestellt werden, wenn das Betreuungsgericht von der vollständigen schriftlichen Bekanntgabe eines Gutachtens an den Betroffenen entsprechend § 325 Abs. 1 FamFG (vgl. auch § 288 Abs. 1 FamFG) absieht, weil zu besorgen ist, dass die Bekanntgabe die Gesundheit des Betroffenen schädigen oder zumindest ernsthaft gefährden werde, und die Erwartung gerechtfertigt ist, dass der Verfahrenspfleger mit dem Betroffenen über das Gutachten spricht (BGH v. 16.5.2018 - XII ZB 542/17, FamRZ 2018, 1196 Rz. 8 f.; v. 22.2.2017 - XII ZB 341/16, FamRZ 2017, 923 Rz. 11 m.w.N.).
Rz. 7
b) Diesen Anforderungen wird das instanzgerichtliche Verfahren nicht gerecht.
Rz. 8
Das LG hat in seiner Entscheidung maßgeblich auf das vom AG eingeholte Sachverständigengutachten abgestellt. Den vorliegenden Gerichtsakten lässt sich jedoch nicht entnehmen, dass das Gutachten den Verfahrensbeteiligten bekannt gegeben worden ist. In der amtsgerichtlichen Anhörung ist der Betroffenen selbst lediglich das "Ergebnis des Gutachtens" mitgeteilt worden.
Rz. 9
Allerdings bestanden nach Dafürhalten des Sachverständigen "hinsichtlich der Einsicht und Lektüre des Gutachtens" durch die Betroffene Bedenken, so dass an sich zu erwägen gewesen wäre, einen Verfahrenspfleger zu bestellen und ihm das Gutachten zwecks Erörterung mit der Betroffenen zu übergeben. Zwar hat das LG der Betroffenen erstmals im Beschwerdeverfahren einen Verfahrenspfleger bestellt. Ausweislich der Gerichtsakten ist aber auch ihm das Gutachten nicht übersandt worden. Demgemäß lässt sich seiner Stellungnahme nicht entnehmen, dass er Kenntnis von diesem Gutachten hatte. Nach alledem war die Erwartung nicht gerechtfertigt, dass der Verfahrenspfleger mit der Betroffenen über das Gutachten spricht.
Rz. 10
2. Die Zurückverweisung eröffnet dem LG die Möglichkeit, auch zu prüfen, ob gem. § 329 Abs. 2 Satz 2 FamFG ein externer Sachverständiger hätte bestellt werden müssen. In diesem Zusammenhang weist der Senat darauf hin, dass die Unterbringung nicht bereits im Zeitpunkt der Entscheidung in der letzten Tatsacheninstanz vier Jahre vollzogen sein muss. Ausreichend ist vielmehr, dass der mit der angefochtenen Entscheidung verlängerte Unterbringungszeitraum über das Fristende hinausreicht (BGH, Beschl. v. 23.11.2016 - XII ZB 458/16, FamRZ 2017, 227 Rz. 14 m.w.N.). Zudem weist der Senat darauf hin, dass ein anfechtbarer Beschluss gem. § 41 Abs. 1 Satz 2 FamFG demjenigen förmlich zuzustellen ist, dessen erklärtem Willen er nicht entspricht (BGH, Beschl. v. 29.3.2017 - XII ZB 51/16, FamRZ 2017, 1151 Rz. 8 m.w.N.). Eine Aufgabe zur Post nach § 15 Abs. 2 Satz 1 Alt. 2 FamFG reicht hierfür nicht aus.
Rz. 11
Von einer weiteren Begründung der Entscheidung wird abgesehen, weil sie nicht geeignet wäre, zur Klärung von Rechtsfragen grundsätzlicher Bedeutung, zur Fortbildung des Rechts oder zur Sicherung einer einheitlichen Rechtsprechung beizutragen (§ 74 Abs. 7 FamFG).
Fundstellen
Haufe-Index 12481554 |
FamRZ 2019, 309 |
FuR 2019, 152 |
NJW-RR 2019, 643 |
FGPrax 2019, 31 |
ZAP 2019, 234 |
BtPrax 2019, 76 |
JZ 2019, 107 |
MDR 2019, 306 |
FF 2019, 86 |
FamRB 2019, 286 |