Verfahrensgang
OLG Düsseldorf (Entscheidung vom 23.06.2021; Aktenzeichen VI-3 Kart 778/19 (V)) |
Tenor
Die Beschwerde gegen die Nichtzulassung der Rechtsbeschwerde in dem Beschluss des 3. Kartellsenats des Oberlandesgerichts Düsseldorf vom 23. Juni 2021 wird auf Kosten der Bundesnetzagentur zurückgewiesen, die auch die notwendigen Auslagen der Betroffenen zu tragen hat.
Der Gegenstandswert für das Nichtzulassungsbeschwerdeverfahren wird auf 12.000.000 € festgesetzt.
Gründe
Rz. 1
I. Die Betroffene, eine im Jahr 2007 gegründete Tochtergesellschaft der EnBW Ostwürttemberg DonauRies AG (fortan: ODR), betreibt Verteilernetze für Strom und Gas in der Region Ostwürttemberg. Für die mit dem Netzbetrieb verbundenen Tätigkeiten setzt sie auch Mitarbeiter der ODR ein.
Rz. 2
Mit Beschluss vom 31. Mai 2019 legte die Bundesnetzagentur die Erlösobergrenzen für die dritte Regulierungsperiode Strom niedriger als von der Betroffenen begehrt fest. Mit ihrer auf Neubescheidung gerichteten Beschwerde hat sich die Betroffene unter anderem gegen die Nichtberücksichtigung von auf betrieblichen oder tarifvertraglichen Vereinbarungen beruhenden Lohnzusatz- und Versorgungsleistungen sowie von Weiterbildungskosten (fortan gemeinsam: Personalzusatzkosten) für die in ihrem Stromnetzbetrieb tätigen Mitarbeiter der ODR als dauerhaft nicht beeinflussbare Kostenanteile gewandt. Das Beschwerdegericht hat den Beschluss der Bundesnetzagentur aufgehoben und sie insoweit zur Neubescheidung verpflichtet; die Rechtsbeschwerde hat es nicht zugelassen. Dagegen wendet sich die Bundesnetzagentur mit der Nichtzulassungsbeschwerde, der die Betroffene entgegentritt.
Rz. 3
II. Die zulässige Nichtzulassungsbeschwerde hat keinen Erfolg.
Rz. 4
1. Das Beschwerdegericht hat angenommen, die Bundesnetzagentur habe die fraglichen Personalzusatzkosten zu Unrecht nicht als dauerhaft nicht beeinflussbare Kostenanteile gemäß § 11 Abs. 2 Satz 1 Nr. 9 und 11 ARegV anerkannt. Die Betroffene und die ODR hätten bereits im sachlichen und zeitlichen Zusammenhang mit der im Jahr 2007 erfolgten Entflechtung vereinbart, dass die Betroffene die im Netzbetrieb tätigen Mitarbeiter der ODR wie eigene Arbeitnehmer einsetzen könne und im Gegenzug verpflichtet sei, die Personalzusatzkosten für diese Mitarbeiter vollständig zu übernehmen sowie deren Ausfallrisiko zu tragen. Diese Abrede, die durch die späteren schriftlichen Vereinbarungen nach dem übereinstimmenden Verständnis der Vertragsparteien nicht geändert worden sei, stelle zwar formal keine Arbeitnehmerüberlassung oder Personalüberleitung dar, sei damit aber in ihren wirtschaftlichen Auswirkungen vergleichbar. Die Personalzusatzkosten der im Netzbetrieb eingesetzten Mitarbeiter der ODR stellten sich demnach für die Betroffene als eigene Kosten dar.
Rz. 5
2. Diese Beurteilung erfordert unter keinem der in § 86 Abs. 2 EnWG genannten Gesichtspunkte eine Klärung in einem Rechtsbeschwerdeverfahren.
Rz. 6
a) Die von der Bundesnetzagentur formulierte Frage, ob der für die Anerkennung als dauerhaft nicht beeinflussbare Kostenanteile erforderliche Zusammenhang zwischen der betrieblichen oder tarifvertraglichen Vereinbarung und der Kostenbelastung des Netzbetreibers allein mit einer von einer geschlossenen Dienstleistungsvereinbarung abweichenden "gelebten Praxis" begründet werde könne, rechtfertigt entgegen der Ansicht der Bundesnetzagentur keine Zulassung der Rechtsbeschwerde wegen grundsätzlicher Bedeutung.
Rz. 7
Grundsätzliche Bedeutung kommt einer Rechtssache zu, wenn sie eine entscheidungserhebliche, klärungsbedürftige und klärungsfähige Rechtsfrage aufwirft, die sich in einer unbestimmten Vielzahl von Fällen stellen kann und deshalb das abstrakte Interesse der Allgemeinheit an der einheitlichen Entwicklung und Handhabung des Rechts berührt. Der Beschwerdeführer muss dabei konkret auf die über den Einzelfall hinausgehende Bedeutung der Rechtsfrage eingehen (BGH, Beschluss vom 27. März 2003 - V ZR 291/02, BGHZ 154, 288, 291 [juris Rn. 5]). Entsprechende Darlegungen enthält die Beschwerdebegründung jedoch nicht. Insbesondere zeigt sie nicht auf, dass die Bundesnetzagentur in ihrer Verwaltungspraxis über diesen Einzelfall hinaus mit dem Einwand konfrontiert wäre, der Inhalt einer vorgelegten schriftlichen Vereinbarung entspreche nicht der gelebten Vertragspraxis und könne daher der zu treffenden Regulierungsentscheidung nicht zugrunde gelegt werden.
Rz. 8
b) Die Nichtzulassungsbeschwerde legt auch im Übrigen nicht dar, dass eine Entscheidung des Bundesgerichtshofs zur Fortbildung des Rechts erforderlich ist. Die Frage, ob von einem Netzbetreiber aufgrund eines Vertrags mit einem anderen Rechtsträger, insbesondere mit dem originär zur Leistung verpflichteten Arbeitgeber, zu tragende Personalzusatzkosten auch dann als dauerhaft nicht beeinflussbare Kostenanteile im Sinne von § 11 Abs. 2 Satz 1 Nr. 9 ARegV anerkannt werden können, wenn zwischen den Vertragsparteien formal weder ein Arbeitnehmerüberlassungs- noch ein Personalüberleitungsvertrag besteht, ist nicht klärungsbedürftig. Sie ist in der Rechtsprechung des Bundesgerichtshofs hinreichend geklärt (vgl. BGH, Beschlüsse vom 18. Oktober 2016 - EnVR 27/15, RdE 2017, 80 Rn. 8 ff., 20 - Infrawest GmbH, und vom 12. November 2019 - EnVR 109/18, RdE 2020, 125 Rn. 50 f. - Dortmunder Netz GmbH).
Rz. 9
Danach setzt die Anerkennungsfähigkeit von Personalzusatzkosten im Rahmen des § 11 Abs. 2 Satz 1 Nr. 9 ARegV nicht voraus, dass der Netzbetreiber an der betrieblichen oder tarifvertraglichen Vereinbarung als Vertragspartei beteiligt ist. Der erforderliche Zusammenhang zwischen den Kosten des Netzbetreibers und einer solchen Vereinbarung kann vielmehr auch dann bestehen, wenn der Netzbetreiber die auf der Vereinbarung beruhenden Kosten aus einem anderen Rechtsgrund zu tragen hat und sie sich für ihn als Kosten für Lohnzusatz- oder Versorgungsleistungen darstellen. Ob ein solcher Zusammenhang besteht, ist anhand der wirtschaftlichen Verhältnisse zu beurteilen (BGH, Beschluss vom 17. Oktober 2017 - EnVR 23/16, RdE 2018, 77 Rn. 44 - SW Kiel Netz GmbH; BGH, RdE 2020, 125 Rn. 52 - Dortmunder Netz GmbH). Er liegt zum Beispiel vor, wenn der Netzbetreiber Arbeitnehmer einsetzt, die ihm von einem anderen Rechtsträger im Rahmen eines Arbeitnehmerüberlassungs- oder Personalüberleitungsvertrags zur Verfügung gestellt werden, und der Netzbetreiber sich verpflichtet, alle für diese Arbeitnehmer anfallenden Kosten zu übernehmen (BGH, RdE 2018, 77 Rn. 48 - SW Kiel Netz GmbH). Dabei muss nicht zwingend ein formaler Arbeitnehmerüberlassungs- oder Personalüberleitungsvertrag abgeschlossen worden sein. Vielmehr reicht es aus, dass das vom Netzbetreiber zu zahlende Entgelt bei wirtschaftlicher Betrachtung an die Überlassung oder Beschäftigung von Arbeitnehmern und nicht an die Erbringung von Dienstleistungen durch ein anderes Unternehmen anknüpft und sämtliche für diese Arbeitnehmer anfallenden Kosten umfasst (vgl. BGH, RdE 2017, 80 Rn. 42 - Infrawest GmbH; RdE 2020, 125 Rn. 52, 55 - Dortmunder Netz GmbH).
Rz. 10
c) Eine Zulassung der Rechtsbeschwerde kommt auch nicht zur Sicherung einer einheitlichen Rechtsprechung in Betracht. Die Bundesnetzagentur zeigt nicht auf, dass das Beschwerdegericht die vorgenannten Maßstäbe für die Anerkennung von Personalzusatzkosten als dauerhaft nicht beeinflussbare Kostenanteile rechtsfehlerhaft auf den vorliegenden Fall angewendet hat.
Rz. 11
III. Die Kostenentscheidung beruht auf § 90 Satz 2 EnWG, die Festsetzung des Gegenstandswerts auf § 50 Abs. 1 Satz 1 Nr. 2 GKG und § 3 ZPO.
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