Entscheidungsstichwort (Thema)
Annexzuständigkeit der Ehegerichte für Entscheidung der elterlichen Verantwortung im Falle der Entführung der gemeinsamen Kinder in das Ausland
Leitsatz (amtlich)
a) Die nach Art. 3 Abs. 1 Brüssel II-VO begründete Annexzuständigkeit der Ehegerichte für Entscheidungen der elterlichen Verantwortung endet im Falle der Entführung der gemeinsamen Kinder in das Ausland, wenn innerhalb der Jahresfrist kein Rückführungsantrag nach dem Haager Kindesentführungsübereinkommen gestellt worden ist und die Kinder sich in ihrem neuen Umfeld sozial integriert haben.
b) Zur Vollstreckbarerklärung der Kostenentscheidung eines ausländischen Verbundurteils (hier: Italien), wenn einheitlich über die Kosten des Ehestatusverfahrens und des als Folgesache geführten Sorgerechtsstreits entschieden worden ist und das ausländische Gericht für die erlassene Sorgerechtsentscheidung international unzuständig war.
Normenkette
Brüssel II-VO Art. 3 Abs. 1-2, Art. 4, 13 Abs. 2, Art. 14 Abs. 3, Art. 21 Abs. 1, Art. 42; KiEntFÜbk Haag Art. 12 Abs. 1; KiEntfÜbk Haag Art. 16
Verfahrensgang
Tenor
Auf die Rechtsbeschwerde des Antragstellers wird der Beschluss des OLG Nürnberg - 7. Zivilsenat und Senat für Familiensachen - v. 23.7.2003 im Kostenpunkt und insoweit aufgehoben, als der Antrag des Antragstellers auf Vollstreckbarerklärung der Kostenentscheidung aus dem Urteil Nr. 627/02 des Tribunale di Novara v. 22.7.2002 (Verfahren Nr. 648/99) unter Abänderung des Beschlusses des AG - FamG - Nürnberg v. 4.3.2003 zurückgewiesen worden ist.
Im Umfang der Aufhebung wird die Sache zur erneuten Behandlung und Entscheidung - auch über die Kosten der Rechtsbeschwerde - an das OLG zurückverwiesen.
Die weitergehende Rechtsbeschwerde wird zurückgewiesen.
Wert: 12.399 EUR.
Gründe
I.
1. Die Parteien streiten um die Vollstreckbarerklärung der Sorgerechts- und Kostenentscheidung aus einem italienischen Verbundurteil im Verfahren über die Trennung der Ehegatten von Tisch und Bett (separazione personale dei coniugi).
Der Antragsteller ist Italiener; die Antragsgegnerin ist Deutsche. Aus der Ehe der Parteien sind zwei - 1995 und 1997 geborene - Kinder hervorgegangen, die beide Staatsangehörigkeiten besitzen und mit denen sie bis zum Scheitern der Ehe gemeinsam in Oleggio (Italien) lebten. Am 10.5.1999 zog die Antragsgegnerin mit den beiden Kindern nach Deutschland, wo diese sich seitdem mit ihr aufhalten.
Mit einem am 9.6.1999 bei dem Tribunale (LG) di Novara eingegangenen Schriftsatz leitete der Antragsteller das Trennungsverfahren ein. Im Anschluss an einen am 14.12.1999 durchgeführten Anhörungstermin, zu dem die Antragsgegnerin trotz Ladung nicht erschien, erließ die Gerichtspräsidentin einen vorläufigen Beschluss, in dem sie u.a. die Ehegatten zum Getrenntleben ermächtigte, das Sorgerecht für die beiden Kinder dem Antragsteller zusprach und die Antragsgegnerin verpflichtete, die sofortige Rückkehr der Kinder nach Italien zu veranlassen. Auf einen weiteren Termin am 6.4.2000, zu dem beide Parteien in Novara erschienen waren, wies das Gericht am 20.4.2000 die Einwendungen der Antragsgegnerin gegen den vorläufigen Beschluss v. 14.12.1999 zurück.
Ein am 9.8.2000 bei dem AG Nürnberg eingegangener und auf das Europäische Übereinkommen über die Anerkennung und Vollstreckung von Entscheidungen über das Sorgerecht für Kinder und die Wiederherstellung des Sorgeverhältnisses v. 20.5.1980 (BGBl. 1990 II, 220 - im Folgenden: ESÜ) gestützter Antrag des Generalbundesanwalts, die durch Beschluss v. 20.4.2000 aufrechterhaltene Sorgerechts- und Rückführungsentscheidung aus dem Beschluss des Tribunale di Novara v. 14.12.1999 für vollstreckbar zu erklären, wurde von dem AG Nürnberg durch Beschluss v. 13.2.2001 zurückgewiesen. Die dagegen durch den Generalbundesanwalt im Namen des Antragstellers eingelegte Beschwerde wies das OLG Nürnberg durch Beschluss v. 27.6.2001 zurück. Beide Instanzen stellten darauf ab, dass der Versagungsgrund gem. Art. 10 Abs. 1 lit. b ESÜ einer Anerkennung der italienischen Entscheidung entgegenstehe, weil die noch sehr kleinen Kinder mittlerweile in ihre deutsche Umgebung vollständig integriert seien und eine Rückführung nach Italien ihrem Wohl nicht entspreche.
Die Antragsgegnerin hatte ihrerseits bereits am 21.7.1999 bei dem AG Erlangen beantragt, ihr die elterliche Sorge für die beiden in ihrer Obhut befindlichen Kinder zu übertragen. Diesen Antrag wies das AG Erlangen durch Beschluss v. 25.2.2000 mit der Begründung zurück, dass es für die begehrte Entscheidung international unzuständig sei. Am 17.8.2000 stellte die Antragsgegnerin bei dem AG Erlangen einen neuen Sorgerechtsantrag, der durch Beschluss v. 5.1.2001 ebenfalls zurückgewiesen wurde. Auf die nunmehr eingelegte Beschwerde der Antragsgegnerin änderte das OLG Nürnberg die angefochtene Entscheidung des AG nach Anhörung der Parteien und der Kinder ab und übertrug mit Beschluss v. 24.4.2002 (OLG Nürnberg v. 24.4.2003 - 11 UF 682/01, FamRZ 2003, 163) die elterliche Sorge für die beiden Kinder auf die Antragsgegnerin.
Am 22.7.2002 erließ das Tribunale di Novara ein das Verfahren abschließendes Urteil, in dem es - u.a. - die persönliche Trennung der Ehegatten erklärte, die elterliche Sorge für die gemeinsamen Kinder auf den Antragsteller übertrug und die Antragsgegnerin zur Übernahme von Verfahrenskosten in einer vom Gericht festgesetzten Höhe von 9.398,62 EUR verurteilte.
Mit einem am 6.2.2003 bei dem AG Nürnberg eingegangenen "Antrag auf Klauselerteilung nach Art. 21 ff. der Verordnung (EG) Nr. 1347/2000 des Rates v. 29.5.2000" begehrte der Antragsteller, das Urteil des Tribunale di Novara v. 22.7.2002, soweit ihm das Sorgerecht für die gemeinsamen Kinder übertragen und die Antragsgegnerin in die Verfahrenskosten verurteilt wurde, durch Anbringung einer Vollstreckungsklausel für vollstreckbar zu erklären. Gegen den am 4.3.2003 antragsgemäß ergangenen Beschluss des AG Nürnberg legte die Antragsgegnerin Beschwerde ein. Das OLG änderte auf die Beschwerde der Antragsgegnerin den angefochtenen Beschluss ab und wies den Antrag des Antragstellers auf Vollstreckbarerklärung der Entscheidungen zur elterlichen Sorge und zu den Verfahrenskosten insgesamt zurück. Gegen diese Entscheidung richtet sich die Rechtsbeschwerde des Antragstellers, mit der er die Wiederherstellung des erstinstanzlichen Beschlusses hinsichtlich der Vollstreckbarerklärung der Sorgerechts- und Kostenentscheidung erstrebt.
2. Das OLG, dessen Entscheidung auszugsweise in FamRZ 2004, 278 (OLG Nürnberg v. 23.7.2003 - 7 WF 1144/03, OLGReport Nürnberg 2003, 383 = FamRZ 2004, 278 ff. mit krit. Anm. Coester-Waltjen, NJW 2004, 280 ff.) veröffentlicht ist, hat ausgeführt, dass die Verordnung (EG) Nr. 1347/2000 des Rates v. 29.5.2000 über die Zuständigkeit und die Anerkennung und Vollstreckung in Ehesachen und in Verfahren betreffend die elterliche Verantwortung für die gemeinsamen Kinder der Ehegatten (ABl. EG 2000 Nr. L 160, 19 - im Folgenden: Brüssel II-VO) auf den streitgegenständlichen Fall keine Anwendung finden könne, weil das Verfahren vor dem Gericht in Novara bereits im Juni 1999 und damit vor dem In-Kraft-Treten der Verordnung am 1.3.2001 anhängig gemacht worden sei. Auch nach Art. 42 Abs. 2 Brüssel II-VO könne die Entscheidung in Deutschland mangels internationaler Zuständigkeit des Gerichts in Novara für die Sorgerechtsentscheidung nicht vollstreckt werden. Lasse man die Brüssel II-VO zunächst außer Acht, sei die internationale Zuständigkeit nach dem Haager Übereinkommen über die Zuständigkeit der Behörden und das anzuwendende Recht auf dem Gebiet des Schutzes von Minderjährigen v. 5.10.1961 (BGBl. 1971 II, 217 - im Folgenden: MSA) zu bestimmen. Nach diesem Abkommen seien für die in Frage stehenden Sorgerechtsentscheidungen die deutschen Gerichte zuständig gewesen, weil die seit Mai 1999 in Deutschland lebenden und sozial eingegliederten Kinder der Parteien jedenfalls im Jahre 2002 ihren gewöhnlichen Aufenthalt in Deutschland gehabt hätten. Auf die Frage der möglichen Widerrechtlichkeit der Verbringung nach Deutschland komme es nicht an, weil auch in diesem Falle keine besonders hohen Anforderungen an die Begründung eines gewöhnlichen Aufenthaltes zu stellen seien. Der Grundsatz der perpetuatio fori finde im Rahmen des MSA keine Anwendung, so dass mit der Begründung eines neuen gewöhnlichen Aufenthaltes im Zufluchtsstaat die Zuständigkeit der Behörden am bisherigen Aufenthaltsort ende. Dies gelte auch dann, wenn man davon ausginge, dass aufgrund der nationalen italienischen Verfahrensvorschriften im Trennungsverfahren eine Verbundzuständigkeit für die Frage der elterlichen Sorge begründet worden sei, weil Italien keinen Vorbehalt nach Art. 15 Abs. 1 MSA zugunsten seiner Ehegerichte erklärt habe. Auch aus Art. 4 MSA lasse sich eine konkurrierende Zuständigkeit des italienischen Gerichts nicht herleiten, weil keine Anhaltspunkte dafür ersichtlich seien, dass ein Eingreifen der Heimatbehörden dem Wohl der Kinder mehr diene und ihren Schutz besser gewährleiste als ein Handeln der deutschen Behörden.
Im Rahmen des Art. 42 Abs. 2 Brüssel II-VO könne nach Art. 32 des italienischen Gesetzes Nr. 218v. 31.5.1995 über die Reform des italienischen Systems des internationalen Privatrechtes eine internationale Zuständigkeit des Gerichts in Novara nicht begründet werden. Denn Art. 32 des Gesetzes Nr. 218 knüpfe für die Begründung der Zuständigkeit des angerufenen Gerichts an die Staatsangehörigkeit der Ehegatten oder an den Ort der Eheschließung an, was nicht mit der Regelung in Art. 3 Abs. 1 Brüssel II-VO übereinstimme, wo auf den gewöhnlichen Aufenthalt des Kindes im Forumstaat der Ehesache abgestellt werde. Im Übrigen ließe sich auch aus der Brüssel II-VO selbst eine internationale Zuständigkeit des Gerichts in Novara nicht herleiten. Eine Zuständigkeit nach Art. 3 Abs. 1 Brüssel II-VO sei im Zeitpunkt der Sorgerechtsentscheidung v. 22.7.2002 nicht gegeben gewesen, weil auf den gewöhnlichen Aufenthalt der Kinder im Zeitpunkt der Entscheidung im Jahre 2002 und nicht - unter Anwendung des Grundsatzes der perpetuatio fori - im Zeitpunkt der Verfahrenseinleitung im Jahre 1999 abzustellen sei. Eine Zuständigkeit nach Art. 3 Abs. 2 Brüssel II-VO scheide ebenfalls aus, weil die Antragsgegnerin bereits seit 1999 mehrfach und durch mehrere Instanzen vor den deutschen Gerichten Sorgerechtsentscheidungen zu ihren Gunsten zu erwirken versucht habe und deshalb aus ihrer Beteiligung am Verfahren vor dem Gericht in Novara nicht hergeleitet werden könne, dass die internationale Zuständigkeit des dortigen Gerichtes von ihr anerkannt worden sei.
II.
Die Rechtsbeschwerde ist gem. § 574 Abs. 1 Nr. 1 ZPO i.V.m. § 15 Abs. 1 AVAG bzw. §§ 28, 55 des Gesetzes zur Aus- und Durchführung bestimmter Rechtsinstrumente auf dem Gebiet des Internationalen Familienrechts (IntFamRVG) v. 26.1.2005 (BGBl. 2005 I, 162) statthaft. Sie ist insgesamt zulässig (§ 574 Abs. 2 ZPO), weil der Rechtssache im Hinblick auf die Abgrenzung der Zuständigkeiten nach Art. 3 Abs. 1 und Art. 4 Brüssel II-VO in Kindesentführungsfällen grundsätzliche Bedeutung zukommt.
III.
In der Sache hat die Rechtsbeschwerde keinen Erfolg, soweit das OLG es abgelehnt hat, das Urteil des Tribunale di Novara v. 22.7.2002 hinsichtlich der darin enthaltenen Entscheidung zur Übertragung der elterlichen Sorge auf den Antragsteller für vollstreckbar zu erklären.
1. Insoweit steht einer Vollstreckbarerklärung nach Art. 21 Abs. 1 Brüssel II-VO von vornherein entgegen, dass Entscheidungen über die Zuweisung der elterlichen Sorge - anders als Umgangsregelungen und Herausgabeanordnungen - keinen vollstreckungsfähigen Inhalt haben (Rauscher/Rauscher, Europäisches Zivilprozessrecht, Art. 21 Brüssel II-VO Rz. 4; Schlosser, EU-Zivilprozessrecht, 2. Aufl., Vorbem. vor Art. 21 EuEheVO; Geimer/Schütze, Europäisches Zivilverfahrensrecht, 2. Aufl., Art. 21 VO (EG) Nr. 1347/2000 Rz. 2; Gottwald in MünchKomm/ZPO, 2. Aufl., Art. 21 EheGVO Rz. 2; Zöller/Geimer, ZPO, 25. Aufl., Art. 28 EG-VO Ehesachen Rz. 1; Krefft, Vollstreckung und Abänderung ausländischer Entscheidungen der freiwilligen Gerichtsbarkeit, S. 111). Das Begehren des Antragstellers, der vom italienischen Gericht zu seinen Gunsten vorgenommenen Verteilung der elterlichen Sorge auf der Grundlage der Brüssel II-VO in Deutschland Geltung zu verschaffen, konnte nur im Wege eines fakultativen Anerkennungsverfahrens (Art. 14 Abs. 3 Brüssel II-VO) verfolgt werden.
Es kommt darauf im einzelnen aber nicht an, weil die Ausführungen des OLG zur internationalen Unzuständigkeit des Tribunale di Novara für den Erlass der streitgegenständlichen Sorgerechtsentscheidung am 22.7.2002 im Ergebnis rechtlicher Nachprüfung standhalten.
2. Im Ausgangspunkt hat das OLG zutreffend erkannt, dass die Brüssel II-VO auf den vorliegenden Sachverhalt nicht unmittelbar anzuwenden ist. Gemäß Art. 42 Abs. 1, 46 Brüssel II-VO gilt die Verordnung nur für solche gerichtlichen Verfahren, die nach dem In-Kraft-Treten der Verordnung am 1.3.2001 eingeleitet worden sind; dies ist hier in Ansehung des bereits im Jahre 1999 bei dem Tribunale di Novara anhängig gewordenen Trennungsverfahrens der Parteien nicht der Fall. Diese Beurteilung wird von der Rechtsbeschwerde auch nicht angegriffen.
Gemäß Art. 42 Abs. 2 Brüssel II-VO werden Entscheidungen, die nach In-Kraft-Treten der Verordnung in einem vor diesem In-Kraft-Treten eingeleiteten Verfahren ergangen sind, nach Maßgabe des Kapitels III (Art. 13 ff. Brüssel II-VO) anerkannt und vollstreckt, sofern das Gericht auf Grund von Vorschriften zuständig war, die mit den Zuständigkeitsvorschriften des Kapitels II (Art. 2 ff. Brüssel II-VO) oder eines Abkommens übereinstimmen, das zum Zeitpunkt der Einleitung des Verfahrens zwischen dem Ursprungsmitgliedstaat und dem ersuchten Mitgliedstaat in Kraft war. Entsprechende Übergangsvorschriften finden sich in Art. 54 Abs. 2 des Brüsseler Übereinkommens über die gerichtliche Zuständigkeit und die Vollstreckung gerichtlicher Entscheidungen in Zivil- und Handelssachen v. 27.9.1968 (BGBl. 1972 II, 773 - im Folgenden: EuGVÜ) und Art. 66 Abs. 2 lit. b der Verordnung (EG) Nr. 44/2001 des Rates v. 22.12.2000 über die gerichtliche Zuständigkeit und die Anerkennung und Vollstreckung von Entscheidungen in Zivil- und Handelssachen (ABl. EG 2001, Nr. L 12, 1 - im Folgenden: Brüssel I-VO). Durch die Formulierung "mit den Zuständigkeitsvorschriften des Kapitels II ... übereinstimmen" sollte klargestellt werden, dass in den Übergangsfällen das Gericht des ersuchten Staates - abweichend vom grundsätzlichen Nachprüfungsverbot der Art. 17, 24 Abs. 2 Brüssel II-VO - ausnahmsweise die internationale Zuständigkeit des Ursprungsstaates festzustellen hat, weil diese im Erkenntnisverfahren mangels unmittelbarer Geltung der Verordnung nicht auf Betreiben des Antragsgegners hatte geprüft werden können (Borrás, Erläuternder Bericht zu dem Übereinkommen auf Grund von Art. K. 3 des Vertrags über die Europäische Union über die Zuständigkeit und die Anerkennung und Vollstreckung von Entscheidungen in Ehesachen, ABl. EG 1998 Nr. C 221, 27, Nr. 111; Albers in Baumbach/Lauterbach/Albers/Hartmann, ZPO, 63. Aufl., Anh. I zu § 606a, Art. 42 EheGVVO Rz. 4; Thomas/Putzo/Hüßtege, ZPO, 26. Aufl., Art. 42 EheVO Rz. 4). Die mit Art. 42 Abs. 2 Brüssel II-VO verbundene Erweiterung des intertemporalen Geltungsbereiches der Verordnung soll die Anerkennung und Vollstreckung von Entscheidungen der Ehegerichte bereits in Übergangsfällen erleichtern. Die Entscheidung des Ursprungsstaates kann bereits dann anerkannt und zur Vollstreckung zugelassen werden, wenn das Gericht des ersuchten Staates auf Grund eigener Prüfung zu der Ansicht gelangt, dass die internationale Zuständigkeit des Gerichtes im Ursprungsstaat bei Verfahrenseinleitung auch nach der Brüssel II-VO gegeben gewesen wäre oder nach einem damals zwischen den Vertragsstaaten geltenden völkerrechtlichen Abkommen gegeben war (Spellenberg, Der Anwendungsbereich der EheGVO ["Brüssel II"] in Statussachen, FS Schumann, S. 423, 429; vgl. weiterhin zu Art. 54 EuGVÜ OLG Frankfurt RIW/AWD 1976, 107; OLG Zweibrücken IPRspr. 2001, Nr. 186; Gottwald in MünchKomm/ZPO, 2. Aufl., Art. 54 EuGVÜ Rz. 5; Geimer, NJW 1975, 1086 f.; zu Art. 66 Brüssel I-VO: Geimer/Schütze, Europäisches Zivilverfahrensrecht, 2. Aufl., Art. 66 EuGVVO Rz. 4; Kropholler, Europäisches Zivilprozessrecht, 7. Aufl., Art. 66 EuGVO Rz. 6; Rauscher/A. Staudinger, Europäisches Zivilprozessrecht, Art. 66 Brüssel I-VO Rz. 12); auf das autonome Verfahrensrecht des Ursprungsstaates kommt es dagegen nicht an (Geimer, NJW 1975, 1086 f. [1087], zu Art. 54 EuGVÜ). Deshalb könnte in den Fällen, in denen das Gericht im ersuchten Staat eine hypothetische Verordnungszuständigkeit oder eine Abkommenszuständigkeit des Ursprungsgerichtes feststellt, dessen nach In-Kraft-Treten der Brüssel II-VO ergangene Entscheidung selbst dann anerkannt und vollstreckt werden, wenn das Ursprungsgericht im Erkenntnisverfahren das nationale Verfahrensrecht falsch angewendet und sich zu Unrecht für international zuständig gehalten hätte (Spellenberg, Der Anwendungsbereich der EheGVO ["Brüssel II"] in Statussachen, FS Schumann, S. 423, 429). Gleiches gilt, wenn das Ursprungsgericht - wie das OLG im vorliegenden Fall meint - seine Zuständigkeit auf exorbitante und der Brüssel II-VO fremde Anknüpfungspunkte seines autonomen Rechtes gestützt hätte. Im Übrigen hat das OLG insoweit möglicherweise übersehen, dass auch das italienische Gesetz Nr. 218v. 31.5.1995 grundsätzlich auf den gewöhnlichen Aufenthalt der Kinder abstellt und die Staatsangehörigkeit in Art. 37 nur zur Begründung einer zusätzlichen internationalen Zuständigkeit heranzieht (Coester-Waltjen, NJW 2004, 280 ff. [281] und Fn. 10).
Umgekehrt ist den Gerichten des ersuchten Staates die eigene Prüfung der internationalen Zuständigkeit des Gerichtes des Ursprungsstaates aber nicht schon dann verwehrt, wenn dessen Ansicht, international zuständig zu sein, mit den autonomen Regelungen seines Rechts übereinstimmt.
3. Soweit auf völkerrechtliche Abkommen abzustellen ist, deren Vertragsstaaten Deutschland und Italien sind, können Fragen der internationalen Zuständigkeit für Sorgerechtsentscheidungen nur nach dem MSA beurteilt werden, da das ESÜ und das Haager Übereinkommen v. 25.10.1980 über die zivilrechtlichen Aspekte internationaler Kindesentführung (BGBl. 1990 II, 206 - im Folgenden: HKÜ) keine eigenen Regelungen zur internationalen Zuständigkeit enthalten (Schulz, FamRZ 2003, 336 [339, 340]) und das als Nachfolgeabkommen zum MSA konzipierte Haager Übereinkommen v. 19.10.1996 über die Zuständigkeit, das anzuwendende Recht, die Anerkennung, Vollstreckung und Zusammenarbeit bezüglich der elterlichen Verantwortung und Maßnahmen zum Schutz von Kindern (abgedruckt bei Jayme/Hausmann, Internationales Privatrecht, 12. Aufl., Nr. 55 - im Folgenden: KSÜ) im Juni 1999 weder in Deutschland noch in Italien in Kraft war (und es auch jetzt noch nicht ist).
a) Art. 1 MSA begründet für Schutzmaßnahmen zugunsten eines Minderjährigen eine ausschließliche gerichtliche Zuständigkeit des Staates, in dem der Minderjährige seinen gewöhnlichen Aufenthalt hat; die Regelung der elterliche Sorge für das Kind der Parteien gehört zu den Schutzmaßnahmen im Sinne dieser Vorschrift (BGH, Beschl. v. 11.4.1984 - IVb ZB 96/82, MDR 1984, 1013 = FamRZ 1984, 686 [687]). Das OLG geht davon aus, dass die seit Mai 1999 in Deutschland befindlichen Kinder infolge ihrer sozialen Integration jedenfalls im Jahre 2002 ihren gewöhnlichen Aufenthalt in Deutschland hatten. Zwar ist mangels entgegenstehender Feststellungen des OLG in tatsächlicher Hinsicht für das Rechtsbeschwerdeverfahren davon auszugehen, dass der Antragsteller am 10.5.1999 nicht damit einverstanden war, dass die Antragsgegnerin mit den beiden Kindern dauerhaft nach Deutschland übersiedelte. Entgegen der Auffassung der Rechtsbeschwerde ist die Rechtmäßigkeit des Aufenthaltes aber keine notwendige Voraussetzung für einen gewöhnlichen Aufenthalt i.S.d. Art. 1 MSA. Bei der Begründung des gewöhnlichen Aufenthaltes handelt es sich um einen rein faktisch geprägten Vorgang, der bei langer Verweildauer des Kindes und bei vollständiger Eingliederung in seine soziale Umwelt auch gegen den Willen des in seinem Sorgerecht verletzten Elternteils vollzogen werden kann (BGH, Beschl. v. 29.10.1980 - IVb ZB 586/80, BGHZ 78, 293 [296 ff.] = FamRZ 1981, 135 ff.; Beschl. v. 5.6.2002 - XII ZB 74/00, BGHZ 151, 63 [65] = BGHReport 2002, 779 = MDR 2002, 1250 = FamRZ 2002, 1182 [1183]; BVerfG v. 29.10.1998 - 2 BvR 1206/98, BVerfGE 99, 145 [159] = MDR 1999, 99 = FamRZ 1999, 85 [88]). Dabei rechtfertigt die vom Tatrichter herangezogene Lebenserfahrung die Annahme, dass ein kleineres Kind auch in Entführungsfällen jedenfalls nach einem Aufenthalt von fünfzehn Monaten an einem neuen Ort so fest integriert ist, dass es dort seinen neuen Daseinsmittelpunkt gefunden hat (BGH, Beschl. v. 29.10.1980 - IVb ZB 586/80, BGHZ 78, 293 [301] = FamRZ 1981, 135 ff.). Vor diesem Hintergrund lässt die tatrichterliche Beurteilung durch das OLG keine Rechtsfehler erkennen, zumal die bei ihrer Ankunft in Deutschland noch sehr jungen Kinder im Jahre 2002 schon einen großen Teil ihres Lebens im deutschen Sprachraum verbracht hatten und von der Antragsgegnerin durchgehend an ihrem neuen Wohnort in Deutschland betreut und versorgt worden sind.
Entgegen der Auffassung der Rechtsbeschwerde lässt sich aus dem Grundsatz der perpetuatio fori eine fortdauernde internationale Zuständigkeit nach Art. 1 MSA für die Behörden des früheren Aufenthaltsortes der Kinder in Italien nicht herleiten. Der Senat hat bereits entschieden, dass im Hinblick auf das Zusammenspiel von Art. 1 und Art. 5 MSA für eine perpetuatio fori im Rahmen des MSA kein Raum ist, weil mit der Begründung eines neuen gewöhnlichen Aufenthaltes die Zuständigkeit der Behörden am früheren Aufenthaltsort des Minderjährigen zwangsläufig erlischt (BGH, Beschl. v. 5.6.2002 - XII ZB 74/00, BGHZ 151, 63 [68] = BGHReport 2002, 779 = MDR 2002, 1250 = FamRZ 2002, 1182 [1184], mit zust. Anm. Henrich). Das Tribunale di Novara konnte daher am 22.7.2002 aus Art. 1 MSA keine internationale Zuständigkeit mehr dafür herleiten, dem Antragsteller die elterliche Sorge für die beiden Kinder zu übertragen.
b) Eine solche Zuständigkeit ergibt sich auch nicht aus Art. 4 MSA. Unabhängig davon, dass es dafür einer vorherigen Verständigung der Behörden im Aufenthaltsstaat bedurft hätte, begründet Art. 4 MSA eine konkurrierende internationale Zuständigkeit der Behörden und Gerichte des Heimatstaates - der bei Doppelstaatlern nicht der Staat der effektiven Staatsangehörigkeit sein muss (BGH, Beschl. v. 18.6.1997 - XII ZB 156/95, MDR 1997, 943 = FamRZ 1997, 1070 f.) - für Schutzmaßnahmen i.S.d. Art. 1 MSA nur dann, wenn sie ein Einschreiten zum Wohle des Minderjährigen für erforderlich halten. Dies erfordert die formale Prüfung, ob die Heimatbehörde ihr Einschreiten überhaupt als Notmaßnahme unter den besonderen materiellen Voraussetzungen des Art. 4 MSA begreifen wollte (OLG Hamm IPRspr. 1987 Nr. 78, mit Anm. Henrich IPrax 1988, 39 f.; Hüßtegem, IPRax 1996, 104 [106 f.]). Aus den Gründen des Urteils v. 22.7.2002 ergibt sich jedoch kein Anhaltspunkt dafür, dass das italienische Gericht von einem besonderen Eintrittsrecht nach Art. 4 MSA Gebrauch machen wollte, sondern es ist vielmehr davon auszugehen, dass das Tribunale di Novara seine fortdauernde internationale Zuständigkeit für Sorgerechtsentscheidungen aus der Rechtsansicht herleitete, dass im Falle des widerrechtlichen Verbringens oder Zurückhaltens eines Minderjährigen eine auf dem MSA beruhende internationale Zuständigkeit der Behörden im Zufluchtsstaat für Schutzmaßnahmen von vornherein nicht begründet werden könne und deshalb die Zuständigkeit der Heimatbehörden durch den Aufenthaltswechsel unberührt bleibe.
4. Auch bei hypothetischer Anwendung der - inzwischen durch Art. 71 Abs. 1 der Verordnung (EG) Nr. 2201/2003 des Rates v. 27.11.2003 über die Zuständigkeit und die Anerkennung und Vollstreckung von Entscheidungen in Ehesachen und in Verfahren betreffend die elterliche Verantwortung und zur Aufhebung der Verordnung (EG) Nr. 1347/2000 (ABl. EG 2003 Nr. L 338, 19 - im Folgenden: Brüssel IIa-VO) zum 1.3.2005 aufgehobenen - Brüssel II-VO ließe sich eine internationale Zuständigkeit des Tribunale di Novara für die am 22.7.2002 ergangene Sorgerechtsentscheidung nicht herleiten.
a) Gemäß Art. 3 Abs. 1 Brüssel II-VO sind die Gerichte eines Mitgliedstaats, in dem eine Ehesache i.S.d. Art. 2 Brüssel II-VO zu entscheiden ist, für Entscheidungen, welche die elterliche Verantwortung für ein gemeinsames Kind der beiden Ehegatten betreffen, nur dann international zuständig, wenn dieses Kind seinen gewöhnlichen Aufenthalt in diesem Mitgliedstaat hat. Entscheidungen der elterlichen Verantwortung sind jedenfalls solche, welche die Zuweisung der elterlichen Sorge zum Gegenstand haben (Vogel, MDR 2000, 1045 [1047]).
Die Frage, ob für eine aus Art. 3 Abs. 1 Brüssel II-VO hergeleitete Zuständigkeit der Ehegerichte bei einem Aufenthaltswechsel des Kindes der perpetuatio-Grundsatz gilt, beurteilt sich in den Fällen der Kindesentführung nach Art. 4 Brüssel II-VO, wonach die nach Maßgabe von Art. 3 Brüssel II-VO zuständigen Gerichte ihre Zuständigkeit im Einklang mit den Bestimmungen des HKÜ, insb. dessen Art. 3 und 16, auszuüben haben. Bei Art. 4 Brüssel II-VO handelt es sich um eine besondere Zuständigkeitsvorschrift, die aber keinen neuen Gerichtsstand für Entscheidungen der elterlichen Verantwortung eröffnet, sondern die Zuständigkeiten nach Art. 3 Brüssel II-VO in Entführungsfällen in einer Weise überlagert, dass ein Widerspruch zu den vorrangigen Zielsetzungen des HKÜ ausgeschlossen ist.
Nach Art. 16 HKÜ dürfen die Behörden des Zufluchtsstaates nach der Mitteilung über die widerrechtliche Verbringung oder Zurückhaltung des Kindes i.S.v. Art. 3 HKÜ eine Sachentscheidung über das Sorgerecht erst dann treffen, wenn entschieden ist, dass das Kind aufgrund des HKÜ nicht zurückzugeben oder wenn innerhalb angemessener Frist ein Antrag auf Rückführung nach dem HKÜ nicht gestellt worden ist (BGH, Beschl. v. 16.8.2000 - XII ZB 210/99, BGHZ 145, 97 ff. = MDR 2000, 1433 = FamRZ 2000, 1502 ff.). Hieraus folgt für die internationale Zuständigkeit der Ehegerichte zum einen, dass die nach Art. 3 Abs. 1 Brüssel II-VO zuständigen Gerichte ihre Zuständigkeit nicht ausüben und keine in die elterliche Verantwortung eingreifenden Maßnahmen treffen dürfen, wenn sie davon Mitteilung erhalten, dass sich das Kind nur infolge eines widerrechtlichen Verbringens oder Zurückhaltens im Forumstaat aufhält (Borrás-Bericht Nr. 41; Hau, FamRZ 2000, 1333 [1338]; Sumampouw, Parental Responsibility under Brussels II in Liber Amicorum Kurt Siehr 2000, 729 [741]). Zum anderen soll durch den Verweis auf Art. 16 HKÜ im umgekehrten Fall gewährleistet sein, dass der frühere und rechtmäßige Aufenthalt des Kindes im Ursprungsstaat auch dann als Anknüpfungspunkt für die Zuständigkeit des dortigen Ehegerichtes dienen kann, wenn in Folge des widerrechtlichen Verbringens oder Zurückhaltens eine Änderung des Aufenthaltsortes eingetreten ist (Erwägungsgrund Nr. 13 zur Brüssel II-VO; Borrás-Bericht Nr. 41; Hau, FamRZ 2000, 1333 [1338]; Sumampouw, Parental Responsibility under Brussels II, in Liber Amicorum Kurt Siehr 2000, S. 735 f., [741]). Aus dieser Erwägung lässt sich aber gerade im Lichte des HKÜ nicht ableiten, dass in Entführungsfällen die internationale Zuständigkeit ausschließlich an den früheren und rechtmäßigen Aufenthalt des Kindes angeknüpft werden könnte. Auch der widerrechtlich begründete gewöhnliche Aufenthalt wird vom HKÜ in bestimmten Fällen hingenommen, und zwar insb. dann, wenn innerhalb der Jahresfrist des Art. 12 Abs. 1 HKÜ kein Antrag auf Rückführung des Kindes nach dem HKÜ gestellt worden ist, weil dann eine Rückführung unterbleibt, wenn sich das Kind erweislich in seine neue Umgebung eingelebt hat (Art. 12 Abs. 2 HKÜ). Auch bei einem innerhalb der Jahresfrist gestellten Antrag findet eine Rückführung nicht statt, wenn diese von den Behörden des Zufluchtsstaates ausnahmsweise nach Art. 13 HKÜ verweigert werden kann. Würde auch in solchen Fällen die fortdauernde Annexzuständigkeit des Ehegerichtes im Ursprungsstaat eine aus staatsvertraglichen Zuständigkeitsvorschriften oder aus dem autonomen Recht des Zufluchtsstaates hergeleitete Restzuständigkeit (Art. 8 Abs. 1 Brüssel II-VO) der dortigen Behörden für Sorgerechtsentscheidungen ausschließen, liefe der Wegfall der Entscheidungssperre nach Art. 16 HKÜ ins Leere. Schon vor diesem Hintergrund liegt es nahe, in Entführungsfällen die aus Art. 3 Brüssel II-VO hergeleitete Zuständigkeit der Ehegerichte bei einem Aufenthaltswechsel in einen anderen Mitgliedstaat allenfalls so lange fortdauern zu lassen, wie die Entscheidungssperre des Art. 16 HKÜ für Sorgerechtsentscheidungen im Zufluchtsstaat anhält (Geimer/Schütze, Europäisches Zivilverfahrensrecht, 2. Aufl., Art. 4 VO (EG) Nr. 1347/2000 Rz. 7 f.; Gruber, Rpfleger 2002, 545 [547]; Coester-Waltjen, NJW 2004, 280 ff. [281]).
Dass die internationale Zuständigkeit der Ehegerichte im Ursprungsstaat nicht länger andauern kann, findet seine Bestätigung auch im Auslegungsrückgriff auf die Zuständigkeitsvorschriften des für Deutschland und Italien allerdings noch nicht in Kraft getretenen KSÜ. Anders als die Brüssel II-VO enthält das KSÜ - ebenso wie die am 1.3.2005 in Kraft getretene Brüssel IIa-VO - ausdrückliche Abgrenzungsregeln für die internationale Zuständigkeit in den Fällen, in denen das Kind i.S.d. Art. 3 HKÜ widerrechtlich in einen anderen Vertragsstaat verbracht oder dort zurückgehalten wird. Nach Art. 7 Abs. 1 lit. b KSÜ (vgl. nunmehr auch die entsprechende Regelung in Art. 10 lit. b (1) Brüssel IIa-VO) endet die Zuständigkeit der Behörden im Ursprungsstaat, wenn sich das Kind im Zufluchtsstaat mindestens ein Jahr aufgehalten hat, nachdem der Sorgeberechtigte diesen Aufenthaltsort kannte oder hätte kennen müssen, während dieses Zeitraums kein Rückgabeantrag gestellt worden ist und das Kind sich in seinem neuen Umfeld eingelebt hat; durch diese an Art. 12 Abs. 1 HKÜ angelehnte Regelung soll die Harmonisierung der Zuständigkeitsvorschriften mit Art. 16 HKÜ hergestellt werden (Lagarde, Erläuternder Bericht zum KSÜ, Nr. 46 f., 49b, in Conférence de la Haye de droit international privé, Actes et documents de la Dix-huitième session, Tome II - 1998 - S. 534 ff.; Kropholler, Das Haager Kinderschutzübereinkommen von 1996, Liber Amicorum Kurt Siehr 2000, S. 379 [384]; Schulz, FamRZ 2003, 336 [345]; vgl. zu Art. 10 Brüssel IIa-VO auch Solomon, FamRZ 2004, 1409 [1417]). Für die Abgrenzung der internationalen Zuständigkeiten nach der Brüssel II-VO können keine anderen Maßstäbe gelten. Zwar kannte der EU-Verordnungsgeber Art. 7 Abs. 1 KSÜ, ohne dass eine entsprechende Regelung ausdrücklich in die Brüssel II-VO übernommen worden wäre. Das schließt jedoch nicht aus, entsprechende Abgrenzungsregeln unmittelbar aus Art. 4 Brüssel II-VO und der darin enthaltenen Verweisung auf Art. 16 HKÜ herzuleiten, wenn dadurch den vom HKÜ akzeptierten Zuständigkeiten und Befugnissen der Behörden im Zufluchtsstaat Geltung verschafft werden kann.
Nach diesen Maßstäben konnte eine bei Einleitung des Trennungsverfahrens nach Art. 3 Abs. 1 Brüssel II-VO begründete Annexzuständigkeit des Tribunale di Novara für Entscheidungen der elterlichen Verantwortung jedenfalls nicht mehr bis zum Jahre 2002 fortdauern, da der Antragsteller innerhalb der Jahresfrist keinen Rückführungsantrag nach dem HKÜ gestellt hat und die mittlerweile vollzogene Integration der Kinder in ihr soziales Umfeld in Deutschland vom OLG zu Recht nicht mehr in Zweifel gezogen worden ist.
b) Gemäß Art. 3 Abs. 2 Brüssel II-VO sind die Gerichte im Forumstaat der Ehesache auch dann für Entscheidungen der elterlichen Verantwortung international zuständig, wenn das Kind seinen gewöhnlichen Aufenthalt in einem anderen Mitgliedstaat hat, zumindest einer der Ehegatten die elterliche Verantwortung für das Kind besitzt, die Zuständigkeit der betreffenden Gerichte von den Ehegatten anerkannt worden ist und im Einklang mit dem Wohl des Kindes steht.
Im Ausgangspunkt setzt die Begründung der Annexzuständigkeit nach Art. 3 Abs. 2 Brüssel II-VO keine ausdrückliche Zuständigkeitsvereinbarung der Ehegatten voraus, so dass ein Anerkenntnis der Zuständigkeit auch aus einem konkludenten Verhalten der Ehegatten geschlossen werden kann (Albers in Baumbach/Lauterbach/Albers/Hartmann, ZPO, 63. Aufl., Art. 3 EheGVVO Rz. 7, m.w.N.). Auf die - für das europäische Zivilprozessrecht aus Art. 24 S. 1 Brüssel I-VO herzuleitenden - Grundsätze der rügelosen Einlassung kann allerdings in dem Verfahren über Entscheidungen zur elterlichen Verantwortung nicht ohne weiteres zurückgegriffen werden; entscheidend ist vielmehr, wie das gesamte Verhalten der Eltern im Verfahren nach Treu und Glauben zu würdigen ist (Rauscher/Rauscher, Europäisches Zivilprozessrecht, Art. 3 Brüssel II-VO Rz. 17). Dabei scheidet ein stillschweigendes Anerkenntnis der internationalen Zuständigkeit des Ehegerichtes für Entscheidungen der elterlichen Verantwortung durch einen Elternteil in der Regel aus, wenn von diesem vor oder nach Einleitung der Ehesache im Aufenthaltsstaat des Kindes ein isoliertes Sorgerechtsverfahren anhängig gemacht worden ist (wie hier Rauscher/Rauscher, Europäisches Zivilprozessrecht, Art. 3 Brüssel II-VO Rz. 18; Puszkajler, IPrax 2001, 81 [83]). Gerade die in Art. 3 Abs. 2 lit. b Brüssel II-VO als materielles Kriterium besonders verankerten Grundsätze des Kindeswohls gebieten Zurückhaltung bei der Annahme, dass ein Ehegatte allein durch das Unterlassen einer formellen Zuständigkeitsrüge stillschweigend die internationale Zuständigkeit der Gerichte im Forumstaat der Ehesache anerkennt, obwohl er parallel zum Eheverfahren die sachnäheren Behörden und Gerichte im Aufenthaltsstaat anruft, die im allgemeinen besser ermitteln und beurteilen können, in welchen Verhältnissen das Kind lebt und welche Maßnahmen zu seinem Wohl erforderlich sind.
Die nach diesen Maßstäben erforderliche Gesamtwürdigung des Verhaltens der Antragsgegnerin hat das OLG vorgenommen und aus dem Umstand, dass die Antragsgegnerin im Anschluss an ihre Übersiedlung nach Deutschland zunächst am 21.7.1999 und danach am 17.8.2000 bei dem AG Erlangen eigene Sorgerechtsanträge angebracht hat, in rechtlich unbedenklicher Weise geschlossen, dass ein stillschweigendes Anerkenntnis der internationalen Zuständigkeit des Tribunale di Novara für Entscheidungen der elterlichen Verantwortung am 6.4.2000 nicht vorgelegen habe.
IV.
Der angefochtene Beschluss des OLG kann dagegen keinen Bestand haben, soweit in Abänderung der erstinstanzlichen Entscheidung auch der Antrag des Antragstellers auf Vollstreckbarerklärung der Kostenentscheidung aus dem Urteil des Tribunale di Novara v. 22.7.2002 insgesamt zurückgewiesen worden ist.
Zwar erstreckt sich die Verpflichtung zur Vollstreckbarerklärung nach dem Wortlaut des Art. 21 Abs. 1 Brüssel II-VO nur auf - vollstreckbare - Entscheidungen zur elterlichen Sorge. Darauf ist der Anwendungsbereich der Vorschrift aber nicht beschränkt. Nach Art. 13 Abs. 2 Brüssel II-VO werden ausdrücklich Entscheidungen über die Kostenfestsetzung in das Anerkennungs- und Vollstreckungssystem nach dem Kapitel III der Brüssel II-VO einbezogen. Es entspricht daher allgemeiner Ansicht, dass alle Entscheidungen zur Kostenfestsetzung nach den Art. 21 ff. Brüssel II-VO vollstreckbar sind, wenn sie in einem vom Anwendungsbereich der Brüssel II-VO erfassten Verfahren ergangen sind (Wagner, IPrax 2001, 73 [79]; Rauscher/Rauscher, Europäisches Zivilprozessrecht, Art. 13 Brüssel II-VO Rz. 15; Gottwald in MünchKomm/ZPO, 2. Aufl., Art. 21 EheGVO Rz. 4; Albers in Baumbach/Lauterbach/Albers/Hartmann, ZPO, 63. Aufl., Art. 21 EheGVVO Rz. 3). Kommt danach eine Vollstreckbarerklärung der Kostenfestsetzung aus dem Urteil des Tribunale di Novara v. 22.7.2002 grundsätzlich in Betracht, konnte das OLG diese nicht mit der Begründung verweigern, dass das Tribunale di Novara für die Sorgerechtsentscheidung international unzuständig gewesen sei. Denn die Kostenentscheidung aus dem Urteil v. 22.7.2002 ist nicht in einem isolierten Sorgerechtsverfahren, sondern im Verbund der Ehesache ergangen; dass die italienischen Gerichte bei hypothetischer Anwendung der Brüssel II-VO für das Statusverfahren international zuständig gewesen wäre, ergibt sich aus Art. 2 Abs. 1 lit. a, zweiter, fünfter und sechster Spiegelstrich Brüssel II-VO.
Der Senat kann in der Sache nicht selbst entscheiden, da weitere Feststellungen zu den Verfahrenskosten erforderlich sind. Das Tribunale di Novara hat in seinem Urteil v. 22.7.2002 nicht nur über die Trennung der Parteien und die Frage der elterlichen Sorge, sondern im Verbund auch über Folgesachen - Unterhalt, Zuweisung von Ehewohnung und Hausrat - entschieden, die nicht in den Anwendungsbereich der Brüssel II-VO fallen. Das OLG wird danach zu prüfen haben, ob durch diese Folgesachen abtrennbare Kosten verursacht worden sind, weil die Kosten dieser Folgesachen nur dann nach den Vorschriften der Brüssel II-VO für vollstreckbar erklärt werden können, wenn sie von den Kosten des Ehestatusverfahrens praktisch nicht zu trennen sind (Rauscher/Rauscher, Europäisches Zivilprozessrecht, Art. 13 Brüssel II-VO, Rz. 17; ähnlich Schlosser, EU-Zivilprozessrecht, 2. Aufl., Art. 13 EuEheVO Rz. 2). Vergleichbare Grundsätze gelten unter den hier obwaltenden Umständen für die Entscheidung zur elterlichen Sorge, für die das Tribunale di Novara international unzuständig war. Auch insoweit können die entstandenen Kosten, soweit sie von den Kosten des Ehestatusverfahrens und den übrigen Kosten abtrennbar sind, nicht für vollstreckbar erklärt werden. Dabei wird das OLG allerdings zu beachten haben, dass das Tribunale di Novara beim Vorliegen einer Kindesentführung erst im Laufe des Verfahrens international unzuständig geworden wäre und einer Vollstreckbarerklärung hinsichtlich der in der Sorgerechtssache bis zu diesem Zeitpunkt bereits entstandenen Kosten aus dem Gesichtspunkt der Zuständigkeit keine Bedenken entgegenstehen.
Fundstellen
BGHZ 2006, 248 |
NJW 2005, 3424 |
BGHR 2005, 1381 |
FamRZ 2005, 1540 |
AnwBl 2006, 85 |
FPR 2006, 397 |
MDR 2006, 30 |
FamRBint 2005, 73 |
NJW-Spezial 2006, 11 |
ZFE 2005, 378 |
ZKJ 2006, 212 |
ELF 2005, 155 |
EuLF 2005, 234 |
JAmt 2006, 40 |