Leitsatz (amtlich)
Bei bereits aufgegebenen Geschäftsräumen kann eine Ersatzzustellung durch Einlegung in den Briefkasten nicht erfolgen.
Normenkette
ZPO § 180
Verfahrensgang
Tenor
Auf die Rechtsbeschwerde des Beklagten werden der Beschluss des 6. Zivilsenats des OLG Oldenburg vom 27.8.2008 und der Beschluss der 12. Zivilkammer des LG Osnabrück vom 24.6.2008 aufgehoben.
Die Sache wird zur erneuten Entscheidung - auch über die Kosten der Beschwerdeverfahren - an das LG Osnabrück zurückverwiesen.
Gründe
I.
[1] Der Beklagte begehrt die Fortsetzung eines gegen ihn gerichteten Schadensersatzprozesses wegen behaupteter Verletzung seiner Pflichten aus einem Steuerberatervertrag. Gegen ihn erging Vollstreckungsbescheid. Er macht geltend, dieser sei nicht wirksam zugestellt worden, hilfsweise beantragt er Wiedereinsetzung in die versäumte Einspruchsfrist.
[2] Der Beklagte betrieb sein Büro in einem mit der Hausnummer 5 gekennzeichneten Anbau des Wohnhauses mit der Hausnummer 3, in dem er mit seiner Ehefrau lebt. Die Büroräume hatte er bis zur Aufgabe seiner Tätigkeit am 31.10.2007 von seiner Ehefrau gemietet. Nach Einstellung der Berufstätigkeit entfernte der Beklagte sein Kanzleischild sowie die Namensschilder von Klingel und Briefkasten (Briefschlitz in der Eingangstür). Dem für das Gebiet zuständigen Briefträger teilte er mit, dass er sein Büro geschlossen habe und dass für ihn bestimmte Post in den Briefkasten der Hausnummer 3 eingeworfen werden möge. Die ehemaligen Büroräume blieben in der Folge unbenutzt.
[3] Der Kläger erwirkte zunächst den Erlass eines Mahnbescheides gegen den Beklagten, der am 9.1.2008 in den Briefkasten des Anbaus mit der Hausnummer 5 eingelegt wurde. Am 5.2.2008 erging ein Vollstreckungsbescheid, der laut Aktenausdruck am 7.2.2008 in Hausnummer 5 zugestellt wurde. Auf der Zustellungsurkunde ist vermerkt: "Weil die Übergabe des Schriftstückes in der Wohnung/in dem Geschäftsraum nicht möglich war, habe ich das Schriftstück in den zur Wohnung gehörenden Briefkasten oder in eine ähnliche Vorrichtung eingelegt."
[4] Am 9.6.2008 ging der mit einem Wiedereinsetzungsantrag verbundene Einspruch des Beklagten beim AG - Mahnabteilung - ein. Das LG hat den Wiedereinsetzungsantrag mit Beschluss vom 24.6.2008 zurückgewiesen. Die sofortige Beschwerde, mit der der Beklagte in erster Linie geltend machte, eine wirksame Zustellung des Vollstreckungsbescheides sei nicht erfolgt, hatte keinen Erfolg.
[5] Mit der vom Beschwerdegericht zugelassenen Rechtsbeschwerde verfolgt der Beklagte sein Anliegen weiter.
II.
[6] Das Rechtsmittel ist zulässig und begründet.
[7] 1. Die Rechtsbeschwerde ist gem. § 574 Abs. 1 Satz 1 Nr. 2 ZPO statthaft, weil sie das Beschwerdegericht zugelassen hat.
[8] Nach der seit 1.1.2002 geltenden Fassung des § 341 Abs. 2 ZPO hätte das LG über den Einspruch und die beantragte Wiedereinsetzung in die womöglich versäumte Einspruchsfrist allerdings durch Urteil entscheiden müssen, auch wenn es über die beantragte Wiedereinsetzung isoliert vorab und nicht zusammen mit der Entscheidung über den Einspruch entschieden hat (BGH, Versäumnisurteil v. 19.7.2007 - I ZR 136/05, NJW-RR 2008, 218 f Rz. 14 ff.). Hätte das LG über das Wiedereinsetzungsgesuch richtigerweise durch Urteil erkannt, hätte der Beklagte das die Wiedereinsetzung versagende Urteil mit der Berufung und das die Berufung zurückweisende Urteil ggf. mit der Revision anfechten können (BGH, a.a.O., Rz. 18).
[9] Der Umstand, dass das LG verfahrensfehlerhaft durch Beschluss entschieden hat, kann sich allerdings nicht zum Nachteil des Beklagten auswirken (BGH, a.a.O.). Hat das Gericht eine der Form nach unrichtige Entscheidung gewählt, steht den Parteien nach dem Grundsatz der Meistbegünstigung sowohl das Rechtsmittel zu, das nach der Art der ergangenen Entscheidung statthaft ist, als auch das Rechtsmittel, das bei einer in der richtigen Form getroffenen Entscheidung gegeben gewesen wäre (BGH, a.a.O., Rz. 12). Demgemäß konnte der Beklagte auch gem. § 567 Abs. 1 Nr. 2 ZPO sofortige Beschwerde einlegen und das Beschwerdegericht die Rechtsbeschwerde wegen grundsätzlicher Bedeutung gem. § 574 Abs. 1 Satz 1 Nr. 1, Abs. 3 ZPO zulassen, wie es andernfalls aus diesem Grund auch die Revision gem. § 543 Abs. 2 Satz 1 Nr. 1 ZPO hätte zulassen können.
[10] Die Rechtsbeschwerde ist auch im Übrigen zulässig (§ 575 ZPO).
[11] 2. Die Rechtsbeschwerde ist begründet.
[12] a) Der Antrag auf Wiedereinsetzung in die versäumte Einspruchsfrist konnte von Anfang an bei verständiger Würdigung nur so verstanden werden, dass darüber erst und nur dann zu entscheiden ist, wenn nicht festgestellt werden kann, dass der Beklagte die Einspruchsfrist gewahrt hat (BGH, Beschl. v. 27.5.2003 - VI ZB 77/02, NJW 2003, 2460; v. 16.1.2007 - VIII ZB 75/06, NJW 2007, 1457, 1458 Rz. 12; v. 11.10.2007 - VII ZB 31/07, WuM 2007, 712 Rz. 9). Dies hatten das LG und das Beschwerdegericht von Amts wegen zu prüfen (BGH, Beschl. v. 11.10.2007, a.a.O., Rz. 8).
[13] b) Der Beklagte hat die Einspruchsfrist gewahrt. Da eine wirksame Zustellung des Vollstreckungsbescheides nicht erfolgt ist, hätte die Einspruchsfrist gem. §§ 339, 700 ZPO frühestens mit einer möglichen Heilung des Zustellungsmangels gem. § 189 ZPO zu laufen beginnen können. Eine solche kommt erst mit der Kenntnisnahme des Beklagten von dem Vollstreckungsbescheid am 1.6.2008 in Betracht, an dem er nach seinem Vorbringen die Postsendung tatsächlich auffand. Deshalb war der am 9.6.2008 eingelegte Einspruch jedenfalls rechtzeitig.
[14] Eine wirksame Ersatzzustellung gem. § 180 ZPO liegt entgegen der Ansicht der Vorinstanzen nicht vor. Diese setzt bei Geschäftsräumen voraus, dass eine Zustellung nach § 178 Abs. 1 Nr. 2 ZPO nicht ausführbar war. Dann kann ein Schriftstück in einen zu dem Geschäftsraum gehörenden Briefkasten oder in eine ähnliche Vorrichtung eingelegt werden. Mit der Einlegung gilt das Schriftstück dann als zugestellt, § 180 Sätze 1 und 2 ZPO. Ein Geschäftsraum in diesem Sinne lag jedoch bei der Zustellung nicht vor.
[15] aa) Zutreffend geht das Beschwerdegericht davon aus, dass die Ersatzzustellung nach § 180 Satz 1 ZPO voraussetzt, dass die Räume von dem Adressaten tatsächlich als Geschäftsraum genutzt werden (BGH, Urt. v. 19.3.1998 - VII ZR 172/97, ZIP 1998, 862, 863; v. 2.7.2008 - IV ZB 5/08, ZIP 2008, 1747, 1748; für die vergleichbare Rechtslage bei der Wohnung vgl. etwa BGH, Urt. v. 14.9.2004 - XI ZR 248/03, NJW-RR 2005, 415).
[16] Ein Geschäftslokal ist vorhanden, wenn ein dafür bestimmter Raum - und sei er auch nur zeitweilig besetzt - geschäftlicher Tätigkeit dient und der Empfänger dort erreichbar ist (BGH, Urt. v. 19.3.1998, a.a.O.; Beschl. v. 2.7.2008 - IV ZB 5/08, ZIP 2008, 1747, 1748 Rz. 7; für die vergleichbare Rechtslage bei der Wohnung vgl. z.B. BGH, Urt. v. 14.9.2004, a.a.O.).
[17] bb) Ebenfalls noch zutreffend hat das Beschwerdegericht gesehen, dass ein solcher Geschäftsraum nicht mehr vorliegt, wenn der vormalige Inhaber die Räumlichkeiten nicht mehr für seine Geschäftszwecke nutzt und Aufgabewille und Aufgabeakt erkennbar sind. Wann diese Voraussetzungen vorliegen, ist bislang allerdings bei Geschäftsräumen höchstrichterlich nicht geklärt.
[18] cc) Bei der Frage, ob eine Wohnung mit der Folge aufgegeben worden ist, dass dort eine Zustellung nicht mehr vorgenommen werden kann, ist nach der ständigen Rechtsprechung des BGH nicht allein auf die bloße Absicht des bisherigen Inhabers der Wohnung abzustellen, dort künftig nicht mehr wohnen zu wollen. Dieser Wille muss vielmehr, ähnlich wie bei der Aufhebung des Wohnsitzes nach § 7 Abs. 3 BGB, in seinem gesamten Verhalten zum Ausdruck kommen. Der Wille des Wohnungsinhabers zur Aufgabe der Wohnung muss also nach außen erkennbar und in seinem Verhalten Ausdruck gefunden haben. Zwar setzt die Aufgabe einer Wohnung nicht voraus, dass ihr Inhaber alle Merkmale beseitigt, die den Anschein erwecken könnten, er wohne dort auch weiterhin. Der Aufgabewille muss aber, wenn auch nicht gerade für den Absender eines zuzustellenden Schriftstückes oder die mit der Zustellung betraute Person, so doch jedenfalls für einen mit den Verhältnissen vertrauten Beobachter erkennbar sein. Hierauf kann nicht verzichtet werden, weil sonst Möglichkeiten zur Manipulation eröffnet würden (BGH, Urt. v. 27.10.1987 - VI ZR 268/86, NJW 1988, 713; v. 13.10.1993 - XII ZR 120/92, NJW-RR 1994, 564, 565; Beschl. v. 19.6.1996 - XII ZB 89/96, NJW 1996, 2581; v. 14.9.2004, a.a.O.).
[19] dd) Das Beschwerdegericht meint, an die Erkennbarkeit von Aufgabewillen und Aufgabeakt seien bei einem Geschäftslokal strengere Anforderungen zu stellen, jedenfalls wenn die Räume anschließend leer stehen. Der bisherige Inhaber der Geschäftsräume müsse jedenfalls in diesem Fall sicherstellen, dass an ihn gerichteter Schriftverkehr nicht in den Briefkasten der leer stehenden Räume eingelegt werde. Deshalb müsse er nach den Umständen den Briefschlitz zukleben, ein Hinweisschild anbringen oder einen Nachsendeauftrag stellen. Unterblieben derartige Maßnahmen, spreche einiges dafür, dass der ehemalige Inhaber der Geschäftsräume es geradezu darauf anlege, an ihn gerichtete Post nicht zu erhalten. Das bloße Entfernen des Namensschildes genüge nicht, weil nicht davon ausgegangen werden könne, dass der jeweils tätige Zusteller mit den bisherigen örtlichen Gegebenheiten vertraut sei.
[20] ee) Dieser Auffassung kann nicht gefolgt werden.
[21] Nach der Regelung der §§ 178 ff. ZPO wird für die Ersatzzustellung vorausgesetzt, dass eine Wohnung oder ein Geschäftsraum tatsächlich vorhanden ist. In beiden Fällen kann es deshalb bei einer Aufgabe der Wohnung oder des Geschäftsraums nur darum gehen, möglichen Manipulationen vorzubeugen. Es muss der Wille, die Geschäftsräume aufzugeben, nach außen erkennbaren Ausdruck gefunden haben. Insoweit gilt nichts anderes als bei Wohnräumen. Aus §§ 178 ff. ZPO ergibt sich auch bei Geschäftsräumen keine Verpflichtung des Inhabers, bei einer tatsächlichen, nach außen erkennbaren Aufgabe des Geschäftsraums zusätzliche Vorsorge dafür zu treffen, dass Sendungen nicht gleichwohl in den Briefkasten oder Briefschlitz eingeworfen werden. Ebenso wenig besteht eine Verpflichtung, ein Schild anzubringen, auf dem ausdrücklich darauf hingewiesen wird, dass die Geschäftsräume aufgegeben sind. Damit würde dem Empfänger das Risiko der Wirksamkeit zweifelhafter Ersatzzustellungen auferlegt. Dies sieht § 180 ZPO nicht vor. Dem Zustellungsempfänger kann eine ungenaue oder sorglose Arbeit des Zustellers ebenso wenig zugerechnet werden wie dessen Irrtum über das Vorliegen eines Geschäfts- oder Wohnraums.
[22] Im vorliegenden Fall hatte der Beklagte unstreitig alle Kanzlei- und Namensschilder unmittelbar nach dem 31.10.2007 entfernt und den Geschäftsraum geräumt. Mehr konnte von ihm nicht verlangt werden. Er hat damit für einen mit den Verhältnissen vertrauten Beobachter zweifelsfrei zum Ausdruck gebracht, dass er die Geschäftsräume aufgab. Für einen Zusteller, der mit den Gegebenheiten vor Ort nicht vertraut war, gab es danach auch keinen Anhaltspunkt mehr dafür, dass die Räume die Geschäftsräume des Beklagten sein könnten. Der üblicherweise zuständige Briefträger war über die Aufgabe der Geschäftsräume ohnehin ausdrücklich unterrichtet.
[23] Dem Beschwerdegericht ist zwar darin zuzustimmen, dass es dem Beklagten nach den besonderen Umständen des Einzelfalles wohl möglich gewesen wäre, sich gleichwohl Kenntnis von der Post zu verschaffen, die bei seinen ehemaligen Kanzleiräumen eingeworfen wurde. Das ändert aber nichts daran, dass die Voraussetzungen einer Ersatzzustellung nicht vorlagen. Auf die Möglichkeit des Zustellungsempfängers, sich Kenntnis von dem Inhalt von Sendungen zu verschaffen, die ohne das Vorliegen der Voraussetzungen einer Ersatzzustellung eingeworfen wurden, kommt es in diesem Zusammenhang nicht an.
[24] ff) Da die Einspruchsfrist somit nicht versäumt war, kam es auf den nur hilfsweise gestellten Antrag auf Wiedereinsetzung nicht an. Das LG wird nunmehr dem Rechtsstreit Fortgang zu geben haben.
Fundstellen
Haufe-Index 2282010 |
BB 2009, 2657 |