Entscheidungsstichwort (Thema)
IR-Marke Nr. 640 196
Leitsatz (amtlich)
Dem Gerichtshof der Europäischen Gemeinschaften werden zur Auslegung von Art. 3 Abs. 1 lit. b, c und e der Ersten Richtlinie des Rates 89/104/EWG vom 21. Dezember 1988 zur Angleichung der Rechtsvorschriften der Mitgliedstaaten über die Marken (ABl. EG Nr. L 40 vom 11.2.1989, S. 1) folgende Fragen zur Vorabentscheidung vorgelegt:
- Ist bei der Feststellung der Unterscheidungskraft im Sinne von Art. 3 Abs. 1 lit. b der genannten Richtlinie bei dreidimensionalen Marken, die die Form der Ware darstellen, ein strengerer Maßstab an die Unterscheidungskraft anzulegen als bei anderen Markenformen?
- Besitzt Art. 3 Abs. 1 lit. c neben Art. 3 Abs. 1 lit. e der Richtlinie für dreidimensionale Marken, die die Form der Ware darstellen, eine eigenständige Bedeutung? Ist bejahendenfalls bei der Prüfung von Art. 3 Abs. 1 lit. c – andernfalls bei lit. e – das Interesse des Verkehrs an der Freihaltung der Produktform dergestalt zu berücksichtigen, daß eine Eintragung jedenfalls grundsätzlich ausgeschlossen ist und in der Regel nur bei Marken in Betracht kommt, die die Voraussetzungen des Art. 3 Abs. 3 Satz 1 der Richtlinie erfüllen?
Normenkette
Pariser Verbandsübereinkunft zum Schutz des gewerblichen Eigentums (PVÜ) Art. 6quinquies; Erste Richtlinie 89/104/EWG des Rates vom 21. Dezember 1988 zur Angleichung der Rechtsvorschriften der Mitgliedstaaten über die Marken (EWG-Markenrechtsrichtlinie) Art. 3 Abs. 1 Buchst. b; Erste Richtlinie 89/104/EWG des Rates vom 21. Dezember 1988 zur Angleichung der Rechtsvorschriften der Mitgliedstaaten über die Marken (EWG-Markenrechtsrichtlinie) Art. 3 Abs. 1 Buchst. c; Erste Richtlinie 89/104/EWG des Rates vom 21. Dezember 1988 zur Angleichung der Rechtsvorschriften der Mitgliedstaaten über die Marken (EWG-Markenrechtsrichtlinie) Art. 3 Abs. 1 Buchst. e; Erste Richtlinie 89/104/EWG des Rates vom 21. Dezember 1988 zur Angleichung der Rechtsvorschriften der Mitgliedstaaten über die Marken (EWG-Markenrechtsrichtlinie) Art. 3 Abs. 3; MarkenG § 3 Abs. 1-2, § 8 Abs. 2 Nrn. 1-2
Verfahrensgang
Tenor
I. Das Verfahren wird ausgesetzt.
II. Dem Gerichtshof der Europäischen Gemeinschaften werden zur Auslegung von Art. 3 Abs. 1 lit. b, c und e der Ersten Richtlinie des Rates 89/104/EWG vom 21. Dezember 1988 zur Angleichung der Rechtsvorschriften der Mitgliedstaaten über die Marken (ABl. EG Nr. L 40 vom 11.2.1989, S. 1) folgende Fragen zur Vorabentscheidung vorgelegt:
- Ist bei der Feststellung der Unterscheidungskraft im Sinne von Art. 3 Abs. 1 lit. b der genannten Richtlinie bei dreidimensionalen Marken, die die Form der Ware darstellen, ein strengerer Maßstab an die Unterscheidungskraft anzulegen als bei anderen Markenformen?
- Besitzt Art. 3 Abs. 1 lit. c neben Art. 3 Abs. 1 lit. e der Richtlinie für dreidimensionale Marken, die die Form der Ware darstellen, eine eigenständige Bedeutung? Ist bejahendenfalls bei der Prüfung von Art. 3 Abs. 1 lit. c – andernfalls bei lit. e – das Interesse des Verkehrs an der Freihaltung der Produktform dergestalt zu berücksichtigen, daß eine Eintragung jedenfalls grundsätzlich ausgeschlossen ist und in der Regel nur bei Marken in Betracht kommt, die die Voraussetzungen des Art. 3 Abs. 3 Satz 1 der Richtlinie erfüllen?
Gründe
I. Die Markeninhaberin begehrt für ihre nachstehend abgebildete international registrierte dreidimensionale IR-Marke Nr. 640 196 Schutz in der Bundesrepublik Deutschland für die Waren
„Montres”
(Armbanduhren):
Die zuständige Markenstelle des Deutschen Patentamts hat der IR-Marke wegen fehlender Unterscheidungskraft und wegen Vorliegens eines Freihaltebedürfnisses den Schutz verweigert.
Die hiergegen gerichtete Beschwerde der Markeninhaberin ist erfolglos geblieben.
Mit der (zugelassenen) Rechtsbeschwerde verfolgt die Markeninhaberin ihr Schutzbegehren weiter.
II. Das Bundespatentgericht hat das Schutzhindernis gemäß § 8 Abs. 2 Nr. 1 i.V. mit §§ 107, 113, 37 MarkenG für gegeben erachtet und dazu ausgeführt:
Es sei davon auszugehen, daß Gegenstand des Schutzerstreckungsgesuchs die konkrete dreidimensionale Form eines Uhrgehäuses ohne oder mit abgedeckter Zeitanzeige und abgeschnittenem Armband sei und nicht eine Art Blanko-Schutz für einzelne Merkmale der Warenform von Uhren beansprucht werde, die ansonsten unterschiedlich gestaltet seien.
Bei diesem Verständnis des Schutzerstreckungsgesuchs bestünden keine Bedenken gegen die abstrakte Unterscheidungskraft der IR-Marke nach § 3 Abs. 1 MarkenG. Ein Schutzausschließungsgrund nach § 3 Abs. 2 MarkenG sei ebenfalls nicht ersichtlich.
Die IR-Marke sei jedoch wegen fehlender Unterscheidungskraft nach § 8 Abs. 2 Nr. 1 MarkenG schutzunfähig. Der dreidimensionalen Darstellung des Uhrgehäuses ohne oder mit abgedeckter Zeitanzeige und abgeschnittenem Armband, das in seiner Breite mit dem Uhrgehäuse übereinstimme, fehle in der konkreten Ausgestaltung die notwendige Unterscheidungskraft.
Die Schutzfähigkeit könne nur durch eine auf die Herkunft hinweisende originelle Gestaltung begründet werden, durch die das an der „Grundform” der Ware bestehende Freihaltebedürfnis und ihr Mangel an Unterscheidungskraft überwunden werden könne. Bei der Begründung der Originalität der Ware oder ihrer Teile müsse ein eher strenger Maßstab angelegt werden, weil die Ware und ihre Teile das wichtigste Mittel zu ihrer Beschreibung selbst seien und ihre Monopolisierung die Gefahr einer Behinderung der Wettbewerber in der Gestaltung ihrer Produkte mit sich bringe und ein Freihaltebedürfnis zumindest naheliegend sei. Dabei hänge der Grad der für eine Markeneintragung erforderlichen Originalität auch von den besonderen Verhältnissen auf dem jeweiligen Warengebiet ab.
Auf dem Markt für Armbanduhren sei eine außerordentliche Vielfalt von Formen und Gestaltungen gebräuchlich. Dieses Warengebiet müsse deshalb in ganz besonderem Maße von einem die Gestaltungsfreiheit über Gebühr einschränkenden Markenschutz freigehalten werden, damit es den Mitbewerbern künftig noch möglich sei, den vorhandenen Formenschatz in beliebigen neuen Kombinationen auszuschöpfen. Die vorliegende IR-Marke zeige überwiegend gängige oder in ähnlicher Form belegte Gestaltungselemente.
Die Berufung der Markeninhaberin auf den „telle-quelle-Schutz” gemäß Art. 6quinquies PVÜ führe zu keinem anderen Ergebnis. Die Schutzversagungsgründe des § 8 Abs. 2 MarkenG richteten sich nach den Grenzen des Art. 6quinquies PVÜ.
III. Der Erfolg der Rechtsbeschwerde hängt von der Auslegung des Art. 3 Abs. 1 lit. b, c und e MarkenRL ab. Vor der Entscheidung über das Rechtsmittel ist deshalb das Verfahren auszusetzen und gemäß Art. 234 Abs. 1 lit. b und Abs. 3 EG eine Vorabentscheidung zu den im Beschlußtenor gestellten Fragen einzuholen.
Nicht entscheidend ist im vorliegenden Fall, daß die Markeninhaberin für ihre IR-Marke „telle-quelle-Schutz” in Anspruch genommen hat. Denn es ist nach dem 12. Erwägungsgrund zur Markenrechtsrichtlinie erforderlich, daß sich diese in vollständiger Übereinstimmung mit der Pariser Verbandsübereinkunft befindet. Deshalb sind Art. 6quinquies, Art. 3 Abs. 1 lit. b und lit. c MarkenRL sowie § 8 Abs. 2 Nr. 1 und Nr. 2 MarkenG, durch die Art. 3 Abs. 1 lit. b und lit. c MarkenRL umgesetzt worden sind, einheitlich auszulegen.
1. Der Senat geht, ebenso wie das Bundespatentgericht, davon aus, daß der IR-Marke Markenfähigkeit nach der weitgehend mit Art. 2 der MarkenRL übereinstimmenden Vorschrift des § 3 Abs. 1 MarkenG zukommt und kein Ausschlußgrund nach Art. 3 Abs. 1 lit. e MarkenRL (= § 3 Abs. 2 MarkenG) vorliegt.
Nach dieser Regelung können Marken alle Zeichen sein, die geeignet sind, Waren oder Dienstleistungen eines Unternehmens von denjenigen anderer Unternehmen zu unterscheiden. Nach dem Wortlaut des Art. 2 MarkenRL und des § 3 Abs. 1 MarkenG gehört dazu auch die Form der Ware. Erforderlich ist, daß die angemeldete Marke die allgemeinen Anforderungen an die Markenfähigkeit erfüllt, d.h. sie muß abstrakt zur Kennzeichnung von Waren oder Dienstleistungen geeignet sein (vgl. für die konturlose Farbmarke BGHZ 140, 193, 197 – Farbmarke gelb/schwarz; für eine Warenverpackung BGH, Beschl. v. 13.4.2000 – I ZB 6/98, WRP 2000, 1290, 1291 – Likörflasche; Fezer, Markenrecht, 2. Aufl., § 3 Rdn. 203; Ingerl/Rohnke, Markengesetz, § 3 Rdn. 16; Kur, Festschrift 100 Jahre Marken-Amt, S. 175, 183; Ströbele, GRUR 1999, 1041), während das Erfordernis der konkreten Unterscheidungskraft, bezogen auf die angemeldeten Waren oder Dienstleistungen aus Art. 3 Abs. 1 lit. b MarkenRL folgt (umgesetzt durch § 8 Abs. 2 Nr. 1 MarkenG). Ein Zeichen, das die Anforderungen an die allgemeine Markenfähigkeit nach Art. 2 i.V. mit Art. 3 Abs. 1 lit. a MarkenRL nicht erfüllt, kann diesen Mangel – anders als ein Zeichen, dem lediglich die konkrete Unterscheidungskraft nach Art. 3 Abs. 1 lit. b MarkenRL fehlt – auch nicht infolge Benutzung gemäß Art. 3 Abs. 3 MarkenRL überwinden.
Nach Ansicht des Senats darf eine Marke, um markenfähig im Sinne von Art. 2 MarkenRL (§ 3 Abs. 1 MarkenG) zu sein, kein funktionell notwendiger Bestandteil der Ware sein. Sie muß über die technisch bedingte Grundform hinausreichende nichttechnische Elemente aufweisen, die zwar nicht physisch, aber doch gedanklich von der Ware abstrahierbar sind und die Identifizierungsfunktion der Marke erfüllen können (vgl. Fezer, Festschrift für Piper, S. 525, 531 f.; Ingerl/Rohnke aaO § 3 Rdn. 6). In diesem Sinne muß die Marke selbständig sein. Für dreidimensionale Markenformen ergibt sich der Grundsatz der Selbständigkeit der Marke von der Ware auch aus der Bestimmung des Art. 3 Abs. 1 lit. e 1. und 2. Spiegelstrich MarkenRL (vgl. Fezer, Festschrift für Piper, S. 525, 526; ders., Markenrecht, 2. Aufl., § 3 Rdn. 227).
Im vorliegenden Fall sind keine Anhaltspunkte ersichtlich, die es rechtfertigen könnten, der angemeldeten Formmarke die abstrakte Unterscheidungseignung nach Art. 2 MarkenRL (§ 3 Abs. 1 MarkenG) abzusprechen. Wie sich aus den nachfolgenden Ausführungen unter III. 2. ergibt, ist die Marke auch selbständig in dem genannten Sinne.
2. Der Senat möchte auch den Ausschlußgrund nach Art. 3 Abs. 1 lit. e MarkenRL (= § 3 Abs. 2 MarkenG) verneinen. Diesem Schutzhindernis unterfallen diejenigen Zeichen, die ausschließlich aus einer Form bestehen, die durch die Art der Ware selbst bedingt ist oder die zur Herstellung einer technischen Wirkung erforderlich ist oder die der Ware einen wesentlichen Wert verleiht.
Die IR-Marke weist über die technisch bedingten Gattungsmerkmale der Grundform einer Uhr hinaus eine Reihe von Gestaltungsmerkmalen auf, die weder ausschließlich durch die Art der Ware selbst bedingt noch ausschließlich technisch oder wertbedingt sind. Zu nennen sind etwa die charakteristische Einheit zwischen Uhrgehäuse und Armband und die sich über das gesamte Gehäuse erstreckende Glasabdeckung.
3. Danach kommt es für die Entscheidung über die Schutzerstreckung der IR-Marke darauf an, ob ihr jede Unterscheidungskraft im Sinne von Art. 3 Abs. 1 lit. b MarkenRL (= § 8 Abs. 2 Nr. 1 MarkenG) fehlt oder ob ein Schutzhindernis nach Art. 3 Abs. 1 lit. c MarkenRL (= § 8 Abs. 2 Nr. 2 MarkenG) besteht.
a) Nach der Rechtsprechung des Bundesgerichtshofes ist Unterscheidungskraft im Sinne dieser Regelung die einer Marke innewohnende (konkrete) Eignung, vom Verkehr als Unterscheidungsmittel für die von der Marke erfaßten Waren oder Dienstleistungen eines Unternehmens gegenüber solchen anderer Unternehmen aufgefaßt zu werden, wobei grundsätzlich von einem großzügigen Maßstab auszugehen ist, so daß jede auch noch so geringe Unterscheidungskraft ausreicht, um das Schutzhindernis zu überwinden (vgl. BGH, Beschl. v. 8.12.1999 – I ZB 25/97, GRUR 2000, 502, 503 = WRP 2000, 520 – St. Pauli Girl; Beschl. v. 10.2.2000 – I ZB 37/97, GRUR 2000, 720, 721 = WRP 2000, 739 – Unter Uns).
aa) Bei zweidimensionalen Marken, die sich in der bloßen Abbildung der Ware erschöpfen, für die der Schutz in Anspruch genommen wird, geht der Bundesgerichtshof auch bei Anlegung des beschriebenen großzügigen Prüfungsmaßstabs davon aus, daß ihnen im allgemeinen die nach Art. 3 Abs. 1 lit. b MarkenRL (= § 8 Abs. 2 Nr. 1 MarkenG) erforderliche (konkrete) Unterscheidungskraft fehlen wird. Die naturgetreue Wiedergabe des im Warenverzeichnis genannten Erzeugnisses ist häufig nicht geeignet, die Ware ihrer Herkunft nach zu individualisieren (vgl. BGH, Beschl. v. 5.11.1998 – I ZB 12/96, GRUR 1999, 495 = WRP 1999, 526 – Etiketten). Soweit die zeichnerischen Elemente einer angemeldeten Marke lediglich die typischen Merkmale der in Rede stehenden Waren darstellen und keine über die technische Gestaltung der Ware hinausgehenden Elemente aufweisen, ist das Zeichen im allgemeinen wegen der bloß beschreibenden Angabe ebensowenig geeignet, die gekennzeichneten Waren von denjenigen anderer Herkunft zu unterscheiden, wie einfachste geometrische Formen oder sonstige einfache graphische Gestaltungselemente, die in der Werbung oder aber auch auf Warenverpackungen oder in sonst üblicher bloß ornamentaler, schmückender Form verwendet werden (vgl. BGH GRUR 1999, 495 – Etiketten; GRUR 2000, 502, 503 – St. Pauli Girl; WRP 2000, 1290, 1292 – Likörflasche). Anders liegt der Fall, wenn sich die Bildmarke nicht in der Darstellung von Merkmalen erschöpft, die für die Art der Ware typisch oder zur Erreichung einer technischen Wirkung erforderlich sind, sondern darüber hinausgehende charakteristische Elemente aufweist. In diesen Merkmalen wird der Verkehr häufig einen Hinweis auf die betriebliche Herkunft sehen.
Diese zur Frage der konkreten Unterscheidungseignung bei Bildmarken entwickelten Grundsätze sind nach der bisherigen Rechtsprechung des Bundesgerichtshofes in der Regel auch auf dreidimensionale Marken zu übertragen, die in der Form der Verpackung bestehen (vgl. BGH WRP 2000, 1290, 1292 – Likörflasche).
bb) Bei dreidimensionalen Marken, die die Form der Ware darstellen, werden in der Rechtsprechung des Bundespatentgerichts zu der Art. 3 Abs. 1 lit. b MarkenRL entsprechenden Bestimmung des Markengesetzes (BPatGE 39, 219, 223 = GRUR 1999, 56 – Taschenlampen; BPatG GRUR 1998, 706, 709 und 710 – Montre I und II) und in der Entscheidungspraxis der Beschwerdekammern des Harmonisierungsamts für den Binnenmarkt zu der Art. 3 Abs. 1 lit. b MarkenRL wörtlich entsprechenden Vorschrift des Art. 7 Abs. 1 lit. b GMV (Entscheidung v. 21.9.1999 – R 73/1999-3, GRUR Int. 2000, 360 – TABS [rund, rot/weiß]; Entscheidung v. 28.10.1999 – R 104/1999-3, GRUR Int. 2000, 363 – Strahlregler) strengere Anforderungen an die Unterscheidungskraft gestellt als bei anderen Marken. Zur Begründung dieser höheren Anforderungen an die Unterscheidungskraft stellt das Bundespatentgericht auf ein naheliegendes Freihaltebedürfnis (vgl. BPatG GRUR 1998, 706, 709, 710 – Montre I und II) und auf die Wesensverschiedenheit zwischen dem der Herkunftskennzeichnung dienenden Markenrecht auf der einen und den den Schutz von Gestaltungen eröffnenden Schutzrechten, insbesondere dem Geschmacksmusterrecht, auf der anderen Seite ab (vgl. BPatGE 39, 219, 223 = GRUR 1999, 56 – Taschenlampen). Mit ähnlicher Begründung wird auch von der Dritten Beschwerdekammer des Harmonisierungsamts für den Binnenmarkt ein strenger Prüfungsmaßstab angelegt und eine hinreichend eigenartige und einprägsame Ausgestaltung gefordert, die in ihrer Originalität die technisch oder ästhetisch notwendige Produktform erheblich übersteigt (GRUR Int. 2000, 360, 362 Rdn. 22, 23 – TABS [rund, rot/weiß]; GRUR Int. 2000, 363, 364 Rdn. 18, 19 – Strahlregler).
cc) Der Senat hat dagegen bisher keinen Anlaß gesehen, bei dreidimensionalen, die Ware selbst darstellenden Formmarken strengere Anforderungen an die Unterscheidungskraft zu stellen als bei herkömmlichen Markenformen (vgl. für eine dreidimensionale Verpackungsform: BGH WRP 2000, 1290, 1292 – Likörflasche; vgl. hierzu auch Eichmann, GRUR 1995, 184, 188; ders., Festschrift Vieregge, S. 125, 162; Kiethe/Groeschke, WRP 1998, 541, 546).
(1) Solche erhöhten Anforderungen an die Unterscheidungskraft lassen sich nach Ansicht des Senats nicht unter Hinweis auf konkrete Anhaltspunkte für ein Interesse des Verkehrs rechtfertigen, die Produktform für andere Unternehmen freizuhalten (vgl. BGH, Beschl. v. 24.2.2000 – I ZB 13/98, GRUR 2000, 722, 723 = WRP 2000, 741 – LOGO). Im Rahmen der Prüfung der durch Benutzung erworbenen Unterscheidungskraft (Art. 3 Abs. 3 MarkenRL) hat es der Gerichtshof der Europäischen Gemeinschaften ebenfalls abgelehnt, bei der Beurteilung der Unterscheidungskraft nach dem festgestellten Interesse an der Freihaltung einer geographischen Bezeichnung zu differenzieren (Urt. v. 4.5.1999 – verb. Rs. C-108/97, 109/97, GRUR 1999, 723, 727 Nr. 48 = WRP 1999, 629 – Chiemsee).
(2) Auch die allgemeine Gefahr einer Behinderung der Produktgestaltung auf dem Warenmarkt rechtfertigt es nach Ansicht des Senats nicht, strengere Anforderungen an die Unterscheidungskraft zu stellen. Das Interesse an einer generellen Freihaltung der Gestaltungsformen sollte – ungeachtet einer möglichen Berücksichtigung bei Art. 3 Abs. 1 lit. c MarkenRL (dazu sogleich unter III 3 b) – im Rahmen der konkreten Unterscheidungskraft nach Art. 3 Abs. 1 lit. b MarkenRL keine Rolle spielen, weil dieses Kriterium bei der Beurteilung der konkreten Unterscheidungskraft systemfremd ist.
(3) Der Senat hält es – im Gegensatz zum Bundespatentgericht – auch nicht für angezeigt, aus der Wesensverschiedenheit von Marken- und Geschmacksmusterrecht einen strengeren Maßstab für die Beurteilung der Voraussetzungen der Unterscheidungskraft dreidimensionaler Formmarken abzuleiten. Während für das Geschmacksmusterrecht ebenso wie für das Urheberrecht allein die schöpferische Leistung entscheidend ist, kommt es für den Markenschutz allein auf die Unterscheidungsfunktion des Zeichens an. Der Senat möchte daher nicht der Auffassung beitreten, daß bei dreidimensionalen Marken nur hinreichend eigenartige und einprägsame Ausgestaltungen Unterscheidungskraft aufweisen sollen, die die technisch oder ästhetisch notwendige Produktform erheblich übersteigen.
Besondere Eigenartigkeit und Originalität sind nach Ansicht des Senats keine zwingenden Erfordernisse für das Vorliegen von Unterscheidungskraft und sollten deshalb auch nicht zum selbständigen Prüfungsmaßstab erhoben werden (vgl. BGH GRUR 2000, 722, 723 – LOGO; WRP 2000, 1290, 1292 – Likörflasche). Dies schließt es allerdings nicht aus, daß diese Merkmale – neben anderen – ein Indiz für die Eignung sein können, die konkret angemeldeten Waren eines bestimmten Anbieters von denen anderer zu unterscheiden (vgl. BGH, Beschl. v. 8.12.1999 – I ZB 2/97, GRUR 2000, 321, 322 = WRP 2000, 298 – Radio von hier; Beschl. v. 8.12.1999 – I ZB 21/97, GRUR 2000, 323, 324 = WRP 2000, 300 – Partner with the Best). Wie bei jeder anderen Markenform, sollte auch bei der dreidimensionalen, die Ware selbst darstellenden Formmarke allein maßgebend sein, daß der angesprochene Verkehr – aus welchen Gründen auch immer – in dem angemeldeten Zeichen einen Herkunftshinweis erblickt. Sonst würde durch erhöhte Anforderungen an die Unterscheidungskraft bei dreidimensionalen Formmarken die Möglichkeit eines sich ändernden Verkehrsverständnisses nach der gesetzlichen Zulassung dieser Marken in einer durch die Markenrechtsrichtlinie nicht vorgesehenen Weise eingeschränkt.
(4) Der Senat möchte die (konkrete) Unterscheidungskraft der IR-Marke bejahen, weil sie den insofern zu stellenden Anforderungen (Abschn. III 3 a aa) genügt. Seiner Ansicht nach macht die Rechtsbeschwerde zu Recht geltend, die IR-Marke weise über die typischen Merkmale und die technisch notwendige Gestaltung einer Uhr hinaus charakteristische Elemente auf, in denen der Verkehr einen Hinweis auf die betriebliche Herkunft sieht. Danach zeichnet sich die Marke dadurch aus, daß Uhrgehäuse und Armband durch die gleiche Breite und Form eine Einheit bilden und präzise aufeinander abgestimmt sind. Zudem erstreckt sich die Glasabdeckung über die gesamte Oberseite des Gehäuses. Dagegen würde die IR-Marke die strengen Anforderungen [möglicherweise] nicht erfüllen, die an eine die technisch und ästhetisch notwendige Produktform erheblich übersteigende Originalität zu stellen wären. Es kommt daher auf die zu 1 gestellte Auslegungsfrage an.
b) Wird vorliegend die konkrete Unterscheidungseignung im Sinne des Art. 3 Abs. 1 lit. b MarkenRL (= § 8 Abs. 2 Nr. 1 MarkenG) bejaht, so kommt es maßgebend auf die Auslegung des Art. 3 Abs. 1 lit. c MarkenRL (= § 8 Abs. 2 Nr. 2 MarkenG) an.
Danach sind von der Eintragung Marken ausgeschlossen, die ausschließlich aus Angaben bestehen, die im Verkehr zur Bezeichnung der Art oder Beschaffenheit der Ware dienen können. Diese Regelung, in der nach deutschem Verständnis das Interesse des Verkehrs an der Freihaltung bestimmter Markenformen zum Ausdruck kommt, wirft zwei Auslegungsfragen auf:
aa) Zunächst ist im deutschen Schrifttum umstritten, ob das Freihaltebedürfnis an (dreidimensionalen) Produktformen in Art. 3 Abs. 1 lit. e MarkenRL (= § 3 Abs. 2 MarkenG) abschließend geregelt ist oder ob daneben noch Raum für eine Anwendung des Art. 3 Abs. 1 lit. c MarkenRL (= § 8 Abs. 2 Nr. 2 MarkenG) bleibt (letzteres bejahend: Althammer/Ströbele/Klaka, Markengesetz, 6. Aufl., § 8 Rdn. 157; Kiethe/Groeschke, WRP 1998, 541, 546 f.; Körner/Gründig-Schnelle, GRUR 1999, 535, 539; a.A. Eichmann, GRUR 1995, 184, 188; Bauer, GRUR 1996, 319, 321; Fuchs-Wissemann, MarkenR 1999, 183, 185). Der Bundesgerichtshof hält die Regelung des Art. 3 Abs. 1 lit. c MarkenRL – auch wenn deren Wortlaut dies nicht zwingend ergibt – ungeachtet der Vorschrift des Art. 3 Abs. 1 lit. e MarkenRL bei allen Markenformen, also auch bei Marken, die die Form der Ware darstellen, für selbständig anwendbar. Danach ist ein bestehendes Freihaltebedürfnis im Rahmen dieser Bestimmung und nicht durch eine weite Auslegung des Art. 3 Abs. 1 lit. e MarkenRL zu berücksichtigen. Dafür spricht vor allem die Erwägung, daß das Eintragungshindernis des Art. 3 Abs. 1 lit. e MarkenRL nicht durch Benutzung im Sinne von Art. 3 Abs. 3 MarkenRL überwunden werden könnte. Dies erscheint nicht gerechtfertigt.
bb) Die Beantwortung der weiteren Frage, ob danach ein Freihaltebedürfnis an bestimmten Produktformen zu berücksichtigen ist, hängt davon ab, auf welchem Grundverständnis die Anerkennung des dreidimensionalen Formenschutzes beruht. Insoweit besteht – national und international – eine Tendenz, eine Ausweitung des Markenschutzes bei Marken, die die Form einer Ware darstellen, im Blick auf eine befürchtete Dauermonopolisierung von Produktformen einerseits und eines bestehenden Freihaltebedürfnisses an solchen Formen andererseits entgegenzuwirken (vgl. Court of Appeal, Urt. v. 5.5.1999, GRUR Int. 2000, 444, 445 und 446 – Philips Electronics NV v. Remington Consumer Products Ltd.) und einen Markenschutz in der Regel nur bei den Formmarken zuzulassen, die durch Benutzung Unterscheidungskraft erworben haben (vgl. U.S.-Supreme Court, Urt. v. 22.3.2000, GRUR Int. 2000, 812, 813 – Wal-Mart Stores, Inc. v. Samara Brothers, Inc.). Dahinter steht vor allem die Erwägung, daß andernfalls in das ihrem Wesen nach anders geartete System der Sonderschutzrechte – wie insbesondere das Geschmacksmusterrecht – mit ihren gegenüber dem Markenrecht unterschiedlichen Voraussetzungen und ihren abweichenden zeitlichen und inhaltlichen Schranken eingegriffen würde (vgl. BPatGE 39, 238, 243 f. – POP swatch; Eichmann aaO S. 188 f.; Sambuc, GRUR 1997, 403, 407).
Die Gegenposition verweist gerade auf die Wesensverschiedenheit der Sonderschutzrechte einerseits und des Markenrechts andererseits und will dem Freihaltebedürfnis von Mitbewerbern vor allem durch Bemessung eines engen Schutzumfangs Rechnung tragen (vgl. Kiethe/Groeschke, WRP 1998, 541, 542 und 547).
Der Bundesgerichtshof neigt dazu, ein bei (dreidimensionalen) Formmarken bestehendes Freihaltebedürfnis im Rahmen der Auslegung des Art. 3 Abs. 1 lit. c MarkenRL zu berücksichtigen mit der Folge, daß ein Markenschutz in der Mehrzahl der Fälle nur bei Marken in Betracht kommt, die die Voraussetzungen des Art. 3 Abs. 3 Satz 1 der MarkenRL erfüllen. Es ist nicht zu verkennen, daß durch den Sonderrechtsschutz – insbesondere den Geschmacksmusterschutz – das Produkt selbst gegen Nachahmung geschützt wird, während im Gegensatz dazu der Markenschutz an sich niemanden daran hindert, dasselbe Produkt wie der Markeninhaber auf den Markt zu bringen, solange er sich eines anderen Kennzeichens bedient (vgl. Kur aaO S. 175, 178). Außerdem ist in Betracht zu ziehen, daß die Aufrechterhaltung des Markenschutzes an die Benutzung der Marke gebunden ist und daß das durch das Markenrecht verliehene Ausschließlichkeitsrecht nur dann über den zeitlich begrenzten Sonderschutz hinausgeht, wenn die Formgebung über die dort festgelegte zeitliche Schutzdauer hinaus in unveränderter Form benutzt wird (vgl. Kur aaO S. 175, 179 f.). Andererseits kann der markenrechtliche Schutz von Formgebungen gerade bei einer unveränderten Benutzung „zeitloser” Gestaltungen auf ein Dauermonopol für die Formgebung selbst hinauslaufen. Dies wäre vor allem in Warenbereichen mit einem begrenzten Gestaltungsspielraum bedenklich. Es spricht deshalb mehr dafür, ein Freihaltebedürfnis im Rahmen des Art. 3 Abs. 1 lit. c MarkenRL nur dann nicht zu berücksichtigen, wenn es sich um eher „kurzlebige” Formgebungen handelt und den Mitbewerbern überdies ein hinreichender Spielraum für abweichende Gestaltungsformen verbleibt. In allen anderen Fällen sollte ein Schutz für dreidimensionale Marken, die die Form der Ware selbst darstellen, nur bei Marken in Betracht kommen, die die Voraussetzungen des Art. 3 Abs. 3 Satz 1 MarkenRL erfüllen.
Unterschriften
Erdmann, v. Ungern-Sternberg, Starck, Pokrant, Büscher
Veröffentlichung
Veröffentlicht am 23.11.2000 durch Führinger Justizangestellte als Urkundsbeamtin der Geschäftsstelle
Fundstellen
BGHR |
Nachschlagewerk BGH |
WRP 2001, 269 |
MarkenR 2001, 75 |