Entscheidungsstichwort (Thema)
Rechtszeitige Berufungsbegründung. Prozessfristen. Gesetzliche Zeit. Sendedauer. Zeitangabe Telekomabrechnungen. Abweichung zur Zeitangabe des gerichtlichen Telefaxgeräts
Leitsatz (amtlich)
a) Maßgeblich für die Zeitbestimmung, die erforderlich ist, um die Einhaltung von prozessualen Fristen zu beurteilen, ist die gesetzliche Zeit i. S. v. §§ 1 und 2 des Gesetzes über die Zeitbestimmung v. 25.7.1978 (BGBl. I 1110, ber. 1262).
b) Zur Bedeutung des Zeitnachweises in Abrechnungen von Telekommunikationsverbindungen der Telekom für die Ermittlung der gesetzlichen Zeit, wenn die Zeitangabe der Abrechnung von der Zeitangabe eines gerichtlichen Telefaxgerätes abweicht.
Normenkette
ZPO § 520 Abs. 2n. F
Verfahrensgang
Tenor
Auf die Rechtsbeschwerde der Beklagten wird der Beschluss des 13. Zivilsenats des OLG München v. 20.2.2003 aufgehoben.
Die Sache wird zur anderweiten Entscheidung an das OLG zurückverwiesen.
Gründe
I.
1. Die Beklagte hat gegen ein Endurteil des LG M. Berufung eingelegt. Die Frist zur Begründung der Berufung ist bis zum 9.12.2002 verlängert worden. Der Prozessbevollmächtigte der Beklagten hat die Berufung mit Telefax begründet. Nach seiner Behauptung ist das Fax am 9.12.2002 um 23.58 Uhr beim OLG M. vollständig eingegangen. Zum Beleg hat er eine Abrechnung der Telekom übergeben, wonach mit der Sendung um 23:46:49 Uhr begonnen wurde und die Sendung 11:14 Minuten dauerte. Das Empfangsjournal des OLG weist als Empfangsbeginn 23:53 Uhr, eine Sendedauer von 11:15 Minuten und als Ende des Ausdrucks 00:04 Uhr aus. Der Aufdruck auf der Kennung des Telefaxgerätes des Prozessbevollmächtigten der Beklagten weist als Sendebeginn 00:52 und als Sendeende 01:02 auf. Auf diesem Gerät war noch die Sommerzeit eingestellt.
2. Die Beklagte hat die Auffassung vertreten, die Berufung sei rechtzeitig eingegangen. Hilfsweise hat sie Wiedereinsetzung in den vorigen Stand beantragt. Die Bürokraft ihres Prozessbevollmächtigten habe das Faxgerät ohne seine Kenntnis auf eine langsamere Datenübertragung umgestellt. Dieser habe das beim ersten Versuch, die Berufungsbegründung per Telefax zu übersenden, alsbald gemerkt, den Vorgang abgebrochen, das Gerät zurückgestellt und sodann die Berufungsbegründung vollständig übersandt. Eine eventuelle Überschreitung der Begründungsfrist sei auf das nicht autorisierte Verhalten der Bürokraft zurückzuführen und von der Beklagten bzw. ihrem Prozessbevollmächtigten nicht zu vertreten.
II.
1. Das Berufungsgericht hat die Berufung als unzulässig verworfen.
Die Berufung sei erst am 10.12.2002 eingegangen. Das ergebe sich aus den Journalen sowohl des Faxgerätes des OLG als auch des Prozessbevollmächtigten der Beklagten. Die Abrechnung der Telekom könne nicht überzeugen, weil es insoweit nur auf die Sendedauer, nicht aber auf die genaue Zeiterfassung des Vorgangs ankomme. Die Zeiten der Telekom stimmten auch nicht mit der Zeitangabe eines anderen Faxgerätes des OLG überein.
2. Das Berufungsgericht hat auch den Antrag auf Wiedereinsetzung in den vorigen Stand zurückgewiesen. Der Prozessbevollmächtigte, der die Berufungsbegründung in letzter Minute abgesendet habe, hätte sich von dem ordnungsgemäßen Funktionieren des Telefaxgerätes überzeugen müssen. Er hätte sich nicht darauf verlassen dürfen, dass Einstellungen noch vorhanden gewesen seien, die ca. 4 bis 5 Tage zuvor vorhanden waren.
III.
Die Rechtsbeschwerde hat Erfolg. Sie führt zur Aufhebung des angefochtenen Beschlusses und zur Zurückverweisung der Sache an das Berufungsgericht.
1. Die Rechtsbeschwerde ist zulässig. Die Sache hat grundsätzliche Bedeutung. Denn es ist zu klären, welche Anforderungen an die Ermittlung der Zeit zu stellen sind, die für die Einhaltung von Fristen maßgeblich ist.
2. Die Rechtsbeschwerde ist auch begründet.
a) Zutreffend geht das Berufungsgericht davon aus, dass es darauf ankommt, ob der vollständige Schriftsatz am 9.12.2002 eingegangen ist. Eine Übermittlung ist durch Telefax möglich. Vorausgesetzt wird allerdings, dass das Fernschreiben unmittelbar von der Fernschreibestelle des Gerichts aufgenommen wird, dass es seinem Inhalt nach den Anforderungen entspricht, die die Prozessordnung an bestimmende Schriftsätze stellt und dass es abschließend - als Ersatz der an sich erforderlichen, technisch aber nicht möglichen Unterschrift - den Namen des Erklärenden anführt (GmS-OGB, Beschl. v. 5.4.2000 - GmS-OBG 1/98, BGHZ 144, 160 [164]).
b) Maßgebend ist dabei, ob der Inhalt des Telefaxes vollständig bis zur abschließenden Namenskennzeichnung am 9.12.2002 eingegangen ist. Auf die von der Beschwerde aufgeworfene Frage, ob die abschließende Namenskennzeichnung durch eine Unterschrift zu erfolgen hat, kommt es nicht an. Denn die Begründung ist unterschrieben. Die vom Berufungsgericht offen gelassene Frage, ob es auf den Eingang der elektronischen Signale oder den Ausdruck ankommt, stellt sich nach der Auskunft der Einlaufstelle des OLG M. nicht. Danach erfolgt der Empfang der Sendung zeitgleich mit dem Ausdruck.
c) Ob ein Schriftsatz binnen einer bestimmten Frist eingegangen ist, richtet sich danach, ob er vor Beginn desjenigen Tages eingeht, der dem Fristende folgt. Dieser Tag beginnt um 00:00 Uhr. Maßgeblich ist die gesetzliche Zeit, denn im amtlichen und geschäftlichen Verkehr werden Datum und Uhrzeit nach der gesetzlichen Zeit verwendet. Die gesetzliche Zeit ist die mitteleuropäische Zeit. Diese wird von der Physikalisch-Technischen Bundesanstalt dargestellt und verwaltet, vgl. §§ 1 und 2 des Gesetzes über die Zeitbestimmung (ZeitG) v. 25.7.1978 (BGBl I S. 1110, ber. 1262).
d) Die Beklagte hat zu beweisen, dass die Berufung rechtzeitig begründet worden ist. Das Berufungsgericht hat von Amts wegen alle entscheidungserheblichen Umstände, wie sie sich aus dem Akteninhalt ergeben, zu prüfen (BGH, Urt. v. 14.3.2001 - XII ZR 51/99, MDR 2001, 828 = BGHReport 2001, 664 = ZIP 2001, 718 [719]). Dem genügt die Beweiswürdigung des Berufungsgerichts nicht. Es würdigt den Umstand, dass die Telekom in ihrer Abrechnung das Ende des Sendevorgangs mit 23:58 Uhr angegeben hat, nur unvollständig.
Mangels entgegenstehender Feststellungen ist davon auszugehen, dass die Zeitangabe der Telekom auf ihrer Kundenabrechnung sich aus einer Zeitermittlung ergibt, die unter regelmäßiger Abgleichung mit einem amtlichen Zeitnormal erfolgt. Die Telekom ist nach § 5 Nr. 1 der Telekommunikations-Kundenschutzverordnung (TKV) v. 11.12.1997 (BGBl. I 2910), geändert durch die Erste Verordnung zur Änderung der Telekommunikations-Kundenschutzverordnung v. 14.4.1999 (BGBl. I 705), verpflichtet, bei der Abrechnung die Dauer zeitabhängig tarifierter Verbindungen von Telekommunikationsleistungen für die Öffentlichkeit unter regelmäßiger Abgleichung mit einem amtlichen Zeitnormal zu ermitteln. Diese Voraussetzungen für die Abrechnung sind durch ein Qualitätssicherungssystem sicherzustellen oder einmal jährlich durch vereidigte, öffentliche bestellte Sachverständige oder vergleichbare Stellen überprüfen zu lassen, § 5 Nr. 3 TKV. Diese Regelungen gewährleisten eine möglichst genaue Zeiterfassung. Es spricht deshalb alles dafür, dass eine nach diesen Grundsätzen ermittelte Sendezeit dem amtlichen Zeitnormal entspricht. Anderweitig ermittelte Uhrzeiten haben demgegenüber geringeren Beweiswert, wenn nicht dargelegt wird, dass sie sich ebenfalls vom amtlichen Zeitnormal ableiten. Es fehlen jegliche Feststellungen dazu, dass die Uhrzeiten, auf die das Berufungsgericht zurückgreift, sich vom amtlichen Zeitnormal ableiten. Insbesondere ist nicht festgestellt, dass die Uhren des OLG M. in einer Weise mit dem amtlichen Zeitnormal verglichen werden, dass die von der Telekom angegebene Zeit dadurch erschüttert würde. Auch der Umstand, dass nicht nur die Uhr des Empfangsgerätes, sondern auch die eines anderen Gerätes und die Uhr des Sendegerätes andere Zeiten auswiesen als die von der Telekom angegebene Zeit, vermögen den Beweiswert der Telekomangaben nicht ohne weiteres zu erschüttern. Uhren, die sich nicht an dem amtlichen Zeitnormal orientieren, sind unzuverlässig. Das ist eine allgemeine Lebenserfahrung und zeigt sich auch daran, dass die Zeitangaben aller drei Uhren nicht übereinstimmen.
Die Überlegungen, mit denen das Berufungsgericht eine Heranziehung der in der Abrechnung der Telekom genannten Zeit zurückweist, sind nicht tragfähig. Sie setzen voraus, dass die Telekom trotz der ihr auferlegten Verpflichtung in der Abrechnung eine Zeitangabe aufnimmt, die der von ihr unter Abgleichung am amtlichen Zeitnormal ermittelten Zeit nicht entspricht. Dafür gibt es keine Anhaltspunkte. Dagegen spricht die Verfügung 168/199 der Regulierungsbehörde für Telekommunikation und Post (Amtsblatt der Regulierungsbehörde für Telekommunikation und Post 1999, 4101). Soweit das Berufungsgericht meint, für die Abrechnung komme es nur auf die Sendedauer, nicht aber auf die genaue Zeiterfassung an, kann ihm schon deshalb nicht gefolgt werden, weil es vom Zeitpunkt der Telekommunikationsdienstleistungen abhängige Tarife gibt, so dass auch der genaue Sendebeginn wichtig ist. Im Übrigen hätte die Auffassung des Berufungsgerichts nur dann Überzeugungskraft, wenn die Telekom zwar die Zeitdauer nach dem vorgeschriebenen System erfassen würde, nicht aber den Sendeanfang oder das Sendeende oder wenn die Telekom zwar die Zeit der Verordnung entsprechend erfassen würde, diese Erfassung jedoch auf der Abrechnung nicht erschiene. Beides ist so fern liegend, dass es ohne eine weitere Aufklärung nicht unterstellt werden konnte.
Nach dem augenblicklichen Stand des Verfahrens besteht eine hinreichende Sicherheit, dass die Berufungsbegründung um 23:58 Uhr beim Berufungsgericht eingegangen ist. Der Senat kann jedoch nicht abschließend entscheiden, so dass die Sache an das Berufungsgericht zurückverwiesen wird. Soweit das Berufungsgericht seine Zweifel hinsichtlich der Zeitangaben in der Abrechnung trotz der im Rechtsbeschwerdeverfahren vorgelegten Auskunft aufrecht erhält, wird es eine weitere Auskunft der Telekom einzuholen haben. Außerdem erhält das Berufungsgericht Gelegenheit, amtliche Auskünfte darüber einzuholen, wie die Zeitangaben auf den Telefaxgeräten des Gerichts zu Stande gekommen sind und ob gewährleistet ist, dass sie mit dem amtlichen Zeitnormal übereinstimmen. Schließlich wird das Berufungsgericht den weiteren Einwendungen der Klägerin nachgehen können.
IV.
Soweit Wiedereinsetzung in den vorigen Stand versagt worden ist, ist der Beschluss ebenfalls aufzuheben. Der Antrag auf Wiedereinsetzung in den vorigen Stand ist hilfsweise gestellt worden. Eine Entscheidung ergeht nur, wenn die Berufung als unzulässig verworfen wird. Der Senat weist vorsorglich darauf hin, dass er die Auffassung des Berufungsgerichts zum Wiedereinsetzungsantrag teilt.
Fundstellen
Haufe-Index 982552 |
HFR 2004, 271 |
NJW 2003, 3487 |
BGHR 2003, 1365 |
BauR 2003, 1924 |
EBE/BGH 2003, 314 |
FamRZ 2003, 1830 |
IBR 2003, 645 |
WM 2004, 648 |
DSB 2004, 16 |
MDR 2004, 46 |
VersR 2004, 1287 |
ZfBR 2003, 766 |
K&R 2003, 571 |
MMR 2003, 719 |
ZFE 2003, 343 |
DS 2004, 63 |
KammerForum 2004, 68 |
ProzRB 2003, 353 |