Leitsatz (amtlich)
Der Gerichtsvollzieher kann nicht wegen Befangenheit abgelehnt werden.
Normenkette
GVG § 155; ZPO § 41 ff.
Verfahrensgang
LG Stuttgart (Beschluss vom 17.12.2003; Aktenzeichen 1 T 91/03) |
AG Nürtingen |
Nachgehend
Tenor
Die Rechtsbeschwerde gegen den Beschluss der 1. Zivilkammer des LG Stuttgart v. 17.12.2003 wird auf Kosten der Schuldnerin zurückgewiesen.
Der Gegenstandswert des Rechtsbeschwerdeverfahrens wird auf 1.112 EUR festgesetzt.
Gründe
I.
Die Gläubigerin betreibt gegen die Schuldnerin die Mobiliarzwangsvollstreckung wegen einer Forderung i.H.v. 3.217,90 EUR. Die Schuldnerin lehnte den zuständigen Obergerichtsvollzieher H., der bereits wiederholt auch im Auftrag anderer Gläubiger gegen die Schuldnerin tätig geworden ist, wegen Besorgnis der Befangenheit ab. Das AG Nürtingen hat das Ablehnungsgesuch als unzulässig verworfen. Das LG Stuttgart hat die sofortige Beschwerde der Schuldnerin zurückgewiesen. Dagegen wendet sich die Schuldnerin mit ihrer zugelassenen Rechtsbeschwerde.
II.
Die gem. § 574 Abs. 1 Nr. 2, Abs. 3 S. 2 ZPO statthafte und auch im Übrigen zulässige Rechtsbeschwerde der Schuldnerin ist unbegründet.
1. Das Beschwerdegericht hält, wie das AG, den Befangenheitsantrag der Schuldnerin für unzulässig. Das Rechtsinstitut der Ablehnung eines Gerichtsvollziehers wegen der Besorgnis der Befangenheit kenne das Gesetz nicht. Eine analoge Anwendung der Vorschriften über die Ablehnung von Richtern, Rechtspflegern und Urkundsbeamten sei nicht geboten, auch nicht im Hinblick auf die durch die ZPO-Novelle 1998 dem Gerichtsvollzieher übertragenen weiteren Aufgaben, da der Gerichtsvollzieher im Zwangsvollstreckungsverfahren lediglich die Sachentscheidungen anderer Entscheidungsträger zu vollziehen habe. Das Gesetz gebe den an einem Zwangsvollstreckungsverfahren beteiligten Personen die Erinnerung gem. § 766 ZPO und die nach Beamtenrecht statthafte Dienstaufsichtsbeschwerde an die Hand. Eines weiteren Rechtsbehelfs bedürfe es nicht.
2. Demgegenüber hält die Rechtsbeschwerde eine entsprechende Anwendung der Vorschriften über die Ablehnung von Richtern, Rechtspflegern und Urkundsbeamten der Geschäftsstelle für geboten. Es sei zum einen kein Grund dafür ersichtlich, warum etwa der Urkundsbeamte der Geschäftsstelle, der Sachverständige und der Dolmetscher wegen Besorgnis der Befangenheit abgelehnt werden könnten, nicht aber der Gerichtsvollzieher, der ungleich stärkere Befugnisse für Eingriffe in grundrechtlich geschützte Positionen habe. Es leuchte zum anderen nicht ein, dass der Gerichtsvollzieher in den in § 155 GVG genannten Fällen stets und automatisch ausgeschlossen sei, in anderen Fällen, in denen seine Unparteilichkeit nicht gewährleistet sei, aber hoheitliche Befugnisse ausüben dürfe. Der Gerichtsvollzieher handle weisungsunabhängig und habe zumindest einen Spielraum, seine Tätigkeit auszugestalten. Durch die Zwangsvollstreckungsnovelle 1998 seien ihm bislang vom Rechtspfleger wahrgenommene Aufgaben übertragen worden. Weder die Dienstaufsichtsbeschwerde noch die Erinnerung nach § 766 ZPO seien geeignet, die Gefahren für den Schuldner aus einer etwaigen Voreingenommenheit des Gerichtsvollziehers abzuwenden. Nach § 766 ZPO könne nur die Art und Weise der Zwangsvollstreckung oder das vom Gerichtsvollzieher zu beachtende Verfahren beanstandet werden, und zwar nach herrschender Meinung nur so lange, wie die Vollstreckung noch nicht beendet sei. Maßnahmen der Dienstaufsicht gälten nicht für die Tätigkeit des Gerichtsvollziehers bei der Zwangsvollstreckung.
3. Das Rechtsmittel hat keinen Erfolg. Im geltenden Recht fehlt ein förmliches Recht der Verfahrensbeteiligten, den Gerichtsvollzieher wegen Besorgnis der Befangenheit abzulehnen. Nach ganz überwiegender Meinung in Rechtsprechung und Literatur (LG Köln v. 8.2.2001 - 32 T 8/01, MDR 2001, 649; LG Coburg DGVZ 1990, 89; Wieczorek/Schütze/Schreiber, ZPO, 3. Aufl., § 155 GVG Rz. 2; Baumbach/Lauterbach/Albers/Hartmann, ZPO, 62. Aufl., § 155 GVG Rz. 1; Zöller/Vollkommer, ZPO, 24. Aufl., § 49 ZPO Rz. 6; Zöller/Gummer, ZPO, § 155 GVG Rz. 1; Musielak/Weth, ZPO, 3. Aufl., § 49 ZPO Rz. 3; Stein/Jonas/Bork, ZPO, 21. Aufl., § 49 ZPO Rz. 5; Kissel, GVG, 3. Aufl., § 155 GVG Rz. 2; Wolf, Gerichtsverfassungsrecht, 6. Aufl., § 30 III 1 [S. 288]; Rosenberg/Gaul/Schilken, Zwangsvollstreckungsrecht, 12. Aufl., § 25 IV Nr. 2; Rosenberg/Schwab/Gottwald, Zivilprozessrecht, 16. Aufl., § 26 Rz. 14) ist die Ablehnung eines Gerichtsvollziehers unzulässig.
Ein förmliches Ablehnungsrecht kann auch nicht in entsprechender Anwendung der Ablehnungsvorschriften bezüglich der Richter (§ 42 ZPO), Rechtspfleger (§ 10 RPflG), Urkundsbeamten (§ 49 ZPO), Sachverständigen (§ 406 ZPO) und Dolmetscher (§ 191 GVG) bejaht werden. Es besteht keine planwidrige Gesetzeslücke. Die Neutralität des Gerichtsvollziehers wird durch die Sonderregelung des § 155 GVG gewährleistet. Eine darüber hinausgehende Ablehnungsbefugnis wegen Besorgnis der Befangenheit hat der Gesetzgeber ebenso wenig geschaffen wie Regelungen hinsichtlich seiner sachlichen Unabhängigkeit (vgl. Art. 97 GG, § 25 DRiG für den Richter und § 9 RPflG für den Rechtspfleger). Dies zeigt, dass der Gesetzgeber wegen der Formalisierung des Zwangsvollstreckungsrechts und der umfassenden richterlichen Kontrolle auf Grund einer Vollstreckungserinnerung (§ 766 ZPO) ein Ablehnungsrecht nicht für erforderlich gehalten hat. Durch die weite Formulierung des § 766 ZPO ist das Vollstreckungsgericht auf Antrag eines Beteiligten in der Lage, Maßnahmen des Gerichtsvollziehers in weitestem Umfang auf Rechtmäßigkeit und Zweckmäßigkeit zu kontrollieren. Hinsichtlich des persönlichen Verhaltens des Gerichtsvollziehers steht den Betroffenen zudem die Dienstaufsichtsbeschwerde offen.
Der Rechtsbeschwerde ist zuzugeben, dass sich mit der 2. Zwangsvollstreckungsnovelle v. 17.12.1997 (BGBl. I, 3039) der Aufgabenbereich des Gerichtsvollziehers erweitert hat. Unter anderem ist das gesamte Offenbarungsversicherungsverfahren gem. §§ 899 ff. ZPO vom Rechtspfleger auf den Gerichtsvollzieher übertragen worden, der auch die Entscheidungen gem. § 900 Abs. 3 ZPO oder § 902 Abs. 3 ZPO zu treffen hat. Entgegen einer Mindermeinung (Wolf in MünchKomm/ZPO, 2. Aufl., § 155 GVG Rz. 6; Schilken, Gerichtsverfassungsrecht, 3. Aufl., Rz. 562; eine Ablehnung wegen Befangenheit bejahend auch Alisch, DGVZ 1983 1 [3]) spricht dies nicht für eine entsprechende Anwendung der §§ 42 ff. ZPO. Der Gesetzgeber hat selbst die Reform des Zwangsvollstreckungsrechts nicht zum Anlass genommen, eine Befangenheitsablehnung oder sogar die organisationsrechtliche Stellung des Gerichtsvollziehers insgesamt neu zu regeln. Die dem Gerichtsvollzieher eingeräumten Entscheidungsbefugnisse sind denen eines Rechtspflegers nicht vergleichbar. Es ist auch nicht erkennbar, dass das fehlende Ablehnungsrecht die Rechte der Verfahrensbeteiligten unzumutbar verkürzt, die mittels der Vollstreckungserinnerung nach § 766 ZPO die Diensthandlungen des Gerichtsvollziehers umfassend richterlich überprüfen lassen können. Die Bejahung eines Ablehnungsrechts würde demgegenüber, wie der vorliegende Fall zeigt, zu einer zusätzlichen Verzögerung des Vollstreckungsverfahrens führen, weil für die Entscheidung über den Ablehnungsantrag nicht das Vollstreckungsgericht, sondern der aufsichtsführende Richter des AG als Dienstvorgesetzter zuständig wäre (§ 2 Abs. 2 GVO).
4. Den Wert für das Rechtsbeschwerdeverfahren hat der Senat auf ein Drittel des zu vollstreckenden Gesamtbetrages bemessen (BGH, Beschl. v. 15.12.2003 - II ZB 32/03).
Fundstellen
Haufe-Index 1248757 |
BGHR 2005, 130 |
EBE/BGH 2004, 2 |
FamRZ 2004, 1960 |
NJW-RR 2005, 149 |
JurBüro 2005, 46 |
WM 2005, 395 |
InVo 2005, 101 |
MDR 2005, 169 |
MDR 2006, 967 |
Rpfleger 2005, 36 |
VE 2005, 25 |
ZVI 2004, 669 |
Mitt. 2004, 572 |
ProzRB 2005, 90 |