Leitsatz (amtlich)
Im Verfahren der Beschwerde gegen eine Betreuungsanordnung kann nach dem Tod des Betroffenen von den gem. § 303 FamFG beschwerdeberechtigten Angehörigen oder Vertrauenspersonen kein Feststellungsantrag nach § 62 FamFG gestellt werden (Abgrenzung zu BGH Beschl. v. 6.10.2011 - V ZB 314/10, FamRZ 2012, 212).
Normenkette
FamFG §§ 62, 303
Verfahrensgang
LG München II (Beschluss vom 05.06.2012; Aktenzeichen 6 T 5066/11) |
AG Ebersberg (Entscheidung vom 29.09.2011; Aktenzeichen XVII 241/11) |
Tenor
Die Rechtsbeschwerde des Beteiligten zu 1) gegen den Beschluss der 6. Zivilkammer des LG München II vom 5.6.2012 wird zurückgewiesen.
Das Verfahren der Rechtsbeschwerde ist gerichtsgebührenfrei.
Gründe
I.
Rz. 1
Das AG hat am 29.9.2011 nach Einholung eines Sachverständigengutachtens für die 1931 geborene Betroffene eine Betreuung für alle Angelegenheiten eingerichtet. Gegen diese Entscheidung hat der Beteiligte zu 1) als Sohn der Betroffenen Beschwerde eingelegt. Im Laufe des Beschwerdeverfahrens, in dem das LG die Einholung eines ergänzenden Sachverständigengutachtens angeordnet hat, ist die Betroffene am 1.1.2012 verstorben. Der Beteiligte zu 1) hat seine Beschwerde mit dem Antrag aufrechterhalten, die Rechtswidrigkeit der Betreuungsanordnung festzustellen. Das LG hat sein Rechtsmittel als unzulässig verworfen; hiergegen wendet sich der Beteiligte zu 1) mit seiner Rechtsbeschwerde.
II.
Rz. 2
Die Rechtsbeschwerde ist gem. § 70 Abs. 3 Nr. 1 FamFG auch ohne Zulassung durch das Beschwerdegericht statthaft, weil das Verfahren eine Betreuungssache zur Bestellung eines Betreuers zum Gegenstand hat. Daran ändert nichts, dass das Beschwerdegericht nicht mehr über die angefochtene Betreuungsanordnung, sondern bereits über einen Feststellungsantrag nach § 62 Abs. 1 FamFG entschieden hat und das Rechtsbeschwerdeverfahren nur noch auf die Überprüfung dieser Entscheidung abzielt (Jürgens/Kretz Betreuungsrecht 4. Aufl., § 62 FamFG Rz. 8; vgl. auch BGH Beschlüsse v. 22.7.2010 - V ZB 292/10 - veröffentlicht bei juris Rz. 9; v. 6.10.2011 - V ZB 314/10, FamRZ 2012, 211 Rz. 5).
Rz. 3
Das Rechtsmittel ist auch im Übrigen zulässig, hat in der Sache aber keinen Erfolg.
Rz. 4
1. Nach Auffassung des LG ist der Antrag des Beteiligten zu 1) auf postume Feststellung der Rechtswidrigkeit der Betreuungsanordnung unzulässig. Zwar stelle die Anordnung einer Betreuung für den Betreuten einen gewichtigen Grundrechtseingriff dar, so dass dieser selbst das Recht habe, eine nachträgliche Feststellung der Rechtswidrigkeit zur Gewährleistung eines effektiven Rechtsschutzes herbeizuführen. Dieses Recht stehe nach dem Tode des Betreuten aber nicht dessen Angehörigen zu, denn ein Makel oder eine Stigmatisierung, die postum beseitigt werden müssten, hafte der Anordnung einer Betreuung nicht an.
Rz. 5
2. Gegen diese Erwägungen ist aus Rechtsgründen nichts zu erinnern.
Rz. 6
Das Verfahren betreffend die Anordnung einer Betreuung erledigt sich insgesamt mit dem Tod des Betreuten, weil von diesem Zeitpunkt an nicht mehr entschieden zu werden braucht, ob und welche Maßnahmen zum Schutz des Betroffenen ergriffen werden müssen (vgl. Keidel/Sternal FamFG 17. Aufl., § 22 Rz. 41). Verstirbt der Betroffene daher im Laufe des Beschwerdeverfahrens, wird die ursprünglich zulässige Beschwerde eines weiteren Verfahrensbeteiligten gegen eine in der Vorinstanz angeordnete Betreuung infolge der durch den Tod des Betroffenen eingetretenen Erledigung regelmäßig unzulässig, weil eine Sachentscheidung durch das Beschwerdegericht nicht mehr ergehen kann. Der Beteiligte zu 1) war demgegenüber auch nicht befugt, durch Umstellung seiner Anträge im Beschwerdeverfahren nach dem Tode der Betroffenen eine Sachentscheidung über einen Feststellungsantrag nach § 62 Abs. 1 FamFG herbeizuführen, denn für diesen Antrag fehlt ihm nach der zutreffenden Ansicht des LG die erforderliche Antragsberechtigung.
Rz. 7
a) Ein Antragsrecht ergibt sich für den Beteiligten zu 1) insb. nicht aus § 303 Abs. 2 FamFG, wonach das Recht der Beschwerde gegen die Bestellung eines Betreuers im Interesse des Betroffenen auch den dort bestimmten Angehörigen und Vertrauenspersonen des Betroffenen zusteht. Das Recht zur Einlegung der Beschwerde gegen die Anordnung der Betreuung umfasst nicht gleichzeitig die Antragsbefugnis nach § 62 Abs. 1 FamFG. Denn § 62 Abs. 1 FamFG setzt nach seinem eindeutigen Wortlaut voraus, dass der "Beschwerdeführer" selbst durch die erledigte Maßnahme in seinen Rechten verletzt worden ist. Demgemäß kann nur derjenige Beteiligte nach § 62 Abs. 1 FamFG antragsbefugt sein, dessen eigene Rechtssphäre betroffen ist und der ein berechtigtes Feststellungsinteresse nach § 62 Abs. 2 FamFG hat. Hieraus hat der Senat bereits abgeleitet, dass dem Verfahrenspfleger des Betroffenen trotz seines Beschwerderechts kein eigenes Antragsrecht nach § 62 Abs. 1 FamFG zusteht (vgl. Senatsbeschluss v. 15.2.2012 - XII ZB 389/11, FamRZ 2012, 619 Rz. 13). Nichts anderes gilt für den nach § 303 Abs. 2 FamFG privilegierten Personenkreis (vgl. auch BGH Beschl. v. 6.10.2011 - V ZB 314/10, FamRZ 2012, 211 Rz. 9 für die nach § 429 FamFG Beschwerdeberechtigten).
Rz. 8
b) Ein Antragsrecht des Beteiligten zu 1) kann sich auch nicht aus seiner Stellung als Erbe nach der verstorbenen Betroffenen ergeben. Aus der Bindung an die Person des Beschwerdeführers und an den Eingriff in dessen Rechte folgt der höchstpersönliche Charakter des nach § 62 Abs. 2 FamFG erforderlichen Feststellungsinteresses, in den der Erbe nicht kraft Erbrechts eintreten kann (vgl. BGH Beschl. v. 6.10.2011 - V ZB 314/10, FamRZ 2012, 211 Rz. 10; OLG München FGPrax 2010, 269).
Rz. 9
c) Schließlich ist es in einem erledigten Betreuungsverfahren auch aus verfassungsrechtlichen Gründen nicht geboten, Angehörigen eines verstorbenen Betroffenen - etwa im Wege einer teleologisch erweiternden Auslegung von § 62 Abs. 2 FamFG (vgl. BGH Beschl. v. 6.10.2011 - V ZB 314/10, FamRZ 2012, 211 Rz. 11) - durch einen Fortsetzungsfeststellungsantrag die Geltendmachung eines postmortalen Rehabilitationsinteresses zu ermöglichen.
Rz. 10
aa) Dabei steht es im Ausgangspunkt allerdings außer Frage, dass die gerichtliche Bestellung eines Betreuers für den unter Betreuung Gestellten einen schwerwiegenden Grundrechtseingriff darstellt. Denn die Einrichtung einer Betreuung kann den Betreuten nicht nur in seiner allgemeinen Handlungsfreiheit (Art. 2 Abs. 1 GG) beschränken, sondern sie greift auch gewichtig in das Grundrecht auf Schutz der Persönlichkeit aus Art. 2 Abs. 1 i.V.m. Art. 1 Abs. 1 GG ein. Das Recht auf freie Entfaltung der Persönlichkeit schützt insb. vor verfälschenden oder entstellenden Darstellungen des eigenen Persönlichkeitsbildes. Zwar wollte der Gesetzgeber mit der Einführung der rechtlichen Betreuung die Stigmatisierung und Diskriminierung psychisch erkrankter oder seelisch behinderter Volljähriger in Grenzen halten. Gleichwohl entfaltet die Anordnung der Betreuung für den Betroffenen weiterhin eine gewisse stigmatisierende Wirkung in seinem sozialen und beruflichen Umfeld. Denn mit der Einrichtung der Betreuung ist notwendigerweise die Einschätzung verbunden, dass der Betroffene zumindest in einem bestimmten Rahmen nicht in der Lage ist, seine eigenen Angelegenheiten zu regeln und ggf. seinen Willen frei zu bilden; hierdurch wird sein Persönlichkeitsbild negativ geprägt und beeinträchtigt (vgl. Senatsbeschluss v. 9.2.2011 - XII ZB 526/10, FamRZ 2011, 630 Rz. 5; BVerfG FamRZ 2010, 1624 Rz. 34 und 46). Dies kann sich auch nach der Erledigung einer Betreuungsmaßnahme fortsetzen und das künftige berufliche und das private Leben des unter Betreuung Gestellten beeinträchtigen. Aus diesem Grunde kann der Betroffene sein Rehabilitationsinteresse in einem erledigten Betreuungsverfahren regelmäßig durch einen Feststellungsantrag nach § 62 FamFG zur Geltung bringen.
Rz. 11
bb) Aus alledem folgt aber nicht, dass auch den Angehörigen eines unter Betreuung Gestellten die Möglichkeit gegeben werden müsste, dessen Rehabilitationsinteressen nach seinem Tode weiterverfolgen zu können (zum alten Verfahrensrecht vgl. bereits KG FGPrax 2009, 264 f. sowie zur Unterbringung OLG München BtPrax 2006, 231; OLG Frankfurt OLGReport Frankfurt 2005, 640 f.; BayObLG FamRZ 2001, 1645 f.).
Rz. 12
Ein Verstorbener wird durch das Grundrecht auf freie Entfaltung der Persönlichkeit nicht mehr geschützt, weil Träger dieses Grundrechts nur lebende Personen sein können (BVerfG NJW 1971, 1645, 1647). Zwar folgt aus der Garantie der Menschenwürde nach Art. 1 Abs. 1 GG auch ein postmortales Persönlichkeitsrecht, weil die Verpflichtung der staatlichen Gewalt, dem Einzelnen Schutz gegen Angriffe auf seine Menschenwürde zu gewähren, nicht mit dem Tod endet. Indessen hat das BVerfG in ständiger Rechtsprechung betont, dass die Schutzwirkungen des aus der Menschenwürdegarantie abgeleiteten postmortalen Persönlichkeitsrechts nicht vergleichbar sind mit den Schutzwirkungen des allgemeinen Persönlichkeitsrechts lebender Personen, welches sich aus Art. 2 Abs. 1 i.V.m. Art. 1 Abs. 1 GG ergibt (vgl. zuletzt BVerfG NJW 2001, 2957, 2959; BVerfG NJW 2006, 3409). Durch das postmortale Persönlichkeitsrecht sind zum einen der allgemeine Achtungsanspruch, der dem Menschen kraft seines Personseins zusteht, und zum anderen der sittliche, personale und soziale Wert geschützt, den die Person durch ihre eigene Lebensleistung erworben hat (BVerfG NJW 2001, 2957, 2959; BVerfG NJW 2006, 3409). Vor diesem Hintergrund hat das LG mit Recht darauf abgestellt, dass der Anordnung einer rechtlichen Betreuung eine schicksalhafte Erkrankung des Betreuten zugrunde liegt und ihr deshalb weder ein Schuldvorwurf noch ein Unwerturteil anhaften (vgl. BayObLG FamRZ 2001, 1645, 1646). Durch den Umstand, dass zu ihren Lebzeiten eine rechtliche Betreuung angeordnet worden ist, wird die verstorbene Betroffene weder in ihrem allgemeinen Achtungsanspruch herabgesetzt noch erniedrigt. Ein besonderes Bedürfnis zur Geltendmachung eines postmortalen Rehabilitationsinteresses, wie es der BGH ausnahmsweise für den Fall der Überprüfung der Rechtmäßigkeit einer durch den Tod des Betroffenen erledigten Abschiebehaftanordnung angenommen hat (vgl. BGH Beschl. v. 6.10.2011 - V ZB 314/10, FamRZ 2012, 211 Rz. 14), besteht daher in Betreuungsverfahren nicht.
Fundstellen
EBE/BGH 2012 |
FamRZ 2013, 29 |
FuR 2013, 96 |
NJW-RR 2013, 195 |
FGPrax 2013, 45 |
ZAP 2013, 12 |
ZAP 2013, 558 |
ZEV 2013, 210 |
BtPrax 2013, 30 |
FPR 2012, 5 |
JZ 2013, 71 |
MDR 2012, 1464 |
NJ 2012, 5 |
FF 2013, 43 |
FamFR 2013, 22 |
ZErb 2013, 11 |