Entscheidungsstichwort (Thema)
selbständiges Beweisverfahren. Hauptsacheklage. Fristsetzung. Unterlassen. Aufrechnung. Mängel. Gewähleistungsanspruch
Leitsatz (amtlich)
Anträge nach § 494a ZPO sind unzulässig, wenn und solange im Werklohnprozess des Antragsgegners ein Gewährleistungsanspruch des Antragstellers zur Aufrechnung gestellt ist, der sich auf Mängel bezieht, die Gegenstand des Beweisverfahrens waren.
Normenkette
ZPO § 494a
Verfahrensgang
LG Gießen (Beschluss vom 15.11.2004; Aktenzeichen 7 T 398/04) |
AG Gießen (Beschluss vom 30.09.2004) |
Tenor
Auf die Rechtsmittel der Antragstellerin werden der Beschluss der 7. Zivilkammer des LG Gießen v. 15.11.2004 und der Beschluss des AG Gießen v. 30.9.2004 aufgehoben.
Der Antrag des Antragsgegners, die ihm im selbständigen Beweisverfahren entstandenen Kosten der Antragstellerin aufzuerlegen, wird verworfen.
Der Antragsgegner hat die Kosten der Rechtsmittelzüge zu tragen.
Beschwerdewert: bis 900 EUR
Gründe
I.
Die Antragstellerin wendet sich dagegen, dass ihr gem. § 494a Abs. 2 ZPO die dem Antragsgegner im selbständigen Beweisverfahren entstandenen Kosten auferlegt worden sind.
Der Schlossermeister K., über dessen Vermögen zwischenzeitlich das Insolvenzverfahren eröffnet worden ist, erstellte im Auftrag der Antragstellerin eine Treppenanlage. Da diese nach Ansicht der Antragstellerin Mängel aufwies, leitete sie gegen den Antragsgegner, den Insolvenzverwalter, ein selbständiges Beweisverfahren ein. Dieses ist abgeschlossen.
Auf Antrag des Antragsgegners hat das AG zunächst gem. § 494a Abs. 1 ZPO angeordnet, dass die Antragstellerin Klage zu erheben habe. Die Antragstellerin ist dem nicht nachgekommen. Das AG hat sodann auf weiteren Antrag des Antragsgegners der Antragstellerin gem. § 494a Abs. 2 ZPO die dem Antragsgegner erwachsenen Kosten auferlegt. Dagegen hat die Antragstellerin sofortige Beschwerde eingelegt. Sie hat darauf hingewiesen, dass vor dem LG L. ein Rechtsstreit zwischen dem Antragsgegner und ihr anhängig sei, in dem sie gegen die Werklohnforderung des Klägers/Antragsgegners mit ihrem aus der mangelhaften Werkleistung resultierenden Schadensersatzanspruch aufgerechnet habe. Die sofortige Beschwerde ist erfolglos geblieben. Dagegen richtet sich die vom Beschwerdegericht zugelassene Rechtsbeschwerde der Antragstellerin.
II.
Die Rechtsbeschwerde hat Erfolg. Sie führt zur Aufhebung der Beschlüsse des LG und des AG und zur Verwerfung des Kostenantrags.
1. Das Beschwerdegericht führt aus: Mache der Antragsteller das Ergebnis des selbständigen Beweisverfahrens nur im Wege der Aufrechnung geltend, fehle es an einem Hauptsacheprozess i.S.v. § 494a ZPO. Es sei ein prozessualer Angriff des Antragstellers erforderlich, der die im selbständigen Beweisverfahren geprüften Mängel zum Streitgegenstand habe. Über zur Aufrechnung gestellte Gegenansprüche könne zudem nur dann entschieden werden, wenn und soweit die Klageforderung schlüssig sei. Es entstehe dadurch eine Unsicherheit, die mit dem Ziel des § 494a ZPO, klare Verhältnisse hinsichtlich der Kosten der Beweiserhebung zu schaffen, unvereinbar sei.
2. Das hält der rechtlichen Nachprüfung nicht stand.
a) Ob die Aufrechnung mit einem Gewährleistungsanspruch, dessen Verfolgung das selbständige Beweisverfahren gedient hat, durch den Antragsteller im Werklohnprozess des Antragsgegners der Erhebung einer Klage nach § 494a Abs. 1 ZPO gleichsteht, ist in der Rechtsprechung und Literatur umstritten. Die diese Frage verneinenden Stimmen beziehen sich zur Begründung insb. auf den Wortlaut des § 494a Abs. 1 ZPO und darauf, dass über den zur Aufrechnung gestellten Gegenanspruch nicht immer mit Rechtskraftwirkung entschieden werde (OLG Dresden, Urt. v. 25.7.2002 - 7 U 330/02, OLGReport Dresden 2003, 199 = BauR 2003, 761, m.w.N.). Die Gegenmeinung sieht in dem Rechtsstreit über die Werklohnforderung einen Hauptsacheprozess i.S.v. § 494a Abs. 1 ZPO und verweist auf den Zweck des selbständigen Beweisverfahrens, Prozesse möglichst zu vermeiden (OLG Hamm, Beschl. v. 29.7.1997 - 21 W 15/97, OLGReport Hamm 1997, 299; OLG Bamberg, Beschl. v. 20.8.2003 - 3 W 47/03, OLGReport Bamberg 2004, 16, jeweils m.w.N.). Andere gehen zwar davon aus, dass die Aufrechnung der Klageerhebung nicht gleichstehe, sehen aber den Zugang zu § 494a ZPO hierdurch zeitweilig als gesperrt an (Zöller/Herget, ZPO, 25. Aufl., § 494a, Rz. 2) oder verneinen ein Rechtsschutzinteresse des Antragsgegners an den Anträgen nach § 494a ZPO bis zum Abschluss des Werklohnprozesses (OLG Nürnberg, Beschl. v. 8.11.1999 - 13 W 2637/99, BauR 2000, 442, zum Zurückbehaltungsrecht).
b) Der Senat entscheidet die Streitfrage dahin, dass Anträge nach § 494a ZPO unzulässig sind, wenn und solange im Werklohnprozess des Antragsgegners ein Gewährleistungsanspruch des Antragstellers zur Aufrechnung gestellt ist, der sich auf Mängel bezieht, die Gegenstand des Beweisverfahrens waren. In diesem Fall fehlt ein berechtigtes Interesse des Antragsgegners für Anträge nach § 494a ZPO.
aa) Im selbständigen Beweisverfahren ist grundsätzlich kein Raum für eine Kostenentscheidung; über die Kosten ist im Hauptsacheprozess mit zu entscheiden (BGH, Beschl. v. 22.5.2003 - VII ZB 30/02, MDR 2003, 1130 = BGHReport 2003, 1034 = BauR 2003, 1255 [1256] = NZBau 2003, 500 = ZfBR 2003, 566; v. 24.6.2004 - VII ZB 11/03, MDR 2004, 1373 = BGHReport 2004, 1528 = BauR 2004, 1485 [1486] = NZBau 2004, 507 = ZfBR 2004, 785). Das gilt nicht nur dann, wenn der Antragsteller des selbständigen Beweisverfahrens den nachfolgenden Prozess als Kläger betreibt. Ein Hauptsacheverfahren, in dem eine einheitliche Kostenentscheidung zu ergehen hat, liegt nicht nur dann vor, wenn Forderungen wegen Mängeln, die Gegenstand des Beweisverfahrens waren, klageweise geltend gemacht werden, sondern auch dann, wenn sie zur Aufrechnung gestellt werden (Zöller/Herget, ZPO, 25. Aufl., § 91 Rz. 13, Stichwort "Selbständiges Beweisverfahren"). Es widerspräche dem Grundsatz der Einheitlichkeit der Kostenentscheidung, über einen Teil der Kosten vorweg im Rahmen des selbständigen Beweisverfahrens zu entscheiden, obwohl noch eine einheitliche Kostenentscheidung ergehen kann, in die das Obsiegen bzw. Unterliegen des Antragstellers mit seinen Gegenansprüchen einfließt.
bb) § 494a ZPO soll die Lücke schließen, die entsteht, wenn der Antragsteller des selbständigen Beweisverfahrens auf Grund der für ihn ungünstigen Ergebnisse der Beweisaufnahme auf eine Hauptsacheklage verzichtet. Die Fristsetzung nach § 494a Abs. 1 ZPO dient dazu, Klarheit darüber zu schaffen, ob eine Hauptsacheklage erhoben wird. Ist das nicht der Fall, soll der Antragsgegner durch die Kostenentscheidung nach § 494a Abs. 2 ZPO so gestellt werden, als habe er obsiegt. Der Antragsteller soll durch das Unterlassen der Hauptsacheklage nicht der Kostenpflicht entgehen, die sich bei Abweisung einer solchen Klage ergeben würde (BGH, Beschl. v. 22.5.2003 - VII ZB 30/02, MDR 2003, 1130 = BGHReport 2003, 1034; Beschl. v. 24.6.2004 - VII ZB 11/03, MDR 2004, 1373 = BGHReport 2004, 1528 = BauR 2004, 1485 [1486] = NZBau 2004, 507 = ZfBR 2004, 785).
Dieser Sinn und Zweck des § 494a ZPO greift nicht, wenn über den zur Aufrechnung gestellten Gegenanspruch entschieden wird. Dann ergeht eine entsprechende Kostenentscheidung unter Einschluss der Kosten des selbständigen Beweisverfahrens. Eine durch § 494a ZPO zu schließende Lücke besteht nicht.
cc) Das durch § 494a ZPO geschützte Kosteninteresse des Antragsgegners wird dadurch, dass ihm eine Kostenentscheidung nach dieser Vorschrift verwehrt und er auf die Kostenentscheidung im Hauptsacheverfahren verwiesen wird, nicht unzumutbar beeinträchtigt. Die dadurch bedingte zeitliche Verzögerung, die ohnehin nur die dem Antragsgegner im selbständigen Beweisverfahren entstandenen außergerichtlichen Kosten betrifft, muss er hinnehmen (vgl. auch: BGH, Beschl. v. 24.6.2004 - VII ZB 11/03, MDR 2004, 1373 = BGHReport 2004, 1528 = BauR 2004, 1485 [1486] = NZBau 2004, 507 = ZfBR 2004, 785). Stellt sich im weiteren Verlauf des Hauptsacheverfahrens heraus, dass die Gegenansprüche des Antragstellers nicht geprüft werden, kann der Antragsgegner auch dann noch den Weg des § 494a ZPO beschreiten.
c) Danach ist der Antrag des Antragsgegners, der Antragstellerin die Kosten des selbständigen Beweisverfahrens aufzuerlegen, unzulässig. Vor dem LG L. ist der Werklohnprozess zwischen den Parteien anhängig. Die Antragstellerin hat dort mit ihrem Gewährleistungsanspruch gegen die Werklohnforderung des Antragsgegners aufgerechnet.
3. Die Kostenentscheidung folgt aus § 91 ZPO.
Fundstellen
Haufe-Index 1434364 |
BGHR 2005, 1550 |
BauR 2005, 1799 |
NJW-RR 2005, 1688 |
IBR 2005, 649 |
AnwBl 2006, 2 |
MDR 2006, 167 |
NJW-Spezial 2006, 24 |
NZBau 2005, 687 |
PA 2005, 205 |
BauRB 2005, 358 |
JbBauR 2007, 381 |