Tenor
Die sofortige weitere Beschwerde des Beklagten gegen den Beschluß des 9. Zivilsenates des Oberlandesgerichts Köln vom 14. August 2000 wird auf seine Kosten zurückgewiesen.
Beschwerdewert: 30.000 DM.
Gründe
I. Die Klägerin handelt mit Kraftstoffen und Mineralölen, die sie über ein eigenes regionales Tankstellennetz absetzt. Die Verwaltung von zunächst sechs, später vier dieser Tankstellen hatte sie mit – inhaltsgleichen – Verträgen vom 1. Juli 1998 der Fa. B. GbR übertragen; nach dem Ausscheiden der Mitgesellschafterin führte der Beklagte die Tankstellen auf der Grundlage der genannten Verträge ab dem 1. Oktober 1998 alleine weiter. Sämtliche Vertragsverhältnisse wurden am 7. Juli 1999 beendet. Mit der vorliegenden Klage macht die Klägerin Restbeträge aus der Lieferung von Kraftstoffen, Schmierstoffen und anderen Produkten sowie Nebenkosten der vom Beklagten betriebenen Tankstellen geltend.
Den Verträgen waren jeweils mehrere Anlagen beigefügt, die unter anderem Regelungen über die Öffnungszeiten der Tankstellen, die Vergütung für den Verkauf von Kraftstoffen und sonstigen Agenturwaren, die Einzelheiten des Abrechnungsverfahrens sowie die vom Beklagten zu entrichtende „Nutzungsvergütung für das Pachtobjekt” enthielten.
Der Beklagte hält den Rechtsweg zu den ordentlichen Gerichten für unzulässig. Er ist der Auffassung, aufgrund der detaillierten vertraglichen Regelungen und der tatsächlichen Handhabung sei er persönlich und wirtschaftlich von der Klägerin so abhängig gewesen, daß er jedenfalls als arbeitnehmerähnliche Person im Sinne des § 5 Abs. 1 Satz 2 ArbGG anzusehen sei; für den Rechtsstreit sei deshalb der Rechtsweg zu den Arbeitsgerichten gegeben. Dem hält die Klägerin entgegen, der Beklagte sei schon im Hinblick auf die Vielzahl der von ihm Beschäftigten und die Möglichkeit der selbständigen Durchführung der tankstellenüblichen Nebengeschäfte selbständiger Gewerbetreibender gewesen; zumindest sei er nach seiner gesamten sozialen Stellung nicht einem Arbeitnehmer vergleichbar sozial schutzbedürftig.
Das Landgericht hat den Rechtsweg zu den ordentlichen Gerichten für unzulässig erklärt und den Rechtsstreit an das örtlich zuständige Arbeitsgericht Siegburg verwiesen. Auf die sofortige Beschwerde der Klägerin hat das Oberlandesgericht den erstinstanzlichen Beschluß aufgehoben und ausgesprochen, daß der Rechtsweg zu den ordentlichen Gerichten zulässig ist. Mit der – gemäß § 17 a Abs. 4 Satz 5 GVG zugelassenen – sofortigen weiteren Beschwerde verfolgt der Beklagte sein Ziel der Verweisung des Verfahrens an das Arbeitsgericht Siegburg weiter.
II. Die zulässige Beschwerde bleibt in der Sache ohne Erfolg. Das Oberlandesgericht hat den Rechtsweg zu den ordentlichen Gerichten im Ergebnis zu Recht bejaht.
1. Nach § 2 Abs. 1 Nr. 3 Buchst. a ArbGG sind die Arbeitsgerichte ausschließlich zuständig für bürgerliche Rechtsstreitigkeiten zwischen Arbeitnehmern und Arbeitgebern aus dem Arbeitsverhältnis. Arbeitnehmer in diesem Sinne sind Arbeiter und Angestellte; ihnen gleichgestellt sind sonstige Personen, die wegen ihrer wirtschaftlichen Unselbständigkeit als arbeitnehmerähnliche Personen anzusehen sind (§ 5 Abs. 1 Satz 1 und 2 ArbGG).
Das Oberlandesgericht hat nicht verkannt, daß die Regelungen in den Tankstellenverträgen und ihren Anlagen sowohl eine gewisse persönliche als auch eine wirtschaftliche Abhängigkeit des Beklagten von der Klägerin bewirkten; es meint jedoch, nach der maßgebenden praktischen Handhabung und der wirtschaftlichen Gestaltung der Vertragsverhältnisse sei dem Beklagten noch soviel unternehmerische Freiheit verblieben, daß er nicht mehr als arbeitnehmerähnliche Person anzusehen sei.
Zu Recht hat das Oberlandesgericht die Voraussetzungen des § 5 Abs. 1 Satz 2 ArbGG mit der Begründung verneint, die gleichzeitige Führung von sechs bzw. vier räumlich zum Teil weit auseinander gelegenen Tankstellen, die Beschäftigung von bis zu 25 Arbeitnehmern und der wirtschaftliche Umfang der Tätigkeit des Beklagten seien mit dem Bild einer wegen ihrer wirtschaftlichen Abhängigkeit sozial schutzbedürftigen arbeitnehmerähnlichen Person nicht zu vereinbaren (vgl. BGH, Beschluß vom 27. Januar 2000 – III ZB 67/99 = BB 2000, 483 unter II 3 b). Hinzu kommt, daß der Beklagte, den die Klägerin für Rückstände aus dem Agenturgeschäft in Anspruch nimmt, als Tankstellenpächter die rechtliche Stellung eines Handelsvertreters innehatte; Handelsvertreter zählen jedoch nur unter den engen Voraussetzungen des § 5 Abs. 3 ArbGG zu dem von § 5 Abs. 1 ArbGG erfaßten Personenkreis. Diese Voraussetzungen sind hier nicht erfüllt.
2. Nach ständiger Rechtsprechung des Bundesgerichtshofes ist ein Tankstellenbetreiber Handelsvertreter im Sinne der §§ 84 ff. HGB, wenn er gegen Provision ständig damit betraut ist, im Namen und für Rechnung einer Mineralölgesellschaft deren Kraftstoffe und Schmierstoffe von einer Tankstelle aus zu verkaufen (BGHZ 42, 244, 245 und 52, 171, 174; Urteile vom 19. November 1976 – I ZR 84/75 = MDR 1977, 289 und vom 20. Februar 1981 – I ZR 59/79 = WM 1981, 685 unter II 1; vgl. auch Urteile vom 8. März 1973 – VII ZR 214/71 = MDR 1973, 491, vom 15. November 1984 – I ZR 79/82 = NJW 1985, 860, vom 28. April 1988 – I ZR 66/87 = WM 1988, 1204 und vom 6. August 1997 – VIII ZR 92/96 und VIII ZR 150/96 = WM 1998, 25 und 31). Diese Merkmale treffen auf den Beklagten zu. Dabei kann dahinstehen, ob der Senat die vom Beschwerdegericht vorgenommene Auslegung der Tankstellenverträge und ihrer Anlagen in entsprechender Anwendung des § 561 ZPO nur auf Rechtsfehler hin überprüfen kann oder ob die Verträge von der Beklagten – was das Oberlandesgericht nicht festgestellt hat – über dessen Bezirk hinaus verwendet werden und der Senat deshalb die Verträge selbst auslegen kann (vgl. dazu Senatsbeschluß BGHZ 140, 11, 20); denn auch die eigene Auslegung durch den Senat führt zu keinem anderen Ergebnis.
Für den Verkauf der von ihr im Rahmen des Agenturverhältnisses gelieferten Kraftstoffe, Schmierstoffe und sonstigen Agenturwaren zahlte die Klägerin dem Beklagten eine umsatzabhängige Vergütung. Daß diese Vergütung für die im Namen und auf Rechnung der Klägerin verkauften Waren nicht ausdrücklich als „Provision” (§ 87 HGB) bezeichnet war, ist unschädlich.
3. Die rechtlichen Voraussetzungen der gesetzlichen Definition des Begriffs des Handelsvertreters trafen auf den Beklagten auch insoweit zu, als er im wesentlichen seine Tätigkeit frei gestalten und seine Arbeitszeit bestimmen konnte (§ 84 Abs. 1 Satz 2 HGB). Zu Recht hat das Oberlandesgericht in diesem Zusammenhang unter anderem darauf abgestellt, daß die von der Klägerin vorgegebenen Öffnungszeiten der Tankstellen letztlich nicht die eigene Arbeitszeit des Beklagten betrafen, der Beklagte sich diese vielmehr selbständig einteilen konnte. Schon im Hinblick auf die Länge der Öffnungszeiten – an Werktagen 16, an Sonn- und Feiertagen 14 Stunden (Anlage 4) – ist es auszuschließen, daß der Beklagte persönlich an diese Zeiten gebunden sein sollte. Zeitpunkt und Dauer seines Urlaubs konnte er nach eigenem Ermessen bestimmen. Selbständiger Gewerbetreibender war der Beklagte aber insbesondere auch insofern, als ihm die Anzahl, Auswahl, Einstellung, Entlohnung und Entlassung der bis zu 25 Beschäftigten sowie die Art und Weise der persönlichen Betreuung der verschiedenen Tankstellen überlassen war. Daß die Klägerin dem Beklagten detaillierte Pflichten hinsichtlich der Warenbevorratung, der Abrechnung und der Zahlungsmodalitäten auferlegt und sich weitgehende Kontrollrechte vorbehalten hatte, entspricht der typischen Vertragsgestaltung im Tankstellengewerbe und beseitigt – entgegen der Auffassung des Beklagten – bei der gebotenen Gesamtwürdigung nicht die von § 84 Abs. 1 HGB vorausgesetzte Selbständigkeit des Handelsvertreters (vgl. Senatsbeschluß vom 21. Oktober 1998 – VIII ZB 54/97 = ZIP 1998, 2176 unter II 2)
4. Handelsvertreter gelten nach § 5 Abs. 3 Satz 1 ArbGG nur dann als Arbeitnehmer im Sinne des Arbeitsgerichtsgesetzes, wenn sie zu dem Personenkreis gehören, für den nach § 92 a HGB die untere Grenze der vertraglichen Leistungen des Unternehmers festgesetzt werden kannund wenn sie während der letzten sechs Monate des Vertragsverhältnisses im Durchschnitt monatlich nicht mehr als 2.000 DM aufgrund des Vertragsverhältnisses an Vergütung einschließlich Provision und Aufwendungsersatz bezogen haben. Eine Anwendung des § 5 Abs. 3 ArbGG scheidet hier jedenfalls deshalb aus, weil der Beklagte, wie aus den von den Parteien übergebenen Unterlagen hervorgeht, monatlich mehr als 2.000 DM als vertragliche Vergütung von der Klägerin bezogen hat und damit die Einkommensgrenze des § 5 Abs. 3 Satz 1 ArbGG überschritten ist.
Die Vorschrift des § 5 Abs. 3 Satz 1 ArbGG ist im Verhältnis zu § 5 Abs. 1 Satz 2 ArbGG lex specialis; sie enthält eine in sich geschlossene Zuständigkeitsregelung, die es verbietet, Handelsvertreter unter anderen als den in § 5 Abs. 3 Satz 1 genannten Voraussetzungen als Arbeitnehmer oder arbeitnehmerähnliche Personen im Sinne des § 5 Abs. 1 Satz 2 zu behandeln (BAG, Urteil vom 15. Juli 1961 – 5 AZR 472/60 = AP HGB § 92 a Nr. 1; Urteil vom 19. Juni 1963 – 5 AZR 314/62 = BB 1963, 1096).
Nach alledem hat das Oberlandesgericht den Rechtsweg zu den ordentlichen Gerichten zu Recht bejaht. Die Beschwerde des Beklagten gegen den Beschluß vom 14. August 2000 war daher mit der Kostenfolge des § 97 ZPO zurückzuweisen.
III. Den Beschwerdewert bemißt der Senat mit rund 1/5 des Hauptsachewertes, das sind 30.000 DM (vgl. BGH, Beschluß vom 19. Dezember 1996 – III ZB 105/96 = WM 1997, 1077 unter III; Musielak/Smid, ZPO, 2. Aufl., § 3 Rdnr. 31).
Unterschriften
Dr. Deppert, Dr. Hübsch, Dr. Beyer, Ball, Dr. Leimert
Fundstellen
Haufe-Index 519112 |
NJOZ 2001, 42 |