Tenor
Die Revision der Beteiligten zu 1 gegen das Urteil des 9. Zivilsenats des Kammergerichts vom 30. Januar 2001 – U Baul 3053/00 – wird nicht angenommen.
Die Beteiligte zu 1 hat die Kosten des Revisionsrechtszuges zu tragen (§ 221 Abs. 1 BauGB i.V.m. § 97 Abs. 1 ZPO).
Streitwert des Revisionsverfahrens: 1.223.442,04 DM.
Gründe
I.
Die Beteiligte zu 1 ist Eigentümerin des Grundstücks K.-Straße 156 in der Innenstadt von Berlin. Dieses Grundstück besteht aus dem vorn an der K.-Straße liegenden, 156 m² großen Flurstück 184 und dem dahinter an die S-Bahn-Bögen angrenzenden Flurstück 185, das 165 m² groß ist. Auf dem Grundstück steht ein aus den fünfziger Jahren des vorigen Jahrhunderts stammender Flachbau mit zwei Läden; in dem einen betreibt die Beteiligte zu 1 ein Schmuckgeschäft, der andere steht leer. Der durch die Verordnung vom 17. August 1993 (BerlGVBl. S. 376) festgesetzte Bebauungsplan VII-238 setzt für das sog. K.-Dreieck zwischen der Bahntrasse, der K.-Straße und der F.-Straße das Bauland als Kerngebiet und durch Baugrenzen einen Baukörper mit Traufhöhen von 70 m, 52 m und 44 m, einen 10 m breiten Streifen zwischen Kerngebiet und Bahntrasse als Verkehrsfläche besonderer Zweckbestimmung „Fußgängerbereich” und in der K.- und F.-Straße Straßenverkehrsflächen fest. Das Grundstück der Beteiligten zu 1 wird mit 180 m² von der Fußgängerpassage erfaßt. Im übrigen (145 m²) ist es nach dem Bebauungsplan mit einem Gehrecht zugunsten der Allgemeinheit und mit einem Leitungsrecht zugunsten der zuständigen Unternehmensträger zu belasten.
Auf Antrag der Beteiligten zu 2 hat die Beteiligte zu 4 (Enteignungsbehörde) die Vollenteignung des Flurstücks 185 und die Begründung einer Grunddienstbarkeit im Sinne eines Geh- und Aufenthaltsrechts für die Allgemeinheit zugunsten des Beteiligten zu 2 (Land Berlin) angeordnet. Im baulandgerichtlichen Verfahren hat das Kammergericht (Senat für Baulandsachen) als Berufungsgericht die Enteignung des Flurstücks 185 bestätigt und auch hinsichtlich des Flurstücks 184 die Vollenteignung angeordnet. Die Enteignungsentschädigung – einschließlich einer Entschädigung in Höhe von 25.000 DM für die Betriebsverlagerung des Schmuckgeschäfts – hat es auf 1.205.000 DM festgesetzt.
Mit der hiergegen gerichteten Revision wehrt sich die Beteiligte zu 1 weiterhin gegen die Enteignung. Außerdem verlangt sie einen höheren als den ihr vom Berufungsgericht zuerkannten Betrag zur Erstattung ihrer notwendigen Kosten im Enteignungs- und Besitzeinweisungsverfahren.
II.
Die Rechtssache hat keine grundsätzliche Bedeutung. Die Revision hat im Ergebnis auch keine Aussicht auf Erfolg.
Die vom Berufungsgericht bestätigte bzw. von ihm in der Form der Vollenteignung auch des Flurstücks 184 erstmals ausgesprochene Enteignung der beiden Flurstücke der Beteiligten zu 1 auf der Grundlage des Enteignungsbeschlusses vom 10. September 1999 ist rechtmäßig.
1. Nach § 85 Abs. 1 Nr. 1 BauGB kann enteignet werden, um entsprechend den Festsetzungen des Bebauungsplans ein Grundstück zu nutzen oder eine solche Nutzung vorzubereiten. Allerdings ist die Enteignung im einzelnen Fall nur zulässig, wenn – darüber hinaus – das Wohl der Allgemeinheit sie erfordert und der Enteignungszweck auf andere zumutbare Weise nicht erreicht werden kann (§ 87 Abs. 1 BauGB; vgl. Senatsurteile BGHZ 68, 100, 102; 105, 94, 97). Mit den Festsetzungen im Bebauungsplan ist für die einzelnen vom Plan erfaßten Grundstücke nur die zulässige Benutzungsart bestimmt; damit steht aber noch nicht fest, daß das Wohl der Allgemeinheit es gebietet, ein bestimmtes Grundstück diesem Zweck zwangsweise durch Enteignung gerade im jetzigen Zeitpunkt zuzuführen. Die Enteignung ist danach nur zulässig, wenn es zur Erfüllung öffentlicher Aufgaben unumgänglich ist, das Eigentum in die Hand des Staates zu bringen. Es muß über das öffentliche Interesse an der Planung hinaus ein Zurücktreten des Eigentümers hinter das Gemeinwohl erforderlich sein (BGHZ 105, 94, 97).
Diese Voraussetzungen hat das Berufungsgericht ohne durchgreifenden Rechtsfehler bejaht.
a) Die Stadt Berlin will hier die Festsetzungen des Bebauungsplans VII/-238 vom 17. August 1993 verwirklichen. Dieser Plan ist bestandskräftig. Die gegen den Plan angebrachte Normenkontrollklage der Beteiligten zu 1 hat das Oberverwaltungsgericht durch Urteil vom 25. August 1995 (veröffentlicht in NVwZ-RR 1996, 189) zurückgewiesen.
Hält das Oberverwaltungsgericht im Normenkontrollverfahren (§ 47 VwGO) einen Bebauungsplan für gültig, so bindet diese Entscheidung im Rahmen ihrer Rechtskraftwirkungen auch den Zivilrichter, für den die Wirksamkeit des Bebauungsplans nur eine Vorfrage bildet (BGHZ 77, 338; 105, 94, 96 f). Entgegen der Auffassung der Revision bedeutet diese Bindung aber nicht nur, daß die Wirksamkeit des Bebauungsplans „in formeller Hinsicht” der Nachprüfung entzogen ist. Vielmehr bindet die Entscheidung des Oberverwaltungsgerichts im Normenkontrollverfahren auch insoweit, als sie die Erforderlichkeit der Planung zur städtebaulichen Entwicklung und Ordnung generell und einen Bedarf für die konkrete Planung bejaht hat (BGHZ 105, 94, 96 f). Es ist daher – entgegen der Revision – nicht zu beanstanden, daß das Berufungsgericht in diesem Zusammenhang ausgeführt hat, soweit die stadtplanerische Neugestaltung nach Maßgabe des Bebauungsplans für zulässig erklärt worden sei, könne das (gesteigerte) öffentliche Interesse an der Durchführung dieser Planung nicht mehr mit der Begründung verneint werden, es sei seinerzeit auch eine andere, alternative Planungsentscheidung möglich gewesen.
Die Festsetzung der vom Berufungsgericht festgestellten städtebaulichen Planziele ist im übrigen, anders als die Revision es vorträgt, auch und gerade unter Berücksichtigung der Eigentümerinteressen der Beteiligten zu 1 erfolgt. Zwar hat ein Bebauungsplan mit der Festsetzung von Flächen öffentlicher Nutzung rechtlich keine enteignende Vorwirkung der Art, daß über die Zulassung der Enteignung solcher Flächen bereits bindend entschieden wäre (BVerwG NVwZ 1991, 873; BVerwG NVwZ-RR 1998, 483). Dementsprechend bedarf es nach der Rechtsprechung des Bundesverwaltungsgerichts selbst dann, wenn der Bebauungsplan die Grundlage für eine spätere Enteignung bilden soll, grundsätzlich noch keiner (vorgezogenen) Prüfung im Planungsverfahren, ob die Voraussetzungen für eine spätere Enteignung des Grundstücks erfüllt sind (BVerwG aaO; Stüer, Der Bebauungsplan, 2. Aufl. Rn. 691 m.w.N.). Hiervon bleibt allerdings der Grundsatz unberührt, daß bei der Aufstellung eines Bebauungsplans alle betroffenen und schutzwürdigen privaten Interessen, insbesondere soweit sie sich aus dem Eigentum und seiner Nutzung herleiten lassen, zu berücksichtigen sind (BVerwG NVwZ 1991, 873). Dementsprechend sind auch im Streitfall, wie das Oberverwaltungsgericht in seinem Urteil vom 25. August 1995 ausgeführt hat, Art, Ausmaß und Gewicht der potentiellen Beeinträchtigungen des Grundeigentums der Beteiligten zu 1 durch die Planung nicht verkannt worden; allerdings ist im Ergebnis „die der (Beteiligten zu 1) durch Art. 14 Abs. 1 Satz 1 GG vermittelte Rechtsposition … hier bei dem abwägenden Ausgleich der konfligierenden Belange mit sachgerechten Erwägungen zurückgestellt worden …”.
b) Ausgehend davon, daß mit der Festsetzung im Bebauungsplan unter Berücksichtigung auch der Eigentümerinteressen der Beteiligten zu 1 bindend über die zukünftige Zweckbestimmung der in Rede stehenden Flächen entschieden wurde (vgl. auch BVerwG NVwZ-RR 1998, 483, 484), ist das Berufungsgericht im Rahmen einer rechtsfehlerfreien weiteren Abwägung zum Ergebnis gelangt, daß der Vollzug der Festsetzungen im Bebauungsplan es auch erfordert, die betroffenen Grundflächen der Beteiligten zu 1 hoheitlich zu entziehen. Es hat in diesem Zusammenhang weder verkannt, daß dem Bebauungsplan keine enteignungsrechtliche Vorwirkung zukommt, noch, daß die bloßen Festsetzungen im Bebauungsplan für sich genommen noch nicht genügen, das Erfordernis der Enteignung zu begründen. Es hat dem Eigentümerinteresse der Beteiligten zu 1 konkret das städtebauliche öffentliche Interesse, die planerische Gesamtgestaltung in dem hier in Rede stehenden Bereich in der sogenannten City-West von Berlin zu vollenden und den vorgesehenen Stadtplatz als Freifläche zum Aufenthalt für die Öffentlichkeit anzulegen, entgegengesetzt. Diesem Interesse durfte das Berufungsgericht mit der Enteignungsbehörde insbesondere im Hinblick darauf den Vorrang vor dem Eigentümerinteresse der Beteiligten zu 1 einräumen, daß die Beteiligte zu 1 nach den Feststellungen des Berufungsgerichts ihren Gewerbebetrieb auch in anderen ihr angebotenen Räumlichkeiten betreiben könnte.
2. Auch im übrigen läßt das angefochtene Urteil keinen entscheidungserheblichen Rechtsfehler zum Nachteil der Beteiligten zu 1 erkennen.
Unterschriften
Rinne, Richter am Bundesgerichtshof Dr. Wurm ist infolge Urlaubs gehindert zu unterschreiben. Streck, Rinne, Richter am Bundesgerichtshof Schlick ist infolge Urlaubs gehindert zu unterschreiben. Rinne, Dörr
Fundstellen
Haufe-Index 651875 |
BGHR |
BauR 2002, 290 |
ZfBR 2002, 266 |
UPR 2002, 104 |