Entscheidungsstichwort (Thema)
Zulassung der Revision zur Sicherung einer einheitlichen Rechtsprechung
Leitsatz (redaktionell)
Eine zulassungsrelevante Divergenz zu einem OLG-Urteil ist dann gegeben, wenn in der angefochtenen Entscheidung ein abstrakter Rechtssatz aufgestellt wird, der von einem in anderen Entscheidungen eines höheren oder eines gleich geordneten Gerichts aufgestellten abstrakten Rechtssatz abweicht.
Normenkette
ZPO § 543 Abs. 2 S. 1 Nr. 2 Alt. 2; GG Art. 103 Abs. 1, Art. 2 Abs. 1, Art. 20 Abs. 3, Art. 3 Abs. 1
Verfahrensgang
OLG Koblenz (Urteil vom 27.08.2008; Aktenzeichen 1 U 24/08) |
LG Koblenz (Entscheidung vom 06.12.2007; Aktenzeichen 1 O 324/07) |
Tenor
Die Beschwerde der Klägerin gegen die Nichtzulassung der Revision in dem Urteil des 1. Zivilsenats des Oberlandesgerichts Koblenz vom 27. August 2008 – 1 U 24/08 – wird zurückgewiesen.
Die Klägerin trägt die Kosten des Beschwerdeverfahrens.
Beschwerdewert: 23.000 EUR
Gründe
Rz. 1
Die Voraussetzungen für eine Zulassung der Revision (§ 543 Abs. 2 ZPO) liegen nicht vor. Die Rechtssache erfordert keine Entscheidung des Revisionsgerichts zur Sicherung einer einheitlichen Rechtsprechung (§ 543 Abs. 2 Satz 1 Nr. 2 Alt. 2 ZPO) unter dem Gesichtspunkt abweichender obergerichtlicher Rechtsprechung oder behaupteter Verletzungen der Grundrechte der Klägerin (Art. 103 Abs. 1, Art. 2 Abs. 1 i.V.m. 20 Abs. 3, Art. 3 Abs. 1 GG).
Rz. 2
1. Die im Hinblick auf das Urteil des Oberlandesgerichts Frankfurt vom 11. Mai 2005 (NZV 2005, 638) behauptete Divergenz besteht nicht. Die in der Beschwerde insoweit angesprochenen Ausführungen des Berufungsgerichts zum Anscheinsbeweis stehen im Übrigen im Einklang mit der Rechtsprechung des Senats.
Rz. 3
Eine zulassungsrelevante Divergenz ist dann gegeben, wenn in der angefochtenen Entscheidung ein abstrakter Rechtssatz aufgestellt wird, der von einem in anderen Entscheidungen eines höheren oder eines gleich geordneten Gerichts aufgestellten abstrakten Rechtssatz abweicht (BGHZ 152, 182, 186 m.w.N.).
Rz. 4
Das Berufungsgericht ist – unter Bezugnahme auf den Beschluss des Senats vom 21. Januar 1982 (III ZR 80/81, VersR 1982, 299; siehe auch OLG Karlsruhe VersR 1976, 346; OLG Hamm OLGR 1995, 268, 269; Thüringisches OLG ZfS 2001, 11, 12; OLG Zweibrücken OLGR 2001, 99; OLG Brandenburg LKV 2005, 40) – davon ausgegangen, dass eine Streu- und Räumpflicht eine allgemeine Glättebildung und nicht nur das Vorhandensein vereinzelter Glättestellen voraussetzt. Für das Vorliegen einer allgemeinen Glätte, insoweit könne sich die Klägerin nicht auf einen Anscheinsbeweis stützen, und für die Verletzung der Verkehrssicherungspflicht trage die Klägerin die Darlegungs- und Beweislast.
Rz. 5
Dies entspricht der Rechtsprechung des Senats, wonach der Geschädigte die Beweislast für die tatsächlichen Voraussetzungen trägt, aus denen nach den Grundsätzen für die Verkehrssicherungspflicht eine Streupflicht erwächst (Beschluss vom 19. Dezember 1991 – III ZR 2/91 – BGHR BGB § 839 Abs. 1 Satz 1 Streupflicht 7; siehe auch BGH, Urteil vom 27. November 1984 – VI ZR 49/83 – NJW 1985, 484, 485; Beschluss vom 7. Juni 2005 – VI ZR 219/04 – NJW-RR 2005, 1185). Zwar sind bei Glatteisunfällen die Regeln über den Anscheinsbeweis anwendbar, wenn der Verletzte innerhalb der zeitlichen Grenzen der Streupflicht zu Fall gekommen ist. Dann spricht – ähnlich wie bei einem Verstoß gegen konkret gefasste Unfallverhütungsvorschriften – nach dem ersten Anschein eine Vermutung dafür, dass es bei Beachtung der Vorschriften über die Streupflicht nicht zu den Verletzungen gekommen wäre, dass sich also in dem Unfall gerade diejenige Gefahr verwirklicht hat, deren Eintritt die Schutzvorschriften verhindern wollten. Diese Beweiserleichterung kann mithin aber erst und nur Platz greifen, wenn zuvor festgestellt ist, dass das Unfallereignis in einem Zeitraum stattgefunden hat, während dessen die Unfallstelle gestreut gewesen sein musste. Für die Bestimmung dieses Rahmens ist indessen der Anspruchsteller beweispflichtig (Senat, Beschluss vom 19. Dezember 1991 – III ZR 2/91 – aaO; BGH, Beschluss vom 7. Juni 2005 – VI ZR 219/04 – aaO).
Rz. 6
Soweit das OLG Frankfurt in seiner in der Beschwerde angesprochenen Entscheidung ausgeführt hat, dass bei einem Sturz auf einem eisglatten Zebrastreifen vor einer Schule zur Zeit des Schulbeginns regelmäßig der Beweis des ersten Anscheins für eine unfallursächliche Streupflichtverletzung der Gemeinde spreche, betrifft dies nicht die im Mittelpunkt des Berufungsurteils stehende Frage, ob das hier streitgegenständliche Unfallereignis zu einem Zeitpunkt stattgefunden hat, während dessen die Unfallstelle gestreut werden musste (= zeitliche Grenzen der Streupflicht), sondern die nachfolgende Frage, ob dann, wenn ein Verletzter innerhalb der zeitlichen Grenzen der Streupflicht zu Fall gekommen ist, ein Anscheinsbeweis für eine Streupflichtverletzung und deren Unfallursächlichkeit besteht.
Rz. 7
2. Soweit die Zulassung einer Beschwerde zur Sicherung einer einheitlichen Rechtsprechung geboten ist, wenn das Berufungsurteil auf einer Verletzung von Verfahrensgrundrechten oder auf einem Verstoß gegen den allgemeinen Gleichheitssatz in seiner Ausprägung als Willkürverbot (Art. 3 Abs. 1 GG) beruht (BGHZ 154, 288, 296; 159, 135, 139 f), legt die Beschwerdeführerin entsprechende Zulassungsgründe nicht hinreichend dar. Von einer weiteren Begründung wird nach § 544 Abs. 4 Satz 2 ZPO abgesehen.
Unterschriften
Schlick, Wöstmann, Harsdorf-Gebhardt, Hucke, Seiters
Fundstellen