Leitsatz (amtlich)
Stützt sich der Insolvenzverwalter im Insolvenzanfechtungsprozess zum Nachweis der Zahlungsunfähigkeit des Schuldners auf ein oder mehrere Beweisanzeichen und auf die im Falle einer Zahlungseinstellung bestehende gesetzliche Vermutung, ist im Rahmen des Prozessrechts auf Antrag des Anfechtungsgegners zur Entkräftung der Beweisanzeichen und zur Widerlegung der Vermutung durch einen Sachverständigen eine Liquiditätsbilanz erstellen zu lassen.
Normenkette
InsO § 133 Abs. 1, § 17 Abs. 2
Verfahrensgang
OLG Koblenz (Urteil vom 14.05.2013; Aktenzeichen 4 U 1191/12) |
LG Koblenz (Entscheidung vom 11.09.2012; Aktenzeichen 1 O 569/11) |
Tenor
Auf die Beschwerde der Beklagten wird die Revision gegen das Urteil des 4. Zivilsenats des OLG Koblenz vom 14.5.2013 zugelassen.
Auf die Revision der Beklagten wird das vorbezeichnete Urteil aufgehoben und die Sache zur neuen Verhandlung und Entscheidung, auch über die Kosten des Revisionsverfahrens, an das Berufungsgericht zurückverwiesen.
Der Streitwert des Revisionsverfahrens wird auf 31.497,60 EUR festgesetzt.
Gründe
I.
Rz. 1
Der Kläger ist Verwalter in dem am 15.10.2008 eröffneten Insolvenzverfahren über das Vermögen der H. GmbH (fortan: Schuldnerin). Er verlangt von der beklagten Gemeinde unter dem rechtlichen Gesichtspunkt der Vorsatzanfechtung nach § 133 Abs. 1 InsO die Erstattung von Gewerbesteuerzahlungen im Gesamtbetrag von 31.497,60 EUR, welche die Schuldnerin im Zeitraum zwischen August 2002 und März 2007 jeweils durch Übergabe von Schecks an den Vollziehungsbeamten der Beklagten erbracht hat.
Rz. 2
Das LG hat die Klage abgewiesen, weil es sich nicht davon überzeugen konnte, dass die Beklagte einen etwaigen Vorsatz der Schuldnerin, mit den angefochtenen Zahlungen ihre übrigen Gläubiger zu benachteiligen, gekannt habe. Auf die Berufung des Klägers hat das OLG die Beklagte antragsgemäß verurteilt. Mit ihrer Beschwerde erstrebt die Beklagte die Zulassung der Revision und mit dieser die Abweisung der Klage.
II.
Rz. 3
Die Nichtzulassungsbeschwerde ist begründet und führt gem. § 544 Abs. 7 ZPO zur Aufhebung des Berufungsurteils und zur Zurückverweisung des Rechtsstreits an das Berufungsgericht. Das Berufungsgericht hat den Anspruch der Beklagten auf rechtliches Gehör aus Art. 103 Abs. 1 GG in entscheidungserheblicher Weise verletzt.
Rz. 4
1. Das Berufungsgericht hat die Voraussetzungen eines Anspruchs des Klägers nach §§ 133 Abs. 1, 143 Abs. 1 InsO bejaht. Zur Begründung hat es ausgeführt, die Scheckzahlungen zu Lasten eines Kontos der Schuldnerin stellten gläubigerbenachteiligende Rechtshandlungen der Schuldnerin dar. Die Zahlungen seien mit Benachteiligungsvorsatz erfolgt, weil die Schuldnerin zum Zahlungszeitpunkt - wie sie gewusst habe - zahlungsunfähig gewesen sei. Dies sei zu vermuten, weil die Schuldnerin im Jahr 2002 ihre Zahlungen eingestellt gehabt habe. Sie habe, wie ihre Mitarbeiterin gegenüber der Beklagten selbst geäußert habe, die damals i.H.v. über 20.000 EUR rückständigen Steuern nicht in einer Summe, sondern nur in Raten zahlen können. Für eine Zahlungseinstellung spreche ferner die Tatsache, dass das Finanzamt im Mai 2002 einen weitgehend vergeblichen Vollstreckungsversuch wegen einer Steuerforderung von rund 226.000 EUR nebst Säumniszuschlägen i.H.v. rund 80.000 EUR unternommen habe; die Steuerrückstände gegenüber dem Finanzamt hätten im Frühjahr 2008 rund 200.000 EUR betragen zzgl. Säumniszuschlägen i.H.v. rund 212.000 EUR. Hinzu komme das zögerliche Zahlungsverhalten der Schuldnerin nach der Einigung mit der Beklagten auf die Zahlung monatlicher Raten ab Januar 2003. Die angefochtenen Zahlungen seien im Übrigen unter dem Druck von drohenden Vollstreckungsversuchen der Beklagten erbracht worden. Von dem Benachteiligungsvorsatz der Schuldnerin habe die Beklagte Kenntnis gehabt.
Rz. 5
2. Der Anspruch auf rechtliches Gehör verpflichtet das Gericht u.a., das tatsächliche und rechtliche Vorbringen der Beteiligten zur Kenntnis zu nehmen und bei seiner Entscheidung in Erwägung zu ziehen (st.Rspr., vgl. BVerfGE 86, 133, 146; BVerfG ZIP 2004, 1762, 1763; BGH, Beschl. v. 27.3.2003 - V ZR 291/02, BGHZ 154, 288, 300). Erhebliche Beweisanträge muss das Gericht berücksichtigen, sofern das Prozessrecht dem nicht entgegensteht (vgl. BGH, Beschl. v. 11.5.2010 - VIII ZR 212/07, NJW-RR 2010, 1217 Rz. 10; v. 5.12.2013 - IX ZR 6/13, nv Rz. 8, jeweils m.w.N.). Diesen Verpflichtungen ist das Berufungsgericht insoweit nicht nachgekommen, als es das von der Beklagten angebotene Sachverständigengutachten zum Beweis der Zahlungsfähigkeit der Schuldnerin nicht eingeholt hat.
Rz. 6
a) Soll, wie es das Berufungsgericht getan hat, der in § 133 Abs. 1 Satz 1 InsO vorausgesetzte Benachteiligungsvorsatz des Schuldners maßgeblich auf eine im Zeitpunkt der angefochtenen Zahlungen bestehende, dem Schuldner bekannte Zahlungsunfähigkeit gestützt werden (vgl. dazu etwa BGH, Urt. v. 10.1.2013 - IX ZR 13/12, WM 2013, 180 Rz. 14 m.w.N.), muss diese festgestellt werden. Die Darlegungs- und Beweislast trägt der anfechtende Insolvenzverwalter. Zum Nachweis der Zahlungsunfähigkeit bedarf es im Insolvenzanfechtungsprozess nicht zwingend einer Liquiditätsbilanz, wenn auf andere Weise festgestellt werden kann, ob der Schuldner einen wesentlichen Teil seiner fälligen Verbindlichkeiten nicht bezahlen konnte. Hat der Schuldner seine Zahlungen eingestellt, begründet dies auch für die Insolvenzanfechtung gem. § 17 Abs. 2 Satz 2 InsO die gesetzliche Vermutung der Zahlungsunfähigkeit (BGH, Urt. v. 6.12.2012 - IX ZR 3/12, WM 2013, 174 Rz. 19 f m.w.N.). Dem Anfechtungsgegner bleibt es unbenommen, der Annahme der Zahlungsunfähigkeit des Schuldners mit dem Antrag auf Erstellung einer Liquiditätsbilanz durch einen Sachverständigen entgegenzutreten, sei es um die Beweiswirkung der für die Zahlungsunfähigkeit sprechenden Indizien zu erschüttern oder um die Vermutung des § 17 Abs. 2 Satz 2 InsO zu widerlegen (BGH, Urt. v. 30.6.2011 - IX ZR 134/10, WM 2011, 1429 Rz. 20).
Rz. 7
b) Die Beklagte hat in der Berufungserwiderung für ihre Behauptung, die Schuldnerin sei weder im Jahr 2002 noch im Jahr 2006 - auch nicht drohend - zahlungsunfähig gewesen, Beweis angetreten durch ein vom Gericht einzuholendes Sachverständigengutachten. Gründe des Prozessrechts standen der Einholung des beantragten Sachverständigengutachtens nicht entgegen. Insbesondere handelte es sich bei dem Beweisantrag nicht um ein neues, erstmals im Berufungsverfahren geltend gemachtes Verteidigungsmittel, das nur unter den besonderen Voraussetzungen des § 531 Abs. 2 ZPO zulässig gewesen wäre. Denn die Beklagte hatte sich bereits in erster Instanz innerhalb einer im letzten Verhandlungstermin eingeräumten Frist zur Stellungnahme auf die Einholung eines Sachverständigengutachtens zur Frage der Zahlungsfähigkeit der Schuldnerin berufen.
Fundstellen
Haufe-Index 7940091 |
BB 2015, 1281 |
BB 2015, 1428 |
DB 2015, 1218 |
DB 2015, 6 |
DStR 2015, 13 |
NJW 2015, 1823 |
EBE/BGH 2015 |
EWiR 2015, 451 |
NZG 2015, 796 |
WM 2015, 1025 |
ZAP 2015, 651 |
ZIP 2015, 1077 |
ZIP 2015, 41 |
DZWir 2015, 339 |
JZ 2015, 343 |
KKZ 2015, 208 |
MDR 2015, 674 |
NZI 2015, 511 |
NZI 2015, 7 |
ZInsO 2015, 1056 |
GWR 2015, 369 |
InsbürO 2015, 409 |
KSI 2015, 235 |
NJW-Spezial 2015, 406 |
RENOpraxis 2015, 180 |
StX 2015, 350 |