Leitsatz (amtlich)
a) Bei negativen Kompetenzkonflikten zwischen Gerichten der ordentlichen Gerichtsbarkeit und Arbeitsgerichten ist für die Bestimmung des zuständigen Gerichts auch nach der seit 1. Januar 1998 geltenden Fassung des § 36 ZPO derjenige oberste Gerichtshof des Bundes zuständig, der zuerst darum angegangen wird.
b) Hat ein Gericht den zu ihm beschrittenen Rechtsweg zuächst für zulässig erklärt und verweist es den Rechtsstreit später gemäß § 17 a Abs. 2 GVG an ein Gericht eines anderen Rechtszweigs, ist der Verweisungsbeschluß bindend, wenn er in Rechtskraft erwächst.
Normenkette
ZPO § 36 Abs. 1 Nr. 6; GVG § 17a Abs. 2
Verfahrensgang
Tenor
Zuständig ist das Amtsgericht München.
Gründe
I. Der Kläger hat Klage beim Arbeitsgericht erhoben, mit der er rund 13.000,– DM aus einem nach seinem Vortrag gekündigten Arbeitsverhältnis beanspruchte. Das Arbeitsgericht München gab in der ersten mündlichen Verhandlung dem Kläger auf, „zum beanspruchten Arbeitsrechtsweg im einzelnen … vorzutragen” und seinen Arbeitsvertrag in Kopie vorzulegen. Dem kam der Kläger nach. Er teilte sodann mit, daß er einen Teil der Klage zurücknehmen und „das Arbeitsverhältnis nicht einklagen” wolle; zugleich reichte er eine neue Klageschrift ein und bat, da danach das Arbeitsgericht nicht mehr zuständig sei, die Unterlagen an das Amtsgericht Rosenheim weiterzuleiten.
Mit dieser neuen Klageschrift verlangte der Kläger die Feststellung, daß das Arbeitsverhältnis durch die schriftliche Kündigung der Beklagten erst zum 30. Juni 1997 aufgehoben worden sei sowie eine Lohndifferenz für den Monat Juni 1997 und ihm vertraglich zustehende Fahrtkosten.
Das Arbeitsgericht entschied durch Beschluß vom 18. Mai 2000, der Arbeitsrechtsweg sei gegeben, weil davon auszugehen sei, daß es sich um eine Rechtsstreitigkeit zwischen Arbeitgeber und Arbeitnehmer aus einem Arbeitsverhältnis handele. Es könne im Rahmen der Entscheidung über den Rechtsweg dahinstehen, ob das Vertragsverhältnis letztlich als Arbeitsverhältnis oder als freies Mitarbeiterverhältnis bzw. Handelsvertreterverhältnis einzuordnen sei. Könne die vor dem Arbeitsgericht in einer bürgerlich-rechtlichen Streitigkeit erhobene Klage nur dann Erfolg haben, wenn der Kläger Arbeitnehmer sei, so reiche die bloße Rechtsansicht des Klägers, er sei Arbeitnehmer, zur Bejahung der arbeitsgerichtlichen Zuständigkeit aus. Das Arbeitsgericht bewilligte dem Kläger zugleich Prozeßkostenhilfe.
In der mündlichen Verhandlung vom 12. September 2000 beantragte der Kläger unter Zurücknahme seiner übrigen Klageanträge, die Beklagte zur Zahlung von 3.778,82 DM für Vergütung und Reisekosten zu verurteilen sowie von 2.000,– DM Provision, jeweils zuzüglich Zinsen. Die Parteien stellten klar, daß von Anfang an ein freies Mitarbeiterverhältnis gewollt gewesen sei, und beantragten übereinstimmend die Verweisung des Rechtsstreits an das Amtsgericht München. Das Arbeitsgericht erklärte daraufhin mit Beschluß vom selben Tage den Rechtsweg zu den Gerichten für Arbeitssachen für nicht gegeben und verwies den Rechtsstreit an das „rechtswegrichtige” Amtsgericht München. Da die Klage teilweise zurückgenommen worden sei und die Parteien übereinstimmend klargestellt hätten, daß ein Arbeitsverhältnis nicht vorgelegen hätte, sei der Beschluß vom 18. Mai 2000 überholt. Die Parteien erklärten übereinstimmend Rechtsmittelverzicht gegen diesen Beschluß.
In der daraufhin beim Amtsgericht München anberaumten mündlichen Verhandlung beschloß das Amtsgericht, das Verfahren an das Arbeitsgericht zurückzugeben, damit das Arbeitsgericht seinen Verweisungsbeschluß überprüfen könne. Dieses hielt mit Beschluß vom 22. Dezember 2000 an seinem Standpunkt fest, daß das Amtsgericht zuständig sei; der Rechtsstreit sei durch den Beschluß des Arbeitsgerichts vom 12. September 2000 bindend an das Amtsgericht München verwiesen worden. Dieser Beschluß sei selbst dann für das Amtsgericht München bindend, wenn die Verweisung unrichtig gewesen sein sollte. Das Arbeitsgericht sei an den Beschluß vom 18. Mai 2000 im übrigen nicht gebunden gewesen, weil der Streitgegenstand sich nach Erlaß dieses Beschlusses geändert habe und dadurch der Rechtsweg vor den Arbeitsgerichten unzulässig geworden sei.
Mit Beschluß vom 10. Januar 2001 erklärte sich das Amtsgericht München für unzuständig, weil das Arbeitsgericht München an seinem rechtskräftigen Beschluß vom 20. März 2000 gebunden sei, in dem es den Rechtsweg zu den Arbeitsgerichten positiv rechtskräftig festgestellt habe. An dem den Rechtsstreit zugrundeliegenden Lebenssachverhalt habe sich zudem seit dem Beschluß vom 20. März 2000 nichts geändert.
II. Der Antrag auf Bestimmung des zuständigen Gerichts ist zulässig.
1. Der Antrag ist statthaft.
Nach ständiger Rechtsprechung des Bundesgerichtshofs und des Bundesarbeitsgerichts ist § 36 Abs. 1 Nr. 6 ZPO bei negativen Kompetenzkonflikten zwischen Gerichten verschiedener Gerichtszweige entsprechend anwendbar (BGHZ 17, 168, 170; BAGE 23, 167, 169).
Die §§ 17a, 17b GVG stehen dem nicht entgegen. Zwar hat der Bundesgerichtshof vor kurzem entschieden, daß das Verfahren der Rechtswegverweisung in den genannten Vorschriften abschließend geregelt ist (BGH, Beschl. v. 24.02.2000 – III ZB 33/99, NJW 2000, 1343, 1344). Hieraus folgt indes nur, daß die Parteien sich nicht auf das Verfahren nach § 36 Abs. 1 Nr. 6 ZPO verweisen lassen müssen, solange eine Entscheidung nach § 17a GVG noch mit Rechtsmitteln angefochten werden kann (BGH aaO). Wenn solche Rechtsmittel nicht mehr zur Verfügung stehen, ist ein Verfahren nach § 36 Abs. 1 Nr. 6 ZPO hingegen möglich. Auch die Regelung in § 17a GVG kann nicht vollständig verhindern, daß es im Einzelfall innerhalb eines Verfahrens zu Zweifeln über die Bindungswirkung von rechtskräftigen Verweisungsbeschlüssen kommt und deshalb keines der in Frage kommenden Gerichte bereit ist, die Sache zu bearbeiten. Für diese – nicht sehr häufigen – Fälle bietet eine entsprechende Anwendung des § 36 Abs. 1 Nr. 6 ZPO die geeignete Handhabe, um den Streit über die Rechtswegzuständigkeit möglichst schnell zu beenden.
2. Der Bundesgerichtshof ist für die hier zu treffende Entscheidung zuständig.
a) Zuständig für die Bestimmung ist derjenige oberste Gerichtshof des Bundes, der zuerst darum angegangen wird (BGHZ 44, 14, 15; BAG, Beschl. v. 06.01.1971 – 5 AR 282/70, BAGE 23, 167, 170; BAG, Beschl. v. 25.11.1983 – 5 AS 20/83, NJW 1984, 751, 752). In gleichem Sinne haben das Bundesverwaltungsgericht und das Bundessozialgericht für die § 36 Abs. 1 Nr. 6 ZPO entsprechenden Vorschriften in § 53 Abs. 1 Nr. 5 VwGO und § 58 Abs. 1 Nr. 4 SGG entschieden (BVerwG, Beschl. v. 05.03.1993 – 11 ER 400/93, NJW 1993, 3087; BSG, Beschl. v. 11.10.1988 – 1 S 14/88, MDR 1989, 189).
b) Die Neufassung des § 36 ZPO durch Artikel 1 Nr. 1 des Gesetzes zur Neuregelung des Schiedsverfahrensrechts (SchiedsVfG) vom 22. Dezember 1997 (BGBl. I S. 3224) hat an der Rechtslage insoweit nichts geändert (ebenso BAG, Beschl. v. 22.07.1998 – 5 AS 17/98, AP Nr. 55 zu § 36 ZPO unter I 1; BAG, Beschl. v. 14.12.1998 – 5 AS 8/98, AP Nr. 38 zu § 17a GVG unter II 3; Baumbach/Lauterbach/Albers/Hartmann, ZPO, 59. Aufl., § 36 Rdn. 35 a.E.; MünchKomm/Patzina, ZPO, 2. Aufl., § 36 Rdn. 44; Musielak/Smid, ZPO, 2. Aufl., § 36 Rdn. 9; Zöller/Vollkommer, ZPO, 22. Aufl., § 36 Rdn. 32; Kemper, NJW 1998, 3551, 3552).
Zwar sieht § 36 Abs. 2 ZPO n.F. nunmehr vor, daß die Zuständigkeitsbestimmung durch ein Oberlandesgericht erfolgt, wenn das für die Bestimmung an sich zuständige zunächst höhere gemeinschaftliche Gericht der Bundesgerichtshof wäre. In Kompetenzkonflikten zwischen verschiedenen Gerichtszweigen ist diese Vorschrift ihrem Wortlaut nach aber schon deshalb nicht anwendbar, weil es hier kein zunächst höheres gemeinschaftliches Gericht gibt (so auch BayObLG, Beschl. v. 15.03.1999 – 1 Z AR 99/98, BayObLGZ 1999, 78; Kemper, NJW 1998, 3551, 3552).
Eine entsprechende Anwendung des § 36 Abs. 2 ZPO – etwa dergestalt, daß das Obergericht des zuerst angerufenen Rechtswegs (also das Oberlandesgericht bzw. das Landesarbeitsgericht) über das zuständige Gericht entscheidet und die Sache nur in den Fällen des § 36 Abs. 3 ZPO an den übergeordneten Gerichtshof vorlegt – ist nach Auffassung des Senats weder erforderlich noch zweckmäßig.
Die Regelung in § 36 Abs. 2 ZPO verfolgt den Zweck, den Bundesgerichtshof von belastender Routinetätigkeit zu befreien. Vor der Neuregelung waren zuletzt über 1000 Verfahren pro Jahr beim Bundesgerichtshof anhängig gemacht worden (s. dazu Bundestags-Drucksache 13/9124, S. 46). Eine vergleichbare Situation ist bei Kompetenzkonflikten zwischen verschiedenen Gerichtszweigen nicht gegeben. Solche Fälle kommen eher selten vor. Auch der Gesetzgeber ist davon ausgegangen, daß es insoweit bei der Zuständigkeit der obersten Gerichtshöfe des Bundes verbleibt.
c) Der Rechtsgedanke des § 36 Abs. 2 ZPO gebietet auch keine Änderung der Rechtsprechung dahin, daß nur derjenige oberste Gerichtshof des Bundes zuständig ist, zu dessen Bereich das zuerst mit der Sache befaßte Gericht gehört.
Eine solche Änderung der bisherigen Rechtsprechung würde zwar einen gewissen Gewinn an Rechtssicherheit bringen, weil es nicht mehr der Wahl des vorlegenden Gerichts oder des Antragstellers überlassen bliebe, welches Gericht über die Zuständigkeit entscheidet. Andererseits würde dies dem allgemeinen Zweck des Rechts der Zuständigkeitsbestimmung zuwiderlaufen. Sinn des § 36 ZPO ist es, jedem langwierigen Streit der Gerichte untereinander über die Grenzen ihrer Zuständigkeit ein Ende zu machen (BGHZ 17, 168, 170) und eine Ausweitung von solchen Streitigkeiten tunlichst zu vermeiden (BGHZ 44, 14, 15). Zu solchen Ausweitungen könnte es kommen, wenn nur einer der in Frage kommenden Gerichtshöfe des Bundes zuständig ist. Die anderen beteiligten Gerichtshöfe müßten ein Gesuch auf Zuständigkeitsbestimmung dann nämlich zunächst an diesen weiterleiten, wenn es – aus welchen Gründen auch immer – bei ihnen eingereicht worden ist.
Die damit verbundenen Komplikationen sprechen für eine Beibehaltung der bisherigen Rechtsprechung, zumal es auch bei einer entsprechenden Anwendung von § 36 Abs. 2 ZPO letztlich in der Hand der Beteiligten läge, bei welchem Ausgangsgericht die Sache zuerst anhängig gemacht wird.
3. Die Voraussetzungen für eine Bestimmung des zuständigen Gerichts entsprechend § 36 Abs. 1 Nr. 6 ZPO liegen vor. Das Arbeitsgericht und das Amtsgericht haben jeweils rechtskräftig entschieden, daß der zu ihnen beschrittene Rechtsweg unzulässig sei.
III. Als zuständiges Gericht ist das Amtsgericht München zu bestimmen.
Der Beschluss des Arbeitsgerichts München vom 18. Mai 2000, in welchem dieses den zu ihm beschrittenen Rechtsweg für zulässig erklärt hat, war allerdings entsprechend § 318 ZPO i.V.m. § 46 Abs. 2 Satz 1 ArbGG auch für das Arbeitsgericht selbst bindend. Das Arbeitsgericht durfte den Rechtsstreit deshalb nicht ohne weiteres in einen anderen Rechtsweg verweisen.
Die Bindungswirkung dieses Beschlusses wurde aber durch den ebenfalls rechtskräftig gewordenen Beschluß über die Verweisung des Rechtsstreits an das Amtsgericht München aufgehoben. Dieser Beschluß ist für das Amtsgericht nach § 17a Abs. 2 GVG bindend. Er führt zwar inhaltlich zum entgegengesetzten Ergebnis wie der vorhergehende Beschluß. Das Arbeitsgericht hat dies jedoch gesehen und in den Gründen des Beschlusses dargelegt, weshalb es sich an die frühere Entscheidung nicht gebunden hielt. Ob diese Begründung inhaltlich richtig war, ist im vorliegenden Zusammenhang nicht zu entscheiden. Die Erwägungen des Arbeitsgerichts sind jedenfalls nicht derart fehlerhaft, daß der Beschluß trotz der inzwischen eingetretenen Rechtskraft als unwirksam anzusehen wäre. Deshalb ist das Amtsgericht hier an den Verweisungsbeschluß gebunden.
Im Verfahren nach § 36 ZPO ist von mehreren einander widersprechenden und nicht offensichtlich rechtsfehlerhaften Verweisungsbeschlüssen allerdings in der Regel der zeitlich erste als maßgeblich angesehen worden (vgl. BGH, Beschl. v. 06.10.1993 – XII ARZ 22/93, NJW-RR 1994, 126, Sen.Beschl. v. 28.03.1995 – X ARZ 1088/94, NJW-RR 1995, 702; vgl. auch Greger/Heinemann, EWiR 2000, 529, 530). Für Beschlüsse nach § 17a Abs. 2 GVG hat der Bundesgerichtshof aber entschieden, daß auch eine an sich rechtswidrige Rückverweisung bindend ist, wenn sie in Rechtskraft erwächst (BGH, Beschl. v. 24.02.2000 – III ZB 33/99, NJW 2000, 1343, 1344). Entsprechendes muß für den Fall gelten, daß ein und dasselbe Gericht seine Rechtswegzuständigkeit zunächst bejaht und später mit nicht offensichtlich rechtswidrigen Erwägungen verneint.
Dies führt hier dazu, daß der Verweisungsbeschluß des Arbeitsgerichts für das Amtsgericht bindend ist. Das Amtsgericht durfte seine Zuständigkeit folglich nicht mehr verneinen.
Unterschriften
Rogge, Jestaedt, Melullis, Keukenschrijver, Mühlens
Fundstellen
Haufe-Index 634809 |
NJW 2001, 3631 |
BGHR 2001, 937 |
EWiR 2003, 89 |
Nachschlagewerk BGH |
ZIP 2001, 2019 |
MDR 2002, 351 |