Verfahrensgang
OLG Düsseldorf (Entscheidung vom 18.12.2019; Aktenzeichen VI-3 Kart 672/18 (V)) |
Nachgehend
Tenor
Der Betroffenen wird nach der Versäumung der Frist zur Einlegung der Rechtsbeschwerde Wiedereinsetzung in den vorigen Stand gewährt.
Auf die Rechtsbeschwerde der Bundesnetzagentur und unter Zurückweisung der Rechtsbeschwerde der Betroffenen wird der Beschluss des 3. Kartellsenats des Oberlandesgerichts Düsseldorf vom 18. Dezember 2019 aufgehoben.
Die Beschwerde gegen den Beschluss der Bundesnetzagentur vom 21. Februar 2018 wird zurückgewiesen.
Die Betroffene trägt die Kosten der Rechtsmittelverfahren einschließlich der notwendigen Auslagen der Bundesnetzagentur.
Gründe
Rz. 1
A. Mit Beschluss vom 21. Februar 2018 hat die Bundesnetzagentur den generellen sektoralen Produktivitätsfaktor für Betreiber von Gasversorgungsnetzen gemäß § 9 Abs. 3 ARegV (nachfolgend: Produktivitätsfaktor) für die dritte Regulierungsperiode auf 0,49 % festgelegt.
Rz. 2
Vor der Entscheidung holte die Bundesnetzagentur zur Ermittlung des Produktivitätsfaktors ein Gutachten ein, das die Anwendung zweier unterschiedlicher Methoden empfahl. Auf Grundlage dieses Gutachtens und nach Erhebung von Daten bei den Netzbetreibern aus der Gewinn- und Verlustrechnung, zum Sachanlagevermögen und zum Personalaufwand für die Jahre 2006 bis 2016 ermittelte die Bundesnetzagentur mithilfe eines Törnqvist-Indexes, der die Produktivität von Unternehmen als Verhältnis zwischen Ausbringungsmengen (Output) und den hierfür benötigten Produktionsfaktoren (Input) auf der Grundlage von Daten aus der volkswirtschaftlichen Gesamtrechnung abbildet, einen Produktivitätsfaktor von 0,49 %. Nach einem weiteren, als Malmquist-Methode bezeichneten Verfahren, bei dem die Änderungen statischer Effizienzwerte von Unternehmen für unterschiedliche Perioden verglichen werden, ermittelte die Bundesnetzagentur anhand der Daten der für die ersten drei Regulierungsperioden durchgeführten Effizienzvergleiche einen Produktivitätsfaktor von 0,92 %. Da die Bundesnetzagentur keine der beiden Methoden als überlegen ansah, setzte sie zugunsten der Netzbetreiber den niedrigeren Wert fest.
Rz. 3
Die Betroffene, die ein Gasversorgungsnetz betreibt, hat - wie auch zahlreiche weitere Netzbetreiber - die Festlegung mit der Beschwerde angegriffen.
Rz. 4
Das sachverständig beratene Beschwerdegericht hat den Beschluss der Bundesnetzagentur aufgehoben und die Bundesnetzagentur zur Neubescheidung verpflichtet. Dagegen wenden sich die Bundesnetzagentur und die Betroffene mit der vom Beschwerdegericht zugelassenen Rechtsbeschwerde. Die Bundesnetzagentur strebt die Zurückweisung der Beschwerde der Betroffenen an. Die Betroffene begehrt, die Bundesnetzagentur zur Neubescheidung unter Berücksichtigung weiterer, vom Beschwerdegericht abweichend beurteilter rechtlicher Gesichtspunkte zu verpflichten.
Rz. 5
B. Die zulässige Rechtsbeschwerde der Bundesnetzagentur ist begründet, während die nach den dafür geltenden Maßstäben (BGH, Beschluss vom 9. Juli 2019 - EnVR 52/18, RdE 2019, 456 Rn. 76 mwN - Eigenkapitalzinssatz II) zulässige Rechtsbeschwerde der Betroffenen ohne Erfolg bleibt. Der Betroffenen war gemäß § 88 Abs. 5, § 85 Nr. 2 EnWG, § 233 ZPO Wiedereinsetzung in den vorigen Stand wegen der Versäumung der Frist zur Einlegung der Rechtsbeschwerde zu gewähren. Sie hat glaubhaft gemacht, dass sie ohne ihr Verschulden verhindert war, die Frist einzuhalten und hat die versäumte Rechtshandlung rechtzeitig nachgeholt (vgl. auch BGH, Beschluss vom 12. April 2016 - VI ZB 7/15, VersR 2016, 1073 Rn. 8 f.).
Rz. 6
I. Das Beschwerdegericht hat angenommen, die angefochtene Festlegung sei rechtswidrig, da die Bundesnetzagentur die Höhe des Produktivitätsfaktors rechtsfehlerhaft ermittelt habe.
Rz. 7
Allerdings sei die von der Bundesnetzagentur zur Ermittlung der gesamtwirtschaftlichen Produktivitätsentwicklung mithilfe des Törnqvist-Indexes angewandte Residualbetrachtung mit § 9 Abs. 1 und 3 Satz 1 ARegV vereinbar. Die Bundesnetzagentur habe fehlerfrei den gesamtwirtschaftlichen Produktivitätsfortschritt und die Änderung der gesamtwirtschaftlichen Einstandspreise durch den vom Statistischen Bundesamt ermittelten Verbraucherpreisgesamtindex abgebildet. § 9 Abs. 1 ARegV verlange keine getrennte Ermittlung von vier Einzelwerten zum gesamtwirtschaftlichen und netzwirtschaftlichen Produktivitätsfortschritt sowie zur gesamtwirtschaftlichen und netzwirtschaftlichen Einstandspreisentwicklung. Der Verordnungsgeber gehe vielmehr davon aus, dass die Inflationsrate die Differenz zwischen der Inputpreis- und der Produktivitätsentwicklung in der Gesamtwirtschaft ausdrücke.
Rz. 8
Die Bundesnetzagentur habe den Index der durchschnittlichen Netzentgelte rechtmäßig als Deflator der Umsatzerlöse zur Ermittlung preisbereinigter Ausbringungsmengen ausgewählt. Die Bestimmung des Produktivitätsfaktors sei jedoch rechtswidrig, weil der von der Bundesnetzagentur ermittelte Wert nicht robust gegenüber Veränderungen des betrachteten historischen Zeitraums (Stützintervalls) sei. Die Einschätzung der Bundesnetzagentur, der der Ermittlung des Produktivitätsfaktors bei Anwendung des Törnqvist-Indexes zugrundeliegende Zeitraum von 2006 bis 2016 gewährleiste zuverlässige Ergebnisse, beruhe auf einem Ermittlungs- und Ermessensdefizit. Die Bundesnetzagentur habe fehlerhaft die Ursachen der starken Schwankungen der sich für verschiedene, von ihr in Betracht gezogene kürzere Stützintervalle ergebenden sektoralen Produktivitätsfaktoren nicht untersucht. Für die Einbeziehung des Jahres 2006 in die Betrachtung fehle es an einer hinreichenden Begründung, da die Bundesnetzagentur dieses Jahr wegen einer unzuverlässigen Datenbasis zunächst nicht berücksichtigt habe. Die Bundesnetzagentur habe sich außerdem zu wenig mit den Auswirkungen des Jahres 2006 als erstem Jahr der Entgeltregulierung und dem in diesem Jahr durch die Verschiebung von Investitionen durch Netzbetreiber in das Basisjahr aufgetretenen Sondereffekt (Basisjahreffekt) auseinandergesetzt. Sie habe schließlich nicht ausreichend begründet, weshalb sie bei der (später erfolgten) Festlegung des Produktivitätsfaktors für den Strombereich die Plausibilisierung abweichend vom Gasbereich vorgenommen habe.
Rz. 9
Rechtswidrig sei es ferner, dass die Bundesnetzagentur bei der Berechnung der Abschreibungen als Bestandteil der Einstandsfaktoren handelsrecht-liche anstatt der in §§ 6, 6a GasNEV vorgegebenen kalkulatorischen Grundsätze angewendet habe. Sie habe grundsätzlich keinen Entscheidungsspielraum, ob sie handelsrechtliche oder kalkulatorische Grundsätze heranziehe, sofern der Verordnungsgeber bei bestimmten Kostenanteilen wie den Abschreibungen mit §§ 6, 6a GasNEV einen kalkulatorischen Ansatz vorgegeben habe; diese Vorgaben seien vielmehr nicht nur im Rahmen der Kostenprüfung, sondern auch bei der Berechnung des Produktivitätsfaktors maßgeblich.
Rz. 10
Ferner sei die Ermittlung des Produktivitätsfaktors anhand des Törnqvist-Indexes deshalb zu beanstanden, weil die Bundesnetzagentur einen jährlich aktualisierten Zins für das Fremdkapital herangezogen habe. Obwohl § 9 ARegV keine ausdrückliche Beschränkung auf kalkulatorische Werte vorsehe, fuße die Ermittlung des Produktivitätsfaktors als Bestandteil der Regulierungsformel auf den einschlägigen Vorgaben der Anreizregulierungsverordnung und der Netzentgeltverordnungen. Daher bestünden zwar keine Bedenken, dass die Bundesnetzagentur für die Entwicklung des Inputfaktors "Zinsen und ähnliche Aufwendungen" die in § 7 Abs. 7 GasNEV aufgeführten Zinsreihen herangezogen habe. Fehlerhaft sei es aber, dass sie einen jährlichen Durchschnitt dieser Zinsreihen anstatt eines auf mehrere Kalenderjahre bezogenen Durchschnitts (rollierenden Mittelwerts) gebildet habe.
Rz. 11
Bei der Berechnung des Malmquist-Indexes, den die Bundesnetzagentur zur Plausibilisierung des durch den Törnqvist-Index ermittelten Werts herangezogen habe, habe sie es ermessensfehlerhaft unterlassen, entsprechend § 12 Abs. 3 und 4a ARegV eine Bestabrechnung vorzunehmen. Das Prinzip der Bestabrechnung sei auf die Festlegung des Produktivitätsfaktors anzuwenden, um den berechtigten Interessen der Netzbetreiber an einer rechtssicheren und nachvollziehbaren Berechnung des Faktors zu entsprechen.
Rz. 12
II. Diese Bewertung hält den Angriffen der Rechtsbeschwerde der Betroffenen, nicht aber denjenigen der Rechtsbeschwerde der Bundesnetzagentur stand. Der Senat hat bereits entschieden, dass die angefochtene Festlegung der Bundesnetzagentur entgegen der Auffassung des Beschwerdegerichts nicht zu beanstanden ist (BGH, Beschlüsse vom 26. Januar 2021 - EnVR 7/20, BGHZ 228, 286 Rn. 14 ff. - Genereller sektoraler Produktivitätsfaktor I; - EnVR 101/19, ZNER 2021, 392 Rn. 14 ff.; - EnVR 72/19, juris Rn. 14 ff.; vom 26. Oktober 2021 - EnVR 17/20, RdE 2022, 119 Rn. 12 ff. - Genereller sektoraler Produktivitätsfaktor II; EnVR 12/20, juris Rn. 21 ff.). Das Vorbringen der Rechtsbeschwerde der Betroffenen führt zu keiner abweichenden Beurteilung.
Rz. 13
1. Nach § 21a Abs. 2 Satz 1 EnWG werden in der Anreizregulierung für eine Regulierungsperiode unter Berücksichtigung von Effizienzvorgaben Obergrenzen für die Höhe der Netzzugangsentgelte oder die Gesamterlöse aus Netzzugangsentgelten vorgegeben. Die Vorgaben für die Entwicklung oder Festlegung der Obergrenze innerhalb einer Regulierungsperiode müssen nach § 21a Abs. 4 Satz 7 EnWG den Ausgleich der allgemeinen Geldentwertung unter Berücksichtigung eines Produktivitätsfaktors vorsehen. Dieser ist nach der auf der Grundlage von § 21a Abs. 6 EnWG von der Bundesregierung erlassenen Regulierungsformel in Anlage 1 zu § 7 ARegV ein Korrekturfaktor für den durch das Statistische Bundesamt veröffentlichten Verbraucherpreisgesamtindex. Durch ihn soll gewährleistet werden, dass bei der Bestimmung der Erlösobergrenzen berücksichtigt wird, ob und gegebenenfalls in welchem Maße sich die Produktivität der Netzbetreiber abweichend von der Gesamtwirtschaft entwickelt. Der Produktivitätsfaktor wird gemäß § 9 Abs. 1 ARegV ermittelt aus der Abweichung des netzwirtschaftlichen Produktivitätsfortschritts vom gesamtwirtschaftlichen Produktivitätsfortschritt und der gesamtwirtschaftlichen Einstandspreisentwicklung von der netzwirtschaftlichen Einstandspreisentwicklung. Die Bundesnetzagentur hat den Produktivitätsfaktor gemäß § 9 Abs. 3 Satz 1 ARegV ab der dritten Regulierungsperiode jeweils vor Beginn der Regulierungsperiode für die gesamte Regulierungsperiode nach Maßgabe von Methoden, die dem Stand der Wissenschaft entsprechen, zu ermitteln. Die Ermittlung hat unter Einbeziehung der Daten von Netzbetreibern aus dem gesamten Bundesgebiet für einen Zeitraum von mindestens vier Jahren zu erfolgen (§ 9 Abs. 3 Satz 2 ARegV).
Rz. 14
Diese Regelungen finden auch vor dem Hintergrund der Entscheidung des Gerichtshofs der Europäischen Union (nachfolgend: Unionsgerichtshof) vom 2. September 2021 (C-718/18, RdE 2021, 534 Rn. 112 ff.) weiterhin Anwendung (BGH, RdE 2022, 119 Rn. 13 ff. - Genereller sektoraler Produktivitätsfaktor II; vgl. auch BGH, Beschluss vom 8. Oktober 2019 - EnVR 58/18, RdE 2020, 78 Rn. 60 ff., 70 ff. - Normativer Regulierungsrahmen). Das stellen weder die Betroffene noch die Bundesnetzagentur in Frage. Allerdings fordert das Unionsrecht eine Auslegung der Anreizregulierungsverordnung dahin, dass der Unabhängigkeit der Bundesnetzagentur soweit als möglich Geltung verschafft wird. Dem entspricht die Entscheidung des Senats vom 26. Januar 2021 (BGHZ 228, 286 - Genereller sektoraler Produktivitätsfaktor I), dass die Festlegung des Produktivitätsfaktors auch unter Berücksichtigung der dazu in der Anreizregulierungsverordnung enthaltenen und nach dem Ausgeführten im Grundsatz weiterhin anwendbaren Regelungen inhaltlich nicht vollständig rechtlich determiniert ist. Eine von der Bundesnetzagentur bei der Wahl der Methode oder bei der Anwendung der gewählten Methode getroffene Auswahlentscheidung kann von Rechts wegen nur dann beanstandet werden, wenn sich feststellen lässt, dass der gewählte methodische Ansatz von vornherein ungeeignet ist, die Funktion zu erfüllen, die ihm nach dem durch die Entscheidung der Regulierungsbehörde auszufüllenden gesetzlichen Rahmen zukommt, oder wenn ein anderes methodisches Vorgehen unter Berücksichtigung aller maßgeblichen Umstände so deutlich überlegen ist, dass die getroffene Auswahlentscheidung nicht mehr als mit den gesetzlichen Vorgaben vereinbar angesehen werden kann (BGHZ 228, 286 Rn. 28 - Genereller sektoraler Produktivitätsfaktor I; vgl. auch BGH, Beschluss vom 3. März 2020 - EnVR 26/18, ZNER 2020, 234 Rn. 33, 36 bis 38 - Eigenkapitalzinssatz III mwN; BVerfG, Beschluss vom 29. Juli 2021 - 1 BvR 1588/20 ua, juris). An diesem Prüfungsmaßstab hält der Senat unter Berücksichtigung des Vorbringens der Betroffenen auch im vorliegenden Verfahren fest (vgl. BGH, RdE 2022, 119 Rn. 17 f. - Genereller sektoraler Produktivitätsfaktor II). Zusätzlich ist lediglich auf folgendes hinzuweisen:
Rz. 15
a) Ohne Erfolg macht die Betroffene geltend, der Senat verkenne die Maßstäbe, die für die gerichtliche Überprüfung gelten, insbesondere, dass auch bei Einräumung einer Letztentscheidungsbefugnis von den Gerichten zu prüfen sei, ob die Verwaltung den Gehalt der anzuwendenden Begriffe und den gesetzlichen Rahmen, in dem sie sich bewegen kann, erkannt hat, von einem zutreffenden und vollständig ermittelten Sachverhalt ausgegangen ist, die allgemein gültigen Beurteilungsmaßstäbe und die Regeln des inneren Entscheidungsverfahrens beachtet hat und sich nicht von sachfremden - gegen das Willkürverbot verstoßenden Erwägungen hat leiten lassen (vgl. BVerfG‚ Beschluss vom 10. Dezember 2009 - 1 BvR 3151/07, BVerfGK 16, 418 [juris Rn. 59]). Der Senat hat festgestellt, dass die Bundesnetzagentur mit sachverständiger Unterstützung wissenschaftlich anerkannte Methoden zur Ermittlung von Produktivitätsentwicklungen gewählt und in nicht zu beanstandender Weise angewendet hat (BGHZ 228, 286 Rn. 32 ff; 45 ff.; 62 ff.; 70 ff.; 100 ff.; 107 ff.; 113 ff. - Genereller sektoraler Produktivitätsfaktor I). Entgegen der Behauptung der Betroffenen trifft es dabei nicht zu, dass der Senat sich mit den vom Sachverständigen in der Beschwerdeinstanz geäußerten Zweifeln nicht befasst habe (ebenda Rn. 30 ff.). Die Betroffene lässt außer Acht, dass es bei der Anwendung der hier in Rede stehenden komplexen ökonometrischen Methoden nicht um eine Tatsachenfeststellung und auch nicht um die Frage geht, ob anerkannte fachwissenschaftliche Maßstäbe und Methoden (überhaupt) existieren (vgl. BVerfG, Beschluss vom 23. Oktober 2018 - 1 BvR 2523/13, 1 BvR 595/14, BVerfGE 149, 407 Rn. 13 mwN). Ein Produktivitätsfaktor kann von vornherein nicht dahin überprüft werden, ob er "richtig" oder "falsch" ist (BGHZ 228, 286 Rn. 18 f. - Genereller sektoraler Produktivitätsfaktor I). Je nach Wahl der verwendeten ökonometrischen Methode(n) und der im Rahmen ihrer Anwendung getroffenen zahlreichen weiteren Entscheidungen unter anderem über die betrachteten Zeiträume, die verwendeten Datengrundlagen und deren etwaige Bereinigung kann der Produktivitätsfaktor methodisch einwandfrei unterschiedlich bestimmt werden und verschiedene Werte annehmen. Vor diesem Hintergrund ist auch die Auswahl, Bewertung und Anwendung der Datengrundlagen eine methodische Frage, bei der der Bundesnetzagentur ein (weiter) Beurteilungs- und Ermessensspielraum zusteht (vgl. BGHZ 228, 286 Rn. 19 f. - Genereller sektoraler Produktivitätsfaktor I). Entgegen der Behauptung der Betroffenen trifft es daher nicht zu, dass die Frage, ob sich die Datengrundlage des Jahres 2006 für einen Zeitreihenvergleich eignet, mit "richtig" oder "falsch" beantwortet werden kann (BGHZ 228, 286 Rn. 19, 58 ff. - Genereller sektoraler Produktivitätsfaktor I). Angesichts des Umstandes, dass sich das Gericht hier mehreren zulässigen Methoden gegenübersieht, kann nicht ermittelt werden, welche Methode objektiv überlegen ist (vgl. BVerfGE 149, 407 Rn. 17 ff., 29).
Rz. 16
b) Fehl geht die Rüge der Betroffenen, das Unionsrecht stehe den vom Senat zugrunde gelegten Maßstäben entgegen. Dem liegt ein grundlegendes Fehlverständnis von der Stellung und den Aufgaben der Bundesnetzagentur bei der Netzentgeltregulierung zugrunde.
Rz. 17
aa) Nach Art. 41 Abs. 1 Buchst. a GasRL ist die Bundesnetzagentur als nationale Regulierungsbehörde (§ 54 Abs. 1, 3 EnWG) dafür verantwortlich, anhand transparenter Kriterien die Fernleitungs- oder Verteilungstarife und die entsprechenden Methoden festzulegen oder zu genehmigen. Die Bestimmung der Methoden zur Berechnung oder Festlegung der Bedingungen für den Anschluss an und den Zugang zu den nationalen Netzen, einschließlich der anwendbaren Tarife, gehört zu den Zuständigkeiten, die der Bundesnetzagentur unmittelbar aufgrund der Gasrichtlinie vorbehalten sind (EuGH, RdE 2021, 534 Rn. 103 ff.). Sie übt diese Zuständigkeiten gemäß Art. 39 Abs. 4 und 5 GasRL unabhängig aus, kann völlig frei handeln und ist vor jeglicher Weisung und Einflussnahme von außen geschützt. Unabhängigkeit bei der Entscheidungsfindung bedeutet, dass die Bundesnetzagentur im Rahmen der genannten Regulierungsaufgaben und -befugnisse ihre Entscheidungen selbständig und allein auf der Grundlage des öffentlichen Interesses trifft, um die Einhaltung der mit der Richtlinie verfolgten Ziele zu gewährleisten, ohne externen Weisungen anderer öffentlicher und privater Stellen unterworfen zu sein. Die Unabhängigkeit der Bundesnetzagentur - auch gegenüber Trägern der exekutiven oder legislativen Gewalt - ist notwendig, um zu gewährleisten, dass die von ihr getroffenen Entscheidungen unparteiisch und nicht diskriminierend sind. Zudem gibt die vollständige Trennung von der politischen Macht der Bundesnetzagentur die Möglichkeit, bei ihrem Handeln eine langfristige Perspektive zu verfolgen, die erforderlich ist, um die Ziele der Gasrichtlinie zu verwirklichen (EuGH, RdE 2021, 534 Rn. 107 ff.).
Rz. 18
Dem kann nicht entgegengehalten werden, dass die Gasrichtlinie keine hinreichend genauen materiellen Vorgaben zur Ausgestaltung der Netzzugangs- und Tarifierungsmethoden enthielte. Die Fernleitungs- und Verteilungstarife beziehungsweise die entsprechenden Berechnungsmethoden sind gemäß Art. 41 Abs. 1 GasRL anhand transparenter Kriterien zu bestimmen, sowie gemäß Absatz 6 Buchst. a dieser Vorschrift unter Berücksichtigung der Notwendigkeit, dass die Lebensfähigkeit der Netze durch die notwendigen Investitionen zu gewährleisten ist. Nach Absatz 10 müssen die Tarife oder Methoden angemessen sein und in nicht diskriminierender Weise angewandt werden. Des Weiteren müssen nach Art. 41 Abs. 6 Buchst. b GasRL die Ausgleichsleistungen möglichst wirtschaftlich sein und den Netzbenutzern geeignete Anreize bieten, die Einspeisung und Abnahme von Gas auszugleichen; sie müssen auf faire und nichtdiskriminierende Weise erbracht und auf objektive Kriterien gestützt werden. Nach Absatz 8 der Vorschrift muss die Bundesnetzagentur bei der Festsetzung oder Genehmigung der Tarife oder Methoden und der Ausgleichsleistungen sicherstellen, dass für die Übertragungs- und Verteilernetzbetreiber angemessene Anreize geschaffen werden, sowohl kurzfristig als auch langfristig die Effizienz zu steigern, die Marktintegration und die Versorgungssicherheit zu fördern und entsprechende Forschungsarbeiten zu unterstützen. Diese Kriterien werden durch die Verordnung Nr. 715/2009 des Europäischen Parlaments und des Rates vom 13. Juli 2009 über die Bedingungen für den Zugang zu den Erdgasfernleitungsnetzen (Art. 13 ErdgasZVO) und die auf dieser Grundlage erlassene Verordnung (EU) 2017/460 der Kommission vom 16. März 2017 (NC TAR) ergänzt.
Rz. 19
Den beschriebenen normativen Rahmen hat der Gerichtshof als derart detailliert angesehen, dass sich keine Notwendigkeit ergebe, Kriterien für die Berechnung der Tarife auf nationaler Ebene aufzustellen (EuGH, RdE 2021, 534 Rn. 123). Die gemäß Art. 41 Abs. 17 GasRL vorgesehene Kontrolle durch die zuständigen Gerichte hat anhand dieses normativen Rahmens stattzufinden, um dem in Art. 47 der Charta verankerten Grundsatz des effektiven gerichtlichen Rechtsschutzes zu genügen (BGH, RdE 2022, 119 Rn. 15, 49 f. - Genereller sektoraler Produktivitätsfaktor II).
Rz. 20
bb) Der Se nat hat bei der Auslegung der zwar unionswidrigen, gleichwohl aber weiterhin anwendbaren Vorschrift des § 9 Abs. 3 ARegV den beschriebenen Aufgaben und der Stellung der Bundesnetzagentur soweit als möglich Rechnung zu tragen (BGH, RdE 2022, 119 Rn. 15 mwN - Genereller sektoraler Produktivitätsfaktor II). Vor diesem Hintergrund kommt die von der Betroffenen für zutreffend gehaltene Auslegung des § 9 Abs. 3 Satz 1 ARegV nicht in Betracht, wonach die Bundesnetzagentur entgegen der Ansicht des Senats (BGHZ 228, 286 Rn. 23 f. - Genereller sektoraler Produktivitätsfaktor I) tatsächliche Unsicherheiten bei der Prognosegrundlage keinesfalls hinnehmen dürfe, die Validität der Datengrundlagen vollständig nachprüfen müsse, vor der Entscheidung für eine bestimmte Methode alle möglicherweise geeigneten, in der Wissenschaft diskutierten Verfahren und Modelle umfassend aufzuarbeiten und in allen Einzelheiten auf ihre Anwendbarkeit, die konkrete Modellierbarkeit, die Verlässlichkeit und die Robustheit danach zu gewinnender Erkenntnisse zu überprüfen und dabei sämtliche auch nicht mehr weiterverfolgten Ansätze umfassend zu dokumentieren habe. Eine solche Auslegung würde - wie das vorliegende Verfahren eindrücklich zeigt - angesichts des in der Wissenschaft herrschenden Streits in Bezug auf die anzuwendenden ökonometrischen Methoden und ihre methodengerechte Anwendung im Einzelfall und die damit verbundenen niemals vollständig zu vermeidenden tatsächlichen Unsicherheiten die bis zu dem in § 9 Abs. 3 Satz 1 ARegV genannten Zeitpunkt vorzunehmende regulatorische Aufgabe angesichts des dafür erforderlichen Ermittlungs- und Begründungsaufwands verfehlen. Das wäre unionsrechtswidrig. Dadurch würde die Unabhängigkeit der Bundesnetzagentur zusätzlich beschnitten und die Bundesnetzagentur daran gehindert, in einem komplexen Akt wertender Erkenntnis auf der Grundlage des Standes der Wissenschaft die nach ihrer Ansicht angemessenen Tarife vor Beginn der Regulierungsperiode festzulegen.
Rz. 21
cc) Die von der Betroffenen für richtig gehaltene Auslegung des § 9 Abs. 3 ARegV ist auch durch Art. 12 Abs. 1 GG im Lichte von Art. 16 GrCh (vgl. BVerfG, Beschluss vom 27. April 2021 - 2 BvR 206/14, BVerfGE 158, 1 Rn. 46, 56 ff., 81) nicht geboten. Es kann dabei unterstellt werden, dass ein Eingriff in die Berufsausübungsfreiheit, mithin die Freiheit, das Entgelt für berufliche Leistungen selbst festzusetzen oder mit den Interessenten auszuhandeln, vorliegt (BVerfG, Beschlüsse vom 21. Dezember 2009 - 1 BvR 2738/08, BVerfGK 16, 449 [juris Rn. 21]; vom 8. Dezember 2011 - 1 BvR 1932/08, BVerfGK 19, 229 [juris Rn. 45]. Dieser Eingriff ist aber gerechtfertigt. Die Regulierung des Erdgasbinnenmarkts verfolgt mit den Zielen der Sicherstellung eines wirksamen und unverfälschten Wettbewerbs bei der Versorgung mit Elektrizität und Gas und der Sicherung eines langfristig angelegten leistungsfähigen und zuverlässigen Betriebs von Energieversorgungsnetzen gewichtige Gemeinwohlziele (§ 1 Abs. 2 EnWG). Diesen Zielen dient, wie oben dargelegt, auch die unabhängige Stellung der Bundesnetzagentur. Kann sie im Hinblick auf die Grenzen der rechtlichen Determinierung und Determinierbarkeit der Aufklärung und Bewertung komplexer ökonomischer Zusammenhänge ihre regulatorischen Aufgaben nicht erfüllen, werden die regulatorischen Ziele verfehlt. Die Betroffene zeigt nicht auf, dass die von der Bundesnetzagentur für die dritte Regulierungsperiode Gas (2018 bis 2022) festgelegten Erlösobergrenzen dazu führen, dass ihre Entgelte hinter einem gemäß Art. 41 GasRL, § 21 Abs. 2 EnWG angemessenen Netzentgelt zurückbleiben oder sie notwendige Investitionen in die Netze nicht mehr vornehmen kann.
Rz. 22
dd) Entgegen der Ansicht der Betroffenen ist eine Vorlage an den Unionsgerichtshof nicht veranlasst (BGH, RdE 2022, 119 Rn. 49 f. - Genereller sektoraler Produktivitätsfaktor II).
Rz. 23
2. Nach den danach anzuwendenden Maßstäben hält die Beurteilung des Beschwerdegerichts rechtlicher Nachprüfung nicht stand, der von der Bundesnetzagentur anhand eines Törnqvist-Indexes festgesetzte Produktivitätsfaktor in Höhe von 0,49 % sei nach einem grundsätzlich rechtmäßigen Verfahren bestimmt, im Ergebnis jedoch rechtswidrig, weil das zugrunde liegende Stützintervall (der für die Prognose betrachtete Zeitraum der Jahre 2006 bis 2016) zu wenig robust sei, die Bundesnetzagentur die Ursachen der Schwankungen im Vergleich zu anderen möglichen Stützintervallen nicht untersucht habe und das Jahr 2006 auf der gegebenen Grundlage nicht hätte in die Betrachtung einbezogen werden dürfen, (BGHZ 228, 286 Rn. 30 ff. - Genereller sektoraler Produktivitätsfaktor I; BGH, RdE 2022, 119 Rn. 19 ff. - Genereller sektoraler Produktivitätsfaktor II). Auf die Begründung dieser Entscheidungen wird verwiesen (zur als unzureichend gerügten Begründung: BGHZ 228, 286 Rn. 62 bis 67 - Genereller sektoraler Produktivitätsfaktor I; BGH, RdE 2022, 119 Rn. 30 f. - Genereller sektoraler Produktivitätsfaktor II; zur Rüge der nicht fristgerechten Festlegung: BGH, RdE 2022, 119 Rn. 52 bis 55 - Genereller sektoraler Produktivitätsfaktor II; zur Residualbetrachtung: BGHZ 228, 286 Rn. 33 bis 38 - Genereller sektoraler Produktivitätsfaktor I; zum Stützintervall 2006 bis 2016: BGHZ 228, 286 Rn. 68 bis 91 - Genereller sektoraler Produktivitätsfaktor I; BGH, RdE 2022, 119 Rn. 32 bis 41 - Genereller sektoraler Produktivitätsfaktor II; zum Deflator: BGHZ 228, 286 Rn. 23 ff., 53 ff. - Genereller sektoraler Produktivitätsfaktor I; BGH, RdE 2022, 119 Rn. 12 bis 15 - Genereller sektoraler Produktivitätsfaktor II; zu den Abschreibungen: BGHZ 228, 286 Rn. 92 ff. - Genereller sektoraler Produktivitätsfaktor I; BGH, RdE 2022, 119 Rn. 42 - Genereller sektoraler Produktivitätsfaktor II; zum Zinssatz für Fremdkapital: BGHZ 228, 286 Rn. 104 ff. - Genereller sektoraler Produktivitätsfaktor I; BGH, RdE 2022, 119 Rn. 43 bis 46 - Genereller sektoraler Produktivitätsfaktor II); zur Malmquist-Methode: BGHZ 228, 286 Rn. 112 ff. - Genereller sektoraler Produktivitätsfaktor I; BGH, RdE 2022, 119 Rn. 47, 56 bis 59 - Genereller sektoraler Produktivitätsfaktor II).
Rz. 24
Soweit die Betroffene in ihrem Schriftsatz vom 14. Juni 2022 in Bezug auf den Deflator unter Verwendung des Schaubilds "Indizdarstellung der Preisentwicklung" auf die starke Streuung der Subindizes hinweist, liegt das schon deshalb neben der Sache, weil es insoweit um die konstanten Verbrauchsanteile der Haushalts-, Gewerbe- und Industriekunden, nicht aber um die Preisentwicklung geht (BGHZ 228, 286 Rn. 53 ff. - Genereller sektoraler Produktivitätsfaktor I; BGH, RdE 2022, 119 Rn. 21 ff. - Genereller sektoraler Produktivitätsfaktor II). Auch im vorliegenden Verfahren zeigt die Betroffene nicht auf, dass sie sich um eine - grundsätzlich mögliche - Einsicht in die Plausibilisierungsakten bemüht oder erstinstanzlich Vortrag gehalten hat, der nach den insoweit anwendbaren Maßstäben des Senats eine Verpflichtung zu weiteren Ermittlungen begründen könnte (BGH, RdE 2022, 119 Rn. 37 bis 41 - Genereller sektoraler Produktivitätsfaktor II). Soweit sie nunmehr im Schriftsatz vom 14. Juni 2022 (erstmals) behauptet, es bleibe unklar, wie die Bundesnetzagentur die Daten überhaupt habe plausibilisieren können angesichts des Umstandes, dass die Bundesnetzagentur nur einen kleinen Teil der Gasnetzbetreiber selbst reguliert habe und für das Jahr 2006 nach Kenntnis der Betroffenen detaillierte Jahresabschlüsse im Bundesanzeiger in der Regel nicht veröffentlicht worden seien, ist dies im Rechtsbeschwerdeverfahren nicht zu berücksichtigen. Die Betroffene zeigt nicht auf, dass sie es erstinstanzlich geltend gemacht habe (§ 88 Abs. 2, 4 EnWG; vgl. BGH, RdE 2022, 119 Rn. 25 - Genereller sektoraler Produktivitätsfaktor II). Der Vortrag schließt zudem nicht aus, dass die Bundesnetzagentur über die zur Plausibilisierung erforderlichen Daten verfügt hat und ist daher nicht geeignet, die Begründung der Bundesnetzagentur für die von ihr bejahte Validität der herangezogenen Daten zu erschüttern (vgl. Nachkonsultation S. 2 f., Festlegung S.14 f.; BGHZ 228, 286 Rn. 68 - Genereller sektoraler Produktivitätsfaktor I).
Rz. 25
C. Die Kostenentscheidung beruht auf § 90 EnWG.
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Dokument-Index HI15344324 |