Leitsatz (amtlich)
Von einer persönlichen Anhörung des Betroffenen darf im Verfahren zur Verlängerung der Betreuung jedenfalls dann nicht abgesehen werden, wenn nicht ausgeschlossen ist, dass aus den Antworten und aus dem Verhalten des Betroffenen Rückschlüsse auf dessen natürlichen Willen gezogen werden können.
Normenkette
FamFG § 34 Abs. 2, § 275 Abs. 1, § 295 Abs. 1
Verfahrensgang
LG Konstanz (Beschluss vom 12.05.2016; Aktenzeichen C 12 T 42/16) |
AG Konstanz (Beschluss vom 21.01.2016; Aktenzeichen XVII 36/08) |
Tenor
Auf die Rechtsbeschwerde des weiteren Beteiligten zu 3) wird der Beschluss der 1. Zivilkammer des LG Konstanz vom 12.5.2016 aufgehoben.
Die Sache wird zur erneuten Behandlung und Entscheidung, auch über die Kosten des Rechtsbeschwerdeverfahrens, an das LG zurückverwiesen.
Das Verfahren der Rechtsbeschwerde ist gerichtsgebührenfrei.
Beschwerdewert: 5.000 EUR
Gründe
I.
Rz. 1
Der 26-jährige Betroffene leidet seit seiner Geburt an einer peripartalen cerebralen Schädigung mit gemischter zentraler Koordinationsstörung, Rumpfhypotonie, Tetraspastik und ausgeprägter Athetose, dazu an einer Anarthie bei hochgradiger Schwerhörigkeit, einer Beugekontraktur beider Kniegelenke und einer Hüftgelenksluxation rechts, weshalb er seine sämtlichen Angelegenheiten nicht selbst besorgen kann.
Rz. 2
Im Januar 2009 bestellte das AG eine Rechtsanwältin zur Berufsbetreuerin. Dies wurde mit den zwischen den geschiedenen Eltern des Betroffenen bestehenden Spannungen begründet, weshalb diese als Betreuer nicht in Betracht kämen. Spätere Anträge des Beteiligten zu 3) (Vater des Betroffenen) auf Betreuerwechsel blieben erfolglos.
Rz. 3
Mit Beschluss vom 21.1.2016 hat das AG die Betreuung verlängert und den erneuten Antrag des Vaters auf Betreuerwechsel zurückgewiesen. Von einer Anhörung des Betroffenen hat es abgesehen, weil aufgrund eingeschränkter Kommunikationsmöglichkeiten mit dem Betroffenen ein Erkenntnisgewinn nicht zu erwarten sei.
Rz. 4
Das LG hat die Beschwerde des Vaters zurückgewiesen; hiergegen richtet sich seine Rechtsbeschwerde.
II.
Rz. 5
Die zulässige Rechtsbeschwerde ist begründet.
Rz. 6
1. Die Rechtsbeschwerde ist zulassungsfrei statthaft, auch soweit sich der Vater nicht gegen die Verlängerung der Betreuung als solche, sondern gegen die Auswahl des Betreuers wendet (vgl. BGH v. 15.9.2010 - XII ZB 166/10, FamRZ 2010, 1897 Rz. 9 f.; v. 25.3.2015 - XII ZB 621/14, FamRZ 2015, 1178 Rz. 9 f. m.w.N.).
Rz. 7
2. Das LG hat zur Begründung seiner Entscheidung im Wesentlichen ausgeführt: Nach dem eingeholten Gutachten bedürfe der Betroffene einer Betreuung in allen Angelegenheiten. Der Betroffene sei auch nicht zu einer freien Willensbildung in der Lage. Von einer Anhörung des Betroffenen habe gem. § 34 Abs. 2 FamFG abgesehen werden können, da der Betroffene offensichtlich nicht in der Lage sei, seinen Willen kundzutun. Das ergebe sich bereits aus dem Protokoll der Anhörung vom 27.4.2011, in der deutlich geworden sei, dass der Betroffene den hinter bestimmten Fragen zur Betreuung steckenden Sinn nicht zu erfassen vermochte. Auch der Sachverständige habe in seinem Gutachten bestätigt, dass eine Verständigung mit dem Betroffenen nur in sehr eingeschränktem Maße und nur bezüglich basaler Bedürfnisse möglich sei.
Rz. 8
Die Voraussetzungen für einen Betreuerwechsel gem. § 1908b BGB lägen nicht vor, da die bisherige Betreuerin nicht ungeeignet sei. Die vom Vater des Betroffenen insoweit erhobenen Vorwürfe gegen die Betreuerin seien unbegründet.
Rz. 9
3. Die angefochtene Entscheidung hält einer rechtlichen Nachprüfung nicht stand. Die Rechtsbeschwerde rügt zu Recht, dass das Beschwerdegericht nicht von einer persönlichen Anhörung des Betroffenen hätte absehen dürfen.
Rz. 10
a) Gemäß § 278 Abs. 1 Satz 1, 2 FamFG hat das Gericht den Betroffenen vor der Bestellung eines Betreuers oder der Anordnung eines Einwilligungsvorbehalts persönlich anzuhören. Es hat sich einen persönlichen Eindruck von dem Betroffenen zu verschaffen. Die persönliche Anhörung des Betroffenen nach § 278 Abs. 1 FamFG ist auch für das Verlängerungsverfahren zwingend vorgeschrieben (§ 295 Abs. 1 FamFG).
Rz. 11
b) Zu Unrecht meint das Beschwerdegericht, von einer Anhörung habe gem. § 34 Abs. 2 FamFG abgesehen werden können (vgl. hierzu BGH v. 2.7.2014 - XII ZB 120/14, FamRZ 2014, 1543 Rz. 12), weil der Betroffene nicht dazu in der Lage sei, seinen Willen kundzutun. Bei der Prüfung der Voraussetzungen dieser Vorschrift hat das Beschwerdegericht einen falschen Maßstab angelegt.
Rz. 12
aa) Auf das vom Beschwerdegericht herangezogene Kriterium, ob der Betroffene den hinter bestimmten Fragen zur Betreuung steckenden Sinn zu erfassen vermag, kommt es nicht entscheidend an. § 34 Abs. 2 FamFG greift nämlich nicht schon, wenn der Betroffene nichts Sinnvolles zur Sache äußern kann, sondern erst, wenn er entweder überhaupt nichts oder jedenfalls nichts irgendwie auf die Sache Bezogenes zu äußern imstande ist (vgl. Prütting/Helms/Fröschle FamFG 3. Aufl., § 278 Rz. 32; Damrau/Zimmermann Betreuungsrecht 4. Aufl., § 278 FamFG Rz. 64), sei es etwa, weil der Betroffene bewusstlos ist oder weil er künstlich beatmet wird und dabei weder zu einer verbalen noch zu einer nonverbalen Kommunikation in der Lage ist, sich also in keiner Weise mehr mitteilen kann (HK-BUR/Bauer [Stand: Juli 2010] § 278 FamFG Rz. 138). Solange hingegen nicht ausgeschlossen ist, dass aus den Antworten und aus dem Verhalten des Betroffenen Rückschlüsse auf dessen natürlichen Willen gezogen werden können, darf das Betreuungsgericht nicht nach § 34 Abs. 2 FamFG von einer persönlichen Anhörung absehen. Daher schließt auch eine erhalten gebliebene nonverbale Kommunikationsfähigkeit einen Anhörungsverzicht grundsätzlich aus (HK-BUR/Bauer [Stand: Juli 2010] § 278 FamFG Rz. 139).
Rz. 13
Die für ein Absehen von der Anhörung erforderliche Feststellung, dass Rückschlüsse auf den natürlichen Willen des Betroffenen offensichtlich weder aufgrund verbaler noch aufgrund nonverbaler Kommunikation möglich sind, kann das Gericht regelmäßig nur auf der Grundlage eines aktuellen persönlichen Eindrucks treffen, den es bei einer unmittelbaren Kontaktaufnahme mit dem Betroffenen gewonnen hat (vgl. Jurgeleit/Buèiæ Betreuungsrecht 3. Aufl., § 278 FamFG Rz. 31; Keidel/Budde FamFG 18. Aufl., § 278 Rz. 22; HK-BUR/Bauer [Stand: Juli 2010] § 278 FamFG Rz. 137).
Rz. 14
bb) Im vorliegenden Fall ist weder die konkrete Feststellung getroffen, der Betroffene könne seinen natürlichen Willen "offensichtlich" nicht kundtun, noch könnte sich eine solche Annahme auf den Versuch einer gerichtlichen Kontaktaufnahme mit dem Betroffenen im Verlängerungsverfahren stützen. Vielmehr wird die gegenteilige Annahme sowohl durch frühere Anhörungsprotokolle als auch durch die Ausführungen des Sachverständigen gestützt, wonach eine Verständigung mit dem Betroffenen über seine Grundbedürfnisse unter Verwendung technischer Hilfsmittel grundsätzlich möglich ist. Unter diesen Voraussetzungen hätte nicht von einer Anhörung nach § 34 Abs. 2 FamFG abgesehen werden dürfen.
Rz. 15
c) Da das AG verfahrensfehlerhaft von der persönlichen Anhörung des Betroffenen abgesehen hat, durfte das Beschwerdegericht nicht nach § 68 Abs. 3 Satz 2 FamFG von einer Anhörung absehen. Vielmehr hätte es die Anhörung nachholen müssen (vgl. BGH v. 2.3.2011 - XII ZB 346/10, FamRZ 2011, 805 Rz. 14; v. 1.6.2016 - XII ZB 23/16, FamRZ 2016, 1354 Rz. 17).
Rz. 16
4. Der angefochtene Beschluss kann daher keinen Bestand haben. Die Sache ist an das LG zurückzuverweisen, um diesem Gelegenheit zu geben, die erforderliche Anhörung des Betroffenen nachzuholen.
Rz. 17
Bei seiner erneuten Befassung wird das LG außerdem zu berücksichtigen haben, dass die Betreuerauswahl bei der Entscheidung über die Verlängerung der Betreuung aufgrund einer umfassenden Abwägung nach den Maßstäben des § 1897 BGB zu treffen ist. Eine Prüfung lediglich anhand der Kriterien für eine Entlassung des Betreuers (§ 1908b BGB) genügt nicht. § 1908b Abs. 1 BGB regelt zwar die Voraussetzungen, unter denen die Entlassung eines Betreuers erfolgen kann. Die Vorschrift bezieht sich jedoch nur auf diejenigen Fälle, in denen bei fortbestehender Betreuung eine isolierte Entscheidung über die Beendigung des Amtes des bisherigen Betreuers getroffen werden soll. Ist dagegen im Zusammenhang mit der Entscheidung über die Verlängerung einer bereits bestehenden Betreuung über einen Betreuerwechsel zu befinden, richtet sich die Auswahl der Person des Betreuers nach der für die Neubestellung eines Betreuers maßgeblichen Vorschrift des § 1897 BGB (BGH v. 15.9.2010 - XII ZB 166/10, FamRZ 2010, 1897 Rz. 17 m.w.N.; v. 25.3.2015 - XII ZB 621/14, FamRZ 2015, 1178 Rz. 25 m.w.N.). Es ist daher zunächst zu prüfen, ob der Betroffene eine bestimmte Person als Betreuer wünscht oder nicht wünscht (§ 1897 Abs. 4 Satz 1 und 2 BGB; vgl. BGH v. 3.8.2016 - XII ZB 616/15 - juris Rz. 17), ob anstelle der bisherigen Berufsbetreuerin eine geeignete Person zur Verfügung steht, die zur ehrenamtlichen Führung der Betreuung bereit ist (§ 1897 Abs. 6 Satz 1 BGB), und inwieweit bei der Auswahl des Betreuers auf die Bindungen des Betroffenen zu seinen Eltern sowie auf die Gefahr von Interessenkonflikten Rücksicht zu nehmen ist (§ 1897 Abs. 5 BGB).
Fundstellen
Haufe-Index 9872145 |
NJW 2016, 8 |
NJW 2017, 77 |
FamRZ 2016, 2093 |
FuR 2017, 79 |
FGPrax 2017, 25 |
BtPrax 2017, 35 |
JZ 2017, 15 |
MDR 2017, 154 |
Rpfleger 2017, 90 |