Entscheidungsstichwort (Thema)
Ablehnung der Einrichtung einer Betreuung. Rechtsbeschwerde. persönliche Anhörung des Betroffenen im Betreuungsverfahren
Leitsatz (amtlich)
a) Gegen eine die Einrichtung einer Betreuung ablehnende Beschwerdeentscheidung ist gem. § 70 Abs. 3 Satz 1 Nr. 1 FamFG die zulassungsfreie Rechtsbeschwerde statthaft.
b) Der persönlichen Anhörung des Betroffenen kommt auch in den Fällen, in denen sie nicht durch das Gesetz vorgeschrieben ist (§ 34 Abs. 1 Nr. 2 FamFG), eine zentrale Stellung im Rahmen der gem. § 26 FamFG von Amts wegen durchzuführenden Ermittlungen zu.
Normenkette
FamFG § 70 Abs. 3 S. 1 Nr. 1, § 34 Abs. 1, § 26
Verfahrensgang
LG Berlin (Beschluss vom 12.09.2013; Aktenzeichen 87 T 197/13) |
AG Berlin-Charlottenburg (Entscheidung vom 28.05.2013; Aktenzeichen 58 XVII 84/11) |
Tenor
Auf die Rechtsbeschwerde der Betroffenen wird der Beschluss der Zivilkammer 87 des LG Berlin vom 12.9.2013 zu Ziff. 1 (Zurückweisung der Beschwerde) aufgehoben.
Die Sache wird zur erneuten Behandlung und Entscheidung, auch über die Kosten des Rechtsbeschwerdeverfahrens, an das LG zurückverwiesen.
Wert: 5.000 EUR
Gründe
I.
Rz. 1
Die Betroffene wendet sich dagegen, dass AG und LG ihr die Bestellung eines Betreuers versagt haben.
Rz. 2
Sie hat im November 2011 beantragt, eine Betreuung für sie zu errichten, weil sie unter seelischen und psychischen Erkrankungen leide und ihre Angelegenheiten nicht selbst besorgen könne.
Rz. 3
In dem vom AG eingeholten Gutachten eines Facharztes für Psychiatrie und Psychotherapie vom August 2012 ist bei der Betroffenen eine depressiv-ängstliche Störung reaktiver Genese diagnostiziert worden, Anteile einer posttraumatischen Belastungsstörung könnten nicht ausgeschlossen werden. Die Betroffene sei hinsichtlich der Betreuung unentschlossen und zu einer freien Willensbildung in der Lage. Sie könne sich aufgrund ihrer psychischen Minderbelastbarkeit nicht mehr hinreichend um die Bereiche Vermögenssorge sowie Wohnungs- und Ämterangelegenheiten kümmern. Mit einer Zustandsbesserung sei zu rechnen.
Rz. 4
Nachdem die Betroffene zu Anhörungsterminen nicht erschienen war, hat das AG das Betreuungsverfahren eingestellt, weil die Bestellung einer Betreuungsperson nicht erforderlich sei. Die Beschwerde der Betroffenen hat das LG ohne weitere Ermittlungen zurückgewiesen. Hiergegen richtet sich die Rechtsbeschwerde der Betroffenen.
II.
Rz. 5
Die zulässige Rechtsbeschwerde ist begründet.
Rz. 6
1. Das Beschwerdegericht hat zur Begründung seiner Entscheidung ausgeführt, die Voraussetzungen für eine Betreuerbestellung seien nicht gegeben. Es sei angesichts der Ausführungen des Sachverständigen schon nicht sicher feststellbar, ob die medizinischen Voraussetzungen vorlägen. Das könne aber offen bleiben, weil es jedenfalls an der Erforderlichkeit "einer Betreuung in dem erstinstanzlich zuletzt beantragten und daher im Rahmen des Beschwerdeverfahrens allein gegenständlichen Umfang (Gesundheitsvorsorge, Vertretung gegenüber Behörden und Gerichten)" fehle. Die Betroffene sei weiterhin geschäftsfähig und könne einen freien Willen bilden. Letzteres stehe bereits einer Betreuung über den von der Betroffenen beantragten Umfang hinaus entgegen. Dass sich die Betroffene der Empfehlung des Sachverständigen zum Betreuungsumfang anschließe, habe sie nicht erklärt. Eine Gesundheitsfürsorge sei nicht erforderlich, weil bei der Betroffenen Krankheitseinsicht und Behandlungsbereitschaft vorlägen. Der Aufgabenkreis Vertretung gegenüber Behörden und Gerichten gehe ohne einen anderen zugleich übertragenen Aufgabenkreis ins Leere.
Rz. 7
2. Die Rechtsbeschwerde der Betroffenen ist zulässig.
Rz. 8
Insbesondere ist sie gem. § 70 Abs. 3 Satz 1 Nr. 1 FamFG auch ohne Zulassung durch das Beschwerdegericht statthaft, obwohl vorliegend die Einrichtung einer Betreuung abgelehnt worden ist (vgl. MünchKommFamFG/Fischer 2. Aufl., § 70 Rz. 30; Joachim in Bahrenfuss FamFG 2. Aufl., § 70 Rz. 11; Bork/Jacoby/Schwab/Müther FamFG 2. Aufl., § 70 Rz. 25.1). Der Gesetzgeber wollte zwar mit der Regelung des § 70 Abs. 3 Satz 1 Nr. 1 FamFG eine weitere Überprüfungsinstanz ohne Zulassungsvoraussetzungen für die Fälle zur Verfügung stellen, bei denen in höchstpersönliche Rechte der Beteiligten eingegriffen wird (vgl. BT-Drucks. 16/9733, 290). Die Vorschrift, die für alle von § 271 Nr. 1 und 2 FamFG erfassten Verfahren gilt (vgl. BGH v. 18.5.2011 - XII ZB 671/10, FamRZ 2011, 1143 Rz. 7 f.; v. 29.6.2011 - XII ZB 65/11, FamRZ 2011, 1393 Rz. 6 f.) und neben Betreuungssachen zur Bestellung eines Betreuers auch solche zur Aufhebung einer Betreuung nennt, ordnet die zulassungsfreie Statthaftigkeit der Rechtsbeschwerde aber gleichwohl unabhängig davon an, ob nach der Beschwerdeentscheidung eine Betreuung besteht. Dies belegt auch der Umkehrschluss aus § 70 Abs. 3 Satz 2 FamFG, der nur für Unterbringungs- und Freiheitsentziehungssachen die Statthaftigkeit davon abhängig macht, dass eine (positive) Anordnung erfolgt ist.
Rz. 9
3. Die angegriffene Entscheidung hält den Angriffen der Rechtsbeschwerde nicht stand.
Rz. 10
a) Unzutreffend ist - wie die Rechtsbeschwerde mit Recht rügt - bereits der Ausgangspunkt des LG, die Betroffene habe ihren Antrag auf die Aufgabenkreise der Gesundheitsfürsorge und der Vertretung gegenüber Behörden und Gerichten beschränkt.
Rz. 11
Weder aus der Begründung des angefochtenen Beschlusses noch aus dem weiteren Inhalt der Betreuungsakten ergibt sich, welcher Äußerung der Betroffenen ein entsprechend eingegrenzter Antragsinhalt entnommen werden könnte. Vielmehr hat die Betroffene in ihrem verfahrenseinleitenden Schreiben vom 11.11.2011 beantragt, "ein Betreuungsverfahren über mich zu errichten und zwar umfangreich". Mit Faxschreiben vom 23.11.2011 hat sie dann erklärt, sie "brauche eine umfassende Betreuung insb. für die Gesundheitsvorsorge, Vertretung gegenüber Behörden u. Gerichten". Das Begehren der Betroffenen war mithin von Anfang an offen ausgestaltet und hat auch durch den "insbesondere"-Zusatz keine Einschränkung erfahren, die die Rechtsauffassung des LG tragen könnte. Im Übrigen ist darauf hinzuweisen, dass die Betroffene dem Sachverständigen von massiven finanziellen Problemen und dem Problem der Wohnungskündigung berichtet hat sowie davon, dass sie mit beiden nicht zurechtkomme. Damit sind von ihr selbst andere als die vom LG allein in den Blick genommenen Aufgabenkreise angesprochen.
Rz. 12
Wie das LG zutreffend gesehen hat, hat die Betroffene zudem gegenüber dem Sachverständigen erklärt, bezüglich der Frage einer Betreuung unentschlossen zu sein und eine Entscheidung bis zum Zeitpunkt einer richterlichen Anhörung treffen zu wollen. Zu einer solchen Anhörung ist es jedoch nicht gekommen. Die Betroffene hat aber mit Schreiben vom 8.11.2012 und damit nach Gutachtenserstellung mitgeteilt, eine Betreuung sei ihrer Meinung nach erforderlich. Damit hat sie ebenso wie durch die Beschwerde gegen die amtsgerichtliche Entscheidung, das Betreuungsverfahren ohne Bestellung eines Betreuers einzustellen, hinreichend dokumentiert, bei ihrem ursprünglichen Antrag bleiben zu wollen.
Rz. 13
Das LG durfte daher nicht von einem eingeschränkten Beschwerdegegenstand ausgehen, sondern hätte gem. § 26 FamFG von Amts wegen die erforderlichen Ermittlungen zum Vorliegen der Betreuungsvoraussetzungen gem. § 1896 Abs. 1 Satz 1 BGB, zur Frage des freien Willens i.S.d. § 1896 Abs. 1a BGB und zur Erforderlichkeit einer Betreuung gem. § 1896 Abs. 2 Satz 1 BGB durchführen müssen.
Rz. 14
b) Der angefochtene Beschluss ist darüber hinaus - wie die Rechtsbeschwerde mit Erfolg geltend macht - auch deshalb rechtsfehlerhaft, weil das LG unter Verstoß gegen den Amtsermittlungsgrundsatz des § 26 FamFG von einer persönlichen Anhörung der Betroffenen abgesehen hat.
Rz. 15
aa) Zwar ordnet § 278 Abs. 1 Satz 1 FamFG, der gem. § 293 Abs. 1 FamFG für die Erweiterung und gem. § 295 Abs. 1 Satz 1 FamFG für die Verlängerung der Betreuung entsprechend anwendbar ist, eine persönliche Anhörung nur vor der Bestellung eines Betreuers für den Betroffenen an. Damit ist aber nicht die Aussage verbunden, dass es einer Anhörung dann, wenn es nicht zur Betreuerbestellung kommt, generell nicht bedarf. Die persönliche Anhörung dient nicht nur der Gewährung rechtlichen Gehörs (vgl. § 34 Abs. 1 Nr. 1 FamFG), sondern hat - wie sich auch aus § 278 Abs. 1 Satz 2 FamFG ergibt - vor allem den Zweck, dem Gericht einen unmittelbaren Eindruck von dem Betroffenen zu verschaffen (Senatsbeschluss v. 6.11.2013 - XII ZB 650/12 - juris Rz. 13; vgl. auch BT-Drucks. 11/4528, 172 sowie Keidel/Budde FamFG 18. Aufl., § 278 Rz. 2; Schulte-Bunert/Weinreich/Brinkmann FamFG 4. Aufl., § 26 Rz. 24; Bienwald in Bienwald/Sonnenfeld/Hoffmann Betreuungsrecht 5. Aufl., § 278 FamFG Rz. 18). Ihr kommt damit auch in den Fällen, in denen sie nicht durch Gesetz vorgeschrieben ist (§ 34 Abs. 1 Nr. 2 FamFG), eine zentrale Stellung im Rahmen der gem. § 26 FamFG in einem Betreuungsverfahren von Amts wegen durchzuführenden Ermittlungen zu (vgl. Grabow in Holzer FamFG § 278 Rz. 4). Dies gilt auch bei einem Eigenantrag des Betroffenen auf Betreuungserrichtung. Wird dieser ohne die erforderlichen Ermittlungen, zu denen regelmäßig auch eine persönliche Anhörung gehören wird, abgelehnt, so wird dem Betroffenen der ihm durch das Betreuungsrecht gewährleistete Erwachsenenschutz (vgl. hierzu Lipp FamRZ 2013, 913, 917 f.) ohne ausreichende Grundlage entzogen.
Rz. 16
bb) Über Art und Umfang dieser Ermittlungen entscheidet zwar grundsätzlich der Tatrichter nach pflichtgemäßem Ermessen. Das Rechtsbeschwerdegericht hat jedoch u.a. nachzuprüfen, ob das Beschwerdegericht die Grenzen seines Ermessens eingehalten hat, ferner, ob es von zutreffenden Tatsachenfeststellungen ausgegangen ist (BGH v. 21.11.2012 - XII ZB 114/12, FamRZ 2013, 287 Rz. 8).
Rz. 17
Dieser Nachprüfung hält die Entscheidung, von einer persönlichen Anhörung abzusehen, nicht stand. Das LG hat dieser als tragende Erwägung die Einschätzung des Sachverständigen zugrunde gelegt, die Betroffene sei weiterhin geschäftsfähig und zur freien Willensbildung im Hinblick auf die Ablehnung einer Betreuung in der Lage. Mit Blick auf die seit der Begutachtung verstrichene Zeit hat es aber andererseits für nicht gesichert gehalten, dass die Feststellungen des Sachverständigen zum gesundheitlichen Zustand der Betroffenen noch zutreffen. Schon angesichts dessen hätte es vorliegend jedenfalls einer - in erster Instanz nicht erfolgten - persönlichen Anhörung bedurft, um sich einen persönlichen Eindruck von der Betroffenen zu verschaffen und zu einer tragfähigen Tatsachengrundlage für die Entscheidung, ob und ggf. in welchem Umfang die Betroffene einer Betreuung bedarf, zu gelangen (vgl. auch OLG Zweibrücken FamRZ 2009, 1180; Keidel/Budde FamFG 18. Aufl., § 278 Rz. 3; Bork/Jacoby/Schwab/Heiderhoff FamFG 2. Aufl., § 278 Rz. 2).
Rz. 18
4. Die Sache ist gem. § 74 Abs. 6 Satz 2 FamFG an das Beschwerdegericht zur Nachholung der bislang unterbliebenen Feststellungen zurückzuverweisen. Dabei sollte das LG sich zweckmäßiger Weise im Rahmen einer persönlichen Anhörung vorab einen unmittelbaren Eindruck von der Betroffenen verschaffen und - soweit möglich - im Gespräch mit dieser klären, inwieweit sie nach wie vor eine Betreuung für sich beantragt, um dann eventuelle weitere Verfahrens- und Ermittlungsschritte festlegen zu können.
Rz. 19
5. Von einer weiteren Begründung der Entscheidung wird gem. § 74 Abs. 7 FamFG abgesehen, weil sie nicht geeignet wäre, zur Klärung von Rechtsfragen grundsätzlicher Bedeutung, zur Fortbildung des Rechts oder zur Sicherung einer einheitlichen Rechtsprechung beizutragen.
Fundstellen
Haufe-Index 6536684 |
EBE/BGH 2014 |
FamRZ 2014, 652 |
NJW-RR 2014, 773 |
FGPrax 2014, 116 |
BtPrax 2014, 135 |
JZ 2014, 310 |
MDR 2014, 612 |
Rpfleger 2014, 318 |