Leitsatz (amtlich)
Von der in Freiheitsentziehungssachen auch im Beschwerdeverfahren vorgeschriebenen persönlichen Anhörung des Betroffenen kann unter den in § 68 Abs. 3 Satz 2 FamFG genannten Voraussetzungen ausnahmsweise abgesehen werden; seine dahingehende Ermessensentscheidung muss das Beschwerdegericht nachprüfbar begründen. Unterlässt es dies, ist die Haft aber nur dann rechtswidrig, wenn die erneute Anhörung zwingend geboten war.
Normenkette
FamFG § 68 Abs. 3, § 420
Verfahrensgang
LG Hamburg (Beschluss vom 27.04.2015; Aktenzeichen 329 T 2/15) |
AG Hamburg (Beschluss vom 14.04.2015; Aktenzeichen 219a XIV 12/15) |
Tenor
Die Rechtsbeschwerde gegen den Beschluss des LG Hamburg - Zivilkammer 29 - vom 27.4.2015 wird auf Kosten der Betroffenen zurückgewiesen.
Der Gegenstandswert des Rechtsbeschwerdeverfahrens beträgt 5.000 EUR.
Gründe
I.
Rz. 1
Auf Antrag der beteiligten Behörde hat das AG mit Beschluss vom 14.4.2015 gegen die Betroffene, eine kosovarische Staatsangehörige, Haft zur Sicherung der Abschiebung bis einschließlich 20.5.2015 angeordnet. Die dagegen gerichtete Beschwerde hat das LG ohne erneute Anhörung der Betroffenen zurückgewiesen. Mit der Rechtsbeschwerde will die Betroffene nach ihrer am 29.4.2015 erfolgten Abschiebung die Feststellung erreichen, dass die Haftanordnung und deren Aufrechterhaltung sie in ihren Rechten verletzt haben.
II.
Rz. 2
Die zulässige Rechtsbeschwerde ist unbegründet.
Rz. 3
1. Im Ergebnis ohne Erfolg rügt die Rechtsbeschwerde, dass das Beschwerdegericht eine persönliche Anhörung unterlassen hat.
Rz. 4
a) Allerdings lässt sich der Beschwerdeentscheidung nicht entnehmen, welche Gründe das Gericht dazu bewogen haben, die Betroffene nicht anzuhören. Die persönliche Anhörung ist in Freiheitsentziehungssachen grundsätzlich auch im Beschwerdeverfahren vorgeschrieben (§ 68 Abs. 3 Satz 1 i.V.m. § 420 Abs. 1 Satz 1 FamFG). Sie kann zwar unter den in § 68 Abs. 3 Satz 2 FamFG genannten Voraussetzungen ausnahmsweise unterbleiben. Eine dahingehende Ermessensentscheidung muss das Beschwerdegericht aber nachprüfbar begründen (BGH, Beschl. v. 10.10.2013 - V ZB 127/12, FGPrax 2014, 39 Rz. 8; BGH, Beschl. v. 2.3.2011 - XII ZB 346/10, NJW 2011, 2365 Rz. 13; Beschl. v. 11.4.2012 - XII ZB 504/11, FGPrax 2012, 163 Rz. 6; Keidel/Sternal, FamFG, 18. Aufl., § 68 Rz. 59 jeweils m.w.N.).
Rz. 5
b) Das Fehlen einer Begründung ist hiernach ein Verfahrensfehler; dieser führt für sich genommen jedoch nicht zur Rechtswidrigkeit der Haft, da die Entscheidung nicht auf ihm beruht (§ 72 Abs. 1 Satz 1 FamFG).
Rz. 6
aa) Nicht jeder Verstoß gegen Verfahrensvorschriften verletzt schon als solcher die Grundrechte des Betroffenen aus Art. 2 Abs. 2 Satz 2, Art. 104 Abs. 1 GG. Zwar gehört die persönliche Anhörung vor Anordnung der Haft zu den mit grundrechtlichem Schutz versehenen grundlegenden Verfahrensgarantien (hierzu BVerfGK 9, 132 Rz. 20; BGH, Beschl. v. 17.6.2010 - V ZB 9/10, InfAuslR 2010, 384 Rz. 8). Für die erneute Anhörung in der Beschwerdeinstanz gilt dies aber nicht in gleichem Maße, da von ihr - verfassungsrechtlich unbedenklich - unter den in § 68 Abs. 3 Satz 2 FamFG genannten Voraussetzungen abgesehen werden kann. Unterbleibt die Anhörung ohne eine zureichende Begründung, ist die Haft daher nur dann rechtswidrig, wenn die erneute Anhörung zwingend geboten war. Ist letzteres anzunehmen, sind die Rechte des Betroffenen gem. Art. 2 Abs. 2 Satz 2, Art. 104 Abs. 1 GG verletzt (vgl. BGH, Beschluss vom 10.10.2013 - V ZB 127/12, FGPrax 2014, 39 Rz. 9; Beschluss vom 18.12.2014 - V ZB 192/13, juris Rz. 9 m.w.N.) und es kommt nicht darauf an, ob die Haft in der Sache zu Recht aufrechterhalten worden ist (vgl. BGH, Beschl. v. 17.6.2010 - V ZB 9/10, InfAuslR 2010, 384 Rz. 9 m.w.N.).
Rz. 7
bb) Dass von der erneuten Anhörung nicht in rechtlich zulässiger Weise abgesehen werden konnte, zeigt die Rechtsbeschwerde nicht auf. Der Haftanordnung lag ein zulässiger Haftantrag zugrunde. Die Betroffene war erst vierzehn Tage zuvor durch das AG ausführlich und verfahrensfehlerfrei in der Sache angehört worden. Die Rechtsbeschwerde verweist zwar darauf, dass das LG gem. § 26 FamFG ergänzende Ermittlungen angestellt habe. Diese betrafen aber den für die Abschiebung erforderlichen Zeitraum. Nachdem die anwaltlich vertretene Betroffene von den zusätzlichen Angaben der beteiligten Behörde zu dem früheren Abschiebungstermin in Kenntnis gesetzt worden war, hat diese mitteilen lassen, es würden keine weiteren Angaben in der Sache gemacht, und eine schnelle Entscheidung erbeten. Es ist daher nicht ersichtlich, welche zusätzlichen Erkenntnisse ihre erneute persönliche Anhörung hätte ergeben können (vgl. BGH, Beschl. v. 4.3.2010 - V ZB 222/09, BGHZ 184, 323 Rz. 13).
Rz. 8
2. Im Übrigen wird gem. § 74 Abs. 7 FamFG von einer Begründung abgesehen.
III.
Rz. 9
Die Kostenentscheidung beruht auf § 84 FamFG. Die Festsetzung des Beschwerdewerts folgt aus § 36 Abs. 2 und 3 GNotKG.
Fundstellen
Haufe-Index 8779839 |
EBE/BGH 2015 |
FGPrax 2016, 87 |
InfAuslR 2016, 54 |
JZ 2016, 73 |