Entscheidungsstichwort (Thema)
Haftanordnung zur Zurückschiebung. Zuständigkeit der antragstellenden Behörde
Leitsatz (amtlich)
Von den Bundespolizeiinspektionen gestellte Haftanträge sind solche der jeweiligen übergeordneten Bundespolizeidirektionen.
Normenkette
FamFG § 417 Abs. 1
Verfahrensgang
LG Osnabrück (Beschluss vom 17.03.2010; Aktenzeichen 11 T 138/10 (7)) |
AG Nordhorn (Beschluss vom 08.02.2010; Aktenzeichen 11 XIV 4290 B) |
Tenor
Der Antrag des Betroffenen, die Vollziehung des Beschlusses des AG Nordhorn vom 8.2.2010 in der Fassung des Beschlusses der 11. Zivilkammer des LG Osnabrück bis zur Entscheidung über die Rechtsbeschwerde auszusetzen, wird zurückgewiesen.
Gründe
I.
Rz. 1
Der Betroffene ist Staatsangehöriger von Sri Lanka. Er verließ das Bundesgebiet nach der bestandskräftigen Ablehnung eines Asylantrags. 2007 reiste er von Frankreich kommend wiederum nach Deutschland ein und wurde nach Frankreich zurückgeschoben. Am 8.2.2010 reiste er abermals aus Frankreich ein. Bei einer Kontrolle versuchte er, sich mit einem entwendeten deutschen Personalausweis auszuweisen, und wurde verhaftet. Auf Antrag der Bundespolizeiinspektion Bad Bentheim hat das AG mit Beschluss vom 8.2.2010 gegen den Betroffenen Haft bis zu seiner Rückschiebung, längstens für die Dauer von drei Monaten, angeordnet. Die hiergegen gerichtete Beschwerde, mit der der Betroffene u.a. die Unzuständigkeit der den Haftantrag stellenden Behörde geltend gemacht hat, ist ohne Erfolg geblieben. Hiergegen wendet sich der Betroffne mit der Rechtsbeschwerde. Er beantragt, die Aussetzung des Vollzugs der Haftentscheidung bis zur Entscheidung über die Rechtsbeschwerde anzuordnen.
II.
Rz. 2
Der Antrag hat keinen Erfolg.
Rz. 3
1. Er ist zwar in entsprechender Anwendung von § 64 Abs. 3 FamFG statthaft (vgl. BGH, Beschl. v. 21.1.2010 - V ZB 14/10, juris, Rz. 3; Keidel/Meier-Holz, FamFG, 16. Aufl., § 74 Rz. 61).
Rz. 4
2. Der Antrag ist aber unbegründet.
Rz. 5
a) Das Rechtsbeschwerdegericht hat über die beantragte einstweilige Anordnung nach pflichtgemäßem Ermessen zu entscheiden. Dabei sind die Erfolgsaussichten des Rechtsmittels und die drohenden Nachteile für den Betroffenen gegeneinander abzuwägen. Die Aussetzung der Vollziehung einer Freiheitsentziehung, die durch das Beschwerdegericht bestätigt worden ist, wird danach regelmäßig nur in Betracht kommen, wenn das Rechtsmittel Aussicht auf Erfolg hat oder die Rechtslage zumindest zweifelhaft ist (BGH, Beschl. v. 21.1.2010 - V ZB 14/10, juris, Rz. 5; ferner BGH, Beschl. v. 31.10.2007 - V ZB 114/07, WuM 2008, 95, 96).
Rz. 6
b) Daran fehlt es hier. Die Anordnung der Haft zur Zurückschiebung des Betroffenen wird sich nach bisherigem Sachstand nicht wegen einer Unzuständigkeit der antragstellenden Behörde als unrechtmäßig erweisen.
Rz. 7
Das Vorliegen eines zulässigen Antrages ist Verfahrensvoraussetzung und in jeder Lage des Verfahrens zu prüfen (BayObLG FGPrax 1997, 117; OLG Schleswig FGPrax 1997, 236, 237; KG FGPrax 1998, 157; OLG Karlsruhe FGPrax 2008, 228, 229; OLG Celle FGPrax 2008, 227, 228; OLG Köln FGPrax 2009, 137, 138). Der nach § 417 Abs. 1 FamFG für die Freiheitsentziehung erforderliche Antrag ist von der zuständigen Behörde gestellt worden. Nach § 71 Abs. 3 Nr. 1 AufenthG sind die mit der polizeilichen Kontrolle des grenzüberschreitenden Verkehrs beauftragten Behörden u.a. für Zurückweisungen und Zurückschiebungen an der Grenze zuständig. Der Grenzschutz des Bundesgebietes obliegt nach § 2 Abs. 1 Bundespolizeigesetz der Bundespolizei. Nach § 1 Abs. 1 der Verordnung über die Zuständigkeiten der Bundespolizeibehörden sind die Bundespolizeidirektionen als Unterbehörden, § 57 Abs. 1 Bundespolizeigesetz, zur Wahrnehmung der der Bundespolizei obliegenden Aufgaben sachlich zuständig. Die örtliche Zuständigkeit ergibt sich vorliegend aus § 2 Abs. 1 Nr. 2 der Verordnung. Das führt in dem zu entscheidenden Fall zur örtlichen und sachlichen Zuständigkeit der Bundespolizeidirektion Hannover. Zu dieser gehört die Bundespolizeiinspektion Bad Bentheim. Dass diese den Haftantrag gestellt hat, ist unschädlich; denn das Handeln der Bundespolizeiinspektionen wird mangels einer organisatorischen Selbständigkeit der jeweiligen übergeordneten Bundespolizeidirektion zugerechnet.
Rz. 8
aa) Die Bundespolizeiinspektionen sind keine Behörden. Der Begriff der Behörde ist in allen gesetzlichen Vorschriften in einem einheitlichen Sinn aufzufassen, und zwar im Sinn des Staats- und Verwaltungsrechts (st. Rechtspr., vgl. BGH, Beschl. v. 12.7.1951 - IV ZB 5/51, NJW 1951, 799; Beschl. v. 16.10.1963, IV ZB 171/63, NJW 1964, 299). Danach ist eine Behörde eine in den Organismus der Staatsverwaltung eingeordnete, organisatorische Einheit von Personen und sächlichen Mitteln, die mit einer gewissen Selbständigkeit ausgestattet dazu berufen ist, unter öffentlicher Autorität für die Erreichung der Zwecke des Staates oder von ihm geförderter Zwecke tätig zu sein (BGH, Beschl. v. 16.10.1963, a.a.O.; BVerfGE 10, 20, 48; BVerwG NJW 1991, 2980). Es muss sich um eine Stelle handeln, deren Bestand unabhängig ist von der Existenz, dem Wegfall, dem Wechsel der Beamten oder der physischen Person, der die Besorgung der in den Kreis des Amtes fallenden Geschäfte anvertraut ist (BGH, Beschl. v. 12.7.1951, a.a.O.). Dass das Bundespolizeigesetz und die Verordnung über die Zuständigkeiten der Bundespolizeibehörden die Bundespolizeiinspektionen nicht nennen, ist insoweit ohne Bedeutung. Denn selbst fehlerhaft errichtete Behörden und deren Träger sind im Interesse der Rechtssicherheit bis zur endgültigen Feststellung der Unwirksamkeit nicht als inexistent zu behandeln (BVerfGE 1, 14, 38; BVerwG NvWZ 2003, 995, 996).
Rz. 9
Für den Begriff der Behörde ist eine organisatorische Selbständigkeit notwendig (Schliesky in Knack/Hennecke, VwVfG, 9. Aufl., § 1 Rz. 71; Schmitz in Stelkens/Bonk/Sachs, VwVfG, 8. Aufl., § 1 Rz. 248). Indiz für eine Verselbständigung der Einrichtung zu einer Behörde ist insb. die Fähigkeit der Einrichtung, in eigenem Namen zu handeln, die ihrerseits durch eine gesetzliche Regelung zuerkannt oder durch Rechtsvorschriften zugewiesen wird (Schliesky in Knack/Hennecke, a.a.O., § 1 Rz. 72, 73). Eine solche Befugnis findet sich für die Bundespolizeiinspektionen weder im Bundespolizeigesetz noch in der Verordnung über die Zuständigkeiten der Bundespolizeibehörden. Die Bundespolizeiinspektionen sind unselbständige Untergliederungen der Bundespolizeidirektionen (Wagner, JURA 2009, 96, 97). Sie stehen den Arbeitseinheiten einer Behörde wie Ämtern und Dienststellen gleich (vgl. hierzu Schliesky in Knack/Hennecke, a.a.O., § 1 Rz. 71; Schmitz in Stelkens/Bonk/Sachs, a.a.O., § 1 Rz. 248). Solchen Ämtern kommt eine Behördeneigenschaft nur dann zu, wenn sie kraft gesetzlicher Regelung gebildet werden müssen (Schmitz in Stelkens/Bonk/Sachs, a.a.O., § 1 Rz. 251). So verhält es sich mit den Bundespolizeiinspektionen anders als mit den früheren Bundespolizeiämtern (vgl. § 57 Abs. 2 Satz 1 Bundespolizeigesetz in der bis zum 29.2.2008 geltenden Fassung) gerade nicht. Sie nehmen öffentliche Aufgaben i.S.v. § 1 Abs. 4 VwVfG wahr, ohne dass ihnen eigener Behördencharakter zukommt (Wagner JURA 2009, 96, 97).
Rz. 10
bb) Als Untergliederung der Bundespolizeidirektion wird das Handeln der Bundespolizeiinspektion mangels Selbständigkeit der jeweils zuständigen Bundespolizeidirektion zugerechnet (Wagner JURA 2009, 96, 97). Anträge, die eine Bundespolizeiinspektion stellt, sind Anträge der übergeordneten Bundespolizeidirektion. Antragstellende Behörde ist die jeweilige Bundespolizeidirektion, auch wenn diese nicht ausdrücklich als Antragstellerin ausgewiesen wird, sondern die Bundespolizeiinspektion als Antragstellerin erscheint. Deshalb ist es unschädlich, wenn der Antrag in Freiheitsentziehungssachen nicht (auch) die übergeordnete Bundespolizeidirektion nach § 71 Abs. 3 Nr. 1 FamFG aufführt, da eine Bundespolizeiinspektion mangels eigener originärer gesetzlicher Zuständigkeiten nur als Vertreterin für die Bundespolizeidirektion auftreten kann. Dementsprechend ist die übergeordnete Bundespolizeidirektion und nicht (auch) die Bundespolizeiinspektion Beteiligte des Verfahrens i.S.d. § 418 Abs. 1 FamFG.
Rz. 11
cc) Ohne Bedeutung ist schließlich auch, dass der Antrag vom 8.2.2010 das nicht mehr existierende Bundespolizeiamt Kleve aufführt. Nach den mit dem Aussetzungsantrag nicht angegriffenen Feststellungen des Beschwerdegerichts ist von der Bundespolizeiinspektion Bad Bentheim versehentlich ein alter Vordruck benutzt worden. Die Bundespolizeiinspektion Bad Bentheim konnte und wollte allein für die Bundespolizeidirektion Hannover tätig werden. Dies ergibt sich auch aus den weiteren mit dem Aussetzungsantrag nicht angegriffenen Feststellungen des Beschwerdegerichts, dass die Ingewahrsamnahme des Betroffenen und der Aufgriffsbericht durch die Bundespolizeiinspektion Bad Bentheim für die Bundespolizeidirektion Hannover erfolgt sind. Hierdurch wird zugleich deutlich, dass die Bundespolizeiinspektion ein dieser zugehöriger Teil ist und allein die Bundespolizeidirektion Hannover zuständige Verwaltungsbehörde nach §§ 417 Abs. 1 FamFG, § 71 Abs. 3 Nr. 1 AufenthG, § 57 Abs. 1 Bundespolizeigesetz i.V.m. § 2 Abs. 1 Nr. 2 Verordnung über die Zuständigkeiten der Bundespolizeibehörden für den vorliegenden Haftantrag ist.
Fundstellen
EBE/BGH 2010 |
NVwZ 2010, 919 |
FGPrax 2010, 158 |
DÖV 2011, 124 |
InfAuslR 2010, 380 |
JZ 2010, 348 |
MDR 2010, 717 |
NPA 2011 |