Entscheidungsstichwort (Thema)
Ordnungsgemäße Besetzung des Gerichts. Richterwechsel nach Schluss der mündlichen Verhandlung
Leitsatz (amtlich)
Tritt nach Schluss der mündlichen Verhandlung und vor Fällung des Urteils (abschließende Beratung und Abstimmung) aufgrund einer Änderung des Geschäftsverteilungsplans ein Richterwechsel ein, so ist das erkennende Gericht nicht ordnungsgemäß besetzt, wenn entgegen § 156 Abs. 2 Nr. 3 ZPO nicht die mündliche Verhandlung wieder eröffnet, sondern ein Urteil verkündet wird, das (auch) von dem mittlerweile ausgeschiedenen Richter unterschrieben worden ist.
Normenkette
ZPO § 156 Abs. 2 Nr. 3, §§ 309, 547 Nr. 1
Verfahrensgang
OLG Frankfurt am Main (Urteil vom 30.03.2011; Aktenzeichen 4 U 242/10) |
LG Frankfurt am Main (Entscheidung vom 05.10.2010; Aktenzeichen 2-17 O 7/10) |
Tenor
Auf die Revision der Klägerin wird das Urteil des 4. Zivilsenats des OLG Frankfurt vom 30.3.2011 aufgehoben.
Die Sache wird zur neuen Verhandlung und Entscheidung, auch über die Kosten des Revisionsrechtszugs, an das Berufungsgericht zurückverwiesen.
Von Rechts wegen
Tatbestand
Rz. 1
Die Klägerin, eine Wohnungseigentümergemeinschaft, nimmt den beklagten Notar i.H.v. 23.303,88 EUR auf Schadensersatz in Anspruch, weil er im Zusammenhang mit der Beurkundung der Teilungserklärung seine Amtspflichten verletzt habe.
Rz. 2
Das LG hat die Klage abgewiesen.
Rz. 3
Hiergegen hat sich die Berufung der Klägerin gerichtet.
Rz. 4
Am 2.3.2011 ist nach Schluss der mündlichen Verhandlung vor dem Berufungsgericht Termin zur Verkündung einer Entscheidung auf den 23.3.2011 anberaumt worden.
Rz. 5
Mit Verfügung vom 17.3.2011 hat der Vorsitzende des Berufungsgerichts den Parteien mitgeteilt, dass die Sache nach Ausscheiden eines beteiligten Senatsmitglieds aus dem Senat noch nicht abschließend habe beraten werden können und deshalb der Verkündungstermin vom 23.3.2011 auf den 30.3.2011 verlegt werde. Am 30.3.2011 hat das Berufungsgericht unter Mitwirkung der zwischenzeitlich aus dem Senat ausgeschiedenen Richterin am OLG K. die Berufung durch Urteil zurückgewiesen.
Rz. 6
Dagegen richtet sich die vom Senat zugelassene Revision der Klägerin, mit der sie ihre Klageanträge weiterverfolgt.
Entscheidungsgründe
Rz. 7
Die Revision der Klägerin ist begründet. Sie führt zur Aufhebung des angefochtenen Urteils und zur Zurückverweisung der Sache an das Berufungsgericht.
Rz. 8
1. Vorliegend ist der absolute Revisionsgrund des § 547 Nr. 1 ZPO gegeben, weil das erkennende Gericht nicht vorschriftsmäßig besetzt war.
Rz. 9
Gemäß § 309 ZPO kann das Urteil nur von denjenigen Richtern gefällt werden, die der dem Urteil zugrunde liegenden Verhandlung beigewohnt haben. Dabei handelt es sich im hiesigen Verfahren zwar um die drei Richter, die das Berufungsurteil unterschrieben haben. Gefällt ist ein Urteil i.S.d. § 309 ZPO aber erst, wenn über das Urteil abschließend beraten und abgestimmt worden ist (vgl. BGH, Urt. v. 1.2.2002 - V ZR 357/00, NJW 2002, 1426, 1427). Wie sich aus der Verfügung des Senatsvorsitzenden vom 17.3.2011 ergibt, war zum Zeitpunkt des Ausscheidens der Richterin am OLG K. aus dem Senat anlässlich des Wechsels in einen anderen Senat des Berufungsgerichts die Sache noch nicht abschließend beraten und das Urteil i.S.d. § 309 ZPO noch nicht gefällt. Deshalb hätte das Berufungsgericht - was es verfahrensfehlerhaft unterlassen hat - vor Fällung eines Urteils gem. § 156 Abs. 2 Nr. 3 ZPO zwingend die Wiedereröffnung der mündlichen Verhandlung anordnen müssen (vgl. Leipold in Stein/Jonas, ZPO, 22. Aufl., § 309 Rz. 4; Wieczorek/Schütze/Rensen, ZPO, 3. Aufl., § 309 Rz. 14; Musielak in MünchKomm/ZPO, 3. Aufl., § 309 Rz. 12; Hk-ZPO/Saenger, ZPO, 4. Aufl., § 309 Rz. 5; Baumbach/Lauterbach/Hartmann, ZPO, 70. Aufl., § 309 Rz. 5; Rosenberg/Schwab/Gottwald, Zivilprozessrecht, 17. Aufl., § 60 Rz. 1; s. zur Rechtslage vor Einfügung des Abs. 2 in § 156 ZPO durch das Zivilrechtsreformgesetz vom 27.7.2001: RGZ 16, 417, 419; AK-ZPO/Wassermann, § 309 Rz. 5; Vollkommer NJW 1968, 1309, 1310; s. im Übrigen auch BAGE 101, 145, 150 ff.).
Rz. 10
2. Da die Sache schon wegen des Verfahrensverstoßes an das Berufungsgericht zurückverwiesen werden muss, hat der Senat keinen Anlass, sich mit den übrigen Rügen der Parteien zu befassen. Diese haben Gelegenheit, dem Berufungsgericht ihre im Revisionsverfahren vorgebrachten Einwände erneut vorzutragen.
Fundstellen
Haufe-Index 2939482 |
HFR 2012, 915 |