Entscheidungsstichwort (Thema)

Dieselskandal

 

Leitsatz (redaktionell)

Die Bezugnahme auf die Presseinformation der Staatsanwaltschaft Braunschweig vom 15. April 2019, in der von dem hinreichenden Tatverdacht der Steuerhinterziehung die Rede ist – aufgrund der bewusst wahrheitswidrigen Behauptung, die betroffenen Dieselfahrzeuge würden die Norm Euro 6 erfüllen, seien die Käufer jener Fahrzeuge in den Jahren 2011 bis 2013 in den Genuss einer Steuerbefreiung von maximal 150 EUR gekommen, die mangels Vorliegens der Voraussetzungen nicht gerechtfertigt gewesen sei – reicht für die Darlegung der Möglichkeit eines weiteren Schadens schon deswegen nicht, weil unklar bleibt, ob die Klägerin, deren Fahrzeug nach der Norm Euro 5 zugelassen ist, überhaupt in den Genuss dieser Steuerbefreiung gekommen ist. Aus der in Bezug genommenen Pressemitteilung der Staatsanwaltschaft, die über die Anklageerhebung gegen fünf Beschuldigte vor der Wirtschaftsstrafkammer des Landgerichts Braunschweig, darunter den ehemaligen Vorstandsvorsitzenden der Beklagten Dr. Winterkorn informiert, lässt sich zudem nicht ansatzweise darauf schließen, dass hinsichtlich des Anklagepunktes „Steuerhinterziehung” eine etwaige Inanspruchnahme der von der Beklagten Geschädigten seitens der Finanzbehörden auch nur in Betracht gezogen würde. Auch wenn die zehnjährige Festsetzungsfrist des § 169 Abs. 2 Satz 2 AO noch nicht abgelaufen ist, genügt die rein theoretische Möglichkeit der Inanspruchnahme zur Bejahung eines Feststellungsinteresses nicht.

 

Normenkette

ZPO § 256 Abs. 1; AO § 169 Abs. 2 S. 2, § 370

 

Verfahrensgang

LG Stuttgart (Urteil vom 18.11.2019; Aktenzeichen 7 O 201/19)

OLG Stuttgart (Urteil vom 17.11.2020; Aktenzeichen 1 U 537/19)

 

Tenor

Auf die Revision der Beklagten wird das Urteil des 1. Zivilsenats des Oberlandesgerichts Stuttgart vom 17. November 2020 im Kostenpunkt und insoweit aufgehoben, als zum Nachteil der Beklagten erkannt worden ist.

Die Sache wird im Umfang der Aufhebung zur neuen Verhandlung und Entscheidung, auch über die Kosten des Revisionsverfahrens, an das Berufungsgericht zurückverwiesen.

Streitwert: bis 35.000 EUR

Von Rechts wegen

 

Tatbestand

Rz. 1

Die Klägerin nimmt die beklagte Kraftfahrzeugherstellerin wegen der Verwendung einer unzulässigen Abschalteinrichtung in Anspruch.

Rz. 2

Die Klägerin erwarb mit Rechnung vom 6. Juli 2011 ein von der Beklagten hergestelltes Fahrzeug VW Eos 2.0 TDI als Neuwagen zum Kaufpreis von 43.211,22 EUR. Das Fahrzeug ist mit einem von der Beklagten produzierten Dieselmotor des Typs EA 189 ausgestattet. Dieser enthielt eine Motorsteuerungssoftware, die erkannte, ob das Fahrzeug auf einem Prüfstand den Neuen Europäischen Fahrzyklus (NEFZ) durchlief, und in diesem Fall eine höhere Abgasrückführungsrate und einen geringeren Stickoxidausstoß als im Normalbetrieb bewirkte.

Rz. 3

Das Fahrzeug unterlag einem verpflichtenden Rückruf durch das Kraftfahrt-Bundesamt (KBA). Die Klägerin ließ ein vom KBA freigegebenes Software-Update auf ihr Fahrzeug aufspielen.

Rz. 4

Das Landgericht hat die im Hauptantrag auf Feststellung der Schadensersatzpflicht der Beklagten gerichtete Klage abgewiesen und dem hilfsweise auf Zahlung von Schadensersatz gestellten Antrag überwiegend stattgegeben. In der Berufungsinstanz hat die Klägerin unter anderem beantragt festzustellen, dass die Beklagte verpflichtet sei, ihr „Schadensersatz zu bezahlen für Schäden, die daraus resultieren, dass die Beklagtenpartei in den Motor, Typ EA 189, des Fahrzeugs VW Eos […] mindestens eine unzulässige Abschalteinrichtung in der Form einer Software eingebaut hat, welche bei Erkennung standardisierter Prüfstandssituationen (NEFZ) die Abgasaufbereitung so optimiert, dass möglichst wenige Stickoxide (NOx) entstehen und Stickstoffemissionsmesswerte reduziert werden, und die im Normalbetrieb Teile der Abgaskontrollanlage außer Betrieb setzt, so dass es zu einem höheren NOx-Ausstoß führt bzw. in Gestalt einer Funktion, welche durch Bestimmung der Außentemperatur die Parameter der Abgasbehandlung so verändert, dass die Abgasnachbehandlung außerhalb eines Temperaturfensters von 17º C bis 33º C reduziert wird (sog. Thermofenster).” Hilfsweise hat die Klägerin beantragt, die Beklagte zu verurteilen, an sie 43.211,22 EUR nebst Deliktszinsen in Höhe von 4 % zu bezahlen, Zug-um-Zug gegen Übereignung und Herausgabe des Fahrzeugs. Daneben hat die Klägerin den als Hauptantrag gestellten Feststellungsantrag ebenfalls hilfsweise gestellt.

Rz. 5

Das Berufungsgericht hat auf die Berufung der Klägerin das Urteil des Landgerichts abgeändert und festgestellt, dass die Beklagte verpflichtet ist, „der Klägerin Schadensersatz zu bezahlen für Schäden, die daraus resultieren, dass die Beklagte in den Motor vom Typ EA 189 des Fahrzeugs VW Eos […] eine unzulässige Abschalteinrichtung in der Form einer Software eingebaut hat, welche bei Erkennung standardisierter Prüfstandssituationen (NEFZ) die Abgasaufbereitung so optimiert, dass möglichst wenige Stickoxide (NOx) entstehen und Stickstoffemissionsmesswerte reduziert werden, und die im Normalbetrieb in einen anderen Modus schaltet, bei dem der Stickoxidausstoß höher ist.” Auf die Berufung der Beklagten hat das Gericht nur den Betrag der vorgerichtlichen Anwaltskosten reduziert, von denen die Beklagte die Klägerin freizustellen hat und hat ihre Berufung im Übrigen zurückgewiesen. Mit ihrer vom Senat zugelassenen Revision verfolgt die Beklagte weiter die vollständige Abweisung der Klage.

Rz. 6

Mit Schriftsatz vom 17. Januar 2022 hat die Klägerin durch ihren Prozessbevollmächtigten im Revisionsverfahren erklären lassen, dass sie sich nicht mehr offenhalte, ob sie den sogenannten kleinen oder großen Schadensersatz verlange, sondern jetzt und künftig nur noch den großen Schadensersatz geltend mache.

 

Entscheidungsgründe

Rz. 7

Die Revision der Beklagten hat Erfolg und führt zur Aufhebung des Berufungsurteils und zur Zurückverweisung der Sache an das Berufungsgericht.

I.

Rz. 8

Das Berufungsgericht hat, soweit für die Revision von Bedeutung, im Wesentlichen Folgendes ausgeführt:

Rz. 9

Der Feststellungantrag der Klägerin sei zulässig. Er genüge den Bestimmtheitsanforderungen des § 253 ZPO und scheitere nicht am Fehlen des gemäß § 256 Abs. 1 ZPO erforderlichen Feststellungsinteresses. Die Klägerin habe die Möglichkeit weiterer Schäden durch den Kaufvertragsabschluss hinreichend dargetan. Sie habe unter anderem nähere Ausführungen zu möglichen Steuernachforderungen gemacht und eine Presseinformation der Staatsanwaltschaft Braunschweig vom 15. April 2019 vorgelegt, derzufolge aufgrund der wahrheitswidrigen Behauptung, die betroffenen Dieselfahrzeuge würden die Norm Euro 6 erfüllen, die Käufer jener Fahrzeuge in den Jahren 2011 bis 2013 in den Genuss einer Steuerbefreiung von maximal 150 EUR gekommen seien, die mangels Vorliegens der Voraussetzungen nicht gerechtfertigt gewesen sei. Die Feststellungsklage werde nicht dadurch unzulässig, dass im Verlaufe des Rechtsstreits die Voraussetzungen für den Übergang zur Leistungsklage einträten.

Rz. 10

Der Feststellungsantrag sei auch begründet. Die Klägerin habe gegen die Beklagte wegen des Einbaus des Dieselmotors vom Typ EA 189 in ihr Fahrzeug einen Anspruch auf Schadensersatz wegen vorsätzlicher sittenwidriger Schädigung gemäß den §§ 826, 31 BGB. Der der Klägerin entstandene Schaden liege im Abschluss des Kaufvertrages.

II.

Rz. 11

Die Revision ist in vollem Umfang zulässig. Einer gesonderten Begründung des Revisionsantrags zur Aufhebung des Ausspruchs über die Freistellung von den vorgerichtlichen Rechtsanwaltskosten bedurfte es nicht, weil der Freistellungsanspruch als Nebenforderung von dem Bestehen der Hauptforderung abhängt. Letzteres hätte aber das Berufungsgericht nicht feststellen dürfen, wenn die diesbezügliche isolierte Feststellungsklage (Hauptantrag der Klägerin in der Berufungsinstanz), wie von der Revision geltend gemacht, unzulässig war (BGH, Urteil vom 8. Februar 2022 – VI ZR 24/20 Rn. 6, juris).

III.

Rz. 12

Die Revision ist begründet. Mit der vom Berufungsgericht gegebenen Begründung kann das erforderliche Feststellungsinteresse nicht bejaht werden.

Rz. 13

1. Nach § 256 Abs. 1 ZPO kann auf Feststellung des Bestehens oder Nichtbestehens eines Rechtsverhältnisses Klage erhoben werden, wenn der Kläger ein rechtliches Interesse daran hat, dass das Rechtsverhältnis alsbald festgestellt werde. Ein solches Interesse ist gegeben, wenn dem konkreten vom Feststellungsantrag betroffenen Recht des Klägers eine gegenwärtige Gefahr der Unsicherheit droht und der erstrebte Feststellungsausspruch geeignet ist, diese Gefahr zu beseitigen (BGH, Urteil vom 5. Oktober 2021 – VI ZR 136/20 Rn. 15 m.w.N., WM 2021, 2208). Allerdings fehlt grundsätzlich das Feststellungsinteresse, wenn der Kläger dasselbe Ziel mit einer Klage auf Leistung erreichen kann (st. Rspr.; vgl. BGH, Urteil vom 4. Juni 1996 – VI ZR 123/95, NJW 1996, 2725, juris Rn. 10 m.w.N.). Ist dem Kläger eine Klage auf Leistung möglich und zumutbar und erschöpft sie das Rechtsschutzziel, fehlt ihm das Feststellungsinteresse, weil er im Sinne einer besseren Rechtsschutzmöglichkeit den Streitstoff in einem einzigen Prozess klären kann (vgl. BGH, Urteil vom 21. Februar 2017 – XI ZR 467/15 Rn. 14, NJW 2017, 1823). Es besteht jedoch keine allgemeine Subsidiarität der Feststellungsklage gegenüber der Leistungsklage. Vielmehr ist eine Feststellungsklage trotz der Möglichkeit, Leistungsklage zu erheben, zulässig, wenn die Durchführung des Feststellungsverfahrens unter dem Gesichtspunkt der Prozesswirtschaftlichkeit zu einer sinnvollen und sachgemäßen Erledigung der aufgetretenen Streitpunkte führt (BGH, Urteil vom 5. Oktober 2021 – VI ZR 136/20 Rn. 15 m.w.N., WM 2021, 2208). Wenn eine Schadensentwicklung noch nicht abgeschlossen, ein Teil des Schadens bei Klageerhebung also schon entstanden, die Entstehung weiterer Schäden aber noch zu erwarten ist, kann der Kläger in vollem Umfange Feststellung der Ersatzpflicht begehren. Der Kläger kann in einem solchen Falle nicht hinsichtlich des bereits entstandenen Schadens auf eine Leistungsklage verwiesen werden. Er ist also nicht gehalten, sein Klagebegehren in einen Leistungs- und einen Feststellungsantrag aufzuspalten. Der Kläger muss dann auch nicht nachträglich seinen Feststellungsantrag in einen Leistungsantrag abändern, wenn dies aufgrund der Schadensentwicklung im Laufe des Rechtsstreits möglich würde, weil sich der Anspruch beziffern ließe (BGH, Urteil vom 5. Oktober 2021 – VI ZR 136/20 Rn. 25 m.w.N., WM 2021, 2208).

Rz. 14

Ist ein (Teil-)Schaden – wie vorliegend in Form des ungewollten Vertragsschlusses, dessen Rückgängigmachung die Klägerin ausweislich ihrer in der Revisionsinstanz abgegebenen Erklärung in erster Linie begehrt (sogenannter großer Schadensersatz) – bereits entstanden, hängt die Zulässigkeit der Feststellungsklage grundsätzlich nicht von der Wahrscheinlichkeit des Eintritts weiterer Schäden ab. Vielmehr genügt in diesen Fällen die Möglichkeit eines künftigen weiteren Schadenseintritts für die Zulässigkeit der Feststellungsklage (vgl. BGH, Urteil vom 5. Oktober 2021 – VI ZR 136/20 Rn. 28 m.w.N., WM 2021, 2208). Zum Schutz des Geschädigten dürfen die Hürden für die Erhebung einer Feststellungsklage zwar nicht zu hoch angesetzt werden. An der Möglichkeit weiterer Schäden fehlt es allerdings, wenn aus Sicht des Geschädigten bei verständiger Würdigung kein Grund besteht, mit dem Eintritt eines weiteren Schadens wenigstens zu rechnen. Dann ist der Geschädigte wegen des bereits eingetretenen Schadens auf die vorrangige Leistungsklage beschränkt. Welche weiteren Schäden zu befürchten sind, hat der Geschädigte darzulegen (vgl. BGH, Urteil vom 5. Oktober 2021 – VI ZR 136/20 Rn. 28 m.w.N., WM 2021, 2208).

Rz. 15

2. Gemessen daran fehlt das gemäß § 256 Abs. 1 ZPO erforderliche Feststellungsinteresse, wie die Revision zu Recht rügt.

Rz. 16

a) Allerdings steht der Zulässigkeit der Feststellungsklage nicht mehr entgegen, dass die Klägerin sich vorbehalten wollte zu wählen, ob sie von der Beklagten den sogenannten großen oder kleinen Schadensersatz verlangt. Damit könnte ein Feststellungsinteresse zwar nicht begründet werden (vgl. BGH, Urteil vom 22. Februar 2022 – VI ZR 415/20 Rn. 10 ff., BB 2022, 724; Urteil vom 5. Oktober 2021 – VI ZR 136/20 Rn. 16 ff., WM 2021, 2208). Die Klägerin hat aber erklärt, dass sie sich nicht mehr offenhalte, ob sie den sogenannten kleinen oder großen Schadensersatz verlange, sondern jetzt und künftig nur noch den großen Schadensersatz geltend mache.

Rz. 17

b) Ein Feststellungsinteresse ergibt sich indes entgegen der Auffassung des Berufungsgerichts und der Revisionserwiderung auf der Grundlage der bisherigen Feststellungen nicht daraus, dass die Schadensentwicklung noch nicht abgeschlossen ist.

Rz. 18

aa) Die Klägerin hat ausweislich der Feststellungen des Berufungsgerichts eine Presseinformation der Staatsanwaltschaft Braunschweig vom 15. April 2019 vorgelegt, in der von dem hinreichenden Tatverdacht der Steuerhinterziehung die Rede ist. Aufgrund der bewusst wahrheitswidrigen Behauptung, die betroffenen Dieselfahrzeuge würden die Norm Euro 6 erfüllen, seien die Käufer jener Fahrzeuge in den Jahren 2011 bis 2013 in den Genuss einer Steuerbefreiung von maximal 150 EUR gekommen, die mangels Vorliegens der Voraussetzungen nicht gerechtfertigt gewesen sei. Dieser Vortrag reicht für die Darlegung der Möglichkeit eines weiteren Schadens schon deswegen nicht, weil unklar bleibt, ob die Klägerin, deren Fahrzeug nach der Norm Euro 5 zugelassen ist, überhaupt in den Genuss dieser Steuerbefreiung gekommen ist. Aus der in Bezug genommenen Pressemitteilung der Staatsanwaltschaft, die über die Anklageerhebung gegen fünf Beschuldigte vor der Wirtschaftsstrafkammer des Landgerichts Braunschweig, darunter den ehemaligen Vorstandsvorsitzenden der Beklagten Dr. Winterkorn informiert, lässt sich zudem nicht ansatzweise darauf schließen, dass hinsichtlich des Anklagepunktes „Steuerhinterziehung” eine etwaige Inanspruchnahme der von der Beklagten Geschädigten seitens der Finanzbehörden auch nur in Betracht gezogen würde. Auch wenn die zehnjährige Festsetzungsfrist des § 169 Abs. 2 Satz 2 AO noch nicht abgelaufen ist, genügt die rein theoretische Möglichkeit der Inanspruchnahme zur Bejahung eines Feststellungsinteresses nicht.

Rz. 19

bb) Dies gilt ebenso hinsichtlich der von der Klägerin behaupteten möglichen Steuernachforderungen wegen geänderter CO2-Emissionen. Aus dem vom Berufungsgericht in Bezug genommenen Vortrag der Klägerin ergibt sich die hinreichende Möglichkeit eines zukünftigen Schadenseintritts nicht. Entgegen der Darstellung der Klägerin ist die ursprüngliche Typgenehmigung ihres Fahrzeugs nicht erloschen, vielmehr hat das KBA gemäß § 25 Abs. 2 EG-FGV nachträglich Nebenbestimmungen zur EG-Typgenehmigung angeordnet. Anhaltspunkte dafür, dass das KBA infolge des Software-Updates eine andere Bemessungsgrundlage für die CO2-Emissionen annimmt, sind daher weder dargetan noch sonst ersichtlich (vgl. auch BGH, Urteil vom 5. Oktober 2021 – VI ZR 136/20 Rn. 28, WM 2021, 2208).

Rz. 20

cc) Auch etwaige Stilllegungskosten sind nicht zu befürchten. Die Klägerin hat das vom KBA freigegebene Software-Update zur Entfernung der Manipulationssoftware aufspielen lassen, mit der die nachträgliche Anordnung von Nebenbestimmungen zur Typgenehmigung erfüllt worden ist. Hinreichende Anhaltspunkte dafür, dass das KBA wegen einer anderen Abschalteinrichtung das Fahrzeug stilllegen werde, bestehen ebenso wenig. Dies gilt auch, soweit die Revisionserwiderung darauf abstellen will, dass mit dem Software-Update eine weitere unzulässige Abschalteinrichtung in Form des Thermofensters verbaut worden sei.

Rz. 21

dd) Dass hinsichtlich des Software-Updates die Voraussetzungen für eine erneute Haftung der Beklagten gemäß §§ 826, 31 BGB vorliegen könnten, ist nicht ersichtlich (vgl. BGH, Beschluss vom 9. März 2021 – VI ZR 889/20 Rn. 25 ff., WM 2021, 652). Zudem stellte dieser Anspruch einen anderen Streitgegenstand dar, der vom vorliegenden Feststellungsantrag nicht erfasst wäre (vgl. BGH, Urteil vom 6. Juli 2021 – VI ZR 40/20 Rn. 35, BGHZ 230, 224).

Rz. 22

ee) Etwaige Rechtsverfolgungskosten gegen den Verkäufer des mit der manipulierten Software versehenen Fahrzeugs müsste sich die Beklagte nicht zurechnen lassen und wären daher vom Schadensersatzanspruch aus §§ 826, 31 BGB gegen sie nicht umfasst. Auch die laufenden Unterhaltskosten für das Fahrzeug in Form von Kraftfahrzeugsteuer, Versicherungsprämien, Inspektionen und Reparaturen, auf die die Klägerin abstellen will, wären nicht ersatzfähig und könnten daher ein Feststellungsinteresse nicht begründen (vgl. BGH, Urteil vom 5. Oktober 2021 – VI ZR 136/20 Rn. 32, WM 2021, 2208; Versäumnisurteil vom 6. Juli 2021 – VI ZR 1146/20 Rn. 12, VersR 2021, 1510; Urteil vom 30. Juli 2020 – VI ZR 354/19 Rn. 24, BGHZ 226, 322).

Rz. 23

ff) Dass – wie die Klägerin behauptet – der Marktwert des Fahrzeugs gesunken sei, kann schon aus Rechtsgründen zu keinem weiteren Schaden führen, nachdem die Klägerin den großen Schadensersatz gewählt hat. Als Rechtsfolge erhält die Klägerin den Kaufpreis zurück, gegebenenfalls unter Abzug einer Nutzungsentschädigung, Zug um Zug gegen Übereignung und Übergabe des Fahrzeugs. Ein aufgrund des Software-Updates entstandener etwaiger merkantiler Minderwert des Fahrzeugs ist für die Höhe des der Klägerin zustehenden Zahlungsanspruchs ohne jede Relevanz.

Rz. 24

c) Dem Vorrang der Leistungsklage steht schließlich nicht entgegen, dass – wie die Klägerin vorgetragen hat – die Beklagte auf ein Feststellungsurteil hin leisten werde. Dabei kann offenbleiben, ob grundsätzlich davon auszugehen ist, dass die Beklagte bereits auf ein rechtskräftiges Feststellungsurteil hin ihren rechtlichen Verpflichtungen nachkommen wird. Denn dies würde neben der grundsätzlichen Leistungsbereitschaft voraussetzen, dass ein dem Feststellungsantrag entsprechendes Urteil voraussichtlich zu einer endgültigen Erledigung führen wird. Davon ist im vorliegenden Fall nicht auszugehen, da lediglich die Haftung dem Grunde nach festgestellt wäre und die Schadenshöhe jedenfalls nicht auf der Hand läge – die Klägerin will sich entgegen der gefestigten höchstrichterlichen Rechtsprechung eine Nutzungsentschädigung nicht anrechnen lassen und verlangt Deliktszinsen aus § 849 BGB (vgl. BGH, Urteil vom 25. Mai 2020 – VI ZR 252/19 Rn. 64 ff., BGHZ 225, 316; Urteil vom 30. Juli 2020 – VI ZR 354/19 Rn. 17 ff., WM 2020, 1607). Die unbestimmte Erwartung aber, ein Feststellungsurteil könnte einen Vergleich über die Schadenshöhe erleichtern, reicht zur Begründung des Feststellungsinteresses nicht aus (BGH, Urteil vom 5. Oktober 2021 – VI ZR 136/20 Rn. 23 m.w.N., WM 2021, 2208).

IV.

Rz. 25

Gemäß § 562 Abs. 1 ZPO war das Berufungsurteil daher im tenorierten Umfang aufzuheben. Die Sache ist nicht gemäß § 563 Abs. 3 ZPO zur Endentscheidung reif, da die Klägerin noch Gelegenheit zur Ergänzung ihres Vortrags zum Feststellungsinteresse erhalten muss (vgl. MünchKommZPO/Krüger, 6. Aufl., § 563 Rn. 20). Im Übrigen hat die Klägerin hilfsweise Leistungsklage gegen die Beklagte erhoben. Die Sache ist deshalb im Umfang der Aufhebung zur neuen Verhandlung und Entscheidung an das Berufungsgericht zurückzuverweisen (§ 563 Abs. 1 Satz 1 ZPO).

 

Unterschriften

Pamp, Halfmeier, Jurgeleit, Graßnack, C. Fischer

 

Fundstellen

Dokument-Index HI15286985

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