Entscheidungsstichwort (Thema)
Strafgefangener. Entschädigung. Menschenwürde
Leitsatz (amtlich)
Zur Frage, unter welchen Voraussetzungen einem Strafgefangenen ein Anspruch auf Entschädigung in Geld wegen menschenunwürdiger Unterbringung in der Justizvollzugsanstalt zustehen kann.
Normenkette
BGB § 839; GG Art. 1
Verfahrensgang
Nachgehend
Tenor
Die Revision des Klägers gegen das Urteil des 16. Zivilsenats des OLG Celle v. 2.12.2003 wird zurückgewiesen.
Der Kläger hat die Kosten des Revisionsrechtszuges zu tragen.
Von Rechts wegen
Tatbestand
Der Kläger verbüßte eine Freiheitsstrafe in der JVA Amberg. Am 3.7.2002 wurde er für eine Besuchszusammenführung in die JVA Bielefeld-Brackwede 1 verlegt. Vom 10. bis 12.7.2002 befand er sich als sog. Durchgangsgefangener in der Transportabteilung der JVA Hannover. Er war in einem 16 m2 großen Haftraum mit vier weiteren Gefangenen untergebracht. Der Raum war mit einem Etagenbett, drei Einzelbetten, fünf Stühlen, zwei Tischen und zwei Spinden ausgestattet. Ein Waschbecken und eine Toilette waren mit einem Sichtschutz abgetrennt. Die Inhaftierten durften den Haftraum täglich für eine Stunde zum Hofgang verlassen.
Auf Antrag des Klägers stellte die Strafvollstreckungskammer des LG Hannover mit Beschluss v. 16.9.2002 die Rechtswidrigkeit der Unterbringung fest. Die gemeinsame Unterbringung von fünf Gefangenen in einem nachts verschlossenen, 16 m2 großen Haftraum bei Abtrennung der Toilette nur mit einem Sichtschutz sei unzulässig und verstoße gegen das Gebot menschenwürdiger Unterbringung.
Im vorliegenden Amtshaftungsprozess nimmt der Kläger das beklagte Land auf Zahlung einer angemessenen Entschädigung (mindestens 200 EUR) in Anspruch. Das LG (StV 2003, 568 mit Anm. Lesting) hat ihm 200 EUR nebst Zinsen zugesprochen; das OLG hat die Klage abgewiesen. Mit der vom Berufungsgericht zugelassenen Revision verfolgt der Kläger seinen Anspruch weiter.
Entscheidungsgründe
Die Revision ist nicht begründet.
1. Beide Vorinstanzen haben festgestellt, dass die Unterbringung des Klägers gemeinsam mit vier weiteren Gefangenen in dem viel zu kleinen Haftraum rechtswidrig gewesen ist sowie gegen das Gebot der menschenwürdigen Behandlung Strafgefangener verstieß und dass die zuständigen Amtsträger des beklagten Landes dadurch eine schuldhafte Amtspflichtverletzung gegenüber dem Kläger begangen haben.
a) Das Berufungsgericht hat zu Recht angenommen, dass die rechtskräftige Entscheidung der Strafvollstreckungskammer im Verfahren nach § 109 StVollzG, die die Rechtswidrigkeit der Unterbringung des Klägers festgestellt hat, auch für den jetzigen Amtshaftungsprozess Bindungswirkung entfaltet. Es gelten insoweit die gleichen Grundsätze, die der Senat für die Bindungswirkung einer im Verfahren nach §§ 23 ff EGGVG ergangenen Entscheidung des Strafsenats eines OLG entwickelt hat (BGH, Urt. v. 17.3.1994 - III ZR 15/93, MDR 1994, 773 = NJW 1994, 1950; s. auch Staudinger/Wurm, BGB, 13. Bearb. 2002, § 839 Rz. 439, 440).
b) Die tatrichterliche Würdigung, dass durch die Art und Weise der Unterbringung die Menschenwürde der betreffenden Strafgefangenen verletzt wurde, lässt Rechtsfehler nicht erkennen und wird auch von der Revisionserwiderung des beklagten Landes nicht angegriffen.
c) Ebenso ist den Vorinstanzen darin zu folgen, dass die Amtsträger des beklagten Landes auch ein Verschulden trifft. Dabei ist nicht nur auf die an Ort und Stelle zuständigen Justizbediensteten abzustellen, sondern auch darauf, dass das beklagte Land sich nach seinem Sachvortrag in einer Notsituation befand, weil die Transportabteilung der Justizvollzugsanstalt in dem hier interessierenden Zeitraum mit mehr als 90 Gefangenen belegt war, obwohl sie nur über 47 Einzelhafträume (inkl. vier Sicherheitszellen) und zehn Gemeinschaftshafträume verfügte. Das Berufungsgericht hat mit Recht darauf hingewiesen, dass der danach bestehende erhebliche Mangel an Einzelhaftplätzen keinen hinreichenden Grund dafür darstellt, geltendes Recht zu unterlaufen. Insoweit ist zumindest der Vorwurf eines Organisationsverschuldens begründet, das dem beklagten Land auch dann zuzurechnen ist, wenn die tätig gewordenen Beamten selbst subjektiv nach bestem Wissen und Gewissen gehandelt haben (Staudinger/Wurm, BGB, 13. Bearb. 2002, § 839 Rz. 228).
2. Das Berufungsgericht lässt jedoch - im Gegensatz zum LG - den hieraus hergeleiteten Amtshaftungsanspruch (§ 839 BGB i.V.m. Art. 34 GG) daran scheitern, dass unter den hier vorliegenden besonderen Umständen des Falles die Zuerkennung einer Entschädigung für die zweitägige Unterbringung in dem gemeinschaftlichen Haftraum aus Gründen der Billigkeit weder unter dem Gesichtspunkt der Ausgleichs- noch der Genugtuungsfunktion geboten sei. Hiergegen wendet sich die Revision ohne Erfolg.
a) Der geltend gemachte Schaden des Klägers ist einerseits kein Vermögensschaden, andererseits jedoch auch kein (bloßes) Schmerzensgeld i.S.d. hier noch anwendbaren § 847 BGB a.F. Es geht vielmehr um den Ausgleich einer Verletzung der Menschenwürde (Art. 1 Abs. 1 S. 1 GG) und des aus Art. 1 und Art. 2 Abs. 1 GG hergeleiteten allgemeinen Persönlichkeitsrechts des Klägers. Für die Entschädigung wegen einer Verletzung des allgemeinen Persönlichkeitsrechts ist anerkannt, dass es sich im eigentlichen Sinne nicht um ein Schmerzensgeld nach § 847 BGB a.F. (jetzt: § 253 Abs. 2 BGB n.F.) handelt, sondern um einen Rechtsbehelf, der auf den Schutzauftrag aus Art. 1 und Art. 2 Abs. 1 GG zurückgeht. Die Zubilligung einer Geldentschädigung beruht auf dem Gedanken, dass ohne einen solchen Anspruch Verletzungen der Würde und Ehre des Menschen häufig ohne Sanktionen blieben mit der Folge, dass der Rechtsschutz der Persönlichkeit verkümmern würde. Anders als beim Schmerzensgeldanspruch steht bei dem Anspruch auf eine Geldentschädigung wegen einer Verletzung des allgemeinen Persönlichkeitsrechts der Gesichtspunkt der Genugtuung des Opfers im Vordergrund (BGH v. 15.11.1994 - VI ZR 56/94, BGHZ 128, 1 [15] = MDR 1995, 804; BVerfG v. 8.3.2000 - 1 BvR 1127/96, MDR 2000, 829 = NJW 2000, 2187 f.).
b) Die Revision rügt, das Berufungsgericht verkenne mit seinen Erwägungen, dass die von Verfassungs wegen unantastbare Menschenwürde einer Abwägung mit anderen Interessen oder Verfassungswerten nicht zugänglich sei. Die Würde des Menschen sei nach Art. 1 Abs. 1 GG unantastbar und absolut geschützt. Die Berücksichtigung der Dauer und der Intensität des Eingriffs in Art. 1 Abs. 1 GG führe im Ergebnis zur Aufgabe des Grundrechtsschutzes und zur Preisgabe der Würde des Menschen. Sie würde bedeuten, dass kurze, wenig intensive Eingriffe zulässig seien.
Damit verkennt die Revision, dass zwischen der Feststellung einer Verletzung des Art. 1 Abs. 1 GG einerseits und der Zuerkennung einer Geldentschädigung andererseits kein zwingendes Junktim besteht.
aa) Zwar trifft es zu, dass dem Recht auf Achtung der Menschenwürde in der Verfassung ein Höchstwert zukommt; es ist das tragende Konstitutionsprinzip im System der Grundrechte. Dementsprechend ist in der Rechtsprechung des BVerfG anerkannt, dass dann, wenn das Recht eines Strafgefangenen auf Achtung seiner Menschenwürde durch menschenunwürdige Unterbringung verletzt wird, die Zulässigkeit eines Rechtsschutzbegehrens auf nachträgliche gerichtliche Überprüfung der Unterbringung nicht davon abhängen kann, ob dies nur vorübergehend geschehen war (BVerfG v. 27.2.2002 - 2 BvR 553/01, NJW 2002, 2699 f.; v. 13.3.2002 - 2 BvR 261/01, NJW 2002, 2700 f.; v. 16.3.1993 - 2 BvR 202/93, NJW 1993, 3190 f.). Dem Gefangenen muss das Recht zustehen, diese Rechtsverletzungen mit den dafür vorgesehenen Rechtsbehelfen des Strafvollzugsgesetzes (§§ 108 ff.) anzugreifen. Diesen Weg hat der Kläger hier auch erfolgreich beschritten.
bb) Die solchermaßen festgestellte Menschenrechtsverletzung fordert indessen nicht in jedem Fall eine zusätzliche Wiedergutmachung durch Geldentschädigung. Der Senat sieht vielmehr keine durchgreifenden Bedenken dagegen, einen Anspruch auf Geldentschädigung von dem weiteren Erfordernis abhängig zu machen, dass die Beeinträchtigung nicht in anderer Weise befriedigend ausgeglichen werden kann. Dies hängt - insoweit nicht anders als beim allgemeinen Persönlichkeitsrecht, auch wenn die Erheblichkeitsschwelle bei Verletzungen der Menschenwürde generell niedriger anzusetzen ist - insb. von der Bedeutung und Tragweite des Eingriffs, ferner von Anlass und Beweggrund des Handelnden sowie von dem Grad seines Verschuldens ab (BGH v. 15.11.1994 - VI ZR 56/94, BGHZ 128, 1 [12] = MDR 1995, 804).
cc) Auch im Anwendungsbereich der Konvention zum Schutze der Menschenrechte und Grundfreiheiten (EMRK) ist anerkannt, dass eine - eine Wiedergutmachung durch Geldersatz nach Art. 41 EMRK fordernde - unmenschliche oder erniedrigende Behandlung i.S.d. Art. 3 EMRK nur und erst vorliegt, wenn sie ein Mindestmaß an Schwere erreicht. Die Beurteilung dieses Mindestmaßes ist abhängig von den Umständen des Einzelfalls, wie beispielsweise der Dauer der Behandlung, ihren physischen oder psychischen Folgen oder von Geschlecht, Alter oder Gesundheitszustand des Opfers (EGMR, Urt. v. 16.12.1997, ÖIM Newsletter [NL] 1998/1/7 - Raninen ./. Finnland; Urt. v. 19.4.2001, Nr. 28524/95, Slg. 2001 Sec. III, 277 f., 294 ff Rz. 67-79 - Peers ./. Griechenland; vgl. auch EKMR in der Sache Brincat ./. Italien, Beschwerde Nr. 13867/88; mitgeteilt von Strasser, EuGRZ 1993, 425 [426]). Im Übrigen kann auch nach der Rechtsprechung des EuGH für Menschenrechte ein dem Anliegen des Rechtsmittelführers Rechnung tragendes Urteil selbst eine ausreichend gerechte Entschädigung darstellen, so dass eine weiter gehende Entschädigung in Geld für den erlittenen immateriellen Schaden nicht mehr geboten ist (vgl. Nikolova ./. Bulgarien, Urt. v. 25.3.1999, NL 1999/2/8).
c) Das Berufungsgericht führt aus, die räumlichen Verhältnisse, unter denen der Kläger untergebracht gewesen sei, seien zwar menschenunwürdig (Art. 1 GG) gewesen. Jedoch mache der Kläger selbst nicht geltend, dass der - nur zwei Tage andauernde - rechtswidrige Zustand ihn seelisch oder körperlich nachhaltig belastet habe. Vielmehr habe der Kläger über die mit den räumlichen Verhältnissen unvermeidlich verbundenen Belästigungen und Unannehmlichkeiten hinaus keine Beeinträchtigungen seines körperlichen oder seelischen Wohles erlitten. Dem Missstand habe zudem keine schikanöse Absicht, sondern eine akute, aus der Überbelegung resultierende Zwangslage zu Grunde gelegen. Eingriffsintensität und Verschulden seien insgesamt als gering zu bewerten. Zudem habe der Kläger bereits durch die von der Strafvollstreckungskammer getroffene Feststellung der Rechtswidrigkeit Schutz und Genugtuung erfahren.
d) Diese Feststellungen sind weder nach ihrem Inhalt noch nach den ihnen zu Grunde liegenden Beurteilungskriterien - in die das Berufungsgericht auch das Organisationsverschulden des beklagten Landes (s.o. 1. b) einbezogen hat - revisionsrechtlich zu beanstanden. Die Revision setzt bei ihrer abweichenden Beurteilung lediglich in unzulässiger Weise ihre eigene Wertung an die Stelle derjenigen des Berufungsgerichts, ohne Verfahrens- oder materielle Rechtsfehler aufzeigen zu können.
Fundstellen
Haufe-Index 1261804 |
BGHZ 2005, 33 |
NJW 2005, 58 |
BGHR 2005, 232 |
JR 2005, 326 |
NStZ 2006, 19 |
DÖV 2005, 263 |
MDR 2005, 447 |
VersR 2005, 507 |
DVBl. 2005, 503 |
StV 2005, 343 |
R&P 2005, 34 |