Entscheidungsstichwort (Thema)
Wohnhaus auf Kleingarten-Parzelle. Anwendung des Bundeskleingartengesetzes bei mit Wohnhaus bebauter Parzelle
Leitsatz (redaktionell)
Für die rechtliche Einordnung einer Anlage ist nicht nur das Maß der gärtnerischen Nutzung von Bedeutung; die Beschaffenheit und die Art der Nutzung der auf den Parzellen befindlichen Baulichkeiten sind nicht belanglos. Beherrschen die dem Charakter einer Kleingartenanlage widersprechenden Eigenheime dem Gesamteindruck der Anlage so sehr, dass die ansonsten auf den Parzellen anzutreffende kleingärtnerische Nutzung (Erzeugung von Obst, Gemüse und anderen Früchten) nicht mehr anlageprägend in Erscheinung tritt, besteht keine Anlage im Sinne des Bundeskleingartengesetzes.
Normenkette
BKleingG § 1 Abs. 1
Verfahrensgang
Tenor
Auf die Revision der Beklagten wird das Urteil der Zivilkammer 61 des Landgerichts Berlin vom 29. Juli 2002 im Kostenpunkt und insoweit aufgehoben, als das Berufungsgericht zum Nachteil der Beklagten entschieden hat.
Die Sache wird im Umfang der Aufhebung zur neuen Verhandlung und Entscheidung, auch über die Kosten des Revisionsrechtszuges, an das Berufungsgericht zurückverwiesen.
Von Rechts wegen
Tatbestand
Die Beklagte zu 2 und ihr 1996 verstorbener Ehemann schlossen 1978 mit dem seinerzeit örtlich zuständigen Kreisverband des Verbandes der Kleingärtner, Siedler und Kleintierzüchter (VKSK) einen Pachtvertrag über eine Parzelle, die sich in der Anlage „B.” im früheren Ostteil Berlins befindet. Der Vertrag ist in seiner Überschrift als „Kleingarten-Nutzungsvertrag” bezeichnet. Die Beklagte zu 1 ist (Mit-)Erbin des Ehemanns der Beklagten zu 2.
Das Pachtgelände steht im Eigentum des klagenden Landes, das anstelle des VKSK auf Verpächterseite in den Vertrag mit den Beklagten eingetreten ist.
Die Parzelle ist mit einem für Wohnzwecke geeigneten und genutzten Haus bebaut. Die Beklagten haben diesbezüglich Ansprüche nach dem Sachenrechtsbereinigungsgesetz erhoben, die der Kläger anerkannt hat. Bis Ende 2001 waren diese Ansprüche jedoch noch nicht erfüllt.
Der Kläger verlangt von den Beklagten die Zahlung von sogenanntem Wohnlaubenentgelt nach dem Bundeskleingartengesetz.
Das Amtsgericht hat die Klage abgewiesen. Das Landgericht hat die Beklagten unter teilweiser Abweisung der Klage, soweit sie auf künftige Leistungen gerichtet war, zur Zahlung des geforderten Entgelts für die Jahre 1997 bis 2001 verurteilt.
Mit der vom Berufungsgericht zugelassenen Revision verfolgen die Beklagten ihren Klageabweisungsantrag weiter.
Entscheidungsgründe
Auf die Revision ist das Berufungsurteil, soweit die Beklagten zur Zahlung verurteilt wurden, aufzuheben. Die Sache ist zur neuen Verhandlung und Entscheidung an das Berufungsgericht zurückzuverweisen.
I.
Nach Auffassung des Berufungsgerichts hat der Kläger einen Anspruch auf Zahlung von Wohnlaubenentgelt gemäß § 20a Nr. 8 BKleingG, da es sich bei der Anlage „B.” am 3. Oktober 1990 um eine Kleingartenanlage gehandelt habe, so daß das Bundeskleingartengesetz anzuwenden sei.
Dies wird von den tatrichterlichen Feststellungen nicht getragen.
1. Zutreffend ist allerdings der Ausgangspunkt des Berufungsgerichts, wonach die Anlage „B.” als Kleingartenanlage und die darin belegene Parzelle der Beklagten als Kleingarten zu behandeln sind, wenn am 3. Oktober 1990 in der Gesamtanlage die kleingärtnerische Nutzung vorherrschend war.
a) Bei der Feststellung, ob dies der Fall war, hat das Berufungsgericht der Bezeichnung des 1978 geschlossenen Pachtvertrages richtigerweise keine entscheidende Bedeutung beigemessen. Wie der Senat in seinen Urteilen vom 24. Juli 2003 (III ZR 203/02 – VIZ 2003, 538 f, für BGHZ vorgesehen), vom 6. März 2003 (III ZR 170/02 – VIZ 2003, 298, für BGHZ 154, 132 vorgesehen) und vom 16. Dezember 1999 (III ZR 89/99 – WM 2000, 779, 782) bereits im einzelnen dargelegt hat, richtet sich die Anwendbarkeit des Bundeskleingartengesetzes unabhängig davon, welchen vertraglichen Bestimmungen das Pachtverhältnis unter Geltung des DDR-Rechts unterworfen war, nach der tatsächlich ausgeübten Nutzung zum Zeitpunkt des Wirksamwerdens des Beitritts der DDR zur Bundesrepublik Deutschland am 3. Oktober 1990.
b) In Fällen, in denen, wie hier, zu DDR-Zeiten der Pächter sein Nutzungsrecht nicht unmittelbar vom Eigentümer oder Rechtsträger des Grundstücks, sondern von einem Hauptnutzer – also zumeist, wie im vorliegenden Fall, von einem VKSK-Kreisverband – ableitete, ist auf den Charakter der gesamten Anlage und nicht auf den der einzelnen Parzellen abzustellen (Senatsurteile vom 24. Juli 2003, aaO, S. 538, 539 und vom 16. Dezember 1999, aaO, S. 782 f). Dies gilt auch in den Fällen, in denen – wie hier – die pachtvertraglichen Beziehungen infolge des Wegfalls des VKSK-Kreisverbandes nur (noch) unmittelbar zwischen dem Kläger als Grundstückseigentümer und den einzelnen Nutzern der Parzellen bestehen. Die insoweit geäußerten Zweifel des Berufungsgerichts sind unbegründet. Der Senat hat hierzu bereits in seinem Urteil vom 24. Juli 2003 (aaO) eingehend Stellung genommen.
2. Die von den Beklagten genutzte Parzelle fällt auch nicht deshalb aus dem Anwendungsbereich des Bundeskleingartengesetzes heraus, weil sie mit einem Gebäude, das Wohnzwecken dient, bebaut ist.
a) Wie der Senat mit Urteil vom 13. Februar 2003 (III ZR 176/02 – ZOV 2003, 167 f) entschieden hat, handelt es sich bei einer Parzelle, wie der von den Beklagten genutzten, nicht um einen Wohnungsgarten im Sinne von § 1 Abs. 2 Nr. 2 BKleingG, auf den die Bestimmungen dieses Gesetzes keine Anwendung finden.
b) Dem Berufungsgericht ist darin beizupflichten, daß Ansprüche aus § 20a Nr. 8 BKleingG nicht deshalb ausgeschlossen sind, weil die von den Beklagten genutzte Parzelle in den Anwendungsbereich des Sachenrechtsbereinigungsgesetzes fällt. Der Senat hat bereits mehrfach entschieden, daß auch der Nutzer, der zum Zwecke der Bereinigung der an dem betreffenden Grundstück bestehenden Rechtsverhältnisse berechtigte Ansprüche auf Bestellung von Erbbaurechten oder auf Ankauf geltend macht (§ 3 Abs. 1 SachenRBerG), bis zur Durchsetzung dieser Ansprüche das Wohnlaubenentgelt nach § 20a Nr. 8 BKleingG in voller Höhe zu entrichten hat (Senatsurteile vom 13. Februar 2003, aaO S. 168 und eingehend BGHZ 139, 235, 239 f), sofern die Voraussetzungen dieser Anspruchsgrundlage erfüllt sind.
3. Das Berufungsgericht hat seine Auffassung, wonach es sich bei dem Areal „B.” um eine Kleingartenanlage im Sinne des § 1 Abs. 1 BKleingG handelt, im wesentlichen wie folgt begründet: Nach den Aufstellungen zur Abrechnung von Wettbewerbsergebnissen aus den Jahren 1983 und 1984 ergebe sich pro Parzelle im Durchschnitt ein erheblicher, im Berufungsurteil im einzelnen aufgeführter Bestand an Kern- und Steinobstbäumen, Beerensträuchern und Erdbeerbeeten. Diese kleingärtnerische Nutzung sei ausweislich einer Festschrift der Anlage „B.” bis 1990 beibehalten worden. Unmaßgeblich sei hingegen, daß die in der Anlage vorhandenen Aufbauten teilweise den Charakter von Einfamilienhäusern hätten, zum Dauerwohnen genutzt würden und in der Grundfläche vielfach 24 m² überschritten. Wie § 20a Nr. 7 und 8 BKleingG zeigten, spielten derartige bestandsgeschützte Nutzungen und Laubengrößen für die Qualifizierung einer Anlage als Kleingartengelände keine Rolle.
Damit legt das Berufungsgericht seiner Einordnung des Areals „B.” als Kleingartenanlage nicht die rechtlich maßgebenden Kriterien zugrunde. Der Senat hat sich bereits in seinem Urteil vom 24. Juli 2003 (aaO S. 539 f) eingehend mit der Rechtsauffassung des Berufungsgerichts auseinander gesetzt. Danach gilt kurz gefaßt folgendes:
a) Nach § 20a Nr. 7 Satz 1 BKleingG können vor dem Beitritt der DDR zur Bundesrepublik Deutschland rechtmäßig errichtete Gartenlauben, deren Grundflächen entgegen § 3 Abs. 2 BKleingG 24 m² überschreiten, oder andere der kleingärtnerischen Nutzung dienende bauliche Anlagen weiterhin unverändert genutzt werden. § 20a Nr. 8 BKleingG bestimmt, daß eine vor dem Wirksamwerden des Beitritts bestehende Befugnis des Kleingärtners, seine Laube dauernd zu Wohnzwecken zu nutzen, fortbesteht, soweit nicht andere Vorschriften der Wohnraumnutzung entgegenstehen.
Diese der Sicherung des Bestandsschutzes dienenden Vorschriften zeigen, daß derartige Bauten in einer Anlage nicht grundsätzlich der Anwendung des Bundeskleingartengesetzes entgegenstehen. Selbst wenn das einzelne Gebäude überwiegend zu Wohnzwecken genutzt wird oder sogar ein von § 5 Abs. 1 Nr. 3 Satz 2 Buchst. e SachenRBerG erfaßtes Eigenheim darstellt, kann das Kleingartenrecht weiterhin maßgeblich bleiben (Senatsurteile vom 24. Juli 2003, aaO, S. 539 f, und vom 13. Februar 2003, aaO, S. 168, m.w.N).
b) Dies bedeutet jedoch entgegen der Ansicht des Berufungsgerichts nicht, daß für die rechtliche Einordnung einer Anlage die Beschaffenheit und die Art der Nutzung der auf den Parzellen befindlichen Baulichkeiten belanglos sind und nur das Maß der gärtnerischen Nutzung von Bedeutung ist. Vielmehr sind bei der Beurteilung einer Anlage die vorhandenen Baulichkeiten sowie Art und Umfang ihrer Nutzung in den Blick zu nehmen und bei der anzustellenden Gesamtabwägung zu berücksichtigen (hierzu eingehend Senatsurteil vom 24. Juli 2003, aaO, S. 540).
Ein mit den notwendigen Versorgungseinrichtungen ausgestattetes, Wohnzwecken dienendes Eigenheim nach dem DDR-Recht – mag der Standard auch nicht dem in den alten Bundesländern für Ein- und Zweifamilienhäusern üblichen entsprechen – stellt in einer Kleingartenanlage einen Fremdkörper dar. Das Übergangsrecht gewährt solchen Baulichkeiten unter Berücksichtigung der Rechtswirklichkeit in der früheren DDR Bestandsschutz. Dementsprechend steht auch das Vorhandensein mehrerer solcher Eigenheime der Bewertung eines Gesamtareals als Kleingartenanlage nicht notwendig entgegen. Dies bedeutet aber nicht, daß die § 3 Abs. 2 BKleingG zugrundeliegenden Maßstäbe völlig zurücktreten (Senatsurteil vom 24. Juli 2003, aaO). Beherrschen die dem Charakter einer Kleingartenanlage widersprechenden Eigenheime den Gesamteindruck der Anlage so sehr, daß die ansonsten auf den Parzellen anzutreffende kleingärtnerische Nutzung (Erzeugung von Obst, Gemüse und anderen Früchten) nicht mehr anlageprägend in Erscheinung tritt, besteht keine Anlage im Sinne des Bundeskleingartengesetzes (mehr) (Senatsurteile vom 24. Juli 2003, aaO, vgl. auch BGHZ 139, 235, 240).
c) Die unter diesen Gesichtspunkten erforderliche Würdigung des Gesamtcharakters der Anlage ist in erster Linie Sache des Tatrichters, dessen Beurteilung nur eingeschränkt der revisionsgerichtlichen Nachprüfung unterliegt. Insbesondere ist es dem Revisionsgericht verwehrt, feste Bewertungsmaßstäbe zur Berücksichtigung einzelner Nutzungselemente vorzugeben, anhand derer sich eine gewissermaßen rechnerisch exakte Qualifizierung der Anlage vornehmen läßt. Wie der Senat bereits in seinem Urteil vom 24. Juli 2003 (aaO) ausgeführt hat, sind ungeachtet dessen diejenigen Parzellen, die mit zum Dauerwohnen geeigneten, der Sachenrechtsbereinigung unterliegenden Eigenheimen im Sinne des DDR-Rechts bebaut sind, bei der Bewertung der Anlage nicht als kleingärtnerisch genutzte Flächen zu veranschlagen. Dies gilt selbst dann, wenn auf diesen Parzellen noch Obst, Gemüse oder sonstige Früchte gezogen werden. Die Art der Bebauung widerspricht bei derart gemischt verwendeten Flächen in so erheblicher Weise einer kleingärtnerischen Nutzung, daß die verbliebene Fruchtziehung vollständig in den Hintergrund tritt. Bei der Beurteilung des Gesamtcharakters der Anlage sind in gleicher Weise diejenigen Grundstücke zu berücksichtigen, auf denen ein mit allen Versorgungseinrichtungen versehenes und auch im übrigen nach den Maßstäben der DDR die bautechnischen Anforderungen für eine Wohnnutzung erfüllendes Gebäude errichtet ist, das nur deshalb nicht zur Benutzung in der Winterzeit geeignet ist, weil es nicht geheizt werden kann (Senatsurteil vom 24. Juli 2003, aaO; vgl. auch BGH, Urteil vom 30. April 2003 – V ZR 361/02 – VIZ 2003, 445). Grundstücke, die in dieser Weise genutzt werden, widersprechen in fast ebenso gravierender Weise dem Leitbild der kleingärtnerischen Nutzung wie ein Eigenheim, auch wenn sie nur den geringeren Bestandsschutz nach § 20a Nr. 7 BKleingG genießen sollten.
Der Senat hat in seinem Urteil vom 24. Juli 2003 (aaO, S. 541) weiter ausgeführt, daß eine Gesamtanlage jedenfalls dann nicht mehr als Kleingartenanlage angesehen werden kann, wenn mehr als die Hälfte der Parzellen mit Eigenheimen oder diesen nahekommenden Baulichkeiten bebaut ist.
II.
Das Berufungsurteil ist aufzuheben. Eine abschließende Sachentscheidung des Senats (§ 563 Abs. 3 ZPO) ist nicht möglich, da das Berufungsgericht – von seinem Rechtsstandpunkt aus konsequenterweise – keine den vorstehenden Maßstäben gerecht werdenden Feststellungen über die Bebauung und die sonstige Nutzung der in der Anlage „B.” befindlichen Parzellen am 3. Oktober 1990 getroffen hat. Dies ist nachzuholen.
Für die neue Verhandlung und Entscheidung des Berufungsgerichts wird insbesondere das Vorbringen der Parteien über den Anteil von Dauerbewohnern und sogenannten Sommerbewohnern von Bedeutung sein.
Die Beklagten haben, von dem Kläger bislang nicht im einzelnen bestritten, vorgetragen, daß in der Anlage 25 v.H. der Parzellen von Dauerbewohnern und gut 60 v.H. von sogenannten Sommerbewohnern genutzt werden. Sollten die Parzellen in diesem Maße mit Eigenheimen oder ihnen nahekommenden Gebäuden bebaut sein, scheidet, wie ausgeführt, die Qualifizierung des Areals „B.” als Kleingartenanlage aus (vgl. oben Nr. I 3 c).
Unterschriften
Schlick, Streck, Dörr, Galke, Herrmann
Fundstellen