Leitsatz (amtlich)
Vorformulierte Bestimmungen in einem Wohn- und Betreuungsvertrag über vollstationäre Pflege zwischen einem Versicherten der Pflegeversicherung (Verbraucher) und einer zugelassenen Pflegeeinrichtung ohne Pflegesatzvereinbarung (§§ 85, 91 Abs. 1 SGB XI), die eine Verpflichtung des Heimbewohners zur Sicherheitsleistung vorsehen, sind mit § 14 Abs. 4 Satz 1 WBVG vereinbar. Dies gilt auch gegenüber Verbrauchern, die berechtigt sind, Hilfe in Einrichtungen nach dem SGB XII in Anspruch zu nehmen.
Normenkette
WBVG § 14 Abs. 1 S. 1, Abs. 4 S. 1; SGB XI §§ 85, 91
Verfahrensgang
Tenor
Die Revision des Klägers gegen das Urteil des 6. Zivilsenats des OLG Köln vom 16.12.2016 wird zurückgewiesen.
Die Kosten des Revisionsrechtszugs hat der Kläger zu tragen.
Von Rechts wegen
Tatbestand
Rz. 1
Der Kläger, der satzungsgemäß bundesweit Verbraucherinteressen wahrnimmt und ein in die Liste der qualifizierten Einrichtungen nach § 4 UKlaG eingetragener Verbraucherschutzverein ist, nimmt die Beklagte auf Unterlassung gem. § 1 UKlaG in Anspruch.
Rz. 2
Die Beklagte betreibt mehrere Einrichtungen der stationären Pflege. Für die vollstationäre Aufnahme pflegebedürftiger Personen in die "Kaiser-Otto-Residenz" in E. verwendet sie einen vorformulierten Pflegevertrag, der u.a. folgende Bestimmungen enthält:
"1. Vertragsgegenstand 1.1 ... 1.2 Die Residenz ist durch einen Versorgungsvertrag mit den Pflegekassen gem. §§ 72, 73 SGB XI zur Erbringung vollstationärer Pflegeleistungen zugelassen. Der Inhalt des Versorgungsvertrages sowie die Regelung des Landesrahmenvertrages nach § 75 SGB XI sind für die Residenz verbindlich und können vom Bewohner eingesehen werden. ... 3. Pflegevergütung 3.1 Die Residenz ist eine zugelassene Pflegeeinrichtung, die auf eine vertragliche Regelung der Pflegevergütung mit öffentlichen Kostenträgern verzichtet hat. Gemäß § 91 SGB XI wird die Pflegevergütung mit dem Bewohner direkt vereinbart und abgerechnet. ... 3.6 Die Residenz ist zugelassen gem. § 72 SGB XI mit der Maßgabe der Kostenerstattung gem. § 91 SGB XI. Der Bewohner hat daher einen Kostenerstattungsanspruch gegenüber seiner Pflegekasse i.H.v. max. 80 % des Betrages, den die Pflegekasse für den Bewohner nach Art und Schwere seiner Pflegebedürftigkeit zu leisten hat. Dies gilt auch für den Fall der Versicherung bei einer privaten Pflegeversicherung. Verbindliche Auskünfte zur Höhe der Kostenerstattung kann nur die Pflegekasse oder die private Pflegeversicherung erteilen. ... 4. Kaution Die Kaution beträgt (2-fache Monatsentgelt) ... EUR 4.1 Der Bewohner verpflichtet sich, der Residenz gem. § 14 Abs. 1 WBVG im Hinblick auf die Überlassung des Pflegeplatzes eine Kaution, die dem zweifachen Monatspflegesatz entspricht, zu gewähren. ... 6. Vertragsdauer und Kündigung 6.1 Der Vertrag gilt ab dem eingangs vereinbarten Zeitraum und endet mit dem Tod des Bewohners. Im Übrigen richtet sich die Vertragsdauer nach den §§ 4, 11 und 12 des Gesetzes zur Regelung von Verträgen über Wohnraum mit Pflege- oder Betreuungsleistungen (Wohn- und Betreuungsvertragsgesetz - WBVG vom 29.7.2009)."
Rz. 3
Auf eine vorgerichtliche Abmahnung des Klägers, welche noch andere Vertragsklauseln betraf, gab die Beklagte nur eine eingeschränkte Unterlassungserklärung ab, die die in den Nr. 4 und 4.1 bestimmte Verpflichtung des Heimbewohners zur Sicherheitsleistung nicht umfasste.
Rz. 4
Der Kläger hat die Auffassung vertreten, die Vertragsklauseln 4 und 4.1 verstießen gegen § 307 Abs. 1, 2 BGB i.V.m. §§ 14, 16 des Wohn- und Betreuungsvertragsgesetzes (WBVG) vom 29.7.2009 (BGBl. I, 2319). Die Klauseln beachteten nicht das in § 14 Abs. 4 WBVG geregelte Kautionsverbot gegenüber Personen, die Leistungen nach § 42 oder § 43 SGB XI (Kurzzeitpflege bzw. vollstationäre Pflege) bezögen. Die Klauseln verstießen somit gegen halbzwingendes Recht und führten zu einer unangemessenen Benachteiligung des Heimbewohners.
Rz. 5
Das LG hat die Beklagte u.a. zu der vom Kläger begehrten Unterlassung hinsichtlich der vorliegend noch streitgegenständlichen Klauseln (Nr. 4 und 4.1) verurteilt. Auf die hiergegen gerichtete Berufung der Beklagten hat das OLG unter teilweiser Abänderung des erstinstanzlichen Urteils die Klage insoweit abgewiesen. Mit der vom Berufungsgericht zugelassenen Revision erstrebt der Kläger die Wiederherstellung des landgerichtlichen Urteils.
Entscheidungsgründe
Rz. 6
Die zulässige Revision des Klägers hat keinen Erfolg.
I.
Rz. 7
Das Berufungsgericht hat zur Begründung seiner Entscheidung (veröffentlicht in BeckRS 2016, 117693) im Wesentlichen ausgeführt:
Rz. 8
Die Vertragsklauseln Nr. 4 und 4.1 des Pflegevertrags hielten einer Inhaltskontrolle nach § 307 Abs. 1 Satz 1, Abs. 2 Nr. 1 BGB stand. Ein Verstoß gegen §§ 14 Abs. 4, 16 WBVG liege nicht vor. Gemäß Nr. 3.1 des Pflegevertrags i.V.m. § 91 Abs. 1 SGB XI richte sich die vertragliche Vereinbarung ausschließlich an Personen, die keine Sachleistungen der Pflegeversicherung in Anspruch nehmen wollten. Denn die Beklagte habe als zugelassene Pflegeeinrichtung unstreitig auf eine vertragliche Regelung der Pflegevergütung nach §§ 85 und 89 SGB XI verzichtet, so dass sie den Preis für stationäre Leistungen unmittelbar mit den Pflegebedürftigen vertraglich vereinbaren könne.
Rz. 9
Eine am Wortlaut des § 14 Abs. 4 WBVG und der Normen, auf die die Vorschrift Bezug nehme, orientierte Auslegung spreche dafür, dass von sog. Selbstzahlern, also Personen, die keine Sachleistungen im Rahmen der §§ 42, 43 SGB XI erhielten und in einer Einrichtung ohne Vereinbarung einer Pflegevergütung (§ 91 SGB XI) gepflegt würden, eine Sicherheitsleistung gefordert werden dürfe. § 14 Abs. 4 WBVG schließe die Möglichkeit, Sicherheit zu verlangen, ausdrücklich aus, wenn Leistungen nach §§ 42, 43 SGB XI bezogen würden. Im konkreten Fall schieden Leistungen der Kurzzeitpflege (§ 42 SGB XI) von vornherein aus, da dieser Personenkreis von dem Vertragswerk gar nicht angesprochen werde. Das Gleiche gelte für Personen, die Leistungen nach dem SGB XII erhielten. Hinsichtlich der allein vertragsgegenständlichen vollstationären Pflege verzichteten die Heimbewohner auf die ihnen möglicherweise zustehende Sachleistung nach § 43 SGB XI, um einen individuellen Vertrag mit der Beklagten gem. § 91 Abs. 1 SGB XI abschließen zu können. In diesem Fall erhielten die Pflegebedürftigen die pflegebedingten Aufwendungen bis zu einer Höhe von 80 % der sonst möglichen Vergütung von der Pflegekasse erstattet (§ 91 Abs. 2 SGB XI).
Rz. 10
Die Systematik des Wohn- und Betreuungsvertragsgesetzes spreche ebenfalls dafür, dass die Forderung einer Sicherheitsleitung gegenüber Selbstzahlern nicht ausgeschlossen sei. Durch § 91 SGB XI werde die Wahlfreiheit von Pflegebedürftigen gewährleistet, die von einer Betreuungseinrichtung betreut werden wollten, die bewusst auf den Abschluss einer Vergütungsvereinbarung verzichtet habe. Würde auch in diesen Fällen die Zulässigkeit der Vereinbarung einer Sicherheitsleistung verneint werden, hätte dies eine erhebliche Beschränkung des Anwendungsbereichs des § 14 Abs. 1 WBVG zur Folge.
Rz. 11
Auch der Zweck des § 14 Abs. 4 WBVG spreche für dieses Auslegungsergebnis. Durch den Verzicht des Leistungsträgers auf eine Vergütungsvereinbarung (§ 91 Abs. 1 SGB XI) ändere sich die Abrechnungsmodalität, da der Träger der Betreuungseinrichtung nicht direkt mit der Pflegekasse abrechnen könne, sondern das gesamte Entgelt dem Betreuten in Rechnung stellen müsse. Nach § 14 Abs. 4 WBVG solle aber die Erbringung einer Sicherheitsleistung nur für den Fall eingeschränkt werden, dass der Träger der Einrichtung einen Anspruch gegen einen solventen Dritten (Pflegekasse) habe.
Rz. 12
Hierfür spreche auch die Entstehungsgeschichte des § 14 WBVG. Nach der Vorgängerregelung des § 14 Abs. 2 Nr. 4, Abs. 8 des Heimgesetzes in der bis zum 30.9.2009 gültigen Fassung (HeimG) sei das Verlangen einer Sicherheitsleistung zwar grundsätzlich zulässig gewesen. Dies habe jedoch nicht gegenüber Versicherten der Pflegeversicherung und gegenüber Personen, denen Hilfe in Einrichtungen nach dem SGB XII gewährt worden sei, gegolten. Insoweit sei der Ausschluss einer Sicherheitsleistung damit begründet worden, dass der Heimträger bei Versicherten der Pflegeversicherung gegenüber der Pflegekasse einen Anspruch auf Vergütung seiner pflegerischen Leistungen habe. Mit Einführung des Wohn- und Betreuungsvertragsgesetzes habe der Gesetzgeber diese Regelung inhaltlich beibehalten wollen. Vor diesem Hintergrund entspreche es auch im vorliegenden Fall der tatsächlichen Interessenlage, § 14 Abs. 4 WBVG nicht anzuwenden Die Beklagte habe unstreitig keinen unmittelbaren Anspruch gegen einen Kostenträger. Vielmehr richte sich ihr Anspruch ausschließlich gegen den Pflegebedürftigen als Vertragspartner, so dass ein Sicherungsinteresse der Beklagten zu bejahen sei.
II.
Rz. 13
Diese Ausführungen halten der rechtlichen Überprüfung stand.
Rz. 14
Das Berufungsgericht ist zutreffend davon ausgegangen, dass dem Kläger hinsichtlich der Vertragsklauseln Nr. 4 und 4.1 kein Unterlassungsanspruch nach § 1 UKlaG i.V.m. § 307 Abs. 1 Satz 1, Abs. 2 BGB, §§ 14 Abs. 1 Satz 1 und Abs. 4 Satz 1, 16 WBVG zusteht.
Rz. 15
Vorformulierte Bestimmungen in einem Wohn- und Betreuungsvertrag über vollstationäre Pflege zwischen einem Versicherten der Pflegeversicherung (Verbraucher) und einer zugelassenen Pflegeeinrichtung ohne Pflegesatzvereinbarung (§§ 85, 91 Abs. 1 SGB XI), die eine Verpflichtung des Heimbewohners zur Sicherheitsleistung vorsehen, sind mit § 14 Abs. 4 Satz 1 WBVG vereinbar und benachteiligen den Pflegebedürftigen nicht unangemessen. Dies gilt auch gegenüber Verbrauchern, die berechtigt sind, Hilfe in Einrichtungen nach dem SGB XII in Anspruch zu nehmen, so dass dahinstehen kann, ob diese zum Kundenkreis der Beklagten gehören.
Rz. 16
1. Dem Berufungsgericht ist darin zuzustimmen, dass die Fälle der Kurzzeitpflege (§ 42 SGB XI) von dem vorliegenden Vertragswerk von vornherein nicht erfasst werden. Nr. 6.1 des Pflegevertrags legt fest, dass das Vertragsverhältnis auf unbestimmte Zeit geschlossen wird (§ 4 WBVG) und - vorbehaltlich einer Kündigung durch den Verbraucher (§ 11 WBVG) oder den Unternehmer (§ 12 WBVG) - erst mit dem Tod des Bewohners endet. Demgegenüber setzt die - auf acht Wochen pro Kalenderjahr - beschränkte Kurzzeitpflege voraus, dass vollstationäre Pflegemaßnahmen für eine Übergangszeit im Anschluss an eine stationäre Behandlung des Pflegebedürftigen oder in sonstigen Krisensituationen, in denen vorübergehend häusliche oder teilstationäre Pflege nicht möglich oder nicht ausreichend ist, erbracht werden (§ 42 Abs. 1 Satz 2 SGB XI).
Rz. 17
2. Nach § 72 Abs. 1 SGB XI zugelassene Pflegeeinrichtungen i.S.d. § 91 Abs. 1 SGB XI, die auf eine Pflegesatzvereinbarung nach § 85 SGB XI verzichtet und sich für freie Entgeltvereinbarungen sowie das Kostenerstattungsverfahren nach § 91 Abs. 2 SGB XI entschieden haben, können mit Versicherten der Pflegeversicherung eine Sicherheitsleistung nach § 14 Abs. 1 Satz 1 WBVG vereinbaren. In diesen Fällen greift das Verbot des § 14 Abs. 4 Satz 1 WBVG nicht ein. Dafür sprechen der Wortlaut unter Berücksichtigung der Gesetzessystematik, die Entstehungsgeschichte sowie der Sinn und Zweck von § 14 Abs. 1 Satz 1, Abs. 4 Satz 1 WBVG.
Rz. 18
a) Steht der Pflegeeinrichtung i.S.d. § 91 Abs. 1 SGB XI, die - wie die Beklagte - auf eine Pflegesatzvereinbarung nach § 85 SGB XI verzichtet hat, kein direkter Zahlungsanspruch gegenüber Sozialleistungsträgern zu, ist § 14 Abs. 4 Satz 1 WBVG bereits nach seinem Wortlaut nicht anwendbar.
Rz. 19
aa) Gemäß § 14 Abs. 1 Satz 1 WBVG wird der Pflegeeinrichtung (Unternehmer) grundsätzlich die Möglichkeit eingeräumt, Sicherheiten für die Erfüllung der Pflichten des pflegebedürftigen Heimbewohners (Verbraucher) aus dem Vertrag zu verlangen und dies entsprechend im Wohn- und Betreuungsvertrag zu vereinbaren. Die Sicherheit ist wie eine mietrechtliche Kaution zu verstehen (Dickmann/Kempchen, Heimrecht, 11. Aufl., § 14 WBVG Rz. 1). Allerdings kann der Unternehmer nach § 14 Abs. 4 Satz 1 WBVG von Verbrauchern, die Leistungen nach §§ 42, 43 SGB XI (Kurzzeit- und Vollzeitpflege) in Anspruch nehmen oder denen Hilfe in Einrichtungen nach dem SGB XII gewährt wird (insb. gem. §§ 61 ff. SGB XII), keine Sicherheitsleistung verlangen. Dem liegt die Annahme zugrunde, dass in diesen Fällen dem Unternehmer ein unmittelbar zahlender öffentlicher Kostenträger zur Verfügung steht, so dass für eine Sicherheitsleistung des Heimbewohners kein Bedürfnis besteht (Bachem/Hacke, Wohn- und Betreuungsvertragsgesetz, § 14 WBVG Rz. 5; BeckOGK/Drasdo, § 14 WBVG Rz. 48 [Stand: 1.1.2018]; Dickmann/Kempchen, a.a.O., Rz. 7; Rasch, Wohn- und Betreuungsvertragsgesetz, § 14 WBVG Rz. 16; s. auch die Begründung zum Entwurf eines Gesetzes zur sozialen Absicherung des Risikos der Pflegebedürftigkeit, BT-Drucks. 12/5262, 169).
Rz. 20
bb) Damit knüpft § 14 Abs. 4 Satz 1 WBVG an das Sachleistungsprinzip an, wie es insb. in § 87a Abs. 3 Satz 1 SGB XI niedergelegt ist. Die Leistungen bei stationärer Pflege (§ 43 SGB XI) sind keine Geld-, sondern Sachleistungen der Pflegeversicherung an den pflegebedürftigen Versicherten (O'Sullivan in jurisPK-SGB XI, 2. Aufl., § 87a Rz. 49). Da der Leistungsträger (Pflegekasse) die fragliche Leistung nicht selbst erbringen kann, muss er diese dem Versicherten durch Dritte (Leistungserbringer) verschaffen. Diesen Anspruch erfüllen die Pflegekassen durch Versorgungsverträge nach § 72 Abs. 1 SGB XI, mit denen sich im Bereich stationärer Pflege Heimträger - wie die Beklagte (s. Nr. 1.2 und 3.6 des Pflegevertrags) - verpflichten, die pflegebedürftigen Versicherten aufzunehmen und zu betreuen (§ 72 Abs. 4 Satz 2 Halbs. 1 SGB XI). Im Gegenzug entsteht ein direkter Zahlungsanspruch des Leistungserbringers gegen die Pflegekasse. Im Bereich der vollstationären Pflege gehört hierzu der in § 87a Abs. 3 Satz 1 geregelte Anspruch auf Zahlung der in § 43 Abs. 2 Satz 2 SGB XI festgesetzten Beträge. Diese zahlt die Pflegekasse direkt an die Pflegeeinrichtung (O'Sullivan in jurisPK-SGB XI, a.a.O., Rz. 48, 50 ff.). Art, Höhe und Laufzeit der Pflegesätze werden zwischen dem Träger des Pflegeheims und den Leistungsträgern nach § 85 SGB XI vereinbart (Pflegesatzvereinbarung).
Rz. 21
cc) Für die Hilfe zur Pflege nach § 61 ff. SGB XII gilt im Ergebnis nichts anderes. Das gesetzliche Regelungskonzept, das dem Leistungserbringungsrecht des SGB XII zugrunde liegt, geht davon aus, dass der Sozialhilfeträger die ihm im Rahmen des sozialhilferechtlichen Leistungsdreiecks obliegende Leistung nicht als Geldleistung an den jeweiligen Hilfeempfänger erbringt, um diesem die Zahlung des vertraglichen Entgelts aus dem privatrechtlichen Vertrag über die Erbringung von Pflegeleistungen zu ermöglichen, sondern dass die Zahlung in Erfüllung der Sachleistungsverschaffungspflicht des Sozialhilfeträgers direkt an den Dienst erfolgt, der die Pflege leistet (s. BGH, Urt. v. 7.5.2015 - III ZR 304/14, NJW 2015, 3782 Rz. 20 ff. und 31.3.2016 - III ZR 267/15, BGHZ 209, 316 Rz. 15 ff. zu den verschiedenen Rechtsbeziehungen im sozialhilferechtlichen Leistungsdreieck). Ein unmittelbarer Zahlungsanspruch der Pflegeeinrichtung gegenüber dem Sozialhilfeträger entsteht durch dessen Schuldbeitritt zur zivilrechtlichen Verpflichtung des Bewohners gegenüber der Einrichtung im Wege eines entsprechenden Kostenübernahmebescheids (Senatsurteile vom 7.5.2015, a.a.O., Rz. 24 und vom 31.3.2016, a.a.O., Rz. 20 f.). Gemäß § 75 Abs. 5 Satz 1 Halbs. 1 SGB XII ist der Sozialhilfeträger in Bezug auf zugelassene Pflegeeinrichtungen an die für stationäre Einrichtungen maßgeblichen Pflegesatzvereinbarungen nach § 85 SGB XI grundsätzlich gebunden (Jaritz/Eicher, jurisPK-SGB XII, 2. Aufl., § 75 Rz. 150).
Rz. 22
dd) Nach alledem erfasst § 14 Abs. 4 Satz 1 WBVG, der allein auf den Bezug von vollstationären Leistungen nach §§ 42, 43 SGB XI oder die Gewährung von Hilfe in Einrichtungen nach dem SGB XII abstellt, bereits seinem Wortlaut nach unter Berücksichtigung des systematischen Zusammenhangs mit § 87a Abs. 3 Satz 1 SGB XI nur die Fälle der Sachleistungsverschaffung. Demgegenüber liegt den streitgegenständlichen Klauseln Nr. 4 und 4.1 nicht das Sachleistungsprinzip, sondern das Kostenerstattungsprinzip zugrunde. Denn nach den Nr. 1.2 und 3.1 des Pflegevertrags ist die Beklagte zwar durch einen Versorgungsvertrag gem. §§ 72, 73 SGB XI zur Erbringung vollstationärer Pflegeleistungen zugelassen; sie hat jedoch auf eine vertragliche Regelung der Pflegevergütung mit öffentlichen Kostenträgern nach § 85 SGB XI verzichtet. In einem solchen Fall ermöglicht § 91 Abs. 1 SGB XI dem Träger der Pflegeeinrichtung trotz seiner Zulassung und Verpflichtung zur Erbringung von Pflegeleistungen (vgl. § 72 Abs. 4 Satz 2 Halbs. 1 SGB XI), das Vergütungssystem des Buches XI Sozialgesetzbuch in Durchbrechung des Sachleistungsprinzips zu verlassen und den Preis für die zu erbringenden stationären Leistungen unmittelbar mit den pflegebedürftigen Kunden marktorientiert zu vereinbaren. Gemäß § 91 Abs. 2 SGB XI verlieren die in der sozialen Pflegeversicherung versicherten Pflegebedürftigen ihren Sachleistungsanspruch gegen ihre Pflegekasse und werden auf einen bloßen Kostenerstattungsanspruch verwiesen, der zudem auf 80 % der sonst gewährten Leistungen beschränkt ist. Der Träger des Pflegeheims rechnet nur noch mit dem pflegebedürftigen Kunden ab. Dieser ist alleiniger Schuldner (Dickmann, a.a.O., § 91 Rz. 4; O'Sullivan in jurisPK-SGB XI, a.a.O., § 91 Rz. 27; KassKomm/Weber, § 91 SGB XI Rz. 5 [95. EL, Juli 2017]). Um zu verhindern, dass "vertragslose" Pflegeeinrichtungen mit Pflegebedürftigen Preisvereinbarungen zu Lasten der Sozialhilfe abschließen, bestimmt § 91 Abs. 2 Satz 3 SGB XI als sozialhilferechtliche Norm, dass eine weitergehende Kostenerstattung durch einen Träger der Sozialhilfe unzulässig ist (Begründung zum Entwurf eines Gesetzes zur sozialen Absicherung des Risikos der Pflegebedürftigkeit, BT-Drucks. 12/5262, 150; BeckOK Sozialrecht/Wilcken, 47. Edition, § 91 SGB XI Rz. 2 [Stand: 1.9.2017]; KassKomm/Weber, a.a.O., Rz. 8; O'Sullivan in jurisPK-SGB XI, a.a.O., Rz. 31).
Rz. 23
Da Pflegeeinrichtungen, die sich gem. § 91 Abs. 1, 2 SGB XI gegen das Sachleistungsprinzip und für das Kostenerstattungsverfahren entschieden haben, somit keinen Direktanspruch gegen Sozialleistungsträger haben, der sie gegen eine Zahlungsunfähigkeit des Heimbewohners unmittelbar absichert, besteht ein Sicherungsbedürfnis, dem der Wortlaut des § 14 Abs. 4 Satz 1 WBVG Rechnung trägt, indem er bei Wahl des Kostenerstattungsverfahrens die Vereinbarung einer Sicherheitsleistung nicht verbietet.
Rz. 24
b) Für dieses Ergebnis spricht auch die Entstehungsgeschichte des § 14 WBVG.
Rz. 25
aa) Die Vorgängerregelung findet sich in § 14 HeimG (gültig bis zum 30.9.2009). Nach § 14 Abs. 2 Nr. 4 HeimG waren Sicherheitsleistungen für die Erfüllung der Bewohnerpflichten aus dem Heimvertrag vom Verbot des § 14 Abs. 1 HeimG ausgenommen, soweit § 14 Abs. 8 HeimG nicht wiederum den Geltungsbereich des Abs. 2 Nr. 4 einschränkte. Gemäß § 14 Abs. 8 HeimG durfte sich der Heimträger keine Sicherheiten von Versicherten der Pflegeversicherung und Personen, die Hilfe in Einrichtungen nach dem SGB XII erhielten, versprechen oder gewähren lassen. Der Wortlaut der Norm wurde allgemein als zu weit angesehen. Danach erstreckte sich nämlich das Verbot von Sicherheitsleistungen auf fast alle Heimbewohner, da der größte Teil der Bevölkerung gem. § 1 Abs. 2 SGB XI in der sozialen Pflegeversicherung und der verbleibende Rest zumeist in der privaten Pflegeversicherung versichert ist (Krahmer/Richter/Plantholz, Heimgesetz, 2. Aufl., § 14 Rz. 29). § 14 Abs. 8 HeimG wurde deshalb nach seinem Sinn und Zweck einschränkend ausgelegt. Das Verbot, eine Sicherheitsleistung zu fordern, setze voraus, dass der Heimträger - jedenfalls in Bezug auf einen großen Teils des Entgelts - einen eigenen Zahlungsanspruch gegenüber Sozialleistungsträgern habe und deshalb nicht in diesem Umfang auf Sicherheiten angewiesen sei. Das sei dann nicht der Fall, wenn nur der Bewohner Anspruch auf Kostenerstattung habe, weil er z.B. privatversichert sei oder die Pflegeeinrichtung ohne Pflegesatzvereinbarung nach § 85 SGB XI auf der Basis des § 91 Abs. 2 SGB XI arbeite (s. nur Krahmer/Richter/Plantholz, Heimgesetz, a.a.O.; Rasch, a.a.O., Rz. 17). Ergänzend wurde darauf hingewiesen, dass in der Begründung zum Entwurf des Pflege-Versicherungsgesetzes davon ausgegangen worden sei, dass bei Versicherten der Pflegeversicherung kein sachliches Bedürfnis für die Bereitstellung von Sicherheiten bestehe, wenn der Heimträger gegenüber der Pflegekasse Anspruch auf Vergütung seiner pflegerischen Leistungen habe (BT-Drucks. 12/5262, 169; Krahmer/Richter/Plantholz, Heimgesetz, a.a.O.).
Rz. 26
bb) Als das Heimrecht nach der am 1.9.2006 in Kraft getretenen Föderalismusreform durch das Wohn- und Betreuungsvertragsgesetz vom 29.7.2009 neu geregelt wurde, hat der Gesetzgeber die Vorschriften des Heimgesetzes über Sicherheitsleistungen der Verbraucher für die Erfüllung der Vertragspflichten als "bewährt" eingestuft (Begründung zum Entwurf eines Gesetzes zur Neuregelung der zivilrechtlichen Vorschriften des Heimgesetzes nach der Föderalismusreform, BT-Drucks. 16/12409, 11). Dementsprechend ist die in § 14 Abs. 2 Nr. 4, Abs. 8 HeimG geregelte Möglichkeit für den Unternehmer, von dem Verbraucher Sicherheiten für die Erfüllung seiner Pflichten aus dem Vertrag zu verlangen, grundsätzlich übernommen worden. Der oben unter aa) dargestellten einschränkenden Auslegung des § 14 Abs. 8 HeimG wurde dadurch Rechnung getragen, dass § 14 Abs. 4 Satz 1 WBVG eine Sicherheitsleistung nur gegenüber Verbrauchern ausschließt, die bestimmte Leistungen nach dem SGB XI oder SGB XII in Anspruch nehmen (BT-Drucks. 16/12409, 13). Demgegenüber hatte § 14 Abs. 8 HeimG noch wörtlich auf "Versicherte der Pflegeversicherung" abgestellt. Durch die engere sprachliche Fassung des Ausschlusstatbestands hat der Gesetzgeber somit zum Ausdruck gebracht, dass Sicherheitsleistungen nur gegenüber solchen Heimbewohnern untersagt sind, die im Rahmen des sozialrechtlichen Leistungsdreiecks Pflegesachleistungen erhalten, weil in diesen Fällen ein direkter Zahlungsanspruch des Heimträgers gegenüber den Sozialleistungsträgern besteht (Bachem/Hacke, a.a.O., § 14 WBVG Rz. 6). Da - wie bereits ausgeführt - Bewohnern von Einrichtungen i.S.d. § 91 Abs. 1 SGB XI (ohne Pflegsatzvereinbarung nach § 85 SGB XI) in Abweichung vom Sachleistungsprinzip lediglich ein Kostenerstattungsanspruch nach § 91 Abs. 2 SGB XI gegenüber den Sozialleistungsträgern zusteht, verbleibt es in diesen Fällen beim Grundsatz des § 14 Abs. 1 Satz 1, 2 WBVG, d.h. der Unternehmer kann von dem pflegebedürftigen Verbraucher eine Sicherheitsleistung in Höhe des doppelten Entgelts für einen Monat verlangen.
Rz. 27
c) Das Berufungsgericht hat auch zutreffend darauf abgestellt, dass der Sinn und Zweck der Regelung des § 14 Abs. 1 Satz 1, Abs. 4 Satz 1 WBVG dafür spricht, Sicherheitsleistungen des Verbrauchers nur in den Fällen zu verbieten, in denen der Unternehmer einen eigenen Direktanspruch gegen Sozialleistungsträger hat, der ihn gegen eine Zahlungsunfähigkeit des Heimbewohners unmittelbar absichert.
Rz. 28
aa) Zweck des § 14 WBVG ist der Ausgleich zwischen dem Sicherungsbedürfnis des Unternehmers und dem Schutzbedürfnis des Verbrauchers (BGH, Urt. v. 21.5.2015 - III ZR 263/14, NJW 2015, 2573 Rz. 14). Durch die Zulassung und Regulierung von Sicherheitsleistungen in bestimmten Grenzen dient die Norm dem Interessenausgleich der Vertragsparteien (Rasch, a.a.O., § 14 WBVG Rz. 2). Zwar soll der Verbraucher vor Nachteilen geschützt werden, die ihm aus der doppelten Abhängigkeit von einem Unternehmer und der Komplexität der miteinander verbundenen Leistungen für die Wahrung seiner Interessen drohen. Gleichzeitig müssen dem Unternehmer aber hinreichende Gestaltungsmöglichkeiten verbleiben, die seinem Sicherungsbedürfnis Rechnung tragen und die Entwicklung neuer und vielfältiger Angebote zulassen (Begründung zum Entwurf eines Gesetzes zur Neuregelung der zivilrechtlichen Vorschriften des Heimgesetzes nach der Föderalismusreform, BT-Drucks. 16/12409, 10 f.). Danach stellt es einen angemessenen Interessausgleich dar, dem Unternehmer das Verlangen einer Sicherheitsleistung lediglich in den Fällen zu untersagen, in denen ihm mit dem Träger der Pflegeversicherung oder der Sozialhilfe ein leistungsfähiger unmittelbar zahlender Schuldner zur Verfügung steht (BeckOGK/Drasdo, § 14 WBVG Rz. 48 [Stand: 1.1.2018]; Dickmann, a.a.O., § 14 WBVG Rz. 7). Eine Erstreckung des Verbots auch auf Pflegeeinrichtungen, die das Entgelt für ihre stationären Leistungen nach § 91 Abs. 1 SGB XI unmittelbar mit den Pflegebedürftigen vereinbaren und sich für das Kostenerstattungsverfahren nach § 91 Abs. 2 SGB XI entschieden haben, wäre nicht mehr interessengerecht, weil dem berechtigten Sicherungsbedürfnis des Unternehmers nicht Rechnung getragen würde.
Rz. 29
bb) Zudem wäre ein solches Verständnis des § 14 Abs. 4 Satz 1 WBVG kaum mit dem Normzweck des § 91 SGB XI vereinbar. Danach ist der Gesetzgeber davon ausgegangen, dass Pflegeeinrichtungen auf eine Vergütungsvereinbarung nach § 85 SGB XI verzichten können, aber möglicherweise Pflegebedürftige gleichwohl von einer solchen Einrichtung betreut werden möchten. Dieses "Wahlrecht" der Pflegebedürftigen soll dadurch gesichert werden, dass sie nicht völlig von den Leistungen der Pflegeversicherung abgeschnitten werden mit der Folge, dass solche Einrichtungen in der Regel nicht gewählt würden. Dementsprechend wird den Heimbewohnern nach § 91 Abs. 2 SGB XI ein Kostenerstattungsanspruch i.H.v. 80 % der ansonsten gewährten Leistungen zugestanden (O'Sullivan in jurisPK-SGB XI, a.a.O., § 91 Rz. 5). Hätte der Unternehmer keine Möglichkeit, von diesem Kundenkreis eine Sicherheitsleistung im Umfang von § 14 Abs. 1 Satz 2 WBVG zu verlangen, würde dies dazu führen, dass Pflegeverträge mit Selbstzahlern unangemessen erschwert würden, weil der Unternehmer das Risiko der Zahlungsunfähigkeit seines Vertragspartners ungeschmälert tragen müsste. In diesem Zusammenhang kann auch nicht geltend gemacht werden, dass Verbraucher, die mit Einrichtungen ohne Pflegesatzvereinbarung einen Pflegevertrag abschlössen, schlechter gestellt seien als Versicherte, die ein Vertragsverhältnis mit einem am Pflegsatzverfahren teilnehmenden Unternehmer eingingen. Mit § 91 SGB XI hat der Gesetzgeber gerade eine Möglichkeit schaffen wollen, das Kostenerstattungsverfahren anstelle des Sachleistungsprinzips zu wählen. Dabei werden die Interessen des Verbrauchers durch § 91 Abs. 2 SGB XI hinreichend berücksichtigt.
Rz. 30
cc) Soweit die Revision die Zulässigkeit von Sicherheitsleistungen vom Gewicht der mietvertraglichen Komponente des Pflegevertrags abhängen machen und die Höhe der Sicherheitsleistung daran orientieren will, widerspricht dies nicht nur dem eindeutigen Wortlaut des § 14 Abs. 1 Satz 1, 2 WBVG, wonach der Unternehmer Sicherheiten für die Erfüllung der Pflichten des Verbrauchers aus dem Vertrag in Höhe des Doppelten des auf einen Monat entfallenden Entgelts verlangen kann, sondern auch dem Zweck des § 14 WBVG, einen angemessenen Interessenausgleich zwischen Unternehmer und Verbraucher zu ermöglichen.
Fundstellen
Haufe-Index 11714788 |
BGHZ 2019, 200 |
NJW 2018, 1808 |
NJW 2018, 8 |
FamRZ 2018, 1026 |
NZM 2018, 677 |
BtPrax 2018, 163 |
JZ 2018, 401 |
MDR 2018, 654 |
VersR 2018, 1272 |
WuM 2018, 517 |
ZfSH/SGB 2018, 453 |
ErbR 2018, 415 |
GesR 2018, 402 |
NJW-Spezial 2018, 450 |
FMP 2018, 131 |
GuP 2018, 149 |
SRA 2018, 152 |