Leitsatz (amtlich)
a) Im Hinblick auf den eine Verfahrensvereinfachung anstrebenden Gesetzeszweck ist der Tatrichter nur bei Vorliegen besonderer Umstände gehalten, von dem normierten Pauschalsatz (§ 198 Abs. 2 Satz 3 GVG) aus Billigkeitsgründen gem. § 198 Abs. 2 Satz 4 GVG abzuweichen. Erforderlich ist, dass sich das zu beurteilende Verfahren durch eine oder mehrere entschädigungsrelevante Besonderheiten in tatsächlicher oder rechtlicher Hinsicht von anderen Verfahren dieser Art abhebt, so dass die konkreten Auswirkungen der überlangen Verfahrensdauer die Pauschalhöhe als unbillig erscheinen lassen (Bestätigung und Fortführung der BGH, Urt. v. 14.11.2013 - III ZR 376/12, BGHZ 199, 87; v. 13.3.2014 - III ZR 91/13 NJW 2014, 1816).
b) In Verfahren, die Fragen des Sorge- und Umgangsrechts insb. gegenüber Kleinkindern zum Gegenstand haben, kommt bei einer dem Gericht zuzurechnenden erheblichen Verfahrensverzögerung (hier: 37 Monate) eine schwerwiegende Beeinträchtigung des betroffenen Elternteils in seinem Recht auf Umgang mit seinem Kind (Art. 6 Abs. 2 GG, § 1684 Abs. 1 BGB) und seinem Recht auf Achtung seines Privat- und Familienlebens (Art. 8 Abs. 1 EMRK) in Betracht, die nach § 198 Abs. 2 Satz 4 GVG die Erhöhung des gesetzliches Pauschalsatzes rechtfertigen kann.
Normenkette
GVG § 198 Abs. 2 Sätze 3-4
Verfahrensgang
Tenor
Auf die Revision der Klägerin wird das Urteil des 1. Zivilsenats des OLG Koblenz vom 17.10.2019 im Kostenpunkt und insoweit aufgehoben, als die Klage hinsichtlich der Entschädigung für immaterielle Nachteile (Klageantrag zu 1) bei einer festgestellten Verfahrensverzögerung von insgesamt 37 Monaten in Höhe eines 3.700 EUR übersteigenden Betrags abgewiesen worden ist.
Im Umfang der Aufhebung wird die Sache zur neuen Verhandlung und Entscheidung, auch über die Kosten des Revisionsrechtszugs, an das OLG zurückverwiesen.
Von Rechts wegen
Tatbestand
Rz. 1
Die Klägerin nimmt das beklagte Land auf Entschädigung wegen überlanger Dauer familiengerichtlicher Verfahren in Anspruch.
Rz. 2
Die Klägerin und ihr damaliger Lebensgefährte trennten sich im November 2011. Aus der Beziehung gingen die Kinder W., geboren am 10.1.2010, und N., geboren am 18.7.2012, hervor. Letztere wurde bereits am Tage nach ihrer Geburt aus dem Haushalt der Klägerin herausgenommen. Nach einem zeitweiligen Aufenthalt in einer Pflegefamilie leben beide Kinder seit Ende Mai 2013 im Haushalt ihres Vaters, der auch das alleinige Sorgerecht innehat.
Rz. 3
Im Februar 2014 gestellte Anträge der Klägerin auf Erlass einer einstweiligen Anordnung zur Regelung des Umgangsrechts wies das AG M. - FamG - mit Beschlüssen vom 28. April und 2.5.2014 rechtskräftig zurück. Daraufhin beantragte die Klägerin mit Schriftsatz vom 21.5.2014, das Umgangs- und Sorgerecht für die beiden Kinder im Hauptsacheverfahren zu regeln. In beiden Verfahren verhandelte das FamG erstmals am 29.9.2014 mündlich zur Sache. Aufgrund einer Zwischenvereinbarung der Kindeseltern zum Umgangsrecht ruhten die Verfahren bis zu ihrer Wiederaufnahme am 23.1.2015. Nach Durchführung eines weiteren Anhörungstermins am 22.6.2015 ordnete das FamG mit Beschluss vom 13.7.2015 die Einholung eines Sachverständigengutachtens zur Frage der Ausgestaltung des Umgangsrechts an. In der Folgezeit wurden die zunächst vorgesehene Sachverständige auf Antrag der Klägerin ausgewechselt und sowohl die zweite Sachverständige als auch die zuständige Richterin von der Klägerin wegen Besorgnis der Befangenheit erfolgreich abgelehnt. Mit Beschluss vom 23.11.2016 bestellte die nunmehr zuständige Familienrichterin die Diplompsychologin S. zur Sachverständigen, die mit Schreiben vom 30.11.2016 mitteilte, dass sie aufgrund ihrer Arbeitslage erst im Mai 2017 mit der Erstellung des Gutachtens beginnen könne und dieses voraussichtlich im September 2017 abschließen werde. Entgegen der Bitte der Klägerin beließ es das FamG bei der Bestellung der Sachverständigen. Diese legte ihr Gutachten am 5.2.2018 vor.
Rz. 4
Mit Schriftsatz vom 12.9.2017 rügte die Klägerin sowohl im Umgangs- als auch im Sorgerechtsverfahren gegenüber dem FamG gem. § 155b FamFG die Nichtbeachtung des Vorrang- und Beschleunigungsgebots nach § 155 FamFG. Mit Beschlüssen vom 9.10.2017 wies das FamG die Beschleunigungsrügen zurück. Dagegen legte die Klägerin mit Schriftsatz vom 26.10.2017 jeweils Beschleunigungsbeschwerde nach § 155c FamFG ein. Mit Beschlüssen vom 24.11.2017 stellte das OLG Koblenz fest, dass die bisherige Verfahrensführung nicht ausreichend dem Vorrang- und Beschleunigungsgebot des § 155 Abs. 1 FamFG entspreche.
Rz. 5
Ebenfalls unter dem 12.9.2017 beantragte die Klägerin beim FamG den Erlass einer einstweiligen Anordnung zur vorläufigen Regelung des Umgangsrechts, da eine im Februar 2017 getroffene einstweilige Regelung, die acht begleitete Umgangskontakte mit den Kindern von jeweils einer Stunde zum Gegenstand hatte, im September 2017 endete. Auf die Beschleunigungsbeschwerde der Klägerin stellte das OLG Koblenz mit Beschluss vom 22.5.2018 die unzureichende Beachtung des Vorrang- und Beschleunigungsgebots nach § 155 Abs. 1 FamFG fest, woraufhin das FamG den Antrag auf Erlass einer einstweiligen Verfügung mit Beschluss vom 29.5.2018 zurückwies.
Rz. 6
Nach Anhörung der Kinder am 25.6.2018 entschied das FamG mit Beschlüssen vom 11. und 12.7.2018 abschließend über das Umgangs- und Sorgerecht (u.a. zweiwöchige begleitete Umgänge der Klägerin mit ihren Kindern). Dagegen legte die Klägerin jeweils Beschwerde ein. Das OLG Koblenz weitete daraufhin durch einstweilige Anordnung das Umgangsrecht der Klägerin ab dem 29.1.2019 zeitlich aus und gestattete ihr darüber hinaus einen monatlichen unbegleiteten Umgang zunächst mit ihrem Sohn und später probeweise mit ihrer Tochter.
Rz. 7
Die Klägerin hat geltend gemacht, bei angemessener Beschleunigung hätten das Umgangs- und Sorgerechtsverfahren binnen eines halben Jahres abgeschlossen werden können. Tatsächlich habe das amtsgerichtliche Verfahren jedoch fast viereinhalb Jahre (von Februar 2014 bis Juli 2018) gedauert. Unter Berücksichtigung der Rechtsprechung des Europäischen Gerichtshofs für Menschenrechte (Hinweis auf EGMR NJW 2015, 1433 - Kuppinger II/Deutschland) und des verfassungsrechtlich verankerten Justizgewährungsanspruchs sei hinsichtlich des immateriellen Schadens ein Entschädigungsbetrag von mindestens 15.000 EUR gerechtfertigt (Klageantrag zu 1). Darüber hinaus hat sie Freistellung von Rechtsanwaltskosten sowie die Feststellung begehrt, dass sämtliche ihr seit 2014 auferlegten Gerichtskosten von dem Beklagten zu tragen seien (Klageanträge zu 2 und 3).
Rz. 8
Das beklagte Land hat unter Zugrundelegung des gesetzlichen Regelsatzes (§ 198 Abs. 2 Satz 3 GVG) eine Entschädigung für immaterielle Nachteile i.H.v. 3.700 EUR bei Annahme einer Verzögerung von insgesamt 37 Monaten in den beiden Hauptsacheverfahren zum Umgangs- und Sorgerecht sowie in dem Verfahren der einstweiligen Anordnung anerkannt.
Rz. 9
Das OLG hat das beklagte Land dem Anerkenntnis gemäß durch Teilanerkenntnisurteil zur Zahlung einer Entschädigung für immaterielle Nachteile von 3.700 EUR nebst Zinsen verurteilt. Im Übrigen hat es die Klage abgewiesen. Auf die Beschwerde der Klägerin gegen die Nichtzulassung der Revision hat der Senat unter Zurückweisung der weitergehenden Beschwerde die Revision zugelassen, soweit der Klageantrag zu 1) bei einer festgestellten Verfahrensverzögerung von insgesamt 37 Monaten in Höhe einer den Regelbetrag (§ 198 Abs. 2 Satz 3 GVG) übersteigenden Entschädigung für immaterielle Nachteile abgewiesen worden ist. Mit ihrer Revision verfolgt die Klägerin den auf Zahlung einer angemessenen Entschädigung für immaterielle Nachteile von mindestens 15.000 EUR gerichteten Klageantrag zu 1) weiter.
Entscheidungsgründe
Rz. 10
Die zulässige Revision ist begründet. Sie führt im tenorierten Umfang zur Aufhebung des angefochtenen Urteils und zur Zurückverweisung der Sache an das OLG.
I.
Rz. 11
Das OLG hat - soweit für das Revisionsverfahren noch von Interesse - zur Begründung seiner Entscheidung im Wesentlichen ausgeführt:
Rz. 12
Bezüglich des Hauptsacheverfahrens zum Umgangsrecht (Verfahrensbeginn am 21.5.2014) sei eine Verfahrensverzögerung von drei Monaten eingetreten, weil der erste Verhandlungstermin entgegen § 155 Abs. 2 FamFG erst am 29.9.2014 stattgefunden habe. Durch die Weigerung des FamG, die Sachverständige S., die zu einer zeitnahen Gutachtenerstattung nicht in der Lage gewesen sei, durch einen anderen Sachverständigen zu ersetzen, sei in dem Zeitraum von Dezember 2016 bis November 2017 eine weitere Verfahrensverzögerung von zwölf Monaten eingetreten. Entsprechendes gelte für das Hauptsacheverfahren zum Sorgerecht, so dass in beiden Verfahren für eine Verzögerung von 15 Monaten der vom beklagten Land anerkannte Entschädigungsbetrag von jeweils 1.500 EUR in Ansatz zu bringen sei. Bezüglich des Verfahrens der einstweiligen Anordnung zur vorläufigen Regelung des Umgangsrechts liege eine Verfahrensverzögerung von sieben Monaten vor, weil das FamG dem Verfahren vom 25.10.2017 bis zur Entscheidung des OLG vom 22.5.2018 über die Beschleunigungsbeschwerde keinen Fortgang gegeben habe. Dafür könne die Klägerin - wie vom beklagten Land anerkannt - eine Entschädigung von 700 EUR beanspruchen.
Rz. 13
Der gesetzliche Regelsatz von 1.200 EUR für jedes Jahr der Verzögerung (§ 198 Abs. 2 Satz 3 GVG) sei angemessen und nicht unbillig i.S.d. § 198 Abs. 2 Satz 4 GVG, da die Nachteile, die die Klägerin durch die Verfahrensverzögerung erlitten habe, im Vergleich zum Durchschnittsfall weder geringer noch höher erschienen. Besondere Umstände, die eine Abweichung aus Billigkeitsgründen rechtfertigen könnten und mit Verzögerungen, die zur Fortdauer einer Freiheitsentziehung, zu einer schweren Persönlichkeitsrechtsverletzung, einer Existenzgefährdung oder einer ganz erheblichen psychischen Belastung führten, vergleichbar wären, seien hier nicht gegeben (Hinweis auf BGH, Urt. v. 14.11.2013 - III ZR 376/12, BGHZ 199, 87 und vom 13.3.2014 - III ZR 91/13 NJW 2014, 1816). Dies gelte auch unter Berücksichtigung des Umstands, dass das Umgangs- und Sorgerecht für zwei Kinder betroffen sei. Des Weiteren spreche das sehr bestimmte Auftreten der Klägerin in der mündlichen Berufungsverhandlung gegen eine ganz erhebliche psychische Belastung und schwerwiegende Persönlichkeitsrechtsverletzung. Auf das Urteil des EGMR v. 15.1.2015 (NJW 2015, 1433 - Kuppinger II/Deutschland) könne sich die Klägerin nicht stützen, weil der Gerichtshof dort eine Entschädigung für immaterielle Schäden von 15.000 EUR bei einer Verfahrensverzögerung von vier Jahren zugesprochen habe und Entscheidungen europarechtlicher Gerichte bei der Bemessung des nach § 198 Abs. 1 Satz 1 GVG angemessenen Entschädigungsbetrags ohnehin nicht bindend seien.
II.
Rz. 14
Diese Ausführungen halten der rechtlichen Überprüfung nicht stand, soweit das OLG den gesetzlichen Regelsatz von 1.200 EUR für jedes Jahr der Verzögerung (§ 198 Abs. 2 Satz 3 GVG) für angemessen erachtet und eine diesen Regelbetrag übersteigende Entschädigung für immaterielle Nachteile abgelehnt hat.
Rz. 15
1. Das OLG hat allerdings ohne Rechtsfehler und von beiden Parteien nicht beanstandet entschädigungsrechtlich relevante Verzögerungen in den drei familiengerichtlichen Ausgangsverfahren von insgesamt 37 Monaten festgestellt (Verfahrensverzögerungen von jeweils 15 Monaten in den Hauptsacheverfahren zum Umgangs- und Sorgerecht sowie von sieben Monaten in dem Verfahren der einstweiligen Anordnung zur vorläufigen Regelung des Umgangsrechts). Die Unangemessenheit der Verfahrensdauer ist dem beklagten Land zuzurechnen und bei der Bestimmung der Entschädigungshöhe zugrunde zu legen.
Rz. 16
2. Rechtsfehlerhaft sind jedoch die Erwägungen des OLG, mit denen es ein Abweichen vom gesetzlichen Regelsatz aus Billigkeitsgründen (§ 198 Abs. 2 Satz 4 GVG) abgelehnt hat, da wesentliche Umstände unberücksichtigt geblieben sind.
Rz. 17
a) aa) § 198 Abs. 2 Satz 3 GVG sieht zur Bemessung der Höhe der Entschädigung für immaterielle Nachteile einen Pauschalsatz i.H.v. 1.200 EUR für jedes Jahr der Verzögerung vor. Ist dieser Betrag nach den Umständen des Einzelfalls unbillig, kann das Gericht einen höheren oder niedrigeren Betrag festsetzen (§ 198 Abs. 2 Satz 4 GVG). Mit der Pauschalierung in § 198 Abs. 2 Satz 3 GVG unter Verzicht auf einen einzelfallbezogenen Nachweis sollen Streitigkeiten über die Höhe der Entschädigung, die eine zusätzliche und unnötige Belastung für die Gerichte bedeuten würden, vermieden und zugleich eine zügige Erledigung der Entschädigungsansprüche im Interesse der Betroffenen ermöglicht werden (BGH, Urt. v. 14.11.2013 - III ZR 376/12, BGHZ 199, 87 Rz. 46; v. 23.1.2014 - III ZR 37/13, BGHZ 200, 20 Rz. 55; v. 13.3.2014 - III ZR 91/13 NJW 2014, 1816 Rz. 50). Im Hinblick auf den eine Verfahrensvereinfachung anstrebenden Gesetzeszweck ist der Tatrichter nur bei Vorliegen besonderer Umstände gehalten, von dem normierten Pauschalsatz aus Billigkeitserwägungen (§ 198 Abs. 2 Satz 4 GVG) abzuweichen (Senat, Urteile vom 14.11.2013, a.a.O., und vom 13.3.2014, a.a.O., Rz. 51; s. auch BSGE 118, 102 Rz. 39; 124, 136 Rz. 50 und BSG, Urt. v. 7.9.2017 - B 10 ÜG 3/16 R, juris Rz. 33 [insb. in atypischen Sonderfällen]; Begründung zum Entwurf der Bundesregierung eines Gesetzes über den Rechtsschutz bei überlangen Gerichtsverfahren und strafrechtlichen Ermittlungsverfahren, BT-Drucks. 17/3802, 20 [in Ausnahmefällen]).
Rz. 18
bb) Nach der Senatsrechtsprechung kommen für eine Abweichung nach oben insb. Fälle in Betracht, in denen die Verzögerung zur Fortdauer einer Freiheitsentziehung oder zu einer schwerwiegenden Persönlichkeitsrechtsverletzung geführt hat (vgl. Senat, Urteile vom 14.11.2013, a.a.O., und vom 13.3.2014, a.a.O.). Allein der Umstand, dass es zu einer Verzögerung einer Kindschaftssache gekommen ist, rechtfertigt noch keine Erhöhung des Regelsatzes (vgl. Senat, Urteil vom 13.3.2014, a.a.O.; OLG Karlsruhe, NJOZ 2013, 802, 808 [Scheidungsverfahren]). Es stünde mit dem Sinn der Pauschalierung nicht in Einklang, wenn die mit der Natur eines Verfahrens typischerweise einhergehenden Folgen einer überlangen Verfahrensdauer - wie z.B. eine besondere emotionale Betroffenheit - stets als eine Besonderheit angesehen würden, die eine Abweichung vom Pauschalsatz rechtfertigt (vgl. OLG Karlsruhe, a.a.O.; BeckOGK/Dörr, BGB, § 839 Rz. 1321 [Stand: 1.2.2021]; s. auch BSGE 124, 136 Rz. 52 [zum Opferentschädigungsverfahren]). Vielmehr muss sich das zu beurteilende Verfahren durch eine oder mehrere entschädigungsrelevante Besonderheiten in tatsächlicher oder rechtlicher Hinsicht von anderen Verfahren dieser Art abheben (vgl. BSGE 118, 102 Rz. 39 und 124, 136 Rz. 51 f.; OLG Karlsruhe, Urt. v. 16.10.2018 - 16 EK 10/18, juris Rz. 97), so dass die konkreten Auswirkungen der überlangen Verfahrensdauer die Pauschalhöhe als unbillig erscheinen lassen (Senat, Urteil vom 13.3.2014, a.a.O., Rz. 51; Ott in Steinbeiß-Winkelmann/Ott, Rechtsschutz bei überlangen Gerichtsverfahren, § 198 GVG Rz. 227 [bezüglich Sorgerechtsstreitigkeiten]).
Rz. 19
cc) Eine solche sich von anderen Verfahren abhebende entschädigungsrelevante Besonderheit kann sich aus der herausragenden Bedeutung des Ausgangsverfahrens für die Verfahrensbeteiligten und den damit korrespondierenden - über die verfahrenstypischen Folgen hinausgehenden - nachteiligen Auswirkungen der überlangen Verfahrensdauer ergeben (vgl. Röhl in Schlegel/Voelzke, jurisPK-SGG, § 198 GVG Rz. 128 [Stand: 10.12.2020]; Hk-ZPO/Rathmann, 8. Aufl., § 198 GVG Rz. 22; Böcker, DStR 2011, 2173, 2177; Schmidt, NVwZ 2015, 1710, 1715 f.; s. auch BSGE 118, 102 Rz. 39; OLG Hamm, Urt. v. 10.8.2016 - 11 EK 5/15, juris Rz. 42; OLG Zweibrücken, NJW 2017, 1328 Rz. 29; OLG Karlsruhe, a.a.O., [jeweils bezüglich geringer Bedeutung des Verfahrens]). Insofern gilt für § 198 Abs. 2 Satz 4 GVG nichts anderes als für die Entscheidungen nach § 198 Abs. 1 Satz 2, Abs. 2 Satz 2 GVG bzw. § 198 Abs. 4 Satz 3 Halbs. 1 GVG, die unter Würdigung der Gesamtumstände zu treffen sind und bei denen ebenfalls insb. die Bedeutung des Verfahrens für die Verfahrensbeteiligten im Rahmen der Abwägung in Ansatz zu bringen ist (vgl. Senat, Urteil vom 14.11.2013, a.a.O., Rz. 25 [zu § 198 Abs. 1 Satz 2 GVG]; Ott, a.a.O., § 198 GVG Rz. 162; BT-Drucks. 17/3802, 20 [jeweils zu § 198 Abs. 2 Satz 2 GVG]; BVerwGE 147, 146 Rz. 66 und BVerwG, NVwZ 2018, 909 Rz. 40 [jeweils zu § 198 Abs. 4 Satz 3 Halbs. 1 GVG]).
Rz. 20
dd) Die Prüfung der Erhöhung des gesetzlichen Pauschalsatzes aufgrund der besonderen Umstände des Einzelfalls obliegt grundsätzlich dem Tatrichter, der über die Entschädigungsklage entscheidet. Bei der Subsumtion des festgestellten Sachverhalts unter den unbestimmten Rechtsbegriff der Unbilligkeit gem. § 198 Abs. 2 Satz 4 GVG hat das Revisionsgericht den tatrichterlichen Beurteilungsspielraum zu respektieren und ist in seiner Prüfung darauf beschränkt, ob der rechtliche Rahmen verkannt, Denkgesetze oder allgemeine Erfahrungssätze verletzt und ob alle für die Beurteilung wesentlichen Umstände berücksichtigt und angemessen abgewogen worden sind (vgl. Senat, Urteile vom 14.11.2013, a.a.O., Rz. 34 und vom 13.3.2014, a.a.O., Rz. 37).
Rz. 21
b) Unter Berücksichtigung dieses Prüfungsmaßstabs und der dargelegten Grundsätze erweist sich die Auffassung des OLG, dass keine besonderen, ein Anheben des Pauschalsatzes rechtfertigenden Umstände gegeben seien, als rechtsfehlerhaft, da in dem angefochtenen Urteil, was die Revision zu Recht beanstandet, die für die Billigkeitsentscheidung nach § 198 Abs. 2 Satz 4 GVG ausschlaggebenden Umstände nicht gewürdigt werden und durch das einseitige Abstellen auf die nach Auffassung des Entschädigungsgerichts nicht sehr erhebliche psychische Belastung der Klägerin der rechtliche Rahmen im Kern verkannt wird.
Rz. 22
Das OLG beschränkt sich auf die Feststellung, dass die Klägerin durch die Verfahrensverzögerung keine vom Durchschnittsfall abweichenden Nachteile erlitten habe und insb. aufgrund ihres sehr bestimmten Auftretens in der mündlichen Verhandlung nicht der Eindruck entstanden sei, die Verfahrensverzögerung habe bei ihr zu einer ganz erheblichen psychischen Belastung und dadurch zu einer schwerwiegenden Persönlichkeitsrechtsverletzung geführt. In die nach § 198 Abs. 2 Satz 4 GVG gebotene Abwägung aller bedeutsamen Umstände des Einzelfalls hätte das OLG indes die besondere persönliche Bedeutung des Verfahrens für die Klägerin und die mit der erheblichen Verfahrensverzögerung einhergehende schwerwiegende Beeinträchtigung der Klägerin in ihrem Recht auf Umgang mit ihren Kindern (Art. 6 Abs. 2 GG, § 1684 Abs. 1 BGB) sowie ihrem Recht auf Achtung ihres Privat- und Familienlebens (Art. 8 Abs. 1 EMRK) einbeziehen müssen. Hierbei hätte sich das OLG insb. mit den Besonderheiten des vorliegenden Falles, nämlich dem sehr jungen Alter der beiden Kinder und der durch zunehmenden Zeitablauf wachsenden und hier erkennbar bestehenden sehr großen Gefahr einer (endgültigen) Entfremdung zwischen der Klägerin und ihren Kindern, eingehend auseinandersetzen müssen.
Rz. 23
aa) Die zeitnahe Entscheidung des Umgangs- und Sorgerechtsverfahrens war für die Klägerin von besonderer persönlicher Bedeutung.
Rz. 24
(1) In gerichtlichen Verfahren, die Fragen des Sorge- und Umgangsrechts zum Gegenstand haben, geht es für alle Verfahrensbeteiligten naturgemäß um besonders bedeutende, die weitere Zukunft maßgeblich beeinflussende Entscheidungen, die in der Regel auch unmittelbaren Einfluss auf die persönlichen Beziehungen zwischen den einzelnen Familienmitgliedern nehmen (vgl. BVerfG NJW 2001, 961, 962). In Verfahren, die das Verhältnis einer Person zu ihrem Kind betreffen, obliegt den Gerichten daher eine besondere Förderungspflicht, weil immer die Gefahr besteht, dass allein der fortschreitende Zeitablauf irreparable Folgen für das Verhältnis zwischen dem Kind und den Eltern haben und zu einer faktischen Entscheidung der Sache führen kann. Insbesondere bei kleinen Kindern ist die Gefahr irreparabler Folgen durch fortschreitenden Zeitablauf besonders groß. Denn kleine Kinder empfinden bezogen auf objektive Zeitspannen den Verlust der Bezugsperson - anders als ältere Kinder oder gar Erwachsene - schneller als endgültig. In diesen Fällen schreitet die Gefahr der Entfremdung, die für das Verfahren Fakten schaffen kann, mit jeder Verfahrensverzögerung fort, so dass die Möglichkeiten einer Zusammenführung schwinden und letztendlich zunichte gemacht werden können, wenn Eltern und Kind sich nicht sehen dürfen. Bei sehr kleinen Kindern besteht deshalb eine Verpflichtung zur "größtmöglichen Beschleunigung" des Verfahrens (vgl. Senat, Urt. v. 13.3.2014 - III ZR 91/13, NJW 2014, 1816 Rz. 41; s. auch BVerfG NJW 1997, 2811, 2812 und NJW 2001, 961, 962; EGMR, NJW 2006, 2241 Rz. 100 - Süss/Deutschland; Urt. v. 12.7.2007 - 39741/02, juris Rz. 44 - N./Deutschland; FamRZ 2011, 1283 Rz. 45 - Kuppinger I/Deutschland und NJW 2015, 1433 Rz. 102, 138 - Kuppinger II/Deutschland; BT-Drucks. 17/3802, 18).
Rz. 25
Demgemäß gilt für Kindschaftssachen, die den Aufenthalt des Kindes, das Umgangsrecht oder die Herausgabe des Kindes betreffen, sowie für Verfahren wegen Gefährdung des Kindeswohls nach § 155 Abs. 1 FamFG ein gesetzliches Vorrang- und Beschleunigungsgebot. Nach der Rechtsprechung des Europäischen Gerichtshofs für Menschenrechte (EGMR) kommt zudem in Verfahren, die das Sorge- und Umgangsrecht betreffen, neben der Pflicht, in angemessener Zeit zu einer Entscheidung zu gelangen (Art. 6 Abs. 1 EMRK), das Recht einer jeden Person auf Achtung ihres Privat- und Familienlebens (Art. 8 Abs. 1 EMRK) als zusätzlicher Prüfungsmaßstab in Betracht. Der Gerichtshof verlangt deshalb bei Verfahren, in denen die Dauer deutliche Auswirkungen auf das Familienleben hat, zur effektiven Rüge der Verfahrensdauer i.S.d. Art. 13 EMRK einen Rechtsbehelf, der zugleich präventiv ist und Wiedergutmachung ermöglicht (EGMR NJW 2015, 1433 Rz. 137 - Kuppinger II/Deutschland). In Umsetzung dieser Rechtsprechung hat der deutsche Gesetzgeber durch das Gesetz zur Änderung des Sachverständigenrechts und zur weiteren Änderung des FamFG sowie zur Änderung des SGG, der VwGO, der FGO und des GKG vom 11.10.2016 (BGBl. I 2222) die Bestimmungen der §§ 155b und 155c in das FamFG eingefügt. Nach § 155b Abs. 1 Satz 1 FamFG kann ein Beteiligter in einer Kindschaftssache des § 155 Abs. 1 FamFG durch eine Beschleunigungsrüge, die gem. § 155b Abs. 3 FamFG zugleich als Verzögerungsrüge i.S.d. § 198 Abs. 3 Satz 1 GVG gilt, geltend machen, dass die bisherige Verfahrensdauer nicht dem Vorrang- und Beschleunigungsgebot des § 155 FamFG entspricht. Anders als bei der Verzögerungsrüge muss das Ausgangsgericht spätestens innerhalb eines Monats über die Beschleunigungsrüge durch Beschluss entscheiden. Dieser kann nach § 155c FamFG innerhalb einer Frist von zwei Wochen mit der Beschleunigungsbeschwerde angefochten werden.
Rz. 26
(2) Vor diesem Hintergrund hatten die in Rede stehenden Verfahren zum Sorge- und Umgangsrecht für die Klägerin als Mutter von zwei sehr kleinen Kindern besondere persönliche Bedeutung. Die Tragweite dessen, was für die Klägerin in den Verfahren auf dem Spiel stand, verpflichtete das FamG zur größtmöglichen Verfahrensbeschleunigung.
Rz. 27
Nach den Feststellungen des OLG waren die Kinder zum Zeitpunkt der Verfahrenseinleitung im Mai 2014 ein Jahr und zehn Monate (N.) bzw. vier Jahre und vier Monate alt (W.). Das jüngere, sehr kleine Kind wurde bereits am Tage nach der Geburt aus dem Haushalt der Klägerin herausgenommen und hatte nie mit ihr in einem Haushalt zusammengelebt. Kontinuierliche Umgangskontakte der Klägerin mit ihren beiden Kindern waren aufgrund des zerrütteten Verhältnisses der Eltern ohne gerichtliche Regelung nicht realisierbar. So hatte die Klägerin ab Juni 2016 (Beschluss des AG M. vom 13.2.2017, S. 3 = GA II 340) vorübergehend überhaupt keinen Umgangskontakt mehr mit ihren Kindern. Von März bis September 2017 (Beschluss des AG M., a.a.O., S. 2 = GA II 339) waren es nur acht kurze Kontakte. Die nächste Umgangsregelung traf das FamG erst mit Beschluss vom 11.7.2018. In der Zwischenzeit wurden der Klägerin trotz Beantragung einer vorläufigen Umgangsregelung im Wege der einstweiligen Anordnung keine Umgangskontakte ermöglicht. Die Gefahr, dass der fortschreitende Zeitablauf irreparable Folgen für das Verhältnis zwischen der Klägerin und ihren beiden Kleinkindern und damit erhebliche Auswirkungen auf das Privat- und Familienleben (Art. 8 EMRK) der Klägerin hatte, war daher besonders groß. Dies brachte für das FamG die Verpflichtung mit sich, das Verfahren außergewöhnlich zügig zu führen und erforderlichenfalls besondere Vorsichtsmaßnahmen zu ergreifen, um jegliche unnötigen Verzögerungen zu verhindern (vgl. EGMRFamRZ 2011, 1283 Rz. 45 f - Kuppinger I/Deutschland und BeckRS 2016, 127405 Rz. 89 - Moog/Deutschland).
Rz. 28
bb) Angesichts dessen führte die dem beklagten Land zuzurechnende erhebliche Verfahrensverzögerung von 37 Monaten - bereits nach den bislang getroffenen Feststellungen und erst recht nach dem für das Revisionsverfahren zu unterstellenden Vortrag der Klägerin - zu einer schwerwiegenden Beeinträchtigung der Kindesmutter in ihrem Recht auf Umgang mit ihren Kindern (Art. 6 Abs. 2 GG, § 1684 Abs. 1 BGB) und ihrem Recht auf Achtung ihres Privat- und Familienlebens (Art. 8 Abs. 1 EMRK), die in ihrem Gewicht mit einer schwerwiegenden Persönlichkeitsrechtsverletzung vergleichbar ist und daher nach § 198 Abs. 2 Satz 4 GVG eine Erhöhung des gesetzlichen Pauschalsatzes rechtfertigt.
Rz. 29
Die Verzögerung hatte erhebliche Auswirkungen auf das Privat- und Familienleben der Klägerin, weil ihr - vom FamG letztlich zugesprochenes und im Beschwerdeverfahren zeitlich ausgeweitetes - Umgangsrecht durch Zeitablauf faktisch entwertet wurde. Während des Verfahrens blieben mit Ausnahme von acht kurzen Umgangskontakten von März bis September 2017 die Umgangsrechte der Mutter mit ihren beiden sehr kleinen Kindern ungeregelt, was zu einer nachhaltigen Unterbrechung der sich gerade im frühkindlichen Alter maßgeblich ausbildenden Mutter-Kind-Beziehung führte und insb. beim jüngeren Kind, das nie mit der Klägerin in einem Haushalt zusammengelebt hatte, eine stabile Mutter-Kind-Beziehung nicht entstehen lassen konnte. Während das ältere Kind nach dem für das Revisionsverfahren zu unterstellenden Vortrag der Klägerin (vgl. Schriftsatz vom 29.5.2019, S. 71 = GA I 156) zumindest auf positive Erfahrungen aus den ersten zwei Lebensjahren in der Obhut der Mutter zurückgreifen kann und sich wenigstens um eine Rekonstruktion der einst tiefen und vertrauensvollen Beziehung zur Klägerin bemüht, ist das jüngere Kind sehr verunsichert, schwankend und distanziert geworden und nimmt nur noch sporadisch an Umgangsterminen mit der Klägerin teil. Die verlorene gemeinsame Zeit, die für die Entwicklung, Aufrechterhaltung und Fortentwicklung der frühkindlichen Bindungen der beiden sehr kleinen Kinder zur Klägerin wesentlich war und eine erhebliche Entfremdung zwischen der Klägerin und ihren Kindern zur Folge hatte, kann zu einem späteren Zeitpunkt nicht wiedergutgemacht werden. Vielmehr birgt sie angesichts des Alters der Kinder die Gefahr einer steigenden Entfremdung und das Risiko einer dauerhaft stark belasteten Mutter-Kind-Beziehung. Dies ist vorliegend besonders gravierend, da die Kinder nach dem für das Revisionsverfahren zu unterstellenden klägerischen Vortrag Umgang mit ihrer Mutter ausdrücklich wünschten (vgl. Schriftsätze vom 29.5.2019, S. 71 = GA I 156 und vom 16.8.2019, S. 44 = GA II 248; s. auch Beschluss des AG M. vom 13.2.2017, S. 4 = GA II 341). Insoweit unterscheidet sich der Fall von demjenigen, der dem Senatsurteil vom 13.3.2014 ( NJW 2014, 1816) zugrunde lag. Dort lehnte ein knapp 13-jähriges Kind nach seinem klar geäußerten Willen gerichtlich erzwungene Umgangskontakte mit seinem Vater von Anfang an ab. Zudem hatte dessen Umgangsbegehren in der Sache keinen Erfolg, so dass eine faktische Entwertung des von Rechts wegen bestehenden Umgangsrechts nicht stattgefunden hatte (a.a.O. Rz. 41).
III.
Rz. 30
Das angefochtene Urteil ist demnach aufzuheben (§ 562 Abs. 1 ZPO), soweit der Klageantrag zu 1) in Höhe einer den Regelbetrag (§ 198 Abs. 2 Satz 3 GVG) übersteigenden Entschädigung für immaterielle Nachteile abgewiesen worden ist. Die Sache ist im Umfang der Aufhebung zur neuen Verhandlung und Entscheidung an das OLG zurückzuverweisen, das - ggf. nach weiteren Tatsachenfeststellungen - eine erneute tatrichterliche Würdigung aller Umstände des Einzelfalls vorzunehmen haben wird. Mangels Entscheidungsreife ist eine eigene Entscheidung des Senats nicht möglich (§ 563 Abs. 1 Satz 1, Abs. 3 ZPO).
Rz. 31
Für das weitere Verfahren weist der Senat auf Folgendes hin: Der EGMR hat in der Vergangenheit Verfahren, die das Verhältnis einer Person zu ihrem sehr jungen Kind betrafen und in denen Verfahrensverzögerungen einen (zusätzlichen) Verstoß gegen Art. 8 EMRK begründeten, besonderes Gewicht beigemessen und höhere Entschädigungssummen zugesprochen (z.B. EGMR, NJW-RR 2007, 1225 Rz. 123 - Bianchi/Schweiz [15.000 EUR]; Urt. v. 12.7.2007 - 39741/02, juris Rz. 88 - S.N./Deutschland [8.000 EUR]; BeckRS 2011, 80398 Rz. 100 - K.-R./Deutschland [10.000 EUR bei zwei betroffenen Kindern]; FamRZ 2011, 1283 Rz. 61 - Kuppinger I/Deutschland [5.200 EUR - allein wegen der Dauer des Umgangsverfahrens von knapp fünf Jahren bei einem sehr kleinen Kind]; Urt. v. 10.2.2011 - 1521/06, juris Rz. 88 - T./Deutschland [7.000 EUR]; FamRZ 2012, 1123 - Bergmann/Tschechien [10.000 EUR]; NJW 2015, 1433 - Kuppinger II/Deutschland [15.000 EUR] und BeckRS 2016, 127405 Rz. 108 Moog/Deutschland [10.000 EUR]). Soweit das OLG das Urteil des EGMR v. 15.1.2015 (Kuppinger II/Deutschland, a.a.O.) für nicht einschlägig erachtet hat, weil der EGMR dort eine Verfahrensverzögerung von vier Jahren zugrunde gelegt habe, trifft dies nicht zu. Dabei hat es übersehen, dass der EGMR - bei einer Gesamtdauer des Umgangsverfahrens von vier Jahren und vier Monaten - nur eine Verzögerung von "etwa einem Monat" und "mehreren Wochen" angenommen hat (a.a.O. Rz. 108).
Rz. 32
Dem OLG ist zwar zuzustimmen, dass der Rechtsprechung des EGMR zu Art. 41 EMRK keine verbindlichen Richtlinien für die im vorliegenden Fall nach § 198 Abs. 2 GVG festzulegende Entschädigungssumme entnommen werden können (vgl. BVerfGE 111, 307, 319 ff. m.w.N.; s. auch BVerfG NJW 1997, 2811, 2812 [zur überlangen Verfahrensdauer]). Es ergeben sich daraus jedoch für die Billigkeitsentscheidung nach § 198 Abs. 2 Satz 4 GVG zumindest Anhaltspunkte dafür, wann besondere Umstände in Betracht kommen, die eine Erhöhung des Pauschalsatzes rechtfertigen (vgl. Roderfeld in Marx/Roderfeld, Rechtsschutz bei überlangen Gerichts- und Ermittlungsverfahren, § 198 GVG Rz. 82; Lorenz, Die Dogmatik des Entschädigungsanspruchs aus § 198 GVG, 2018, S. 219 f.; s. auch BVerfG, NJW 1997, a.a.O., [zur überlangen Verfahrensdauer]; EGMR, NJW 2007, 1259 Rz. 177 - Scordino/Italien), zumal bei der nach § 198 Abs. 2 Satz 4 GVG erforderlichen einzelfallbezogenen Entschädigungsbemessung mit der Bedeutung des Verfahrens und den nachteiligen Auswirkungen der überlangen Verfahrensdauer dieselben Kriterien heranzuziehen sind, die auch der EGMR als maßgeblich ansieht.
Fundstellen
Haufe-Index 14558276 |
BGHZ 2022, 14 |