Entscheidungsstichwort (Thema)
Gebäudeversicherung. Hausratversicherung. Vorvertragliche Anzeigeobliegenheiten. Verschweigen von Vorschäden bei Vertragschluss. Täuschung über gefahrerhebliche Umstände. Anspruch des Versicherers aus culpa in contrahendo. Schutzgesetzverletzung. Vorsätzliche sittenwidrige Schädigung. Leistungsverweigerungsrecht des Versicherers. Abschließendes Regelungssystem des VVG
Leitsatz (amtlich)
Täuscht der Versicherungsnehmer bei Vertragschluss über einen gefahrerheblichen Umstand i.S.d. §§ 16, 17 VVG, so sanktionieren die §§ 16 bis 22 VVG die Verletzung der vorvertraglichen Anzeigeobliegenheit grundsätzlich abschließend. Daneben bestehen keine Ansprüche des Versicherers aus c.i.c.
Nur wo die §§ 16 ff. VVG nicht eingreifen oder andere geschützte Interessen des Versicherers nicht abschließend behandeln, kommt ein über die Sanktionen der §§ 16 ff. VVG hinausgehendes Leistungsverweigerungsrecht des Versicherers in Betracht. Das kann der Fall sein bei Schadensersatzansprüchen des Versicherers aus unerlaubten Handlungen, insb. bei den Tatbeständen der §§ 826, 823 Abs. 2 BGB, die neben den §§ 16 ff. VVG anzuwenden sind. (Fortführung der Senat, Urt. v. 22.2.1984 - IVa ZR 63/82, MDR 1984, 1008 = VersR 1984, 630; v. 8.2.1989 - IVa ZR 197/87, MDR 1989, 616 = VersR 1989, 465; v. 18.9.1991 - IV ZR 189/90, VersR 1991, 1404)
Normenkette
VVG §§ 16, 22; BGB §§ 123, 241 Abs. 2, §§ 282, 311
Verfahrensgang
Tenor
1. Auf die Revision der Klägerin wird das Urteil des 9. Zivilsenats des OLG Hamburg vom 24.11.2005 aufgehoben, soweit die Berufung der Klägerin zurückgewiesen worden ist.
2. Im Umfang der Aufhebung wird die Sache zur neuen Verhandlung und Entscheidung, auch über die Kosten des Revisionsverfahrens, an das Berufungsgericht zurückverwiesen.
Von Rechts wegen
Tatbestand
[1] Die Klägerin, Eigentümerin eines am 5.1.1999 niedergebrannten Einfamilienhauses mit Nebengebäude, fordert von der Beklagten Versicherungsleistungen aus einer Wohngebäude- sowie einer Hausratversicherung.
[2] Für das ursprünglich vom Ehemann der Klägerin im Jahre 1990 erworbene Anwesen hatte dieser zunächst bis Ende 1996 eine Hausrat- und eine Gebäudeversicherung bei der P. B. kasse (im Folgenden: Vorversicherer) genommen, für die er seinerzeit auch beruflich tätig war. Mit Wirkung zum 1.12.1996 wurden sowohl dieses Beschäftigungsverhältnis als auch die Versicherungsverträge beendet. Ebenfalls 1996 wurde das gesamte Anwesen der Klägerin übereignet.
[3] Am 22.11.1996 hatte der Ehemann der Klägerin einen Wasserschaden in der Küche des Einfamilienhauses angezeigt, den der Vorversicherer im Januar 1997 mit einer Zahlung von 22.500 DM regulierte.
[4] Die Klägerin richtete zusammen mit ihrem Ehemann am 10.12.1996 unter Vermittlung der Versicherungsmaklerin D. GmbH an die Beklagte zwei Anträge auf Abschluss von Gebäudeversicherungen für Haupt- und Nebengebäude. In beiden Anträgen ist auf die entsprechende Frage der Vorversicherer bezeichnet, jedoch die Frage nach Vorschäden nur mit den Worten "in den letzten Jahren ca. 500 DM Sturmschäden" beantwortet. Der Wasserschaden blieb unerwähnt.
[5] Ab dem 15.12.1996 gewährte die Beklagte den Eheleuten vorläufige Deckung. Am 4.2.1997, einen Tag vor Annahme der Versicherungsanträge, meldete der Ehemann der Klägerin der Beklagten einen Wasserschaden, der nach seiner Behauptung infolge einer Verstopfung des Abflussrohrs für Spüle und Spülmaschine unterhalb des verfließten Küchenbodens eingetreten war. Am 17.2.1997 einigte man sich auf eine Entschädigung von 15.500 DM. Inzwischen ist der Ehemann der Klägerin rechtskräftig wegen Betruges zu einer Geldstrafe verurteilt worden, nachdem die strafrechtlichen Ermittlungen ergeben hatten, dass die behaupteten Schadenspositionen überwiegend identisch sind mit denen des vom Vorversicherer regulierten Wasserschadens vom 22.11.1996.
[6] Nachdem eine im Dezember 1996 von den Eheleuten bei einem anderen Versicherer für beide Gebäude genommene Hausratversicherung wegen mehrerer Schadenfälle im Dezember 1997 von beiden Vertragsparteien wechselseitig gekündigt worden war, bemühte sich der Ehemann der Klägerin ab Januar 1998 um den Abschluss einer Hausratversicherung bei der Beklagten. Nach umfangreichem Schriftwechsel kam es am 17.8.1998 schließlich zum Abschluss einer Hausratversicherung.
[7] Nach dem Brand vom 5.1.1999 trat der Ehemann seine Ansprüche aus den Versicherungsverträgen an die Klägerin ab. Diese fordert von der Beklagten aus der Hausratversicherung Leistungen i.H.v. 268.039,38 EUR und aus der Gebäudeversicherung eine Teilleistung von 51.150,90 EUR.
[8] Mit Schreiben vom 15.12.1999 hat die Beklagte gegenüber beiden Eheleuten die Anfechtung der Versicherungsverträge wegen arglistiger Täuschung (Verschweigen von Vorschäden bei Vertragschluss) erklärt. Unter anderem deshalb hält sie sich für leistungsfrei. Widerklagend hat sie die Rückzahlung der wegen des behaupteten Wasserschadens geleisteten 7.925,02 EUR (15.500 DM) gefordert.
[9] Das LG hat die Klage abgewiesen und der Widerklage stattgegeben. Auf die Berufung der Klägerin hat das Berufungsgericht die Klagabweisung bestätigt. Die Widerklage hat es infolge einer Verzichtserklärung der Beklagten durch Teil-Verzichtsurteil abgewiesen. Mit der Revision verfolgt die Klägerin ihr Klagebegehren weiter.
Entscheidungsgründe
[10] Die Revision, mit der sich die Klägerin nur insoweit gegen das Berufungsurteil wendet, als ihre Berufung gegen die Abweisung der Klage zurückgewiesen worden ist, hat Erfolg.
[11] I. Das Berufungsgericht hat offen gelassen, ob - wie das LG angenommen hatte - die von der Beklagten erklärten Anfechtungen durchgreifen. Stattdessen hat es angenommen, das Leistungsbegehren der Klägerin stelle eine unzulässige Rechtsausübung dar (§ 242 BGB), weil ihm ein Schadensersatzanspruch der Beklagten in gleicher Höhe aus c.i.c. gegenüberstehe, so dass die Klägerin das Verlangte sofort zurückgewähren müsste. Der Ehemann der Klägerin habe schuldhaft vorvertragliche Pflichten verletzt, als er der Beklagten vor Ausstellung der Versicherungspolice in der Gebäudeversicherung den bereits vom Vorversicherer regulierten Wasserschaden gemeldet habe. Dass beide Schäden identisch seien, zeige ein Vergleich der geltend gemachten Schadenspositionen, die in beiden Schadensmeldungen weitgehend übereinstimmten, ohne dass die Klägerin dafür eine plausible Erklärung gefunden habe.
[12] Infolge der Pflichtverletzung habe die Klägerin den Zustand wiederherzustellen, der ohne die zum Schadensersatz verpflichtende Handlung des Ehemannes bestanden hätte. Die Beklagte sei so zu stellen, als seien die Versicherungsverträge nicht zustande gekommen, denn sie hätte bei Kenntnis der anderweitigen Regulierung des ihr am 4.2.1997 gemeldeten Wasserschadens durch den Vorversicherer weder am 5.2.1997 die Gebäudeversicherung noch am 17.8.1998 die Hausratversicherung mit den Eheleuten abgeschlossen.
[13] II. Das hält rechtlicher Nachprüfung nicht stand.
[14] 1. Die Beklagte hat keinen Schadensersatzanspruch aus Verschulden bei Vertragschluss, den sie, wie das Berufungsgericht annimmt, dem Leistungsbegehren der Klägerin im Wege des Arglisteinwandes nach § 242 BGB entgegenhalten könnte.
[15] a) Soweit sich eine dem Versicherungsnehmer angelastete Täuschung auf einen gefahrerheblichen Umstand i.S.d. §§ 16, 17 VVG bezieht, sind die im Schuldrecht durch das Institut des Verhandlungsverschuldens geschützten Interessen in den §§ 16 bis 22 VVG eigenständig geregelt. Diese Vorschriften sanktionieren die Verletzung der vorvertraglichen Anzeigeobliegenheit abschließend. Grundsätzlich kommen deshalb nach dem Gesetz insoweit nur Prämienerhöhung, Kündigung oder Rücktritt in Betracht. Daneben steht es dem Versicherer offen, die Anfechtung seiner Annahmeerklärung wegen arglistiger Täuschung zu erklären (§§ 22 VVG, 123 BGB). Betrifft eine Nicht- oder Falschanzeige gefahrerhebliche Umstände, so bestehen daneben keine Ansprüche aus c.i.c. (Senat, Urt. v. 22.2.1984 - IVa ZR 63/82, MDR 1984, 1008 = VersR 1984, 630 unter I 2; v. 8.2.1989 - IVa ZR 197/87, MDR 1989, 616 = VersR 1989, 465 unter II 3, vorangehend OLG Hamm v. 27.5.1987 - 20 U 335/86, VersR 1988, 458; v. 18.9.1991 - IV ZR 189/90, VersR 1991, 1404 unter 2b; OLG Saarbrücken v. 18.12.1996 - 5 U 800/95-82, VersR 1997, 863). Anderenfalls würde die ausgewogene Entscheidung des Gesetzgebers zur Sanktionierung der Verletzung vorvertraglicher Anzeigepflichten bei Anbahnung eines Versicherungsvertrages verfälscht und unterlaufen (Senatsurteil vom 22.2.1984a.a.O.).
[16] Nur dort, wo die Regelungen der §§ 16 ff. nicht eingreifen, etwa bei Täuschungen über andere als gefahrerhebliche Umstände, oder wo sie andere geschützte Interessen des Versicherers nicht abschließend behandeln, kommt ein über die genannten Sanktionen hinausgehendes Leistungsverweigerungsrecht des Versicherers in Betracht. Das kann der Fall sein bei Ansprüchen aus unerlaubten Handlungen, insb. bei den Tatbeständen der §§ 826, 823 Abs. 2 BGB, die neben den §§ 16 ff. VVG anzuwenden sind (BGH, Urt. v. 8.2.1989a.a.O. unter II 3; vom 22.2.1984a.a.O.; vom 18.9.1991a.a.O.).
[17] b) Nach diesen Grundsätzen kam hier ein Schadensersatzanspruch des Versicherers aus c.i.c. nicht in Betracht. Gleichviel, ob man dem Ehemann der Klägerin anlastet, er habe der Beklagten bei Beantragung der Gebäudeversicherung den beim Vorversicherer gemeldeten Wasserschaden verschwiegen, oder er vor Ausstellung der Gebäudeversicherungspolice nicht offen gelegt, dass er denselben Schaden der Beklagten zur Regulierung angezeigt habe, handelt es sich um gefahrerhebliche Umstände, die der Regelung der §§ 16 ff. VVG unterfallen.
[18] 2. Für Schadensersatzansprüche der Beklagten aus unerlaubten Handlungen, die andere als die bereits von den §§ 16 ff. VVG geschützten Interessen des Versicherers verletzt haben, hat das Berufungsgericht keine ausreichenden Feststellungen getroffen.
[19] Allein die Feststellung, der vom Vorversicherer regulierte Wasserschaden sei identisch mit dem pflichtwidrig bei der Beklagten angezeigten, reicht für die Begründung eines deliktischen Schadensersatzanspruches in Bezug auf den Abschluss beider Versicherungsverträge nicht aus. Das Berufungsgericht hat insb. nicht festgestellt, die Klägerin oder ihr Ehemann hätten die Beklagte zum Abschluss der Versicherungsverträge bereits in der vorgefassten Absicht veranlasst, die Verträge für betrügerische Schadensmeldungen zu nutzen oder künftig Versicherungsfälle vorsätzlich herbeizuführen (vgl. dazu Senatsurteil vom 8.2.1989a.a.O.). Das lässt sich auch dem Zusammenhang der Urteilsgründe weder für den im Februar 1997 abgeschlossenen Gebäudeversicherungsvertrag, erst recht nicht für den erst im August 1998 abgeschlossenen Hausratversicherungsvertrag mit ausreichender Sicherheit entnehmen.
Fundstellen
Haufe-Index 1716855 |
BGHR 2007, 548 |
EBE/BGH 2007 |
NJW-RR 2007, 826 |
MDR 2007, 886 |
VRS 2007, 455 |
VersR 2007, 630 |
NZBau 2007, 311 |
VK 2007, 109 |
r+s 2007, 233 |
IMR 2007, 169 |