Leitsatz (amtlich)
Eine Grenzanlage liegt vor, wenn sich die Anlage zumindest teilweise über die Grenze zweier Grundstücke erstreckt und funktionell beiden Grundstücken dient. Eine grenzscheidende Wirkung braucht der Anlage nicht zuzukommen.
Normenkette
BGB § 921
Verfahrensgang
Schleswig-Holsteinisches OLG (Urteil vom 21.12.2001) |
LG Lübeck |
Tenor
Die Revision gegen das Urteil des 1. Zivilsenats des Schleswig-Holsteinischen Oberlandesgerichts in Schleswig vom 21. Dezember 2001 wird auf Kosten der Beklagten zurückgewiesen.
Von Rechts wegen
Tatbestand
Die Klägerinnen sind Miteigentümerinnen des Hausgrundstücks R. 10a/10b in B. Sch.. Im hinteren, straßenabgewandten Bereich ihres Grundstücks befinden sich eine Hoffläche und eine Garage. Dort werden zum Taxibetrieb der Klägerin zu 2 gehörende Kraftfahrzeuge abgestellt und repariert. Die Zufahrt erfolgt von der Straße R. aus über einen knapp drei Meter breiten asphaltierten Weg, der unmittelbar am Wohnhaus der Klägerinnen entlangführt. Der Weg wird in seinem vorderen, straßenzugewandten Bereich von der Grenze des im Eigentum der Beklagten stehenden Nachbargrundstücks R. 12 schräg durchschnitten. An der Einmündung zur Straße R. befindet sich der Weg mit einer Breite von knapp 90 cm auf dem Grundstück der Klägerinnen, im übrigen auf dem Grundstück der Beklagten. Erst nach etwa fünfzehn Metern verläuft der Weg in seiner gesamten Breite auf dem Grundstück der Klägerinnen.
Die Asphaltdecke des Weges wurde Anfang der siebziger Jahre vom Rechtsvorgänger der Klägerinnen, der auf dem Grundstück eine Autovermietung betrieben hatte, auf einen bestehenden Schotterweg aufgebracht. Der damalige Eigentümer des Grundstücks der Beklagten nutzte den Weg ebenfalls. Er diente ihm als Zufahrt zu seinem auf dem Grundstück R. 12 betriebenen Bäckereiunternehmen. Mit der Asphaltierung des Wegs hatte er sich in Kenntnis des Umstands einverstanden erklärt, daß der Weg teilweise über sein Grundstück verlief.
Der Bäckereibetrieb auf dem Grundstück R. 12 wurde später eingestellt. Die Beklagte erwarb das Grundstück und errichtete auf ihm eine Eigentumswohnungsanlage. In der Absicht, entlang der Grenze zum Grundstück der Klägerinnen eine Mauer zu errichten, forderte sie die Klägerinnen auf, die Asphaltdecke zu entfernen, soweit sie sich auf dem Grundstück R. 12 befindet. Hierzu sind die Klägerinnen nicht bereit. Mit der Klage verlangen sie, der Beklagten zu verbieten, den bestehenden Weg ohne ihre Zustimmung so zu verändern, daß die Zufahrt zum hinteren Teil ihres Grundstücks beeinträchtigt wird. Das Landgericht hat der Klage stattgegeben. Die Berufung der Beklagten ist ohne Erfolg geblieben. Mit der im Berufungsurteil zugelassenen Revision erstrebt die Beklagte die Abweisung der Klage.
Entscheidungsgründe
I.
Das Berufungsgericht meint, bei dem Weg handele es sich um eine Grenzeinrichtung im Sinne von § 921 BGB, die spätestens aufgrund der zwischen den damaligen Grundstückseigentümern getroffenen Abrede, den bestehenden Weg zu asphaltieren, geschaffen worden sei. Zwar diene der Weg nicht der Trennung und Scheidung der benachbarten Grundstücke. Dies sei für die Annahme einer Grenzeinrichtung auch nicht erforderlich. Hierfür reiche es aus, daß die Einrichtung für die Benutzung der Grundstücke in irgendeiner Weise vorteilhaft sei. Das Bestehen einer Grenzeinrichtung führe zu einer grunddienstbarkeitsähnlichen Belastung, die es der Beklagten nach § 922 Satz 3 BGB verbiete, die Einrichtung ohne Zustimmung der Klägerinnen zu verändern oder zu beseitigen.
Das hält der revisionsrechtlichen Prüfung stand.
II.
1. Ohne Erfolg macht die Revision geltend, bei dem Zufahrtsweg handele es sich nicht um eine Grenzeinrichtung, weil der Weg zur Grenzscheidung weder bestimmt noch geeignet ist.
a) Ob das Vorliegen einer Grenzeinrichtung im Sinne von § 921 BGB eine grenzscheidende Wirkung der Einrichtung voraussetzt, ist umstritten. Das Reichsgericht war der Auffassung, Grenzeinrichtungen seien nur solche mit dem Grund und Boden verbundene, auf der Grenze befindliche Anlagen, die infolge ihrer Gestaltung und Lage aneinander grenzende Grundstücke voneinander scheiden und durch ihre Lage auf der Grenze und ihre die Grundstücke scheidende Wirkung den benachbarten Grundstücken zum Vorteil dienen (RGZ 70, 200, 204 f; ebenso OLG Celle, RdL 1958, 210 m. abl. Anm. Rötelmann). Im Anschluß hieran ist vornehmlich von der älteren Literatur verlangt worden, eine Grenzeinrichtung müsse die Grenzscheidung bezwecken (Palandt/Hoche, BGB, 14. Aufl. 1955, § 921 Anm. 2), oder – unabhängig von ihrer Zweckbestimmung – zumindest tatsächlich geeignet sein, die betroffenen Grundstücke voneinander zu scheiden (Planck/Strecker, BGB, 5. Aufl. 1933, § 921 Anm. 3a; RGRK-BGB/Pritsch, 11. Aufl. 1959, § 921 Anm. 3; RGRK-BGB/Augustin, 12. Aufl. 1979, § 921 Rdn. 7; Harry Westermann, Lehrbuch des Sachenrechts, 2. Aufl. 1953, § 66 IV 1, S. 314; a.M. Rötelmann, RdL 1958, 211). Dagegen besteht in der neueren Rechtsprechung und Literatur weitgehend Einigkeit darüber, daß eine Grenzanlage keine Grenzscheidungsfunktion haben muß, sondern daß es ausreicht, daß die auf der Grenze befindliche Einrichtung in irgendeiner Weise dem Vorteil der benachbarten Grundstücke dient (OLG Düsseldorf, MDR 1968, 322; LG Mannheim, NJW 1964, 408, 409; LG Zweibrücken, MDR 1996, 46; MünchKomm-BGB/Säcker, 3. Aufl., § 921 Rdn. 3; Palandt/Bassenge, BGB, 62. Aufl., § 921 Rdn. 1; Soergel/J.F.Baur, BGB, 13. Aufl., § 921 Rdn. 3; Staudinger/Roth, BGB [2001], § 921 Rdn. 8; Dehner, Nachbarrecht, 7. Aufl., B § 7 I 3, S. 8 f).
b) Der Senat hat zu dieser Frage bislang nicht abschließend Stellung genommen. Im Urteil vom 9. November 1965 (V ZR 84/63, WM 1966, 143, 144 f) hat er einen weniger als einen Meter breiten begehbaren Zwischenraum zwischen zwei Gebäuden als Grenzeinrichtung angesehen. In der Entscheidung vom 23. November 1984 (V ZR 176/83, NJW 1985, 1458, 1459), die einen auf der Grundstücksgrenze errichteten Holz-Spriegelzaun zum Gegen-stand hatte, hat er darauf hingewiesen, daß eine Anlage im Sinne von § 921 BGB auch andere Zwecke als die bloße Grenzscheidung haben könne. Im Urteil vom 22. Juni 1990 (BGHZ 112, 1 ff), das eine das gesamte Grundstück des einen Nachbarn erfassende Durchfahrt betraf, hat er die Frage offen gelassen, weil die Einrichtung nicht zwischen den Grundstücken gelegen war. Im Urteil vom 18. Mai 2001 (V ZR 119/00, WM 2001, 1903, 1904) hat der Senat ausgeführt, eine Grenzeinrichtung sei dadurch gekennzeichnet, daß sie von der Grundstücksgrenze durchschnitten werde und beiden Grundstücken nutze, auf denen sie mit Zustimmung der Nachbarn errichtet sei. Eine Giebelmauer, die allein auf einem Grundstück errichtet sei, werde nicht dadurch zu einer Grenzeinrichtung, daß der Eigentümer des Nachbargrundstücks einen Anbau an die Mauer vornehme.
c) Die Entscheidung des vorliegenden Rechtstreits kann nicht ohne Beantwortung der Frage erfolgen, ob eine Grenzeinrichtung im Sinn von § 921 BGB es erfordert, daß die Einrichtung der Grenzscheidung dient oder hierzu tatsächlich geeignet ist, oder ob es hinreichend ist, daß die Einrichtung dem Vorteil der benachbarten Grundstücke in anderer Weise dient. Der Senat entscheidet diese Frage in letzterem Sinne.
aa) Der Wortlaut von § 921 BGB läßt Raum für beide Auslegungen. Soweit es heißt, daß zwei Grundstücke durch eine Einrichtung „voneinander geschieden” werden, kann hieraus zwar nicht gefolgert werden, daß die Grundstücksnachbarn eine entsprechende Zweckbestimmung getroffen haben müssen. Im Sinne einer tatsächlichen Eignung der Einrichtung zur Grenzscheidung ließe sich der Gesetzeswortlaut aber durchaus verstehen. Unklar bliebe dabei jedoch, warum die Vorschrift ausdrücklich voraussetzt, daß die Einrichtung „zum Vorteil beider Grundstücke dient”, da bereits die grenzscheidende Wirkung als solche für beide Nachbargrundstücke vorteilhaft ist (Staudinger/Seufert, BGB, 11. Aufl., § 921 Rdn. 2; Dehner, aaO., B § 7 I 3, S. 9). Es liegt daher näher, das Gesetz dahin zu verstehen, daß die Einrichtung „zwischen den Grundstücken” gelegen, d. h. von der Grenzlinie durchschnitten sein muß, ohne dabei eines der Nachbargrundstücke insgesamt zu erfassen (vgl. Senat, BGHZ 112, 1, 2 f). Bestätigt wird dies durch die Gesetzgebungsgeschichte. Sowohl in § 854 Abs. 1 des ersten Entwurfs als auch in § 834 des zweiten Entwurfs war von einer „auf der Grenze zweier Grundstücke” befindlichen Einrichtung die Rede. Hieran sollte durch die dem heutigen Gesetzeswortlaut entsprechende Neufassung der Vorschrift in § 905 des dritten Entwurfs in der Sache nichts geändert werden. Es sollte vielmehr lediglich klar gestellt werden, daß die Vermutung eines gemeinschaftlichen Nutzungsrechts nicht vom Nachweis der Grenze abhängt (Planck/Strecker, § 921 Anm. 3b; Staudinger/Seufert, § 921 Rdn. 2; Rötelmann, RdL 1958, 211).
bb) Auch im übrigen findet sich in den Gesetzesmaterialien kein Hinweis darauf, daß eine Grenzeinrichtung nach den Vorstellungen des Gesetzgebers zur Grenzscheidung bestimmt oder geeignet sein müßte. Ausreichend und erforderlich soll vielmehr sein, daß die auf der Grundstücksgrenze gelegene Einrichtung ihrer objektiven Beschaffenheit nach zum Vorteil der beiderseitigen Grundstücke dient. Gerade weil eine Grenzeinrichtung unterschiedlichen Zwecken dienen kann, hat sich der Gesetzgeber zur Verdeutlichung durch Beispiele entschlossen (Motive III, 275). Dies wäre entbehrlich gewesen, wenn Grenzeinrichtungen nur durch ihre grenzscheidende Funktion gekennzeichnet wären. Durch das Beispiel des „Zwischenraums” kommt zum Ausdruck, daß für die Annahme einer Grenzeinrichtung eine zur gemeinsamen Benutzung verwendete und eingerichtete Fläche genügt (Motive III, 275). Hierunter fällt auch ein von den Grundstücksnachbarn gemeinsam benutzter Zufahrtsweg, auch wenn er nicht geeignet ist, den genauen Grenzverlauf zu markieren (so auch OLG Düsseldorf, MDR 1968, 322; LG Mannheim, NJW 1964, 408, 409; LG Zweibrücken, MDR 1996, 46; Staudinger/Roth, § 921 Rdn. 5).
cc) Von wesentlicher Bedeutung ist schließlich, daß die Beschränkung von § 921 BGB auf Einrichtungen, die der Grenzscheidung dienen, dem Zweck der Regelung zuwiderläuft. Die Vorschrift trägt dem Umstand Rechnung, daß der Ursprung von Einrichtungen, die dem gemeinsamen Vorteil benachbarter Grundstücke dienen, oftmals weit zurückreicht und sich nicht mehr aufklären läßt. Deshalb und angesichts der Lage zwischen den Grundstücken mit bisweilen unsicherem Grenzverlauf können die rechtlichen Verhältnisse ebenso leicht streitig werden, wie sie schwierig zu ermitteln sind. Dem will § 921 BGB durch die Vermutung eines Rechts zur gemeinschaftlichen Benutzung der Einrichtung begegnen. Damit soll Streitigkeiten zwischen den Nachbarn vorgebeugt und eine volkswirtschaftlich schädliche Zerstörung von für beide Grundstücke vorteilhaften Anlagen verhindert werden (Senat, BGHZ 143, 1, 3 f; Staudinger/Roth, § 921 Rdn. 1; Staudinger/Seufert, § 921 Rdn. 1, 2; Motive III, 274). Diese Gefahr besteht bei allen zwischen zwei Grundstücken gelegenen, beiderseits nutzbaren Einrichtungen unabhängig davon, ob sie eine Grenzscheidungsfunktion haben oder nicht. Derartige Einrichtungen sind auch dann erhaltenswert, wenn sie funktionell den benachbarten Grundstücken andere Vorteile als die Markierung der Grenzlinie bieten. Auch in diesen Fällen ist es gerechtfertigt, die aus dem Eigentum folgende Befugnis der Grundstücksnachbarn zur Veränderung oder Beseitigung der Einrichtung auf dem jeweiligen Grundstück zu beschränken, weil derartige Maßnahmen den mit der Einrichtung verbundenen Nutzen oftmals vollständig beseitigen würden.
dd) Das bedeutet nicht, daß jede auf der Grenze errichtete Anlage, die für die benachbarten Grundstücke vorteilhaft ist, eine Grenzanlage im Sinne von § 921 BGB bildet. Um eine Grenzanlage im Sinne von § 921 BGB handelt es sich bei einer Anlage nur, wenn sie auf der Grenze errichtet und der Nutzung der aneinander grenzenden Grundstücke untergeordnet ist, d.h. ihre Nutzung nicht kennzeichnet, wie es etwa bei der grenzüberschreitenden Errichtung eines selbständig nutzbaren Gebäudes durch die Eigentümer der Nachbargrundstücke der Fall ist (vgl. Staudinger/Roth, § 921 Rdn. 8). Eine Grenzanlage im Sinne von § 921 BGB liegt auch nicht vor, wenn die Anlage die Nutzung eines der beiden Grundstücke im wesentlichen ausschöpft oder der Vorteil für die beiden Grundstücke sich in der Vereinbarung ihrer gemeinschaftlichen Nutzung erschöpft.
2. Setzt § 921 BGB danach eine grenzscheidende Wirkung der in Rede stehenden Anlage nicht voraus, dann handelt es sich, wie das Berufungsgericht zu Recht angenommen hat, bei dem teils auf dem Grundstück der Klägerinnen, teils auf dem Grundstück der Beklagten gelegenen und bereits von den vormaligen Eigentümern einverständlich genutzten Zufahrtsweg um eine Grenzeinrichtung, zu deren zweckentsprechender Nutzung die Klägerinnen berechtigt sind (§§ 921, 922 Satz 1 BGB) und deren einseitige Beseitigung oder Veränderung der Beklagten verboten ist (§ 922 Satz 3 BGB). Die Einstellung der Mitbenutzung des Weges durch die Beklagte könnte hieran nichts ändern.
Zur Sicherung ihres grunddienstbarkeitsähnlichen (Motive III, 276) Nutzungsrechts, das eine Erweiterung ihrer Befugnisse aus dem Eigentum bewirkt (Staudinger/Roth, § 922 Rdn. 2), steht den Klägerinnen ein vorbeugender Unterlassungsanspruch gemäß § 1004 Abs. 1 BGB zu (Erman/Hagen/Lorenz, BGB, 10. Aufl., § 922 Rdn. 1; MünchKomm-BGB/Säcker, § 922 Rdn. 7; Soergel/J.F. Baur, § 922 Rdn. 10; vgl. Staudinger/Roth, § 922 Rdn. 5), weil die Beklagte den einseitigen Rückbau des Zufahrtsweges angekündigt hat.
Unterschriften
Tropf, Krüger, Klein, Gaier, Schmidt-Räntsch
Fundstellen
BGHZ 2004, 139 |
BGHZ |
NJW 2003, 1731 |
BGHR 2003, 650 |
BGHR |
DNotI-Report 2003, 93 |
EWiR 2003, 517 |
NZM 2003, 455 |
Nachschlagewerk BGH |
WM 2003, 1905 |
ZfIR 2003, 420 |
JuS 2003, 1129 |
MDR 2003, 681 |
RdW 2003, 542 |
IWR 2003, 69 |