Leitsatz (amtlich)
1. Erfüllt der Schuldner die von einer Bürgschaft gesicherte Hauptschuld und wird der Bürge dadurch von seiner Bürgschaftsverpflichtung frei, ist diese Befreiung von der Bürgschaftsverbindlichkeit gegenüber dem Bürgen grundsätzlich nicht anfechtbar.
2. Für den Anscheinsbeweis, dass in dem eröffneten Verfahren die Insolvenzmasse nicht ausreicht, um alle Gläubigeransprüche zu befriedigen, sind auch die Forderungen einzubeziehen, deren Anmeldung zur Tabelle zurückgenommen worden ist, solange nicht festgestellt ist, dass der anmeldende Gläubiger endgültig auf eine Teilnahme am Insolvenzverfahren verzichtet hat oder die Forderung erlassen oder sonst nicht durchsetzbar ist.
Normenkette
InsO § 129 Abs. 1, § 133 Abs. 1, § 143 Abs. 1 S. 1, § 174; BGB § 767 Abs. 1 S. 1
Verfahrensgang
OLG Bamberg (Entscheidung vom 18.01.2022; Aktenzeichen 5 U 398/19) |
LG Bamberg (Entscheidung vom 22.10.2019; Aktenzeichen 10 O 433/17) |
Tenor
Auf die Rechtsmittel des Beklagten werden das Urteil des 5. Zivilsenats des Oberlandesgerichts Bamberg vom 18. Januar 2022 aufgehoben und das Urteil der 10. Zivilkammer des Landgerichts Bamberg vom 22. Oktober 2019 insoweit geändert als die Klage auch wegen eines Betrags von 96.523,13 € nebst Zinsen abgewiesen wird.
Im Übrigen wird die Sache zur neuen Verhandlung und Entscheidung, auch über die Kosten des Revisionsverfahrens, an das Berufungsgericht zurückverwiesen.
Von Rechts wegen
Tatbestand
Rz. 1
Der Kläger ist Verwalter in dem am 25. August 2014 auf Eigenantrag vom 4. Juni 2014 eröffneten Insolvenzverfahren über das Vermögen der h. GmbH & Co. KG (im Folgenden: Schuldnerin). Die Ehefrau des Beklagten ist Kommanditistin der Schuldnerin mit einer Hafteinlage von 200.000 € sowie Gesellschafterin der Komplementärin der Schuldnerin. Gegenstand des Unternehmens war die Herstellung und der Vertrieb von sogenannten Trockensubstanzanalysatoren ("Q-Dry").
Rz. 2
Der Beklagte war als Gesellschafter einer GbR Ideengeber für das Produkt. Die Schuldnerin hatte aufgrund einer Lizenzvereinbarung für jeden fertiggestellten Analysator eine Gebühr an die GbR zu entrichten. Zahlungen auf diese Verpflichtung erfolgten nicht. Die Ehefrau des Beklagten erwarb die für die Herstellung der Analysatoren erforderlichen Werkzeuge und Vorrichtungen, die sie ihrerseits an die Schuldnerin verpachtete. Dazu schlossen die Ehefrau des Beklagten und die Schuldnerin einen Vertrag mit Laufzeit vom 1. Januar 2010 bis 31. Dezember 2013, wonach die Pachtzinsen kreditiert wurden. Eine Zahlung darauf erfolgte ebenfalls nicht. Die Jahresabschlüsse 2011 und 2012 der Schuldnerin wiesen Fehlbeträge von 86.262 € und 252.094,58 € aus, die Umsätze gingen zugleich von 243.500,19 € auf 81.570,12 € zurück.
Rz. 3
Die Schuldnerin unterhielt ein Konto bei der R. eG (fortan: Bank); die Bank räumte ihr einen Kontokorrentkredit in Höhe von 100.000 € ein. Der Beklagte übernahm für diesen Kredit eine selbstschuldnerische Bürgschaft bis zu einem Höchstbetrag von 100.000 €. Zudem gewährte der Beklagte der Schuldnerin seinerseits ein Darlehen.
Rz. 4
Ende 2013 forderte der Geschäftsführer der Komplementärin der Schuldnerin die Ehefrau des Beklagten auf, 200.000 € auf ihre erweiterte Hafteinlage zu zahlen. Die Ehefrau des Beklagten überwies daraufhin am 14. Februar 2014 diesen Betrag von einem gemeinsamen Konto mit dem Beklagten an die Schuldnerin.
Rz. 5
Am 18. Februar 2014 überwies die Schuldnerin auf ihr bei der Bank geführtes Konto einen Betrag von 98.000 €. Zu diesem Zeitpunkt befand sich das Konto in Höhe von 96.523,13 € im Soll. Am 21. Februar 2014 zahlte die Schuldnerin auf das Darlehen des Beklagten 40.000 €.
Rz. 6
Zur Insolvenztabelle wurden zunächst Forderungen in Höhe von 1.849.648,11 € angemeldet. In den folgenden Jahren wurden diese Anmeldungen zum größten Teil zurückgenommen. Zuletzt war noch eine Forderung in Höhe von 20 € zur Tabelle angemeldet. Angemeldet und später vollständig zurückgenommen wurden unter anderem eine Forderung der GbR wegen Lizenzgebühren in Höhe von 47.153,75 €, die Forderung eines Steuerberaters über 4.611,25 € sowie - bis auf den Betrag von 20 € - eine Forderung der Ehefrau des Beklagten über 320.597,39 €. Das Massekonto weist einen Habensaldo von 389,47 € auf.
Rz. 7
Der Kläger verlangt von dem Beklagten im Wege der Anfechtung Erstattung der beiden Zahlungen der Schuldnerin in Höhe von insgesamt 138.000 €. Das Landgericht hat der Klage in Höhe von 136.523,13 € stattgegeben und die weitergehende Klage abgewiesen. Die Berufung des Beklagten hat keinen Erfolg gehabt. Mit seiner vom Senat zugelassenen Revision erstrebt der Beklagte weiterhin eine vollständige Klagabweisung.
Entscheidungsgründe
Rz. 8
Die Revision hat Erfolg und führt zur Aufhebung des angefochtenen Urteils. Wegen der Zahlung der Schuldnerin auf den von dem Beklagten mit seiner Bürgschaft gegenüber der Bank gesicherten Kontokorrentkredit ist dessen Berufung gegen das Urteil des Landgerichts begründet. Die Klage ist insoweit durch den Senat abzuweisen. Im Übrigen ist die Sache zur neuen Verhandlung und Entscheidung an das Berufungsgericht zurückzuverweisen.
A.
Rz. 9
Das Berufungsgericht hat ausgeführt: Die Voraussetzungen einer Vorsatzanfechtung gegen den Beklagten lägen im Hinblick auf beide Zahlungen der Schuldnerin in Höhe von 96.523,13 € und 40.000 € vor. Hinsichtlich der erstgenannten Zahlung sei maßgeblich, dass die Schuldnerin insoweit auch die von dem Beklagten erhaltene Sicherung in Form einer selbstschuldnerischen Bürgschaft verloren habe. Einer Gläubigerbenachteiligung durch die beiden Zahlungen stehe zudem nicht der Gesichtspunkt einer zur Befriedigung aller Gläubiger genügenden Masse entgegen. Zum Zeitpunkt der Rechtshandlungen hätten Forderungen gegen die Schuldnerin in Höhe von insgesamt mehr als 1,8 Millionen € bestanden. Selbst wenn man die im weiteren Verlauf erledigten Verbindlichkeiten abzöge, verblieben noch offene Forderungen gegen die Schuldnerin in Höhe von mehr als 370.000 €. Die Rücknahme von Anmeldungen zur Tabelle sei unerheblich. Die Schuldnerin habe mit den beiden Zahlungen ihre Gläubiger auch vorsätzlich benachteiligt. Das folge aus einer dauernden Unterdeckung ihres Geschäftskontos, den Fehlbeträgen in den Jahresabschlüssen und den seit 2010 aufgelaufenen offenen Pachtzahlungen für die Überlassung von Maschinen gegenüber der Ehefrau des Beklagten. Hinzukomme, dass die beiden streitgegenständlichen Zahlungen der Schuldnerin nur aufgrund der vorherigen Einzahlung des Betrags von 200.000 € durch die Ehefrau hätten geleistet werden können. Der Beklagte habe den Gläubigerbenachteiligungsvorsatz der Schuldnerin auch gekannt. Er habe als Ehemann der Gesellschafterin der Schuldnerin Einblick in geschäftliche Vorgänge bei der Schuldnerin gehabt. Er sei in erheblichem Umfang für die Schuldnerin auch nach außen tätig gewesen und habe an Besprechungen mit dem Steuerberater teilgenommen. Die Entwicklung des Trockensubstanzanalysators sei zudem seine Idee, dessen Vermarktung der Geschäftszweck der Schuldnerin gewesen. Die Übernahme der Bürgschaft belege sein Interesse an den wirtschaftlichen Belangen der Schuldnerin. Schließlich sei wesentlich, dass die Zahlung des Betrags von 200.000 € an die Schuldnerin gerade von dem gemeinsamen Konto der Eheleute erfolgt sei.
B.
Rz. 10
Das hält rechtlicher Prüfung in wesentlichen Punkten nicht stand.
I.
Rz. 11
Hinsichtlich der Anfechtungsansprüche im Zusammenhang mit der Befreiung des Beklagten von seiner Bürgschaftsverpflichtung führt die Revision zur Klageabweisung.
Rz. 12
1. Soweit das Berufungsgericht dem Kläger wegen der Zahlung der Schuldnerin auf den Kontokorrentkredit bei der Bank in Höhe von 98.000 € Wertersatz aufgrund eines Insolvenzanfechtungsanspruchs nach § 143 Abs. 1 Satz 1 und 2 InsO, § 819 Abs. 1, § 818 Abs. 4, § 292 Abs. 1, § 989 BGB in Höhe von 96.532,13 € wegen des Erlöschens der Verpflichtung des Beklagten aus der Bürgschaft (§ 767 Abs. 1 Satz 1 BGB) zugesprochen hat, ist der Beklagte schon nicht Empfänger einer anfechtbaren und zurückzugewährenden Leistung. Der Gesichtspunkt der Doppelwirkung einer Rechtshandlung rechtfertigt keine abweichende Betrachtung. Die Grundsätze zur Anfechtbarkeit von mittelbaren Zuwendungen im Mehrpersonenverhältnis sind ebenfalls nicht einschlägig.
Rz. 13
a) Zur Rückgewähr des weggegebenen Vermögensgegenstands verpflichtet ist nach § 143 Abs. 1 Satz 1 InsO derjenige, der als Empfänger die anfechtbare Leistung des Schuldners erlangt hat, bei dem also die durch die insolvenzrechtliche Anfechtung zu beseitigenden Rechtswirkungen eingetreten sind (BGH, Urteil vom 24. Oktober 1973 - VIII ZR 82/72, WM 1973, 1354; vom 12. Februar 2004 - IX ZR 70/03, NJW 2004, 2163; vom 19. Oktober 2017 - IX ZR 289/14, BGHZ 216, 260 Rn. 14; vom 12. September 2019 - IX ZR 264/18, WM 2019, 1849 Rn. 5). Der anfechtungsrechtliche Rückgewähranspruch bezweckt, dass ein Gegenstand, der ohne die anfechtbare Rechtshandlung zur Masse gehören würde, ihr zum Zwecke der Verwertung wieder zugeführt wird (BGH, Urteil vom 29. November 2007 - IX ZR 121/06, BGHZ 174, 314 Rn. 14; vom 19. Oktober 2017, aaO Rn. 15). Jede erfolgreiche Anfechtung setzt voraus, dass ihr Gegenstand ohne die Rechtshandlung gerade zum haftenden Vermögen des Insolvenzschuldners gehört, also dem Zugriff der Insolvenzgläubiger offen gestanden hätte. Rechtshandlungen, die ausschließlich schuldnerfremdes Vermögen betreffen, wirken sich nicht auf die Insolvenzmasse und damit auf die Befriedigungsmöglichkeit der Insolvenzgläubiger nachteilig aus (BGH, Urteil vom 17. Juni 2004 - IX ZR 124/03, NZI 2004, 492, 493; vom 17. Dezember 2020 - IX ZR 205/19, WM 2021, 125 Rn. 22). Die Person des zur Rückgewähr verpflichteten Anfechtungsgegners bestimmt sich maßgeblich danach, wessen Vermögen einen Vorteil erlangt hat, welcher der eingetretenen Vermögensminderung beim Insolvenzschuldner entspricht (BGH, Urteil vom 19. Oktober 2017, aaO; vom 12. September 2019, aaO).
Rz. 14
Nach der Rechtsprechung des Bundesgerichtshofs kommt in Betracht, die Voraussetzungen einer Insolvenzanfechtung aufgrund eines Sachverhalts auch gegenüber mehr als einer Person zu bejahen. Bei der Doppelwirkung einer Leistung hat der Insolvenzverwalter die Wahl, welchen Leistungsempfänger er in Anspruch nimmt, sofern die übrigen Anfechtungsvoraussetzungen jeweils vorliegen (vgl. BGH, Urteil vom 19. Januar 2012 - IX ZR 2/11, BGHZ 192, 221 Rn. 33; vom 20. Dezember 2012 - IX ZR 21/12, NZI 2013, 258 Rn. 18; vom 17. Dezember 2020 - IX ZR 205/19, WM 2021, 125 Rn. 10).
Rz. 15
b) Nach diesen Maßstäben ist der Beklagte aufgrund der Zahlung an die Bank kein Empfänger einer anfechtbaren Leistung der Schuldnerin. Insbesondere ergibt sich eine Doppelwirkung nicht daraus, dass der Bürge infolge der Zahlung des Schuldners an den Gläubiger von seiner Verpflichtung aus der Bürgschaft frei wird.
Rz. 16
aa) Die bisherigen Entscheidungen des Bundesgerichtshofs zur Doppelwirkung im Anfechtungsrecht betrafen überwiegend Sachverhalte, in denen die einem Leistungsempfänger erbrachte Leistung zugleich dazu führte, dass die einem Dritten bestellte Sicherheit werthaltig wurde oder diese Sicherheit in ihrem Wert erhöht wurde (vgl. BGH, Urteil vom 29. November 2007 - IX ZR 165/05, ZIP 2008, 372 Rn. 14 ff; vom 26. Juni 2008 - IX ZR 47/05, ZIP 2008, 1437 Rn. 23; vom 26. Juni 2008 - IX ZR 144/05, ZInsO 2008, 801 Rn. 33; vom 17. Dezember 2020 - IX ZR 205/19, WM 2021, 125 Rn. 10; vom 20. Dezember 2012 - IX ZR 21/12, NZI 2013, 258 Rn. 18 f). Ein solcher Fall liegt hier nicht vor.
Rz. 17
bb) Darüber hinaus hat der Senat eine Doppelwirkung im Fall der Rückführung eines Kontokorrentkredits mit Blick auf die Befriedigung des Freistellungsanspruchs eines neben dem zahlenden Schuldner haftenden Gesamtschuldners gemäß § 426 BGB bejaht (vgl. BGH, Urteil vom 20. Juli 2006 - IX ZR 44/05, NZI 2006, 581 Rn. 10 f) sowie im Fall einer Steuerzahlung der Organgesellschaft an das Finanzamt bei einer umsatzsteuerlichen Organschaft und der damit einhergehenden Erfüllung des Freistellungsanspruchs des Organträgers entsprechend § 426 BGB (vgl. BGH, Urteil vom 22. Oktober 1992 - IX ZR 244/91, BGHZ 120, 50, 54 ff) gegen die Organgesellschaft wegen der auf sie im Innenverhältnis entfallenden Steuern (BGH, Urteil vom 19. Januar 2012 - IX ZR 2/11, BGHZ 192, 221 Rn. 29). Auch diese Fallgruppe ist hier nicht einschlägig, weil der - auch selbstschuldnerische - Bürge und der Schuldner gerade keine Gesamtschuldner des Gläubigers sind (BGH, Urteil vom 25. März 1968 - III ZR 123/65, WM 1968, 916, 918).
Rz. 18
cc) Die Leistung des Hauptschuldners an den Gläubiger kann schließlich nicht deshalb gegenüber dem Bürgen angefochten werden, weil darin zugleich eine Erfüllung des dem Bürgen gemäß § 775 BGB unter bestimmten Voraussetzungen zustehenden Freistellungsanspruch gegen den Hauptschuldner liegen könnte. Dass der Bürge durch die Befriedigung des Hauptschuldners gemäß § 767 Abs. 1 Satz 1 BGB von seiner Bürgschaftspflicht frei wird, begründet keine Doppelwirkung im Sinne der vorgenannten Rechtsprechung.
Rz. 19
(1) Der Bundesgerichtshof hat bereits in einer Entscheidung zu § 31 Nr. 1 KO die Anfechtung gegenüber dem infolge der Zahlung des Schuldners an den Gläubiger freigewordenen Bürgen nicht durchgreifen lassen, weil der von diesem so erlangte wirtschaftliche Vorteil nicht aus der Masse stamme (vgl. BGH, Urteil vom 24. Oktober 1973 - VIII ZR 82/72, WM 1973, 1354). An dieser Rechtsprechung ist festzuhalten (ebenso MünchKomm-InsO/Kirchhof/Piekenbrock, 4. Aufl., § 143 Rn. 8; Brinkmann in Kübler/Prütting/Bork/Jacoby, InsO, 2022, Anhang zu § 145 Rn. 111; aA für den Bürgen als Leistungsmittler Uhlenbruck/Borries/Hirte, InsO, 15. Aufl., § 129 Rn. 303).
Rz. 20
(2) Die Verpflichtung des Bürgen gegenüber dem Gläubiger eines Dritten, für die Erfüllung der Verbindlichkeit des Dritten einzustehen (§ 765 Abs. 1 BGB), ist nicht Bestandteil des Schuldnervermögens. Die Insolvenzgläubiger hätten auf sie keinen Zugriff gehabt. Die Sicherung steht nicht auch dem Schuldner, sondern ausschließlich dem Sicherungsnehmer zu. Das Freiwerden des Bürgen von seiner Verpflichtung gegenüber dem Sicherungsnehmer infolge der Zahlung des Schuldners ist gesetzliche Folge der Akzessorietät der Bürgschaft gemäß § 767 Abs. 1 Satz 1 BGB. Soweit demgegenüber das Reichsgericht für den Fall des ebenfalls akzessorischen Pfandrechts eine andere Auffassung vertreten und eine Anfechtbarkeit (auch) gegenüber dem freiwerdenden Pfandeigentümer bejaht hat (RG, LZ 1911, 944, 945), folgt der Senat dem nicht.
Rz. 21
(3) Der Anspruch des Bürgen auf Befreiung von der Bürgschaftsverpflichtung und der Anspruch des Gläubigers auf Erfüllung der Hauptschuld richten sich beide gegen den Schuldner. Beide Forderungen bestehen nebeneinander. Ihr Verhältnis ist nicht mit einer gesamtschuldnerischen Verpflichtung vergleichbar. Soweit die Erfüllung der Hauptforderung zugleich zur Befreiung des Bürgen von seiner Bürgschaftsverpflichtung führt, handelt es sich um eine gesetzlich angeordnete Folge (§ 767 Abs. 1 BGB).
Rz. 22
Ein etwaiger Freistellungsanspruch des Bürgen gemäß § 775 BGB steht einem Zahlungsanspruch des Bürgen gegen den Schuldner nicht gleich. Die Vollstreckung des Freistellungsanspruchs durch den Bürgen gegen den Haupt-schuldner erfolgt nach § 887 ZPO, mithin als vertretbare Handlung des Schuldners (vgl. BGH, Urteil vom 19. Juni 1957 - IV ZR 214/56, BGHZ 25, 1, 7). Selbst wenn der Hauptschuldner mit seiner Zahlung an den Gläubiger (auch) einem eventuellen Befreiungsanspruch des Bürgen nachkommen will, tritt die Befreiung des Bürgen als Folge der Erfüllung der Hauptforderung allein aufgrund der Akzessorietät der Bürgschaft ein. Auch in Mehrpersonenverhältnissen bestimmt sich die Person des Anfechtungsgegners maßgeblich danach, wessen Vermögen einen Vorteil erlangt hat, welcher der eingetretenen Vermögensminderung beim Insolvenzschuldner entspricht (BGH, Urteil vom 19. Oktober 2017 - IX ZR 289/14, BGHZ 216, 260 Rn. 15; vom 12. September 2019 - IX ZR 264/18, WM 2019, 1849 Rn. 5). Die Leistung des Schuldners an den Gläubiger zur Erfüllung der gesicherten Hauptschuld führt jedoch nicht dazu, dass das Vermögen des Bürgen einen dieser eingetretenen Vermögensminderung entsprechenden Vorteil erlangt. Die Befreiung des Bürgen entspricht nicht der durch die Befriedigung der Hauptschuld eingetretenen Vermögensminderung beim Schuldner.
Rz. 23
(4) Die Richtigkeit dieses Ergebnisses belegt der Blick auf die Rechtsfolgen. Ist der Bürge aufgrund der Befriedigung des Gläubigers gemäß § 767 Abs. 1 BGB von seiner Bürgschaftsverpflichtung freigeworden, führte eine auf die Erfüllung der Hauptforderung gestützte Anfechtung gegenüber dem freigewordenen Bürgen gemäß § 143 Abs. 1 InsO grundsätzlich zum Wiederaufleben der Bürgschaft. Ein solches Wiederaufleben wäre jedoch infolge der Akzessorietät der Bürgschaft nur möglich, wenn die Befriedigung des Gläubigers erfolgreich angefochten und somit die Hauptforderung gegen den Schuldner neu begründet wird (§ 144 Abs. 1 InsO, vgl. zum damit verbundenen Wiederaufleben der Bürgschaft BGH, Urteil vom 24. Oktober 1973 - VIII ZR 82/72, WM 1973, 1354; vom 14. Juni 2016 - XI ZR 242/15, BGHZ 210, 348 Rn. 25; vom 12. Januar 2017 - IX ZR 95/16, WM 2017, 326 Rn. 11 mwN).
Rz. 24
Zu Unrecht meint das Berufungsgericht, ein Wertersatzanspruch gegen den freigewordenen Bürgen gemäß § 143 Abs. 1 Satz 2 InsO, § 819 Abs. 1, § 818 Abs. 4, § 292 Abs. 1, § 989 BGB folge daraus, dass angesichts des Erlöschens der Hauptschuld das Wiederaufleben der Bürgschaft unmöglich sei. Dies kommt im Ergebnis einer Leistungsverpflichtung des Bürgen an die Insolvenzmasse gleich. Eine solche Rechtsfolge eines Anfechtungsanspruchs sieht das Gesetz jedoch nur in § 143 Abs. 3 InsO für den Anfechtungstatbestand des § 135 Abs. 2 InsO vor. Der Bürge müsste dann für eine bereits erfüllte Hauptforderung - ohne Anfechtung der Erfüllung - einstehen; dies liefe auf die Begründung einer neuen, nicht akzessorischen Forderung allein gegenüber dem Bürgen hinaus. Das widerspräche Sinn und Zweck der Bürgschaft und § 765 Abs. 1, § 767 Abs. 1 Satz 1 BGB (vgl. BGH, Urteil vom 14. Juni 2016 - XI ZR 242/15, BGHZ 210, 348 Rn. 24). Die Insolvenzanfechtung hat nicht die Funktion, den Insolvenzgläubigern Vorteile in Form einer zusätzlichen Haftungsmasse zu verschaffen, die ihnen ohne die angefochtene Rechtshandlung nicht zur Verfügung gestanden hätte (vgl. BGH, Urteil vom 11. Juni 1980 - VIII ZR 62/79, BGHZ 77, 250, 255).
Rz. 25
c) Ebenso wenig liegen die Voraussetzungen einer mittelbaren Zuwendung vor. Bei Anfechtungen im Mehrpersonenverhältnis werden mittelbare Zuwendungen, die über einen unmittelbaren Leistungsempfänger an einen Gläubiger weitergeleitet werden, so behandelt, als habe der befriedigte Gläubiger unmittelbar vom Schuldner erworben (vgl. BGH, Urteil vom 19. März 1998 - IX ZR 22/97, WM 1998, 968, 975, insoweit nicht abgedruckt in BGHZ 138, 291; vom 19. Oktober 2017 - IX ZR 289/14, BGHZ 216, 260 Rn. 16). Dabei kommt den Zuordnungskriterien des bereicherungsrechtlichen Leistungsbegriffs für die Insolvenzanfechtung in Mehrpersonenverhältnissen eine Leitbildfunktion zu (BGH, Urteil vom 3. April 2014 - IX ZR 201/13, NJW 2014, 1963 Rn. 24 mwN; vom 19. Oktober 2017, aaO Rn. 15).
Rz. 26
Die Zahlung auf die Hauptschuld stellt keine mittelbare Zuwendung an den Bürgen dar. Der Bürge wird zum einen erst nach einer eventuellen Inanspruchnahme durch den Sicherungsnehmer aus der Bürgschaft und Erfüllung der übernommenen Verpflichtung infolge des gesetzlichen Forderungsübergangs (§ 774 Abs. 1 Satz 1 BGB) zum Gläubiger eines eigenen Zahlungsanspruchs gegen den Schuldner. Zum anderen leitet der Gläubiger und Sicherungsnehmer nach der Begleichung seiner Forderung durch den Schuldner keine Zuwendung an den Bürgen weiter. Der Gegenwert des aus dem Vermögen des Schuldners an den Sicherungsnehmer abgeflossenen Betrags ist vielmehr endgültig bei diesem verblieben (vgl. bereits BGH, Urteil vom 24. Oktober 1973 - VIII ZR 82/72, WM 1973, 1354).
Rz. 27
2. Die Entscheidung stellt sich hinsichtlich der Rückführung des der Schuldnerin gewährten Kontokorrentkredits nicht aus anderen Gründen als richtig dar (§ 561 ZPO). Die Voraussetzungen einer Anfechtung nach § 135 Abs. 2 InsO liegen ebenfalls nicht vor.
Rz. 28
a) Der Beklagte war weder Gesellschafter noch stand er einem solchen im Sinne von § 39 Abs. 1 Satz 1 Nr. 5, § 135 Abs. 2 InsO gleich. Es ist nichts dafür ersichtlich, dass sich die Tätigkeit der Schuldnerin für den Beklagten als eine eigene unternehmerische Betätigung darstellte. Der Beklagte verfügte weder über einen hinreichenden rechtlichen Einfluss auf die Entscheidungen der Schuldnerin noch nahm er in einer hinreichenden Weise am wirtschaftlichen Erfolg der Schuldnerin teil (vgl. hierzu BGH, Urteil vom 25. Juni 2020 - IX ZR 243/18, BGHZ 226, 125 Rn. 30 ff). Eine bloß faktische Möglichkeit, Einfluss auf die Entscheidungen der Schuldnerin zu nehmen, genügt für eine Gleichstellung mit einem Gesellschafter nicht. Gleiches gilt für eine nur wirtschaftliche Machtposition (BGH, Urteil vom 25. Juni 2020, aaO Rn. 56). Ob dies anders zu beurteilen wäre, wenn der Darlehensgeber faktischer Geschäftsführer der Schuldnerin ist, kann dahinstehen. Die Revisionserwiderung zeigt keinen Sachvortrag des Klägers auf, aufgrund dessen der Beklagte faktischer Geschäftsführer der Schuldnerin gewesen sein könnte.
Rz. 29
b) Auch der Umstand, dass der Beklagte als Ehemann der Gesellschafterin der Komplementärin und Kommanditistin der Schuldnerin eine nahestehende Person gemäß § 138 Abs. 2 Nr. 3, Abs. 1 Nr. 1 InsO ist, führt nicht dazu, ihn einem Gesellschafter gleichzustellen (vgl. BGH, Urteil vom 17. Februar 2011 - IX ZR 131/10, BGHZ 188, 363 Rn. 12 ff).
Rz. 30
3. Das angefochtene Urteil ist danach im Hinblick auf die Insolvenzanfechtung wegen des Freiwerdens des Beklagten von seiner Bürgschaftsverpflichtung durch die Rückführung des Kontokorrentkredits der Bank aufzuheben (§ 562 Abs. 1 ZPO). Weil die Aufhebung des Urteils insoweit nur wegen einer Rechtsverletzung bei Anwendung des Gesetzes auf das festgestellte Sachverhältnis erfolgt und nach letzterem die Sache zur Endentscheidung reif ist, hat der Senat insoweit in der Sache selbst zu entscheiden (§ 563 Abs. 3 ZPO). Die Klage ist diesbezüglich abzuweisen.
II.
Rz. 31
Wegen der Anfechtung der weiteren Zahlung der Schuldnerin in Höhe von 40.000 € auf das von dem Beklagten gewährte Darlehen führt die Revision zur Aufhebung des angefochtenen Urteils und zur Zurückverweisung der Sache an das Berufungsgericht. Mit der Begründung des Berufungsgerichts können die Voraussetzungen einer Vorsatzanfechtung gemäß § 133 InsO in der bis zum 4. April 2017 geltenden Fassung (Art. 103j Abs. 1 EGInsO) nicht angenommen werden.
Rz. 32
1. Allerdings nimmt das Berufungsgericht rechtsfehlerfrei an, dass die Zahlung des Betrags von 40.000 € an den Beklagten die Gläubiger benachteiligte.
Rz. 33
a) Die von allen Anfechtungstatbeständen der Insolvenzordnung vorausgesetzte Gläubigerbenachteiligung gemäß § 129 Abs. 1 InsO liegt dann vor, wenn entweder die Schuldenmasse vermehrt oder die Aktivmasse verkürzt und dadurch der Gläubigerzugriff auf das Schuldnervermögen vereitelt, erschwert, gefährdet oder verzögert wird (BGH, Urteil vom 22. Dezember 2005 - IX ZR 190/02, BGHZ 165, 343, 350; vom 29. November 2007 - IX ZR 121/06, BGHZ 174, 314 Rn. 27; vom 12. Oktober 2017 - IX ZR 288/14, BGHZ 216, 136 Rn. 22). Erforderlich ist mithin, dass die Befriedigungsmöglichkeiten der Insolvenzgläubiger ohne die angefochtene Rechtshandlung bei wirtschaftlicher Betrachtungsweise günstiger gewesen wären (BGH, Urteil vom 28. Januar 2016 - IX ZR 185/13, WM 2016, 427 Rn. 24 mwN; vom 12. Oktober 2017, aaO). Das ist nicht der Fall, wenn die Insolvenzmasse ohne die Anfechtung ausreicht, um alle Ansprüche der Insolvenzgläubiger zu erfüllen (BGH, Urteil vom 19. September 1988 - II ZR 255/87, BGHZ 105, 168, 187 f; vom 20. Februar 2014 - IX ZR 164/13, BGHZ 200, 210 Rn. 20).
Rz. 34
aa) Im Ausgangspunkt ist die Gläubigerbenachteiligung von dem Insolvenzverwalter zu beweisen (vgl. BGH, Urteil vom 2. Juni 2005 - IX ZR 181/03, NZI 2005, 622). Grundsätzlich spricht nach der Lebenserfahrung ein Anscheinsbeweis dafür, dass in dem eröffneten Verfahren die Masse nicht ausreicht, um alle Gläubigeransprüche zu befriedigen (BGH, Urteil vom 13. März 1997 - IX ZR 93/96, ZIP 1997, 853, 854; vom 22. März 2001 - IX ZR 407/98, WM 2001, 1038, 1041; vom 7. Februar 2002 - IX ZR 115/99, WM 2002, 561, 563; vom 20. Februar 2014 - IX ZR 164/13, BGHZ 200, 210 Rn. 20; Beschluss vom 6. Februar 2020 - IX ZR 5/19, ZIP 2020, 563 Rn. 4). Sind die Voraussetzungen eines Anscheinsbeweises für eine weiterhin bestehende Gläubigerbenachteiligung erfüllt, kann der Anfechtungsgegner diesen - neben der Möglichkeit ihn zu erschüttern (BGH, Beschluss vom 6. Februar 2020, aaO Rn. 6 f) - nach allgemeinen Beweisgrundsätzen entkräften. Hierzu muss der Anfechtungsgegner aufzeigen, dass das Vermögen des Schuldners heute noch ausreicht, um alle zu berücksichtigenden Gläubigerforderungen zu tilgen (BGH, Urteil vom 20. Februar 2014, aaO). Einzubeziehen sind auch alle Forderungen, denen der Insolvenzverwalter widersprochen hat, weil nach der Lebenserfahrung die Möglichkeit besteht, dass ein Widerspruch durch eine Feststellungsklage (§ 179 InsO) beseitigt werden kann (vgl. BGH, Urteil vom 20. Februar 2014, aaO mwN). Liegt der Fall so, muss der Anfechtungsgegner nachweisen, dass die angemeldeten Forderungen nicht bestehen oder nicht durchsetzbar sind und eine Feststellung zur Tabelle unter jedem Gesichtspunkt ausscheidet. Dabei muss der Tatrichter angesichts der fehlenden Bindungswirkung in seine Würdigung einbeziehen, dass die Frage in einem Feststellungsprozess möglicherweise abweichend entschieden werden wird (BGH, Beschluss vom 6. Februar 2020, aaO Rn. 5).
Rz. 35
bb) Dass eine Feststellung zur Tabelle unter jedem Gesichtspunkt ausscheidet, folgt nicht allein aus der Rücknahme der Forderungsanmeldung. Dem steht entgegen, dass ein Insolvenzgläubiger grundsätzlich berechtigt ist, seine Forderung erneut anzumelden (Pape/Schaltke in Kübler/Prütting/Bork/Jacoby, InsO, 2014, § 174 Rn. 71; Schmidt/Jungmann, InsO, 20. Aufl., § 174 Rn. 75; HmbKomm-InsO/Preß/Henningsmeier, 9. Aufl., § 174 Rn. 26; Uhlenbruck/Sinz, InsO, 15. Aufl., § 174 Rn. 49). Damit ist eine Rücknahme der Forderungsanmeldung nur dann erheblich, wenn der Gläubiger damit entweder endgültig auf die Teilnahme am Insolvenzverfahren verzichtet oder aufgrund der Rücknahme ein Erlass der Forderung (§ 397 BGB) erfolgt. Ob dies der Fall ist, hat der Tatrichter durch Auslegung der Erklärung gemäß §§ 133, 157 BGB zu ermitteln.
Rz. 36
b) Das Berufungsgericht hat diese Maßstäbe beachtet. Seine Annahme, die Zahlung der Schuldnerin an den Beklagten über 40.000 € benachteilige deren Gläubiger, weist keine durchgreifenden Rechtsfehler auf.
Rz. 37
aa) Das Berufungsgericht hat darin Recht, dass zumindest die Forderung der GbR, deren Gesellschafter auch der Beklagte ist, über 47.152,75 € (laufende Nr. 3 der Tabelle) und die Forderung einer Wirtschaftsberatungsgesellschaft über 4.611,25 € (laufende Nr. 4 der Tabelle) bei der Prüfung einer Gläubigerbenachteiligung zu berücksichtigen sind und diese begründen. In beiden Fällen ist das Bestehen der angemeldeten Forderungen unstreitig. Im Übrigen sind lediglich die Anmeldungen der beiden Forderungen zurückgenommen worden, was zur Entkräftung des Anscheinsbeweises nicht genügt, weil dieser Umstand eine Feststellung zur Tabelle nicht ausschließt. Die Revision zeigt nicht auf, dass eine erneute Anmeldung dieser Forderungen zur Tabelle ausgeschlossen ist. Soweit der Beklagte pauschal Verjährung von gegenwärtig nicht zur Tabelle angemeldeten Forderungen geltend gemacht hat, genügt dies nicht den Anforderungen, die an den Vortrag zur Entkräftung des mit der Eröffnung des Insolvenzverfahrens verbundenen ersten Anscheins einer zur Befriedigung aller Insolvenzgläubiger nicht ausreichenden Masse zu stellen sind.
Rz. 38
bb) Die Rüge der Revision, das Berufungsgericht habe den Anspruch des Beklagten auf rechtliches Gehör gemäß Art. 103 Abs. 1 GG verletzt, weil es nicht beachtet habe, dass nur noch eine Forderung in Höhe von 20 € zur Tabelle angemeldet sei, hat der Senat geprüft, aber nicht für durchgreifend erachtet. Von einer weiteren Begründung wird gemäß § 564 Satz 1 ZPO abgesehen.
Rz. 39
2. Dagegen weisen die Ausführungen des Berufungsgerichts, mit denen es einen Gläubigerbenachteiligungsvorsatz der Schuldnerin bejaht, durchgreifende Rechtsfehler auf.
Rz. 40
a) Der Gläubigerbenachteiligungsvorsatz des Schuldners setzt voraus, dass er bei Vornahme der Rechtshandlung die Benachteiligung der Gläubiger im Allgemeinen als Erfolg seiner Rechtshandlung gewollt oder als mutmaßliche Folge seiner Rechtshandlung erkannt und gebilligt hat (vgl. BGH, Urteil vom 17. November 2016 - IX ZR 65/15, WM 2017, 51 Rn. 13). Der Benachteiligungsvorsatz sowie die Kenntnis des Anfechtungsgegners hiervon sind allerdings innere, dem Beweis nur eingeschränkt zugängliche Tatsachen. Die subjektiven Voraussetzungen der Vorsatzanfechtung können daher in aller Regel nur mittelbar aus objektiven (Hilfs-)Tatsachen hergeleitet werden (vgl. BGH, Urteil vom 13. August 2009 - IX ZR 159/06, NZI 2009, 768 Rn. 8; vom 7. November 2013 - IX ZR 248/12, WM 2013, 2233 Rn. 7; vom 14. Juli 2016 - IX ZR 188/15, ZIP 2016, 1686 Rn. 12).
Rz. 41
aa) Es ist dabei Aufgabe des Tatrichters, die ihm unterbreiteten Hilfstatsachen auf der Grundlage des Gesamtergebnisses der mündlichen Verhandlung und einer etwaigen Beweisaufnahme umfassend und widerspruchsfrei zu würdigen (vgl. BGH, Urteil vom 14. Juli 2016 - IX ZR 188/15, ZIP 2016, 1686 Rn. 12). Dabei hat er die Rechtsprechung des Bundesgerichtshofs zu den für und gegen den Gläubigerbenachteiligungsvorsatz und die Kenntnis von diesem sprechenden Beweisanzeichen zu berücksichtigen (vgl. BGH, Urteil vom 13. August 2009 - IX ZR 159/06, WM 2009, 1943 Rn. 8 mwN; vom 18. Juli 2019 - IX ZR 258/18, ZIP 2019, 1624 Rn. 20; vom 3. März 2022 - IX ZR 53/19, WM 2022, 589 Rn. 10). Die einzelnen Beweisanzeichen dürfen jedoch nicht schematisch angewandt werden (BGH, Urteil vom 7. Mai 2020 - IX ZR 18/19, WM 2020, 1074 Rn. 10; vom 17. September 2020 - IX ZR 174/19, ZIP 2020, 2135 Rn. 17).
Rz. 42
bb) Die im einzelnen Fall für die Würdigung in Betracht kommenden Beweisanzeichen können einerseits die wirtschaftliche Lage des Schuldners im Zeitpunkt der angefochtenen Rechtshandlung, andererseits aber auch die Art und Weise der Rechtshandlung betreffen (vgl. BGH, Urteil vom 3. März 2022 - IX ZR 53/19, WM 2022, 589 Rn. 12). Zu den Beweisanzeichen in diesem Sinne gehört etwa die (drohende) Zahlungsunfähigkeit des Schuldners, wobei ihr Vorliegen für die Annahme des Gläubigerbenachteiligungsvorsatzes nur dann genügt, wenn zugleich die zusätzlichen Voraussetzungen vorliegen, die sich aus der Neuausrichtung der Rechtsprechung des Bundesgerichtshofs ergeben (vgl. BGH, Urteil vom 6. Mai 2021 - IX ZR 72/20, BGHZ 230, 28 Rn. 30 ff; vom 10. Februar 2022 - IX ZR 148/19, WM 2022, 477 Rn. 23; vom 3. März 2022 - IX ZR 78/20, BGHZ 233, 70 Rn. 27, 52 ff; vom 3. März 2022 - IX ZR 53/19, WM 2022, 589 Rn. 15 ff; vom 23. Juni 2022 - IX ZR 75/21, ZIP 2022, 1608 Rn. 19 ff). Ein weiteres Beweisanzeichen kann beispielsweise in der Übertragung von Vermögensgegenständen an nahestehende Dritte liegen, insbesondere dann, wenn es sich um den letzten werthaltigen Gegenstand handelt (vgl. BGH, Urteil vom 17. September 2020 - IX ZR 174/19, WM 2020, 1919 Rn. 18; vom 3. März 2022 - IX ZR 53/19, WM 2022, 589 Rn. 12). Die notwendige Überzeugung des Tatrichters von dem Vorliegen des Gläubigerbenachteiligungsvorsatzes kann auch erst aus einer Zusammenschau verschiedener Beweisanzeichen folgen. Der Tatrichter darf deshalb seine Würdigung nicht auf die wirtschaftliche Lage des Schuldners beschränken (vgl. BGH, Urteil vom 3. März 2022, aaO Rn. 13).
Rz. 43
b) Daran gemessen ist die Würdigung des Berufungsgerichts zum Vorliegen eines Gläubigerbenachteiligungsvorsatzes der Schuldnerin unvollständig und rechtsfehlerhaft. Zu Unrecht verengt das Berufungsgericht seine Prüfung auf die wirtschaftliche Lage der Schuldnerin.
Rz. 44
aa) Das Berufungsgericht hat seine Annahme eines Gläubigerbenachteiligungsvorsatzes auf die objektive wirtschaftliche Lage der Schuldnerin gestützt, ohne allerdings auch nur eine drohende Zahlungsunfähigkeit im maßgeblichen Zeitpunkt der Zahlung der 40.000 € festzustellen. Seine Feststellungen lassen insbesondere nicht den Schluss auf eine Zahlungseinstellung (§ 17 Abs. 2 Satz 2 InsO) der Schuldnerin zu (vgl. BGH, Urteil vom 6. Mai 2021 - IX ZR 72/20, BGHZ 230, 28 Rn. 41). Soweit sich das Geschäftskonto der Schuldnerin nach den Feststellungen des Berufungsgerichts im Soll befand und die der Ehefrau des Beklagten geschuldeten Pachtzinsen auch nach Auslaufen der erfolgten Kreditierung Ende 2013 nicht von der Schuldnerin beglichen wurden, ist weder erkennbar, dass der Kontokorrentkredit gekündigt war noch dass die Erfüllung dieser Verbindlichkeiten gegenüber der Schuldnerin ernsthaft eingefordert worden wäre (vgl. zu diesem Erfordernis BGH, Urteil vom 19. Juli 2007 - IX ZB 36/07, BGHZ 173, 286 Rn. 12 ff; st. Rspr.).
Rz. 45
Die nach den Feststellungen des Berufungsgerichts erwirtschafteten Jahresfehlbeträge und der Rückgang der Umsatzerlöse weisen ebenso wie die Aufforderung an die Ehefrau des Beklagten, die offene Hafteinlage zu erbringen, nur auf eine finanziell beengte Lage der Schuldnerin hin. Rechtsfehlerhaft meint das Berufungsgericht, dass bereits eine finanziell beengte Lage der Schuldnerin auch vor Eintritt der (drohenden) Zahlungsunfähigkeit für sich genommen für den Schluss auf einen Benachteiligungsvorsatz genügte. Eine lediglich finanziell beengte Lage des Schuldners kann grundsätzlich nur im Zusammenhang mit weiteren Beweisanzeichen für die Annahme des Gläubigerbenachteiligungsvorsatzes Bedeutung entfalten. So kann namentlich bei Erbringung inkongruenter Leistungen durch den Schuldner in einer finanziell beengten Lage auf seinen Benachteiligungsvorsatz geschlossen werden (vgl. BGH, Urteil vom 7. November 2013 - IX ZR 248/12, WM 2013, 2233 Rn. 12 mwN; vom 20. April 2017 - IX ZR 252/16, WM 2017, 1215 Rn. 24; vom 23. Juni 2022 - IX ZR 75/21, ZIP 2022, 1608 Rn. 40). Eine inkongruente Leistung steht hier jedoch nicht in Frage.
Rz. 46
bb) Das Berufungsgericht hat die aus der Neuausrichtung der Rechtsprechung des Bundesgerichtshofs zur Vorsatzanfechtung bei kongruenten Deckungen folgenden weiteren Anforderungen an die Bejahung des Benachteiligungsvorsatzes des Schuldners bei einer tatsächlich vorliegenden und erkannten Zahlungsunfähigkeit nicht beachtet. Danach ist von entscheidender Bedeutung, dass der Schuldner weiß oder jedenfalls billigend in Kauf nimmt, seine (übrigen) Gläubiger auch zu einem späteren Zeitpunkt nicht vollständig befriedigen zu können. Dies kann aus der im Moment der Rechtshandlung gegebenen Liquiditätslage nicht in jedem Fall mit hinreichender Gewissheit abgeleitet werden. Die gegenwärtige Zahlungsunfähigkeit allein spricht für den Gläubigerbenachteiligungsvorsatz im hier verwendeten Sinne, wenn sie ein Ausmaß angenommen hat, das eine vollständige Befriedigung der übrigen Gläubiger auch in Zukunft nicht erwarten lässt, etwa deshalb, weil ein Insolvenzverfahren unausweichlich erscheint (BGH, Urteil vom 6. Mai 2021 - IX ZR 72/20, BGHZ 230, 28 Rn. 36; vom 3. März 2022 - IX ZR 78/20, BGHZ 233, 70 Rn. 74 ff). Hierzu trifft das Berufungsgericht keine Feststellungen.
Rz. 47
Entsprechendes gilt für die im Stadium der lediglich drohenden Zahlungsunfähigkeit vorgenommene Deckungshandlungen. Sie sind nach der neuen Rechtsprechung nur ausnahmsweise anfechtbar, wenn weitere Umstände hinzutreten. Zur Vorsatzanfechtung kann es etwa führen, wenn im Zustand der nur drohenden Zahlungsunfähigkeit und in der sicheren Erwartung des Eintritts der Zahlungsunfähigkeit mit den noch vorhandenen Mitteln gezielt bestimmte (womöglich nahestehende) Altgläubiger außerhalb des ordnungsgemäßen Geschäftsgangs befriedigt werden (BGH, Urteil vom 6. Mai 2021 - IX ZR 72/20, BGHZ 230, 28 Rn. 40; vom 3. März 2022 - IX ZR 78/20, BGHZ 233, 70 Rn. 54 ff, 101 ff).
Rz. 48
3. Der rechtsfehlerhafte Ansatz des Berufungsgerichts setzt sich bei dem von ihm bejahten Vollbeweis der Kenntnis des Beklagten von dem Gläubigerbenachteiligungsvorsatz der Schuldnerin fort. Eine solche Kenntnis kann mit der Begründung des Berufungsgerichts nicht angenommen werden. Seine Ausführungen sind ausschließlich auf die Frage bezogen, dass der Beklagte Kenntnis von der angespannten finanziellen Situation der Schuldnerin hatte. Da die hierauf bezogenen Überlegungen des Berufungsgerichts den Schluss auf den Benachteiligungsvorsatz nicht tragen, genügen sie auch nicht, um die entsprechende Kenntnis des Gläubigers zu begründen (vgl. zur spiegelbildlichen Kenntnis des Anfechtungsgegners BGH, Urteil vom 19. September 2013 - IX ZR 4/13, ZIP 2013, 2113 Rn. 18 mwN; vom 28. Januar 2021 - IX ZR 64/20, ZIP 2021, 416 Rn. 10).
Rz. 49
4. Das angefochtene Urteil ist danach hinsichtlich der Zahlung an den Beklagten über 40.000 € aufzuheben (§ 562 Abs. 1 ZPO) und zur neuen Verhandlung und Entscheidung an das Berufungsgericht zurückzuverweisen (§ 563 Abs. 1 und 3 ZPO). Dieses wird die erforderlichen Feststellungen unter Berücksichtigung der von dem Bundesgerichtshof aufgestellten Maßstäbe für die Annahme des Gläubigerbenachteiligungsvorsatzes bei dem Schuldner und dessen Kenntnis bei dem Anfechtungsgegner nachzuholen haben.
Rz. 50
Dabei wird das Berufungsgericht zu prüfen haben, ob zusätzlich zur vom Berufungsgericht festgestellten finanziell beengten Lage der Schuldnerin Umstände vorliegen, die einen Schluss auf einen Benachteiligungsvorsatz zulassen. Ein Benachteiligungsvorsatz könnte sich insbesondere dann ergeben, wenn die Schuldnerin mit ihrem letzten werthaltigen Vermögen den Beklagten begünstigt haben sollte. Hierzu wird das Berufungsgericht die persönliche Stellung des Beklagten als Ehemann der Gesellschafterin der Komplementärin und Kommanditistin der Schuldnerin und damit als nahestehende Person gemäß § 138 Abs. 2 Nr. 3, Abs. 1 Nr. 1 InsO zu erwägen haben. Ebenso wird das Berufungsgericht einzubeziehen haben, dass die Ehefrau des Beklagten ihre erweiterte Hafteinlage in Höhe von 200.000 € von einem gemeinsamen Konto der Eheleute erbrachte und die Schuldnerin nach dem zeitlichen Ablauf diese möglicherweise letzten verfügbaren Mittel dazu einsetzte, um dem Beklagten Vorteile gegenüber anderen Gläubigern zu verschaffen. Hierfür könnte sprechen, dass die Schuldnerin nur vier Tage nach dem Erhalt der Mittel das Darlehen bei der Bank tilgte und so den Beklagten von der Bürgschaft befreite. Die Zahlung des Betrags von 40.000 € erfolgte nur sieben Tage nach der Leistung der erweiterten Hafteinlage in Höhe von 200.000 €. Soweit das Berufungsgericht eine zumindest drohende Zahlungsunfähigkeit der Schuldnerin im Zeitpunkt der angefochtenen Rechtshandlung feststellen sollte, wird es darüber hinaus auch die Anwendung von § 133 Abs. 1 Satz 2 InsO in der bis zum 4. April 2017 maßgeblichen Fassung der Bestimmung (Art. 103j Abs. 1 EGInsO) zu erwägen haben (vgl. dazu BGH, Urteil vom 6. Mai 2021 - IX ZR 72/20, BGHZ 230, 28 Rn. 49 ff).
Schoppmeyer |
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Röhl |
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Selbmann |
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Harms |
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Weinland |
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Fundstellen
BB 2024, 194 |
DB 2024, 585 |
DStR 2024, 773 |
DStR 2024, 9 |
NJW 2024, 8 |
NWB 2024, 454 |
NJW-RR 2024, 258 |
NZG 2024, 400 |
WM 2024, 86 |
WuB 2024, 108 |
ZAP 2024, 166 |
ZIP 2024, 4 |
DZWir 2024, 338 |
JZ 2024, 78 |
JZ 2024, 85 |
NZI 2024, 159 |
NZI 2024, 219 |
ZInsO 2024, 195 |
GWR 2024, 81 |
NJW-Spezial 2024, 151 |
StX 2024, 78 |
ZRI 2024, 58 |