Leitsatz (amtlich)
1. Ist in der Gemeinschaftsordnung einer Mehrhausanlage vereinbart, dass die Wohnungseigentümer weitgehend so gestellt werden sollen, als handelte es sich um real geteilte Grundstücke bzw. als wären sie Alleineigentümer, und ist den Wohnungseigentümern eine bauliche Veränderung des Gemeinschaftseigentums gestattet, begründet im Zweifel nicht jeder Verstoß gegen eine öffentlich-rechtliche Norm einen Beseitigungsanspruch nach § 1004 Abs. 1 BGB; vielmehr muss der Norm Drittschutz zukommen.
2. Die Festsetzung in einem Bebauungsplan über die Grundfläche der Wochenendhäuser in einem Wochenendhausgebiet ist Teil der Gebietsfestsetzung und hat drittschützenden Charakter.
Normenkette
WoEigG § 22 Abs. 1 aF; BGB § 1004 Abs. 1; BauNVO § 10 Abs. 3 S. 3
Verfahrensgang
LG Itzehoe (Entscheidung vom 12.05.2023; Aktenzeichen 11 S 3/22) |
AG Lübeck (Entscheidung vom 03.09.2021; Aktenzeichen 35 C 37/20 WEG) |
Tenor
Auf die Revision der Klägerin wird das Urteil der 11. Zivilkammer des Landgerichts Itzehoe vom 12. Mai 2023 aufgehoben.
Die Sache wird zur neuen Verhandlung und Entscheidung, auch über die Kosten des Revisionsverfahrens, an das Berufungsgericht zurückverwiesen.
Von Rechts wegen
Tatbestand
Rz. 1
Die Klägerin ist eine Gemeinschaft der Wohnungseigentümer (GdWE). Bei der Wohnungseigentumsanlage handelt es sich um eine in Schleswig-Holstein belegene, ehemals städtische Wochenendhaussiedlung. Bei der Aufteilung des Grundstücks im Jahr 2003 durch die Stadt wurden jeweils Sondernutzungsrechte an den mit Wochenendhäusern bebauten Parzellen gebildet und die Miteigentumsanteile an dem Grundstück mit dem Sondereigentum an den Räumen der einzelnen Häuser verbunden. Der Beklagte zu 1 ist Sondereigentümer eines solchen Hauses. Die Teilungserklärung nimmt in der Vorbemerkung auf die Eintragung nicht näher beschriebener Nutzungs- und Bebauungsbeschränkungen Bezug und sieht vor, dass mit bauordnungsrechtlicher Genehmigung errichtete Gebäude Bestandsschutz genießen. In Ziff. III.1 der in der Teilungserklärung enthaltenen Gemeinschaftsordnung (im Folgenden: TE) ist zudem Folgendes geregelt:
„b) Jeder Hauseigentümer ist berechtigt, die seinem Sondereigentum und Sondernutzungsrecht unterliegenden Gebäude- und Grundstücksteile unter Ausschluss der anderen Hauseigentümer so zu nutzen, wie wenn er Alleineigentümer wäre, soweit nicht in dieser Urkunde Nutzungsbeschränkungen vereinbart sind. Die baurechtlichen Vorschriften sind zu beachten.
…
d) Im Rahmen des nach öffentlichem Recht Zulässigen kann jeder Hauseigentümer sein Wohnungseigentum bzw. Teileigentum und die seinem Sondernutzungsrecht unterliegenden Teile des gemeinschaftlichen Eigentums nach Maßgabe der Gemeinschaftsordnung nutzen, sie auch verändern und die nicht bebauten Grundstücksteile auch bebauen. Jeder Wohnungseigentümer duldet die anderweitige Bebauung eines benachbarten Sondernutzungsrechts, sofern das Wochenendhaus von der gemeinsamen Grenze der Sondernutzungsrechte einen Abstand von mindestens 1,75 m einhält und die Errichtung des Gebäudes bauordnungsrechtlich genehmigt wurde.“
Rz. 2
Das zu dem Wohnungseigentum des Beklagten zu 1 gehörende Wochenendhaus war bereits im Jahr 1971 mit einer Grundfläche von 69,81 qm errichtet worden. Das Grundstück, auf dem sich die Wohnungseigentumsanlage befindet, liegt nach dem Bebauungsplan vom 1. November 2005 in einem als Wochenendhausgebiet festgesetzten Sondergebiet, bei dem Wochenendhäuser als Einzelhäuser zulässig sind. Die Grundfläche eines Wochenendhauses darf hiernach 35 qm nicht überschreiten; zusätzlich sind je Parzelle in einer Größe von 10 qm überdachte Freisitze oder verglaste Anbauten zulässig, die keine Aufenthaltsräume im Sinne der Landesbauordnung sind. Im Jahr 2018 wurde den Beklagten zu 1 und 2 auf ihren gemeinschaftlichen Antrag im vereinfachten Baugenehmigungsverfahren eine Baugenehmigung für die Sanierung und den Umbau des Bestandsgebäudes sowie die Errichtung eines neuen Daches erteilt; betreffend eine Erhöhung der Traufhöhe war eine Befreiung von den Festsetzungen des Bebauungsplans vorgesehen. Die Grundfläche des zwischenzeitlich umgebauten Gebäudes entspricht derjenigen des ehemaligen Gebäudes, wobei ein ehemaliger Freisitz zu einem Gebäudebestandteil geworden ist.
Rz. 3
Die Klägerin verlangt von den Beklagten den Rückbau des Gebäudes dahingehend, dass eine Grundfläche von 35 qm zzgl. eines 10 qm großen überdachten Freisitzes oder eines verglasten Anbaus nicht überschritten wird. Das Amtsgericht hat die Klage abgewiesen. Die Berufung der Klägerin war erfolglos. Mit der von dem Landgericht zugelassenen Revision, deren Zurückweisung die Beklagten beantragen, verfolgt die Klägerin ihr Klageziel weiter.
Entscheidungsgründe
I.
Rz. 4
Das Berufungsgericht hält die Klägerin zwar gemäß § 9a Abs. 2 WEG für prozessführungsbefugt. Die Klage sei aber unbegründet, weil Ansprüche aus § 1004 Abs. 1 BGB nicht bestünden, und zwar unabhängig davon, ob der dem ursprünglichen Gebäude zugutekommende Bestandsschutz durch die vorgenommenen baulichen Veränderungen entfallen oder erhalten geblieben und ob die Beklagte zu 2 allein wegen ihrer Eigenschaft als weitere Antragstellerin der Baugenehmigung als Störerin anzusehen sei. In der Teilungserklärung sei die Vorschrift des § 22 Abs. 1 i.V.m. § 14 Nr. 1 WEG aF abbedungen worden. Dies habe zur Folge, dass zwischen den Wohnungseigentümern neben nachbarrechtlichen Vorschriften gemäß §§ 906 ff. BGB lediglich drittschützende öffentlich-rechtliche Vorschriften maßgebend seien; denn im Übrigen stellten die Vorschriften des öffentlichen Rechts lediglich behördliche Eingriffsermächtigungen dar. Durch die von den Beklagten veranlassten Baumaßnahmen seien drittschützende Normen nicht verletzt worden. Während nämlich Festsetzungen zur Art der baulichen Nutzung (hier: Wochenendhäuser als Einzelhäuser) generell drittschützend seien, würden Regelungen zum Maß der baulichen Nutzung im Regelfall ausschließlich aus städtebaulichen Gründen im Bebauungsplan festgesetzt. Anderes gelte nur dann, wenn sich aus dem Bebauungsplan selbst, dessen Begründung oder sonstigen Unterlagen aus dem Planfeststellungsverfahren ergebe, dass der Plangeber im konkreten Fall die Festsetzung zum Maß der baulichen Nutzung ausnahmsweise zumindest auch zum Schutz nachbarlicher Interessen getroffen habe. Dies lasse sich dem Bebauungsplan nicht entnehmen. Unabhängig davon könnten Verstöße gegen Maßfestsetzungen in einem Bebauungsplan von Nachbarn jedenfalls nicht losgelöst von konkreten Beeinträchtigungen gerügt werden, die die Klägerin jedoch nicht geltend mache.
II.
Rz. 5
Die Revision hat Erfolg. Die von dem Berufungsgericht gegebene Begründung trägt die Klageabweisung nicht.
Rz. 6
1. Wie das Berufungsgericht im Ausgangspunkt zutreffend sieht, ist die Klägerin gemäß § 9a Abs. 2 WEG befugt, Ansprüche der Wohnungseigentümer wegen Beeinträchtigungen des Gemeinschaftseigentums aus § 1004 Abs. 1 BGB geltend zu machen. Insoweit wird sie gemäß § 9b Abs. 1 Satz 1 WEG von dem Verwalter vertreten. Ob die Klageerhebung von dem Beschluss der Wohnungseigentümer vom 22. September 2018 gedeckt ist, ist entgegen der Auffassung der Revisionserwiderung unerheblich. Erhebt der Verwalter im Namen der GdWE Klage gegen einzelne Wohnungseigentümer, sind Beschränkungen seiner Vertretungsmacht im Innenverhältnis, die die Befugnis zur Klageerhebung betreffen, jedenfalls im Grundsatz nicht zu überprüfen. Die Klageerhebung wird nämlich als Prozesshandlung gegenüber dem Gericht ebenso wie die Beauftragung eines Rechtsanwalts durch die im Außenverhältnis unbeschränkte Vertretungsmacht des Verwalters gedeckt (vgl. Senat, Urteil vom 16. September 2022 - V ZR 180/21, NJW 2022, 3577 Rn. 13 f.). Ob - und ggf. unter welchen Voraussetzungen - evident bestehende Beschränkungen im Innenverhältnis der Vertretungsmacht im Prozess entgegenstehen können oder sogar ein Missbrauch der Vertretungsmacht anzunehmen sein kann, hat der Senat offengelassen (Urteil vom 16. September 2022 - V ZR 180/21, NJW 2022, 3577 Rn. 15). Die Frage bedarf auch hier keiner Entscheidung, weil es jedenfalls an einer evidenten Beschränkung der Vertretungsmacht fehlt; es gibt nämlich einen Beschluss zur Klageerhebung, der lediglich nach der von der Revisionserwiderung für zutreffend erachteten Auslegung eine Klage gegen die Beklagten nicht deckt.
Rz. 7
2. Auf der Grundlage der von dem Berufungsgericht bislang getroffenen Feststellungen lässt sich der von der Klägerin gemäß § 1004 Abs. 1 BGB geltend gemachte Beseitigungsanspruch nicht verneinen.
Rz. 8
a) Dass im Ausgangspunkt ein solcher Anspruch der Klägerin in Betracht kommen kann, verkennt auch das Berufungsgericht nicht. Die von beiden Beklagten veranlassten Baumaßnahmen - deshalb kommen beide als Störer i.S.d. § 1004 Abs. 1 BGB in Betracht - betreffen jedenfalls auch das Gemeinschaftseigentum. Ob die übrigen Wohnungseigentümer diese Maßnahmen dulden müssen (§ 1004 Abs. 2 BGB), hängt nicht davon ab, ob die Voraussetzungen des hier grundsätzlich noch anwendbaren § 22 Abs. 1 WEG aF (vgl. Senat, Urteil vom 10. Dezember 2021 - V ZR 32/21, NJW 2022, 2397 Rn. 6) vorlagen. Die Bestimmungen des Wohnungseigentumsgesetzes über bauliche Veränderungen sind durch Vereinbarungen der Wohnungseigentümer abänderbar (vgl. hierzu nur Senat, Urteil vom 18. Januar 2013 - V ZR 88/12, WuM 2013, 247 Rn. 9 zu § 22 Abs. 1 WEG aF). Einer Vereinbarung stehen solche Regelungen gleich, die von dem aufteilenden Eigentümer gemäß § 8 Abs. 2 Satz 1, § 5 Abs. 4 Satz 1 WEG aF (vgl. auch § 8 Abs. 2, § 5 Abs. 4 Satz 1 WEG) getroffen und in das Grundbuch eingetragen worden sind. Hier enthält Ziff. III.1 d) TE eine solche von § 22 Abs. 1 WEG aF abweichende Regelung. Nach dieser bestimmt sich, ob eine bauliche Veränderung des Gemeinschaftseigentums zulässig ist oder nicht mit der Folge, dass sie gemäß § 1004 Abs. 1 BGB abgewendet werden kann. Ist die bauliche Veränderung nach der Teilungserklärung nicht gestattet, liegt grundsätzlich bereits hierin die Verletzung des Gemeinschaftseigentums. Andernfalls scheidet ein Anspruch aus. Hierauf könnte sich auch die Beklagte zu 2 berufen, obwohl sie nicht selbst Wohnungseigentümerin ist und die Teilungserklärung nur Rechte und Pflichten der Mitglieder der GdWE begründen kann. Denn eine Duldungspflicht der Wohnungseigentümer nach § 1004 Abs. 2 BGB - die der GdWE entgegengehalten werden könnte - kann sich in entsprechender Anwendung des § 986 Abs. 1 Satz 1 BGB auch aus abgeleitetem Recht ergeben, hier aus dem Recht des Beklagten zu 1 (vgl. allgemein hierzu Senat, Urteil vom 13. Mai 2022 - V ZR 7/21, MDR 2022, 894 Rn. 31; Urteil vom 10. November 2006 - V ZR 46/06, WuM 2007, 29 Rn. 8).
Rz. 9
b) Für das Revisionsverfahren ist zu unterstellen, dass der Umbau weder Bestandsschutz genießt noch in dieser Form genehmigt worden ist. Hierzu hat das Berufungsgericht keine Feststellungen getroffen. Nichts anderes folgt aus dem Hinweis des Prozessbevollmächtigten der Beklagten in der mündlichen Verhandlung vor dem Senat auf die erteilte Baugenehmigung. Dazu, ob der konkret durchgeführte Umbau von der Baugenehmigung gedeckt ist, verhält sich das Berufungsurteil nämlich nicht. Deshalb ist für das Revisionsverfahren insoweit der von der Revisionsbegründung in Bezug genommene Vortrag der Klägerin in den Tatsacheninstanzen maßgeblich, wonach der Umbau aufgrund erheblicher Abweichungen von der Baugenehmigung nicht genehmigt ist.
Rz. 10
c) Damit stellt sich die Frage, ob bereits die unterstellten Baurechtsverstöße eine Eigentumsbeeinträchtigung i.S.d. § 1004 Abs. 1 BGB begründen, oder ob dies nur bei der Verletzung drittschützender Normen der Fall ist. Von Letzterem geht das Berufungsgericht aus. Die von ihm insoweit vorgenommene Auslegung der Teilungserklärung hält einer rechtlichen Überprüfung aber nicht stand.
Rz. 11
aa) Besteht eine Wohnungseigentumsanlage aus mehreren separaten Häusern (Doppelhäuser, Reihenhäuser oder - wie hier - Ferienhäuser), enthalten Teilungserklärungen bzw. Gemeinschaftsordnungen häufig die Regelung, dass die Wohnungseigentümer weitgehend so gestellt werden sollen, als würde es sich um real geteilte Grundstücke handeln bzw. als seien sie Alleineigentümer. In diesen Fällen geht die Instanzrechtsprechung - soweit ersichtlich - einhellig davon aus, dass die übrigen Wohnungseigentümer im Zusammenhang mit baulichen Veränderungen des Gemeinschaftseigentums nur die Einhaltung drittschützender Normen des öffentlichen Rechts verlangen können (vgl. BayObLG, NJW-RR 1997, 269; WuM 1989, 451; BayObLGZ 2001, 41, 45; NZM 2001, 769; WuM 2004, 496; OLG München, DNotZ 2008, 614, 615 f.; LG Hamburg, ZMR 2013, 992; LG Itzehoe, Urteil vom 19. April 2011 - 11 S 26/10, juris Rn. 2, 20). In der Literatur hat diese Rechtsprechung weitgehend Zustimmung gefunden (vgl. Riecke/Schmid/Drabek/Abramenko, WEG, 5. Aufl. 2019, § 22 Rn. 56, 58; Vandenhouten in Niedenführ/Schmidt-Räntsch/Vandenhouten, WEG, 13. Aufl. 2020, § 22 Rn. 158; MüKoBGB/Rüscher, 9. Aufl., § 20 WEG Rn. 11; Bärmann/Dötsch, WEG, 15. Aufl., § 20 Rn. 84: „jedenfalls“; vgl. auch BeckOK WEG/Müller [2.10.2023], § 14 Rn. 29; jurisPK-BGB/Lafontaine, 10. Aufl., § 14 WEG Rn. 53). Nur vereinzelt wird vertreten, dass ein Abwehrrecht generell auch bei der Verletzung von nicht drittschützenden Vorschriften bestehe, wie dies etwa bei einem Verstoß gegen eine Zweckentfremdungssatzung der Fall sei (vgl. Klimesch, ZMR 2016, 269, 270).
Rz. 12
bb) Nach Auffassung des Senats ist der Instanzrechtsprechung im Grundsatz zuzustimmen. Ist in der Gemeinschaftsordnung einer Mehrhausanlage vereinbart, dass die Wohnungseigentümer weitgehend so gestellt werden sollen, als handelte es sich um real geteilte Grundstücke bzw. als wären sie Alleineigentümer, und ist den Wohnungseigentümern eine bauliche Veränderung des Gemeinschaftseigentums gestattet, begründet im Zweifel nicht jeder Verstoß gegen eine öffentlich-rechtliche Norm einen Beseitigungsanspruch nach § 1004 Abs. 1 BGB; vielmehr muss der Norm Drittschutz zukommen.
Rz. 13
(1) Ein Alleineigentümer kann sich mit Widerspruch und verwaltungsgerichtlicher Anfechtungsklage gegen ein Bauvorhaben auf einem benachbarten Grundstück wenden, allerdings nur dann, wenn eine drittschützende Norm verletzt ist. Diese Rechtsschutzmöglichkeiten scheiden im Wohnungseigentumsrecht innerhalb derselben Wohnungseigentumsanlage aus. Eine verwaltungsgerichtliche Nachbarklage kann ein Wohnungseigentümer bzw. die GdWE gegen einen anderen Wohnungseigentümer nämlich nicht erheben. Nach der ständigen Rechtsprechung der Verwaltungsgerichte schließt das Sondereigentum nach dem Wohnungseigentumsgesetz öffentlich-rechtliche Nachbarschutzansprüche innerhalb der Gemeinschaft der Miteigentümer desselben Grundstücks aus; wann und in welchem Umfang materielle Abwehrrechte eines Wohnungseigentümers gegen baurechtlich unzulässige Baumaßnahmen auf dem gemeinschaftlichen Grundstück bestehen, ist auf dem ordentlichen Rechtsweg vor den Zivilgerichten zu klären (vgl. nur BVerwG, NVwZ 1998, 954, 955; NVwZ 1990, 655; BayVGH, BayVBl. 2020, 271; OVG Rheinland-Pfalz, NZM 2019, 421). Daran hat sich durch das Wohnungseigentumsmodernisierungsgesetz nichts geändert (vgl. BayVGH, ZWE 2022, 427; ZWE 2023, 53 Rn. 65 ff.).
Rz. 14
(2) Das hat zur Folge, dass der öffentlich-rechtliche Rechtsschutz in das Wohnungseigentumsverfahren verlagert wird. Dort können die anderen Wohnungseigentümer nicht mehr, aber auch nicht weniger verlangen als Nachbarn auf real geteilten Grundstücken, mit denen sie so weit wie möglich gleich gestellt werden möchten. Deshalb ist es gerechtfertigt, einen Beseitigungsanspruch an die Verletzung einer drittschützenden Norm zu knüpfen. Auf diese Weise wird die angestrebte Gleichstellung mit real geteilten Grundstücken auch in Bezug auf das öffentliche Baurecht verwirklicht.
Rz. 15
(3) Aus den von der Revision zitierten Entscheidungen des Bundesverfassungsgerichts (NJW-RR 2006, 726, 727) und des Bundesverwaltungsgerichts (NVwZ 1998, 954, 955) lässt sich nichts anderes entnehmen; sie befassen sich nicht näher mit der Auslegung einer Gemeinschaftsordnung. Der weitere Einwand der Revision, dass bei einer solchen Sichtweise ein Bauvorhaben, das nicht wegen der Verletzung einer drittschützenden Vorschrift des öffentlichen Baurechts rechtswidrig sei, für jedermann unangreifbar wäre und hierdurch nicht hinnehmbare Rechtsschutzlücken für die anderen Wohnungseigentümer entstünden, veranlasst keine abweichende Beurteilung. Bei dieser Argumentation bleibt unberücksichtigt, dass sich auch ein Alleineigentümer mit öffentlich-rechtlichen Mitteln gegen ein Bauvorhaben eines anderen Alleineigentümers nur wenden kann, wenn er sich auf drittschützende Normen berufen kann. Andernfalls liegt die Verantwortung für die Prüfung eines Bauvorhabens allein bei den Baubehörden.
Rz. 16
cc) Auf dieser Grundlage prüft das Berufungsgericht folgerichtig, ob von der Verletzung einer drittschützenden Norm auszugehen ist. Dies verneint es allerdings zu Unrecht. Es übersieht, dass die Festsetzung in einem Bebauungsplan über die Grundfläche der Wochenendhäuser in einem Wochenendhausgebiet Teil der Gebietsfestsetzung (§ 10 Abs. 1, Abs. 3 Satz 3 BauNVO) ist und deshalb drittschützenden Charakter hat. Eine solche Festsetzung unterscheidet sich von sonstigen Festsetzungen zur Grundfläche gemäß § 16 Abs. 3 Nr. 1 BauNVO, die nur das Maß der baulichen Nutzung betreffen und die in der Regel nicht drittschützend sind. Während eine Festsetzung des Bebauungsplans zur zulässigen Grundfläche baulicher Anlagen gemäß § 16 Abs. 3 Nr. 1 BauNVO regelmäßig dazu dient, im öffentlichen Interesse eine übermäßige Nutzung zugunsten des Bodenschutzes insgesamt zu vermeiden (vgl. BVerwG, NVwZ 1996, 894 f.; Söfker in Ernst/Zinkahn/Bielenberg/Krautzberger, BauNVO [Mai 2023], § 19 Rn. 1: Schutz vor übermäßiger Bodenversiegelung), steht eine auf § 10 Abs. 3 Satz 3 BauNVO beruhende Festsetzung in unmittelbarem Zusammenhang mit der Zweckbestimmung der Gebietsfestsetzung, die als Festsetzung über die Art der baulichen Nutzung einen Gebietserhaltungsanspruch begründet. Sie dient der Absicherung der Nutzungsart eines Wochenendhausgebietes (vgl. etwa OVG Greifswald, NordÖR 2013, 481; Schleswig-Holsteinisches Verwaltungsgericht, Beschluss vom 3. Juni 2019 - 2 B 23/19, juris Rn. 14; Bönker/Bischopink, BauNVO, 2. Aufl., § 10 Rn. 45; Söfker in Ernst/Zinkahn/Bielenberg/Krautzberger, BauNVO [Mai 2023], § 10 Rn. 22; Stock in König/Roeser/Stock, BauNVO, 5. Aufl., § 10 Rn. 23); ihr kommt damit als (zwingendem) Bestandteil der Gebietsfestsetzung drittschützende Wirkung zu.
Rz. 17
dd) Auf diese Überlegungen kommt es aber im Ergebnis nicht an. Bei den oben (vgl. Rn. 12 ff.) dargelegten Grundsätzen handelt es sich nämlich nur um eine Auslegungsregel, die bei der hier maßgeblichen Regelung in der Teilungserklärung nicht eingreift. Das Berufungsgericht nimmt bei seiner Auslegung der Teilungserklärung, die der Senat in vollem Umfang überprüfen kann, nicht hinreichend in den Blick, dass es nach der klaren Regelung in Ziff. III.1 d) TE für einen Beseitigungsanspruch entscheidend auf das Vorliegen einer Baugenehmigung bzw. die Genehmigungsfähigkeit des Bauvorhabens ankommt; hierzu hat das Berufungsgericht aber keine Feststellungen getroffen.
Rz. 18
(1) Bei der Auslegung einer in das Grundbuch eingetragenen Teilungserklärung bzw. Gemeinschaftsordnung ist - wie bei der Auslegung von Grundbucheintragungen allgemein - vorrangig auf den Wortlaut und den Sinn der Eintragung abzustellen, wie sie sich für einen unbefangenen Betrachter als nächstliegende Bedeutung des Eingetragenen ergeben. Umstände außerhalb der Eintragung können nur herangezogen werden, wenn sie nach den besonderen Verhältnissen des Einzelfalls für jedermann ohne weiteres erkennbar sind (vgl. nur Senat, Urteil vom 20. November 2020 - V ZR 196/19, ZWE 2021, 273 Rn. 12).
Rz. 19
(2) Auszugehen ist von dem Wortlaut von Ziff. III.1 b) und d) TE, der deutlich zwischen der Nutzung der dem Sondereigentum und Sondernutzungsrecht unterliegenden Gebäude- und Grundstücksteile und der Zulässigkeit baulicher Veränderungen unterscheidet. Dass die Wohnungseigentümer wie Alleineigentümer zu behandeln sind, bezieht sich nach Ziff. III.1 b) TE ausschließlich auf die Nutzung. Demgegenüber ist in Ziff. III.1 d) TE eine eigenständige Regelung zu der Zulässigkeit baulicher Veränderungen getroffen worden. Nach Satz 2 dieser Bestimmung müssen die anderen Wohnungseigentümer bauliche Veränderungen dulden, wenn ein bestimmter Abstand eingehalten und eine Baugenehmigung erteilt ist. In diesem Fall kommt es nicht darauf an, ob alle (sonstigen) baurechtlichen Vorschriften eingehalten sind. Diese Frage stellt sich erst, wenn es an einer Baugenehmigung fehlt. Dann greift Satz 1 der Bestimmung ein, d.h. die bauliche Maßnahme muss sich im Rahmen des nach öffentlichem Recht Zulässigen halten, so dass das Bauwerk insgesamt genehmigungsfähig ist. In diesem Zusammenhang sind die öffentlich-rechtlichen Vorgaben insgesamt und nicht nur drittschützende Vorschriften zu prüfen, da der Wohnungseigentümer ansonsten keine Baugenehmigung erlangen kann, die aber Voraussetzung für die Duldungspflicht nach Satz 2 ist.
Rz. 20
(3) Eine solche Auslegung ist auch von dem für jedermann ohne weiteres erkennbaren Sinn und Zweck der Regelung gedeckt. Die Wohnungseigentümer sollen bauliche Veränderungen vornehmen können, solange der Abstand eingehalten ist und die Baubehörde das Vorhaben genehmigt hat bzw. jedenfalls alle Voraussetzungen für die Erteilung einer Baugenehmigung vorliegen. Ist das Vorhaben genehmigt, können sie die Einhaltung eines näher bestimmten Abstands verlangen, verzichten aber im Übrigen auf die Einhaltung nachbarschützender Normen.
III.
Rz. 21
Das Berufungsurteil ist deshalb gemäß § 562 Abs. 1 ZPO aufzuheben. Die Sache ist an das Berufungsgericht zurückzuverweisen (§ 563 Abs. 1 ZPO), da sie nicht entscheidungsreif ist.
Rz. 22
1. a) Eine Verurteilung der Beklagten ist auf der Grundlage der bisherigen Feststellungen nicht möglich. Sollte das Bauvorhaben der Beklagten durch die ihnen erteilte Baugenehmigung gedeckt sein, schiede ein Beseitigungsanspruch nach § 1004 Abs. 1 BGB aus; die Berufung der Klägerin gegen das klageabweisende Urteil des Amtsgerichts müsste (erneut) zurückgewiesen werden. Hierbei geht der Senat davon aus, dass das Gebäude den in der Gemeinschaftsordnung vorgesehenen Abstand von 1,75 m von der gemeinsamen Grenze der Sondernutzungsrechte einhält, was von der Revision auch nicht in Abrede gestellt wird.
Rz. 23
b) Der Einwand der Revision, dass es auf die Baugenehmigung nicht ankomme, da diese „unbeschadet der Rechte Dritter“ erteilt werde (hier: § 72 Abs. 4 LBO Schleswig-Holstein), ist unerheblich. Offen bleiben kann auch, ob in den Fällen, in denen § 22 WEG aF abbedungen ist, ein auf die Verletzung nachbarschützender öffentlich-rechtlicher Bestimmungen gestützter Beseitigungsanspruch generell ausscheidet, wenn die Baumaßnahme von einer Baugenehmigung gedeckt ist (so BayObLG, NJW-RR 2001, 1456, 1457 unter Aufgabe von NJW-RR 1997, 269; anders aber wieder WuM 2004, 496 ohne Auseinandersetzung mit der Entscheidung NJW-RR 2001, 1456, 1457; siehe zu der Relevanz einer Baugenehmigung auch Riecke/Schmid/Drabek/Abramenko, WEG, 5. Aufl. 2019, § 22 Rn. 58; BeckOK WEG/Müller [1.1.2024], § 14 Rn. 30). Maßgeblich sind nämlich stets - wie ausgeführt (vgl. oben Rn. 17) - die konkreten Regelungen in der jeweiligen Teilungserklärung. Wird darin - wie hier - angeordnet, dass eine bauliche Veränderung des Gemeinschaftseigentums geduldet wird, sofern diese bauordnungsrechtlich genehmigt wurde, und hält sich die Baumaßnahme an die Vorgaben der erteilten und nach wie vor wirksamen (§ 43 Abs. 1 VwVfG), d.h. nicht nichtigen Baugenehmigung, scheidet ein Beseitigungsanspruch aus.
Rz. 24
2. Unter Beachtung dieser Grundsätze wird das Berufungsgericht zu prüfen haben, ob das von den Beklagten errichtete Gebäude von der im Jahr 2018 erteilten Baugenehmigung gedeckt ist. Dies wäre nicht der Fall, wenn die Beklagten bei der Bauausführung so wesentlich von der Baugenehmigung abgewichen wären, dass sie nicht das genehmigte, sondern ein anderes Bauvorhaben („aliud“) errichtet hätten (vgl. BVerwGE 47, 126, 128; BayVGH, Beschluss vom 13. Mai 2022 - 1 ZB 21.2603, 1 ZB 21.2605, juris Rn. 15 ff. mwN). So soll es sich nach dem Vorbringen der Klägerin verhalten. Hiernach sollen die Beklagten statt des genehmigten Umbaus mit Sanierung einen kompletten Neubau errichtet haben. Ob dies zutrifft, lässt sich allein anhand des Textes der Baugenehmigung nicht beurteilen, sondern ist unter Einbeziehung des Bauantrages nebst Bauplänen und sonstiger relevanter Unterlagen zu ermitteln (vgl. zu der Relevanz des Bauantrages auch Senat, Urteil vom 21. Januar 2022 - V ZR 76/20, BGHZ 232, 252 Rn. 23). Sollte das Bauvorhaben durch die Baugenehmigung aus dem Jahr 2018 gedeckt sein, könnte sich auch die Beklagte zu 2 hierauf berufen. Die obigen Ausführungen (vgl. Rn. 8) gelten entsprechend. Sollte der Umbau von der Baugenehmigung nicht gedeckt und auch nicht genehmigungsfähig sein, wäre der Rückbauanspruch gegeben; auf die Berufung der Klägerin müsste der Klage stattgegeben werden.
Brückner |
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Göbel |
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Haberkamp |
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Laube |
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Grau |
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Fundstellen
Haufe-Index 16281631 |
NJW 2024, 1817 |
BauR 2024, 1377 |
NZM 2024, 516 |
ZMR 2024, 861 |
ZfIR 2024, 401 |
JZ 2024, 333 |
WuM 2024, 355 |
ZWE 2024, 417 |
NJW-Spezial 2024, 449 |
RNotZ 2024, 584 |
BBB 2024, 53 |