Entscheidungsstichwort (Thema)
Krankentagegeldversicherung. Arbeitsplatzabhängige Berufsunfähigkeit. Mobbing
Leitsatz (redaktionell)
Zum Anspruch auf Krankentagegeld, wenn der Versicherte infolge Mobbings an seinem bisherigen Arbeitsplatz erkrankt und dadurch an der Ausübung seiner beruflichen Tätigkeit in dieser Ausgestaltung gehindert ist.
Normenkette
MB/KT 94 § 1
Verfahrensgang
Tenor
Auf die Revision der Klägerin wird das Urteil des 5. Zivilsenats des Oberlandesgerichts Köln vom 13. Februar 2008 im Kostenpunkt und insoweit aufgehoben, als der Klageantrag zu 2 abgewiesen worden ist.
Im Umfang der Aufhebung wird die Sache zur neuen Verhandlung und Entscheidung, auch über die Kosten des Revisionsverfahrens, an das Berufungsgericht zurückverwiesen.
Von Rechts wegen
Tatbestand
Die 1953 geborene und seit 1977 als angestellte Gymnasiallehrerin tätige Klägerin hält bei der Beklagten eine Krankentagegeldversicherung mit einem versicherten Krankentagegeld in Höhe von 76,69 € pro Tag. Dem Versicherungsverhältnis liegen Allgemeine Versicherungsbedingungen der Beklagten für die Krankentagegeldversicherung (im Folgenden: MB/KT) zugrunde, die den Musterbedingungen 1994 des Verbandes der privaten Krankenversicherung (MB/KT 94) entsprechen.
§ 1 MB/KT lautet auszugsweise wie folgt:
"1.
Der Versicherer bietet Versicherungsschutz gegen Verdienstausfall als Folge von Krankheiten oder Unfällen, soweit dadurch Arbeitsunfähigkeit verursacht wird. Er gewährt im Versicherungsfall für die Dauer einer Arbeitsunfähigkeit ein Krankentagegeld in vertraglichem Umfang.
2.
Versicherungsfall ist die medizinisch notwendige Heilbehandlung einer versicherten Person wegen Krankheit oder Unfallfolgen, in deren Verlauf Arbeitsunfähigkeit ärztlich festgestellt wird. Der Versicherungsfall beginnt mit der Heilbehandlung; er endet, wenn nach medizinischem Befund keine Arbeitsunfähigkeit und keine Behandlungsbedürftigkeit mehr bestehen.
...
3.
Arbeitsunfähigkeit im Sinne dieser Bedingungen liegt vor, wenn die versicherte Person ihre berufliche Tätigkeit nach medizinischem Befund vorübergehend in keiner Weise ausüben kann, sie auch nicht ausübt und keiner anderweitigen Erwerbstätigkeit nachgeht. ..."
Anfang April 2002 erlitt die Klägerin an ihrem Arbeitsplatz einen Zusammenbruch und begab sich in allgemeinärztliche und psychiatrische ambulante Behandlung. Sie wurde im Wesentlichen wegen "reaktiver Depression nach jahrelangem Mobbing" arbeitsunfähig krankgeschrieben und erhielt von der Beklagten zunächst Krankentagegeld.
Im Januar und im Mai 2003 ließ die Beklagte die Klägerin von ihrem Vertrauensarzt untersuchen. Dieser erklärte die Klägerin ab dem 5. Mai 2003 für berufsunfähig. Daraufhin stellte die Beklagte die Zahlung von Krankentagegeld zum 4. August 2003 ein.
Die Klägerin behauptet, sie sei auch in der Zeit vom 5. August 2003 bis zum 15. Dezember 2004 krankheitsbedingt vollständig arbeitsunfähig und erst danach wieder arbeitsfähig gewesen. Mit der Klage hat sie die Feststellung begehrt, dass das Versicherungsverhältnis über den 4. August 2003 hinaus fortbestehe. Außerdem beantragt sie,
die Beklagte zur Zahlung von Krankentagegeld für den genannten Zeitraum nebst Zinsen zu verurteilen.
Das Landgericht hat die Klage abgewiesen. Auf die Berufung der Klägerin hat das Oberlandesgericht festgestellt, dass die zwischen den Parteien bestehende Krankentagegeldversicherung nicht wegen Eintritts der Berufsunfähigkeit beendet worden sei, und die weitergehende Berufung zurückgewiesen.
Mit der Revision verfolgt die Klägerin ihren Zahlungsantrag weiter.
Entscheidungsgründe
Die Revision führt zur Aufhebung des Berufungsurteils und zur Zurückverweisung der Sache an das Berufungsgericht.
I.
Das Berufungsgericht hat einen Anspruch der Klägerin auf Zahlung von Krankentagegeld verneint, weil sie die Voraussetzungen für den Eintritt des Versicherungsfalles nicht bewiesen habe. Wie alle mit dem Fall befassten Ärzte und Gutachter festgestellt hätten und die Beklagte nicht bestreite, sei die Klägerin im streitgegenständlichen Zeitraum psychisch krank gewesen. Deswegen sei sie durchgehend in ärztlicher Behandlung gewesen, die als psychiatrische Heilbehandlung medizinisch notwendig gewesen sei. Der gerichtlich bestellte Sachverständige habe überzeugend dargelegt, dass die Klägerin aufgrund ihrer Erkrankung bis etwa Juni 2004 vollständig und danach bis zum 15. Dezember 2004 jedenfalls teilweise außerstande gewesen sei, ihre frühere Lehrtätigkeit auszuüben.
Allerdings sei die krankheitsbedingte Arbeitsunfähigkeit der Klägerin gleichsam arbeitsplatzabhängig gewesen. Nach Einschätzung sämtlicher Behandler und Gutachter sei die Erkrankung der Klägerin durch tatsächliches oder von ihr als solches subjektiv wahrgenommenes Mobbing durch Mitglieder des Lehrerkollegiums hervorgerufen und unterhalten worden. An einem konfliktfreien, nicht krank machenden Arbeitsplatz hätte die Klägerin aber ihre Berufstätigkeit ausüben können. Nach dem Entlassungsbericht der Klinik, in der die Klägerin vom 10. September 2002 bis 22. Oktober 2002 stationär behandelt wurde, habe bei ihr eine schwere depressiv-ängstliche Anpassungsstörung bei einer anhaltenden beruflichen Konfliktsituation bestanden, die die Klägerin destabilisiert habe. Gleichwohl sei sie für den Beruf der Lehrerin vollschichtig leistungsfähig gewesen. Der Sachverständige habe dargelegt, nach den Behandlungsunterlagen sei davon auszugehen, dass die Klägerin in ihrem Beruf einsetzbar gewesen wäre, wenn am Arbeitsplatz kein Mobbing zu besorgen gewesen wäre. Auch die von der Klägerin beauftragten ärztlichen Gutachter hätten festgestellt, dass sie in einem von Mobbing freien Arbeitsbereich arbeitsfähig gewesen wäre. Bedingungsgemäße Arbeitsunfähigkeit liege nicht vor, wenn der Versicherungsnehmer - wie die Klägerin - nur an seinem konkreten Arbeitsplatz seine Berufstätigkeit nicht ausüben könne, weil er aufgrund der von dort ausgehenden Einflüsse erkrankt sei, während er seinem Beruf an einem anderen Ort nachgehen könne.
II.
Das hält der rechtlichen Nachprüfung nicht stand.
1.
Das Berufungsgericht hat der Klägerin zu Unrecht einen Anspruch auf Krankentagegeld für den streitgegenständlichen Zeitraum mit der Begründung versagt, sie hätte ihren Beruf an einem "konfliktfreien" Arbeitsplatz ausüben können. Damit hat es von der Klägerin eine in der Krankentagegeldversicherung nicht vorgesehene Wahl eines anderen Arbeitsplatzes verlangt.
a)
In der Krankentagegeldversicherung setzt der Eintritt eines Versicherungsfalles neben der medizinisch notwendigen Heilbehandlung eine in deren Verlauf ärztlich festgestellte Arbeitsunfähigkeit voraus (§ 1 (2) Satz 1 MB/KT). Arbeitsunfähigkeit liegt gemäß § 1 (3) MB/KT vor, wenn die versicherte Person ihre berufliche Tätigkeit nach medizinischem Befund vorübergehend in keiner Weise ausüben kann, sie auch nicht ausübt und keiner anderweitigen Erwerbstätigkeit nachgeht. Diese Definition der Arbeitsunfähigkeit knüpft an die konkrete berufliche Tätigkeit der versicherten Person und nicht allgemein an ihre beruflichen Möglichkeiten an. Dementsprechend bemisst sich die Arbeitsunfähigkeit nach der bisherigen Art der Berufsausübung, selbst wenn der Versicherte noch andere Tätigkeiten ausüben kann (Senatsurteil vom 20. Mai 2009 - IV ZR 274/06, VersR 2009, 1063 Rn. 11 m.w.N.). Daher ist der Versicherer nicht berechtigt, den Versicherungsnehmer auf so genannte Vergleichsberufe oder gar auf sonstige, auf dem Arbeitsmarkt angebotene Erwerbstätigkeiten zu verweisen (Senatsurteile vom 20. Mai 2009 aaO m.w.N.; vom 9. Juli 1997 - IV ZR 253/96, VersR 1997, 1133 unter II 2 b). Selbst wenn der Versicherte mindestens 50% der von seinem Berufsbild allgemein umfassten Tätigkeit noch ausüben kann, muss er sich nicht darauf verweisen lassen, eine seinen verbliebenen beruflichen Fähigkeiten entsprechende andere Arbeit aufzunehmen. Hingegen ist der Versicherte nicht arbeitsunfähig, wenn er gesundheitlich zu einer - wenn auch nur eingeschränkten - Tätigkeit in seinem bisherigen Beruf imstande geblieben ist (Senatsurteile vom 20. Mai 2009 aaO; vom 25. November 1992 - IV ZR 187/91, VersR 1993, 297 unter II 1). Ob der Versicherte seinem Beruf nicht mehr in der bisherigen Ausgestaltung nachgehen kann, ist durch einen Vergleich der Leistungsfähigkeit, die für die bis zur Erkrankung konkret ausgeübte Tätigkeit erforderlich ist, mit der noch verbliebenen Leistungsfähigkeit festzustellen (Senatsurteil vom 20. Mai 2009 aaO m.w.N.).
b)
Maßstab für die Prüfung der Arbeitsunfähigkeit ist der bisherige Beruf in seiner konkreten Ausprägung (Senatsurteil vom 20. Mai 2009 aaO Rn. 12). Mit Blick daraufkann der Krankentagegeldversicherer von dem Versicherten, der durch besondere Umstände an seinem bisherigen Arbeitsplatz krank geworden ist, nicht einen Wechsel des Arbeitsplatzes, die Wahl eines anderen Arbeitsumfeldes oder arbeitsrechtliche Schritte gegen den Arbeitgeber verlangen. Dies gilt auch dann, wenn sich der Versicherte - wie die Klägerin - an seinem Arbeitsplatz einer tatsächlichen oder von ihm als solcher empfundenen Mobbingsituation ausgesetzt sieht, hierdurch psychisch und/oder physisch erkrankt ist und infolgedessen seine berufliche Tätigkeit nicht ausüben kann. Auch in einem solchen Fall sind die genannten Voraussetzungen eines Versicherungsfalles erfüllt (so auch OLG Celle, Urteil vom 12. Mai 2010 - 8 U 216/09, [...] Rn. 24 ff., mit zust. Anmerkung Rogler, jurisPR-VersR 8/2010 Anm. 3 unter C 5, durch Senatsurteil vom heutigen Tage -IV ZR 137/10 -bestätigt). Die Arbeitsunfähigkeit entfällt nicht deshalb, weil der Versicherte bei Bereinigung der Konfliktsituation an seinem konkreten Arbeitsplatz oder durch einen Wechsel seines Arbeitsplatzes wieder arbeitsfähig wäre. Auf die Möglichkeiten des Arbeitgebers im Rahmen seines Direktionsrechts kommt es nicht an. Entscheidend ist, dass der Versicherte aufgrund seiner Erkrankung seiner bisher ausgeübten beruflichen Tätigkeit in der konkreten Ausgestaltung nicht nachgehen kann. Bei einem weitergehenden Verständnis des Begriffs der beruflichen Tätigkeit wäre der Versicherte zu einem Arbeitsplatzwechsel gehalten, der ihm aber auch als Obliegenheit auf der Grundlage des § 9 (4) MB/KT nicht abverlangt wird (so auch OLG Celle aaO Rn. 29; Rogler aaO unter C 4).
c)
Es handelt sich nicht um eine bloße "Arbeitsplatzunverträglichkeit", wenn die zur Arbeitsunfähigkeit führende Erkrankung der versicherten Person durch Umstände an ihrem bisherigen Arbeitsplatz verursacht oder verstärkt worden ist (so aber außer dem Berufungsgericht: OLG Celle VersR 2000, 1531, 1532; OLG Oldenburg Beschluss vom 15. Mai 2006 - 3 U 110/05, n.v., zitiert nach Rogler aaO unter C 2; LG Bremen NJOZ 2004, 656, 657; MünchKomm-VVG/Hütt, § 192 Rn. 151; Voit in Prölss/Martin, VVG 28. Aufl. § 1 MB/KT 2009 Rn. 2; Bach/Moser/Wilmes, Private Krankenversicherung 4. Aufl. § 1 MB/KT Rn. 16; Brams, VersR 2009, 744, 748 ff. m.w.N.; Muschalla/Linden, VersMed 2009, 63, 67). Vielmehr kann der Versicherte auch dann arbeitsunfähig i.S. von § 1 (3) MB/KT sein, wenn die seine Erkrankung auslösenden Umstände mit seinem bisherigen Arbeitsplatz zusammenhängen.
Aus der maßgeblichen Sicht eines durchschnittlichen, um Verständnis bemühten Versicherungsnehmers ergibt sich aus dem Wortlaut des § 1 (2) und (3) MB/KT nicht, dass es auf die Ursache der Krankheit, die zur Arbeitsunfähigkeit führt, ankommen soll. Insbesondere ist für den durchschnittlichen Versicherungsnehmer nicht erkennbar, dass psychische und physische Erkrankungen ausgeschlossen sein sollen, wenn sie durch so genanntes Mobbing ausgelöst oder begünstigt werden. Er kann der Regelung des § 1 (3) MB/KT nicht entnehmen, dass Arbeitsunfähigkeit nicht vorliegt, wenn eine Erkrankung durch Umstände an dem bisherigen Arbeitsplatz verursacht oder verstärkt worden ist. Der Wortlaut des Begriffs "berufliche Tätigkeit" lässt für ihn nicht offen, ob darunter die konkrete Tätigkeit der versicherten Person bei ihrem konkreten Arbeitgeber an einem konkreten Arbeitsplatz oder aber nur ein allgemeines Berufsbild zu verstehen ist (so Rogler aaO unter C 4, der den Wortlaut für mehrdeutig hält). Vielmehr wird der durchschnittliche Versicherungsnehmer unter beruflicher Tätigkeit seine spezifische Tätigkeit verstehen und annehmen, dass damit auch sein Arbeitsplatz bei seinem bisherigen Arbeitgeber gemeint ist (so auch OLG Celle vom 12. Mai 2010 aaO Rn. 24).
Für dieses Verständnis spricht auch der dem durchschnittlichen Versicherungsnehmer erkennbare Zweck der Krankentagegeldversicherung, die durch einen vorübergehenden Ausfall der Arbeitskraft des Versicherten entstehenden Vermögensnachteile auszugleichen (vgl. OLG Köln VersR 1998, 1365, 1366; HK-VVG/Rogler, § 1 MB/KT 2009 Rn. 1; Rogler aaO; Bach/Moser/Wilmes aaO Rn. 1 m.w.N.). Die Arbeitskraft fällt auch dann aus, wenn der Versicherte infolge Mobbings an seinem bisherigen Arbeitsplatz erkrankt und dadurch an der Ausübung seiner beruflichen Tätigkeit in dieser Ausgestaltung gehindert ist.
2.
Die Sache ist nicht zur Endentscheidung reif, weil noch Feststellungen zur Dauer der Arbeitsunfähigkeit der Klägerin fehlen.
a)
In der Krankentagegeldversicherung ist der Versicherer nur in dem Zeitraum leistungspflichtig, in dem der Versicherte vollständig arbeitsunfähig ist. Die einmal entstandene Leistungspflicht dauert nicht an, wenn der Versicherte später in seiner Arbeitsfähigkeit nur noch eingeschränkt ist. Denn der Schutzzweck der Krankentagegeldversicherung ist nicht am Verdienstausfall wegen bloßer Einschränkungen der Arbeitsfähigkeit ausgerichtet (Senatsurteil vom 25. November 1992 aaO unter II 3 c).
b)
Das Berufungsgericht hat nicht festgestellt, dass die Klägerin bis einschließlich 14. Dezember 2004 vollständig arbeitsunfähig war. Es hat gestützt auf das Sachverständigengutachten nur ausgeführt, die Klägerin sei bis etwa Juni 2004 vollständig und danach bis zum 15. Dezember 2004 jedenfalls teilweise außerstande gewesen, ihre Lehrtätigkeit auszuüben. Bis zu welchem Zeitpunkt die vollständige Arbeitsunfähigkeit der Klägerin andauerte, wird das Berufungsgericht durch ergänzende Befragung des Sachverständigen zu klären haben.
Fundstellen
VuR 2011, 238 |
ZfS 2011, 343 |