Leitsatz (amtlich)
Führen Eheleute eine atypisch stille Gesellschaft, dann kann es interessengerecht sein, hinsichtlich der Abfindung des stillen Gesellschafters danach zu differenzieren, ob gleichzeitig mit der Beendigung der stillen Gesellschaft auch das Unternehmen des Inhabers eingestellt oder ob es fortgeführt wird. Enthält der Gesellschaftsvertrag dementsprechend ausdrücklich differenzierende Abfindungsregeln, verletzt eine Auslegung, die sich hierüber hinwegsetzt, den Grundsatz beiderseits interessengerechter Vertragsauslegung.
Normenkette
BGB §§ 133, 157; HGB §§ 235, 155, 161 Abs. 2
Verfahrensgang
Tenor
Auf die Rechtsmittel der Beklagten werden das Urteil des 2. Zivilsenats des Hanseatischen Oberlandesgerichts in Bremen vom 6. Mai 1999 aufgehoben und das Urteil der 4. Kammer für Handelssachen des Landgerichts Bremen vom 25. März 1998 abgeändert.
Die Klage wird abgewiesen.
Die Kosten des Rechtsstreits hat der Kläger zu tragen.
Von Rechts wegen
Tatbestand
Die Parteien waren früher miteinander verheiratet. Die Beklagte betrieb in B. in angemieteten Räumen einen Groß- und Einzelhandel mit Wolle, Woll- und Schuhmoden und artverwandten Artikeln. Der Kläger war aufgrund Vertrages vom 13. Mai 1983 als atypisch stiller Gesellschafter mit einer Einlage von zunächst 100.000 DM an diesem Unternehmen beteiligt und sollte nach § 5 des Vertrages, soweit in dem Gesellschaftsvertrag nichts Abweichendes bestimmt war, die Rechte eines Kommanditisten haben. § 3 aaO räumte ihm das Recht ein, seine Einlage jederzeit einseitig zu erhöhen; sie war von da an gewinn- und verlustunabhängig mit 6 % jährlich zu verzinsen. Gewinne und Verluste hatten die Beteiligten ursprünglich je hälftig zu tragen; aufgrund einer Nachtragsvereinbarung vom 25. Januar 1985 wurden der Gewinn- und Verlustverteilungsschlüssel dahin geändert, daß nunmehr auf die Beklagte 90 % und auf den Kläger 10 % entfallen sollten. § 4 Abs. 2 aaO enthält einen Katalog von Maßnahmen, für welche die Beklagte, die allein zur Geschäftsführung befugt war, der Zustimmung des Klägers bedurfte. Dazu gehört auch die vollständige oder teilweise Einstellung des Unternehmens (§ 4 Abs. 2 Nr. 14). Die Kündigung der stillen Gesellschaft, von welcher Seite auch immer, hat nach § 10 Abs. 2 aaO das Ausscheiden des stillen Gesellschafters zur Folge. § 11 des Vertrages regelt die „Auseinandersetzung” und bestimmt, daß „bei Beendigung der Gesellschaft” dem stillen Gesellschafter eine Abfindung entsprechend dem Wert (Betrag des Einlagenkontos und des beweglichen Kontos sowie die Hälfte der stillen Reserven) seines Gesellschaftsanteils zusteht, wobei die weiteren Absätze nähere Vorgaben enthalten, wie dieser Wert zu ermitteln ist. Die danach dem Kläger zustehende Abfindung sollte nach § 11 Abs. 6 in drei gleichen Jahresraten ausgezahlt werden. Für den Fall der „Beendigung der stillen Gesellschaft und Liquidation des Unternehmens der Inhaberin” sieht § 12 folgende Regelung vor:
„Stellt die Inhaberin ihr Unternehmen ein oder erfolgt die Beendigung der stillen Gesellschaft zugleich mit der Einstellung, so steht dem stillen Gesellschafter anstelle einer Abfindung gemäß § 11 eine Beteiligung am Liquidationserlös der Inhaberin zu. Am Liquidationsgewinn oder an einem sich ergebenden Liquidationsverlust ist der stille Gesellschafter zur Hälfte beteiligt.”
Von 1986 an erwirtschaftete das Unternehmen nur noch Verluste, die in dem vereinbarten Verhältnis von 9 : 1 den Kapitalkonten zugeschrieben wurden; gleichzeitig erhielt der Kläger Gutschriften als Verzinsung seiner Einlagen; um die entsprechenden Beträge erhöhte sich jeweils der Verlustanteil der Beklagten.
Zum 31. März 1990 stellte die Beklagte das Unternehmen ein und beendete die stille Gesellschaft. Die von dem gemeinsamen Steuerberater auf diesen Zeitpunkt erstellte Bilanz wies auf dem festen Kapitalkonto des Klägers einen Betrag von mehr als 677.000 DM und auf dem beweglichen Konto ein Guthaben von knapp 72.000 DM auf, während für die Beklagte ein Minussaldo von fast 927.000 DM verzeichnet war. Der hohe Betrag auf dem Einlagenkonto des Klägers beruhte in Höhe von 440.000 DM auf zusätzlichen Einlagen, die er zwischen dem 12. April und dem 8. August 1989 erbracht hatte und die zur Tilgung von Schulden des Unternehmens verwendet wurden, für welche sich der Kläger persönlich verbürgt gehabt hatte. Die Beklagte übernahm das Anlagevermögen und verwertete es, soweit möglich; das von ihr für die Zeit bis zum Jahre 2013 angemietete Geschäftslokal untervermietete sie nach der Einstellung des Wollhandelsgeschäfts.
Nach der später vollzogenen Trennung der Parteien forderte der Kläger zunächst vergeblich „Rückführung des Geschäftslokals” und dann Anfang 1997 den Ausgleich des Guthabens auf seinem Kapitalkonto. Er hat die Ansicht vertreten, da er wie ein Kommanditist zu behandeln sei, müsse die Schlußabrechnung wie bei einer Liquidation unter Berücksichtigung der Einlagen ermittelt werden. Mit der Klage hat er einen Teilbetrag von 440.000 DM nebst Zinsen hiervon geltend gemacht. Vor dem Landgericht und dem Oberlandesgericht hatte der Kläger Erfolg. Mit der Revision verfolgt die Beklagte ihr Klageabweisungsbegehren weiter.
Entscheidungsgründe
Die Revision ist begründet und führt unter Aufhebung bzw. Abänderung der in den Vorinstanzen ergangenen Entscheidungen zur Abweisung der Klage. Dem Kläger steht der geltend gemachte (Teil-)Anspruch auf Rückzahlung seiner Einlage nicht zu. Zu dem gegenteiligen Ergebnis ist das Berufungsgericht nur dadurch gelangt, daß es den zwischen den Parteien geschlossenen Gesellschaftsvertrag in einer Weise ausgelegt hat, die rechtsfehlerhaft die Grenzen des tatrichterlichen Spielraums überschreitet, nämlich weder vom Wortlaut der maßgebenden Bestimmungen gedeckt ist, noch den Grundsatz beiderseits interessengerechter Interpretation (Sen.Urt. v. 3. April 2000 – II ZR 194/98, WM 2000, 1195; Urt. v. 10. Juli 1998 – V ZR 360/98, WM 1998, 1883; Urt. v. 11. Mai 1995 – VII ZR 116/94, WM 1995, 1545; Urt. v. 8. Juni 1994 – VIII ZR 103/93, NJW 1994, 2228 f.) wahrt. Da weitergehende tatrichterliche Feststellungen ausscheiden, kann der Senat den Vertrag selbst auslegen.
Nachdem das Gesellschaftsverhältnis zwischen den Parteien beendet worden ist, hat der Kläger als atypisch stiller Gesellschafter – insofern ist ihm ebenso wie dem Berufungsgericht im Ausgangspunkt zu folgen – einen gesetzlichen Abfindungsanspruch, der nicht allein den Buchwert seiner Einlage umfaßt, sondern so zu ermitteln ist wie das Auseinandersetzungsguthaben des Mitglieds einer beendeten OHG (vgl. Sen.Urt. v. 16. Mai 1994 – II ZR 223/92, NJW-RR 1994, 1185; Sen.Urt. v. 13. April 1995 – II ZR 132/94, WM 1995, 1277). Das gilt allerdings nur dann, wenn nicht im Gesellschaftsvertrag etwas Abweichendes vereinbart worden ist. Entgegen der Annahme des Berufungsgerichts ist dies im vorliegenden Fall geschehen. Denn lediglich für den Fall des Ausscheidens des Stillen aus der Gesellschaft bei Fortführung des Unternehmens durch die Inhaberin enthält § 11 des Gesellschaftsvertrages eine prinzipiell den gesetzlichen Regeln entsprechende Bestimmung. Dagegen ist für den Fall der Beendigung der Gesellschaft bei gleichzeitiger Einstellung des Unternehmens, um die allein es hier geht, eine andere Regelung in § 12 aaO getroffen worden: Danach soll der Stille am Liquidationserlös der Inhaberin – bestehe er in einem Verlust oder in einem Gewinn – hälftig beteiligt werden, und diese Regelung soll nicht etwa die in § 11 aaO getroffenen Abreden ergänzen, wie das Berufungsgericht entschieden hat, sondern sie soll dieselben verdrängen. Das ergibt sich nicht nur aus dem zweifelsfreien Wortlaut – „anstelle einer Abfindung gemäß § 11” –, über den sich das Berufungsgericht hinweggesetzt hat, sondern auch aus der gebotenen beiderseits interessengerechten Auslegung der Abfindungsregeln des Vertrages.
Wird die stille G esellschaft beendet, das Geschäft von der Inhaberin aber fortgeführt, erscheint es sachgerecht, wie in § 11 aaO bestimmt ist, daß sie dem Kläger nicht nur seine Einlage erstattet, sondern ihn als „atypisch stillen Gesellschafter” obendrein an dem Erfolg des Unternehmens beteiligt. Ihrem Interesse, durch die Abfindungszahlung die Fortführung des Geschäfts nicht zu gefährden, sondern auch in Zukunft erfolgreich tätig sein zu können, wird dadurch Rechnung getragen, daß sie die dem Ausgeschiedenen zustehende Zahlung nicht auf einmal aufbringen muß, sondern die Abfindung in drei gleichen Jahresraten leisten darf. Dadurch erhält sie zugleich, wie das das Berufungsgericht richtig gesehen hat, die Möglichkeit, sich nach einem anderen Geldgeber umzusehen, falls sie nicht in der Lage ist, aus selbst erwirtschafteten Mitteln die vertraglich vereinbarten Beträge aufzubringen.
Anders ist die Interessenlage dagegen dann, wenn es nicht zur Fortführung des Unternehmens kommt. Für diesen Fall entspricht es den Interessen der beiden als Eheleute in der stillen Gesellschaft verbundenen Gesellschafter, daß – wie es § 12 aaO regelt – allein die Gewinne und Verluste des von der Inhaberin und dem atypisch stillen Gesellschafter intern nach OHG-Grundsätzen geführten und nunmehr beendeten Geschäfts verteilt werden. Denn nunmehr geht es nur noch darum, das Ergebnis der bisherigen gemeinschaftlichen wirtschaftlichen Tätigkeit, die jedenfalls für den Kläger bei der Verfolgung seiner anderweiten wirtschaftlichen Interessen besondere steuerliche Gestaltungsmöglichkeiten mit sich brachte, unter den Eheleuten gerecht aufzuteilen. Die in § 12 aaO vorgesehene – bei einer von Ehegatten geführten Gesellschaft nicht fernliegenden – hälftige Teilung dieses Ergebnisses, an der die Parteien auch nach der Änderung des sonst geltenden Gewinn- und Verlustverteilungsschlüssels festgehalten haben, zeigt, daß sie für den Fall der Beendigung der stillen Gesellschaft durch – nach § 4 Abs. 2 Nr. 14 aaO nur mit Zustimmung des Klägers mögliche – Einstellung des Unternehmens bewußt etwas Anderes bestimmt haben, als für andere Fälle der Beendigung der stillen Gesellschaft vereinbart worden ist. In den Tatsacheninstanzen ist selbst der Kläger davon ausgegangen, daß § 11 aaO von § 12 aaO verdrängt wird und hat – allerdings im Hinblick auf den unstreitigen Inhalt der Schlußbilanz des gemeinsamen Steuerberaters zu Unrecht – die Ansicht vertreten, auf die Abfindungsregelung nach § 12 aaO brauche er sich deswegen nicht verweisen zu lassen, weil eine Liquidation der stillen Gesellschaft nicht stattgefunden habe, so daß er sein Auseinandersetzungsguthaben nach § 11 aaO berechnen dürfe. Dagegen hat die einseitig auf die Interessen des Klägers abstellende Interpretation der Vertragsbestimmungen, die das Berufungsgericht für richtig gehalten hat, zur Folge, daß die Beklagte die Verluste des eingestellten Unternehmens ganz überwiegend zu tragen hat. Denn sie hatte weder nach dem bereits erwähnten § 4 Abs. 2 Nr. 14 des Gesellschaftsvertrages die Möglichkeit, allein die Entscheidung über die Einstellung des Unternehmens zu treffen, noch konnte sie verhindern, daß der Kläger seine Einlage aufstockte, um sie sich dann ertragsunabhängig zu Lasten des Kapitalanteils der Beklagten verzinsen zu lassen. Selbst die Verwendung des zusätzlich eingeschossenen Betrages für die Tilgung von Schulden des Unternehmens ging – entgegen der in § 12 aaO niedergelegten Regelung über die hälftige Verlustverteilung – einseitig zu Lasten der Beklagten, wenn diese verpflichtet sein sollte, die Einlagen in jedem Fall zu erstatten.
Da der Kläger die geltend gemachten 440.000 DM ausdrücklich als Teilbetrag seiner „Einlage” eingefordert hat, hierfür aber im Hinblick auf den allein anwendbaren § 12 aaO keine Rechtsgrundlage besteht, bedarf es keiner Entscheidung, ob mit der von dem gemeinsamen Steuerberater der Parteien vorgelegten Schlußbilanz die Liquidation bereits abgeschlossen ist oder ob ggfs. noch ein Anspruch des Klägers auf Teilhabe an einem Liquidationserlös in Gestalt des – der Höhe nach umstrittenen – „Nettomietgewinns” aus der Untervermietung der ehemals als Ladenlokal des Wollhandelsgeschäfts genutzten Räume besteht.
Unterschriften
Röhricht, Henze, Goette, Kurzwelly, Münke
Veröffentlichung
Veröffentlicht am 09.07.2001 durch Vondrasek Justizangestellte als Urkundsbeamtin der Geschäftsstelle
Fundstellen