Leitsatz (amtlich)
Die Duldungspflicht des § 12 Abs. 1 NAV besteht nicht nur hinsichtlich solcher Leitungen, die der eigenen Versorgung dienen, sondern auch insoweit, als die Versorgung Dritter eine Leitungsführung über das in Anspruch genommene Grundstück erforderlich macht.
§ 12 Abs. 5 NAV erfasst nur die im Eigentum der öffentlichen Hand stehenden, dem öffentlichen Verkehr eröffneten Verkehrswege und Verkehrsflächen, nicht dagegen im Privateigentum stehende Wege, die dem öffentlichen Verkehr gewidmet sind.
Normenkette
NAV § 12 Abs. 1, 5
Verfahrensgang
OLG München (Beschluss vom 22.09.2015; Aktenzeichen 27 U 1523/15) |
LG Augsburg (Entscheidung vom 01.04.2015; Aktenzeichen 102 O 1254/13) |
Tenor
Auf die Revision der Beklagten wird der Beschluss des OLG München - 27. Zivilsenat - vom 22.9.2015 aufgehoben.
Die Sache wird zur Verhandlung und neuen Entscheidung, auch über die Kosten des Revisionsverfahrens, an das Berufungsgericht zurückverwiesen.
Von Rechts wegen
Tatbestand
Rz. 1
Das LG hat die Beklagte verurteilt, die unter zwei Wegegrundstücken mit der Bezeichnung Flur-Nr. 4217/2 und Flur-Nr. 1242/2 für den Betrieb eines BOS-Mastes verlegte Stromleitung zu entfernen und es zu unterlassen, unter diesen Wegen ein 0,4-kV-Kabel sowie anderweitige Versorgungsleitungen für den Betrieb des BOS-Mastes hindurchzuführen. Das OLG hat die Berufung der Beklagten gem. § 522 Abs. 2 ZPO zurückgewiesen. Mit der von dem Senat zugelassenen Revision erstrebt die Beklagte die Klageabweisung. Die Klägerinnen beantragen die Zurückweisung der Revision.
Entscheidungsgründe
I.
Rz. 2
Nach Ansicht des Berufungsgerichts besteht keine Duldungsverpflichtung der Klägerinnen. Eine solche ergebe sich insb. nicht aus § 12 Abs. 1 NAV, da sie nicht Anschlussnehmerinnen seien; die Versorgung der Klägerinnen mit Strom erfolge über ein separates Hauptstromkabel. Zudem seien die beiden Wegegrundstücke, bei denen es sich um öffentliche Feld- und Waldwege handle, als öffentlicher Verkehrsraum gem. § 12 Abs. 5 NAV von der Duldungspflicht ausgenommen.
II.
Rz. 3
Der die Berufung zurückweisende Beschluss ist aufzuheben und die Sache zur Verhandlung und neuen Entscheidung an das Berufungsgericht zurückzuverweisen, weil er keine der Vorschrift des § 522 Abs. 2 Satz 4 ZPO entsprechende Darstellung enthält. Die tatbestandlichen Feststellungen in den Gründen des Zurückweisungsbeschlusses reichen nicht aus, um dem Senat eine revisionsrechtliche Nachprüfung zu ermöglichen.
Rz. 4
1. Der für das Revisionsverfahren maßgebliche Prozessstoff bestimmt sich nach § 559 ZPO. Danach ist Grundlage der Prüfung des Revisionsgerichts grundsätzlich nur der Tatsachenstoff, der sich aus dem Berufungsurteil einschließlich der in ihm enthaltenen wirksamen Bezugnahmen sowie aus dem Sitzungsprotokoll erschließt. Dies gilt auch dann, wenn Gegenstand des Revisionsverfahrens ein die Berufung gem. § 522 Abs. 2 ZPO zurückweisender Beschluss ist, da dieser an die Stelle des Berufungsurteils tritt. Deshalb müssen die tatsächlichen Grundlagen, von denen das Berufungsgericht ausgegangen ist, aus dem Berufungsurteil oder dem Zurückweisungsbeschluss ersichtlich sein, um dem Revisionsgericht die Überprüfung zu ermöglichen. Dabei reicht für die Darstellung des erstinstanzlichen Sach- und Streitstandes gem. § 540 Abs. 1 Nr. 1 ZPO bzw. § 522 Abs. 2 Satz 4 ZPO die Bezugnahme auf die tatsächlichen Feststellungen in dem angefochtenen Urteil aus.
Rz. 5
2. Eine revisionsrechtliche Prüfung ist nicht möglich, wenn tatbestandliche Darstellungen in dem Berufungsurteil oder in dem Zurückweisungsbeschluss völlig fehlen oder derart widersprüchlich, unklar oder lückenhaft sind, dass sich die tatsächlichen Grundlagen der Entscheidung des Berufungsgerichts nicht mehr zweifelsfrei erkennen lassen. In diesen Fällen ist das Berufungsurteil bzw. der Zurückweisungsbeschluss von Amts wegen aufzuheben und die Sache an das Berufungsgericht zurückzuverweisen (vgl. BGH, Urt. v. 6.6.2003 - V ZR 392/02, NJW-RR 2003, 1290, 1291; BGH, Urt. v. 3.12.2014 - VIII ZR 370/13, NJW 2015, 1167 Rz. 15). Dabei ist der Grund für das Fehlen tatbestandlicher Feststellungen ohne Bedeutung, etwa wenn das Berufungsgericht von einer Sachverhaltsdarstellung deswegen abgesehen hat, weil es die Rechtsmittelbeschwer falsch eingeschätzt hat (vgl. für das Nichtzulassungsbeschwerdeverfahren BGH, Beschl. v. 26.6.2003 - V ZR 441/02, NJW 2003, 3208), wie es sich im vorliegenden Fall verhalten dürfte. Das für die Bemessung der Beschwer des Beklagten maßgebliche Interesse an der Abänderung des Berufungsurteils richtet sich hier nach den Kosten für die Entfernung des Kabels (Beseitigungsverpflichtung) sowie den Kosten einer anderweitigen Verlegung der Leitung (Unterlassungsverpflichtung). Der dafür erforderliche Aufwand liegt nach den glaubhaft gemachten Angaben der Beklagten im Nichtzulassungsbeschwerdeverfahren weit über 20.000 EUR, so dass die Wertgrenze des § 26 Nr. 8 Satz 1 EGZPO überschritten ist.
Rz. 6
3. Von welchen tatsächlichen Feststellungen des erstinstanzlichen Gerichts das Berufungsgericht ausgegangen ist, lässt sich dem Zurückweisungsbeschluss nicht entnehmen. Er enthält weder eine Sachverhaltsdarstellung noch zumindest eine Bezugnahme nach § 522 Abs. 2 Satz 4 ZPO auf die tatsächlichen Feststellungen des LG. Eine solche kann nicht in dem Eingangssatz "Das Urteil des LG entspricht der Sach- und Rechtslage" gesehen werden. Damit wird allein das Ergebnis der rechtlichen Prüfung durch das Berufungsgericht mitgeteilt; er besagt aber nichts darüber, auf welchen tatsächlichen Feststellungen dieses Ergebnis beruht. Soweit sich in den rechtlichen Erörterungen des Zurückweisungsbeschlusses punktuell Tatsachenmitteilungen finden, reichen diese nicht aus, um sich den der Entscheidung zugrunde liegenden Sachverhalt in seiner Gesamtheit zu erschließen.
III.
Rz. 7
In der Berufungsverhandlung wird das Berufungsgericht Gelegenheit haben, sich mit den Argumenten der Revisionsbegründung und den Ausführungen der Beklagten im Schriftsatz vom 1.12.2016 auseinanderzusetzen. Unter Zugrundelegung des von der Beklagten in dem Nichtzulassungsbeschwerdeverfahren mitgeteilten Sachverhalts (vgl. BGH, Beschl. v. 18.9.2014 - V ZR 290/13, NJW 2014, 3583 Rz. 8; Beschl. v. 26.6.2003 - V ZR 441/02, NJW 2003, 3208) weist der Senat für das weitere Verfahren auf Folgendes hin:
Rz. 8
1. Entgegen der Auffassung des Berufungsgerichts steht der Annahme einer Duldungspflicht der Klägerinnen gem. § 12 Abs. 1 Satz 1 NAV nicht entgegen, dass ihre Grundstücke nicht über das streitgegenständliche Stromkabel, sondern durch ein separates Hauptstromkabel mit Strom versorgt werden.
Rz. 9
Die Klägerinnen sind gem. § 1 Abs. 2 NAV Anschlussnehmerinnen, da ihre Grundstücke über das separate Hauptstromkabel an das Niederspannungsnetz der Beklagten angeschlossen sind. Nach § 12 Abs. 1 Satz 1 NAV haben Anschlussnehmer, die Grundstückseigentümer sind, für Zwecke der örtlichen Versorgung das Anbringen und Verlegen von Leitungen zur Zu- und Fortleitung von Elektrizität über ihre im Gebiet des Elektrizitätsversorgungsnetzes der allgemeinen Versorgung liegenden Grundstücke unentgeltlich zuzulassen. § 12 Abs. 1 NAV hat im Wesentlichen inhaltsgleich die bis zum 7.11.2006 gültige Regelung des § 8 Abs. 1 AVBEltV übernommen (BR-Drucks. 376/06, 47). Nach der Rechtsprechung des BGH zu § 8 AVBEltV ist die dem Grundeigentümer auferlegte allgemeine unentgeltliche Duldungspflicht eine Ausprägung der verfassungsrechtlichen Sozialbindung des Eigentums. Die von einem Elektrizitätsversorgungsunternehmen versorgten Anschlussnehmer stellen innerhalb eines Versorgungsgebiets aus technisch-wirtschaftlichen Gründen eine Solidargemeinschaft dar, die nur durch ein für alle Abnehmer bereit gehaltenes, die Benutzung fremder Grundstücke erforderndes Netz mit Strom versorgt werden kann (BGH, Urt. v. 28.4.2010 - VIII ZR 223/09, NJW 2010, 2802 Rz. 11). Daher muss derjenige, der als Anschlussnehmer an den Vorteilen der öffentlichen Stromversorgung teilnimmt oder teilnehmen will, auch zu deren - kostengünstigen - Schaffung und Aufrechterhaltung ohne Entgelt durch die Zurverfügungstellung seiner Grundstücke beitragen. Das gilt - anders als das Berufungsgericht meint - nicht nur hinsichtlich solcher Leitungen, die der eigenen Versorgung dienen, sondern auch insoweit, als die Versorgung Dritter eine Leitungsführung über das in Anspruch genommene Grundstück erforderlich macht (BGH, Urt. v. 4.2.1976 - VIII ZR 167/74, BGHZ 66, 62, 65; Urt. v. 13.3.1991 - VIII ZR 373/89, NJW-RR 1991, 841, 842; vgl. auch BT-Drucks. 76/79, 46).
Rz. 10
2. Gegen eine Pflicht zur Duldung der Stromleitung spricht auch nicht, dass die hier im Streit stehenden Wegegrundstücke selbst nicht an das Stromnetz angeschlossen sind. Die Duldungspflicht des Eigentümers betrifft nicht nur die Grundstücke, die an das Elektrizitätsversorgungsnetz angeschlossen sind (§ 12 Abs. 1 Satz 2 Nr. 1 NAV), sondern gem. § 12 Abs. 1 Satz 2 Nr. 2 NAV auch solche Grundstücke, die von dem Eigentümer in wirtschaftlichem Zusammenhang mit einem an das Netz angeschlossenen Grundstück genutzt werden. Der Begriff des wirtschaftlichen Zusammenhangs ist weit zu verstehen. Regelmäßig besteht ein solcher Zusammenhang, wenn das Grundstück unmittelbar an das an das Netz angeschlossene Grundstück angrenzt (Morell, Handbuch der Leitungs- und Wegerechte, 0120 S. 8; Hartmann/Blumenthal-Barby, in Danner/Theobald, Energierecht, Band 1, § 12 NAV Rz. 18). Nach dem von der Beklagten in dem Nichtzulassungsbeschwerdeverfahren mitgeteilten Sachverhalt grenzen die im Eigentum der Klägerinnen stehenden Wegegrundstücke unmittelbar an weitere - an die Stromversorgung angeschlossene - Grundstücke der Klägerinnen an. Zudem ist der Entscheidung des Berufungsgerichts zu entnehmen, dass die Wege im Anliegergebrauch der Klägerinnen stehen. Da die Wege somit der Nutzung der anliegenden Grundstücke der Klägerinnen dienen, liegt ein wirtschaftlicher Zusammenhang i.S.v. § 12 Abs. 1 Satz 2 Nr. 2 NAV vor.
Rz. 11
3. Eine Duldungspflicht der Klägerinnen ist nicht gem. § 12 Abs. 5 NAV ausgeschlossen.
Rz. 12
Nach § 12 Abs. 5 NAV gelten die Abs. 1 bis 4 des § 12 NAV nicht für öffentliche Verkehrswege und Verkehrsflächen sowie für Grundstücke, die durch Planfeststellung für den Bau von öffentlichen Verkehrswegen und Verkehrsflächen bestimmt sind. Der Begriff der öffentlichen Verkehrswege und Verkehrsflächen ist nicht identisch mit dem Begriff der "öffentlichen Straße" im Sinne der Straßengesetze der Länder. § 12 Abs. 5 NAV erfasst nur die im Eigentum der öffentlichen Hand stehenden, dem öffentlichen Verkehr eröffneten Verkehrswege und Verkehrsflächen, nicht dagegen im Privateigentum stehende Wege, die dem öffentlichen Verkehr gewidmet sind.
Rz. 13
a) Die Vorschrift des § 12 Abs. 5 NAV entspricht der Vorgängerregelung des § 8 Abs. 6 AVBEltV (BR-Drucks. 367/06, 48). Nach der Begründung des Verordnungsgebers zu dem am 1.4.1980 in Kraft getretenen § 8 Abs. 6 AVBEltV sollte mit der Ausnahmeregelung der bisherigen Praxis beim Bau von öffentlichen Verkehrswegen und Verkehrsflächen Rechnung getragen werden und das System der Gestattungsverträge unberührt bleiben (BR-Drucks. 76/79, 48). Die Inanspruchnahme von öffentlichen Verkehrswegen sollte damit anderen Regeln folgen als die Inanspruchnahme von privaten Grundstücken innerhalb des Versorgungsgebietes. Während der Verordnungsgeber eine Duldungspflicht der betroffenen Kunden und Anschlussnehmer aus der Sozialpflichtigkeit ihrer im Versorgungsgebiet gelegenen Grundstücke hergeleitet hat (BR-Drucks. 76/79, 46), hat er für öffentliche Verkehrswege und Verkehrsflächen eine solche Duldungspflicht nicht begründen wollen, sondern für deren Inanspruchnahme weiterhin nach der überkommenen Praxis der Gestattungsverträge, wie sie etwa auch in § 8 Abs. 10 BFStrG vorausgesetzt wird, verfahren wollen (BGH, Urt. v. 28.4.2010 - VIII ZR 223/09, NJW 2010, 2802 Rz. 18).
Rz. 14
b) Dafür, dass der Verordnungsgeber mit der Regelung des § 12 Abs. 5 NAV allein die im Eigentum der öffentlichen Hand stehenden öffentlichen Verkehrswege und Verkehrsflächen im Blick hatte, spricht, dass nur für diese ein "System von Gestattungsverträgen" (BR-Drucks. 76/79, 48) bestand. Die öffentliche Hand hatte seit jeher die Nutzung ihrer Straßen und Wege durch die Versorgungsunternehmen mittels Gestattungs- bzw. Konzessionsverträgen geregelt. Die Inanspruchnahme von Bundes-, Landes- und Kreisstraßen für elektrische Leitungen erfolgte auf der Grundlage von Gestattungsverträgen (für die Bundesfernstraßen vgl. BVerwG, Urt. v. 29.3.1968 - IV C 100.65, juris Rz. 12). Seit 1968 hat dies zur Entwicklung von zwischen der Versorgungswirtschaft und den zuständigen Behörden vereinbarten Vertragsmustern geführt, auf deren Grundlage die Benutzung von Bundes- und weitgehend auch von Landes- und Kreisstraßen geregelt wurde (Ahnis/Bartsch, IR 2013, 122; Morell, Handbuch der Leitungs- und Wegerechte, 0110, S. 2 ff.). Auch zwischen den Gemeinden und den Versorgungsunternehmen bestanden schon frühzeitig vertragliche Regelungen. Bereits Ende des 19. Jahrhunderts schlossen die Gemeinden die ersten Konzessionsverträge mit den Elektrizitätsunternehmen. Im Laufe der Jahre wuchs deren Bedeutung für die Gemeinden als Instrument der Einflussnahme auf die örtliche Elektrizitätsversorgung an (Templin, Recht der Konzessionsverträge, S. 50 ff., 118). Mit dem Abschluss von Konzessionsverträgen, die weitgehend auf der Grundlage von Musterkonzessionsverträgen abgeschlossen werden (Morell, Handbuch der Leitungs- und Wegerechte, 0110, S. 3), verfolgen die Gemeinden das Ziel, entsprechend ihrer Verpflichtung aus Art. 28 Abs. 2 Satz 1 GG die Versorgung der Bevölkerung mit Energie sicherzustellen und eine angemessene Vergütung (Konzessionsabgaben) für die Benutzung der gemeindlichen Wege durch das Energieversorgungsunternehmen zu erhalten (Theobald in Danner/Theobald, Energierecht, Band 1, § 46 EnWG Rz. 9; Templin, Recht der Konzessionsverträge, S. 50 ff.). Dieses System von Gestattungs- und Konzessionsverträgen wollte der Verordnungsgeber unangetastet lassen.
Rz. 15
Demgegenüber liegen keine Anhaltspunkte dafür vor, dass der Verordnungsgeber auch die dem öffentlichen Verkehr gewidmeten privaten Wegegrundstücke von der Duldungspflicht nach § 12 Abs. 1 NAV ausnehmen und innerhalb der bestehenden Solidargemeinschaft (vgl. BGH, Urteil vom 28.4.2010 - VIII ZR 223/09, NJW 2010, 2802 Rz. 11) deren Eigentümern gegenüber den sonstigen Grundstückseigentümern eine privilegierte Stellung zukommen lassen wollte. Gegen eine Einbeziehung des privaten Wegeeigentümers in die Ausnahmeregelung des § 12 Abs. 5 NAV spricht, dass dies zu einer Regelungslücke führen würde. Da gerade die Nutzung des öffentlichen Wegenetzes zur Verlegung von Versorgungsleitungen und für die Versorgung von Letztverbrauchern erforderlich ist (vgl. BGH, Urt. v. 11.11.2008 - KZR 43/07, RdE 2009, 378, 379; Salje in Bartsch/Röhling/Salje/Scholz, Stromwirtschaft, 2. Aufl., Kap. 58 Rz. 29), hat der Gesetzgeber für die Gemeinden durch den in § 46 Abs. 1 EnWG geregelten Kontrahierungszwang sichergestellt, dass diese ihre öffentlichen Verkehrswege für die Verlegung und den Betrieb von Leitungen zur unmittelbaren Versorgung von Letztverbrauchern im Gemeindegebiet durch Vertrag zur Verfügung stellen. Eine dem korrespondierende Verpflichtung besteht für den privaten Eigentümer eines im Gemeindegebiet gelegenen dem öffentlichen Verkehr gewidmeten Wegegrundstücks dagegen nicht. Wäre er zugleich von der Duldungspflicht gem. § 12 Abs. 1 NAV ausgenommen, könnte er - sieht man von der nur unter engen Voraussetzungen und nur als letztes Mittel möglichen Enteignung nach § 45 EnWG ab - frei darüber entscheiden, ob er sein Wegegrundstück für die Inanspruchnahme durch Energieversorgungsleitungen durch einen entgeltlichen Gestattungsvertrag zur Verfügung stellt oder nicht. Damit wäre er nicht nur gegenüber den Eigentümern sonstiger privater Grundstücke, die über § 12 Abs. 1 NAV zur unentgeltlichen Duldung verpflichtet sind, sondern auch gegenüber der Gemeinde, die gem. § 46 Abs. 1 EnWG einem Kontrahierungszwang unterliegt, bevorzugt. Angesichts der Intention des Verordnungsgebers, im Interesse der Anschlussnehmer an einer möglichst günstigen Stromversorgung (vgl. BR-Drucks. 76/79, 46) Versorgungsunternehmen eine kostenlose Inanspruchnahme der in dem Versorgungsgebiet liegenden Grundstücke der Anschlussnehmer zum Zwecke der Leitungsverlegung zu ermöglichen, kann nicht davon ausgegangen werden, dass der Gesetzgeber den privaten Eigentümer eines dem öffentlichen Verkehr gewidmeten Wegegrundstücks auf Kosten einer leistungsfähigen und kostengünstigen öffentlichen Energieversorgung des Gemeindegebietes von einer Inanspruchnahme ausnehmen wollte.
Fundstellen