Leitsatz (amtlich)
Der Beweis des ersten Anscheins greift bei typischen Geschehensabläufen ein, also in Fällen, in denen ein bestimmter Tatbestand nach der Lebenserfahrung auf eine bestimmte Ursache für den Eintritt eines bestimmten Erfolges hinweist, was grundsätzlich auch bei der Feststellung von Ursachen für Leitungswasserschäden in Wohnungen anlässlich von Trockenestrich- und Parkettverlegearbeiten in Betracht kommen kann.
Normenkette
ZPO § 286
Verfahrensgang
LG Göttingen (Urteil vom 29.08.2013; Aktenzeichen 8 S 50/11) |
AG Göttingen (Urteil vom 02.11.2011; Aktenzeichen 24 C 184/10) |
Tenor
Auf die Revision der Klägerin wird das Urteil der 8. Zivilkammer des LG Göttingen vom 29.8.2013 aufgehoben.
Die Sache wird zur neuen Verhandlung und Entscheidung, auch über die Kosten des Revisionsverfahrens, an das Berufungsgericht zurückverwiesen.
Von Rechts wegen
Tatbestand
Rz. 1
Der klagende Versicherer nimmt den Beklagten auf Schadensersatz aus einem Werkvertrag zwischen diesem und seinem Versicherungsnehmer aufgrund eines Wasserschadens aus übergegangenem Recht in Anspruch.
Rz. 2
Der Beklagte baute im Wohnzimmer des Anwesens des Versicherungsnehmers am 15.10.2008 eine Unterkonstruktion für einen Parkettfußboden und Trockenestrichelemente ein und verließ anschließend die Baustelle. Am 17.10.2008 verlegte er das Parkett. Vier Tage später stellte der Versicherungsnehmer aufsteigende Feuchtigkeit an den Wänden des Wohnzimmers fest. Ursächlich hierfür war ein in den Trockenestrich geschlagener Stahlnagel, der ein direkt unter dem Trockenestrich verlaufendes, wasserführendes Heizungsrohr beschädigt hatte. Die Klägerin regulierte den Schaden in Höhe der Klageforderung.
Rz. 3
Das AG hat der Klage stattgegeben. Auf die Berufung des Beklagten hat das Berufungsgericht die Klage abgewiesen. Mit der vom Berufungsgericht zugelassenen Revision verfolgt die Klägerin ihre Ansprüche weiter.
Entscheidungsgründe
Rz. 4
Die Revision der Klägerin führt zur Aufhebung des Berufungsurteils und zur Zurückverweisung der Sache an das Berufungsgericht.
I.
Rz. 5
Die Revision ist gem. § 543 Abs. 1 Nr. 1 ZPO statthaft. Zwar fehlt es angesichts der auf die Umstände des Einzelfalles abstellenden Entscheidung des Berufungsgerichts an einem Zulassungsgrund i.S.d. § 543 Abs. 2 Satz 1 ZPO; ein solcher wird vom Berufungsgericht auch nicht begründet. Der Senat ist an die Zulassung der Revision durch das Berufungsgericht aber gebunden, § 543 Abs. 2 Satz 2 ZPO.
II.
Rz. 6
1. Das Berufungsgericht sieht den Vollbeweis einer schadensursächlichen Pflichtverletzung des Beklagten als durch die Klägerin nicht erbracht an. Das nimmt die Revision hin und ist aus revisionsrechtlicher Sicht auch nicht zu beanstanden.
Rz. 7
Das Berufungsgericht ist weiter der Meinung, dass für die Klägerin kein Beweis des ersten Anscheins streite. Dies setze voraus, dass der Gläubiger bei der Abwicklung des Vertrages geschädigt worden sei (Bezug auf BGH, Urt. v. 18.12.1952 - VI ZR 54/52, BGHZ 8, 239 [241]; v. 29.10.1959 - VII ZR 176/58, VersR 1960, 344 [345]; v. 17.2.1964 - II ZR 98/62, BGHZ 41, 151 [153]; v. 18.6.1985 - X ZR 71/84, BauR 1985, 704 [705]). Die bisher entschiedenen Sachverhalte seien mit dem vorliegenden Fall nicht vergleichbar, da in jenen Fällen der Schaden jeweils in Ausführung der vertraglichen Tätigkeit entstanden sei. Hier stehe jedoch gerade nicht fest, dass der Nagel eingeschlagen wurde, während die Mitarbeiter des Beklagten Trockenestrichelemente verlegten. Denn die Mitarbeiter des Beklagten, die am Objekt vom 14. bis zum 20.10.2008 gearbeitet hätten, seien in der Zeit vom Nachmittag des 15.10.2008 bis zum 17.10.2008 nicht vor Ort gewesen. In dieser Zeit seien die Arbeitsräume aber für im Haus befindliche Personen frei zugänglich gewesen. Aufgrund dieser zeitlichen Zäsur sei der unmittelbare Zusammenhang zwischen werkvertraglicher Ausführungstätigkeit und Entstehung des Schadens nicht mehr gegeben. Es sei nicht auszuschließen, dass in dieser Zwischenzeit von einer anderen Person der Nagel in die Trockenestrichplatte geschlagen worden sei.
Rz. 8
2. Das hält der revisionsrechtlichen Überprüfung nicht stand. Das Berufungsgericht hat die Grundsätze des Anscheinsbeweises verkannt.
Rz. 9
a) Nach ständiger Rechtsprechung greift der Beweis des ersten Anscheins bei typischen Geschehensabläufen ein, also in Fällen, in denen ein bestimmter Tatbestand nach der Lebenserfahrung auf eine bestimmte Ursache für den Eintritt eines bestimmten Erfolges hinweist (BGH, Urt. v. 29.1.1974 - VI ZR 53/71, VersR 1974, 750; v. 9.11.1977 - IV ZR 160/76, VersR 1978, 74 [75]; v. 28.2.1980 - VII ZR 104/79, VersR 1980, 532; v. 18.10.1983 - VI ZR 55/82, VersR 1984, 63 [64]; v. 19.1.2010 - VI ZR 33/09, VersR 2010, 392 Rz. 8; v. 1.10.2013 - VI ZR 409/12, MDR 2014, 155 Rz. 14, jeweils m.w.N.). Dieser Schluss setzt eine Typizität des Geschehensablaufs voraus, was in diesem Zusammenhang allerdings nur bedeutet, dass der Kausalverlauf so häufig vorkommen muss, dass die Wahrscheinlichkeit eines solchen Falles sehr groß ist (vgl. BGH, Urt. v. 19.1.2010 - VI ZR 33/09, a.a.O., m.w.N.).
Rz. 10
b) Das Berufungsgericht hat nicht erwogen, ob es eine solche Typizität des Geschehensablaufes im vorliegenden Fall gibt. Es hat nicht überprüft, ob Estrich- und Parkettleger abgebrochene oder lose Teile einer Trockenestrichplatte üblicherweise mit Nägeln oder in vergleichbarer Art im Boden fixieren, bevor sie auf ihnen das Parkett verlegen. In diesem Fall würde ein Beweis des ersten Anscheins dafür sprechen, dass der Nagel von den Mitarbeitern des Beklagten eingeschlagen wurde.
Rz. 11
Das Berufungsgericht war von dieser Prüfung nicht durch die von ihm zitierte Rechtsprechung des BGH zur Anwendbarkeit des Anscheinsbeweises im Werkvertragsrecht enthoben. Der BGH hat in diesen oder anderen Entscheidungen die Anwendbarkeit des Anscheinsbeweises im Werkvertragsrecht entgegen der Ansicht des Berufungsgerichts nicht in dem Sinne beschränkt, dass der Gläubiger "bei Abwicklung des Vertrages geschädigt" worden sein müsse und diese Voraussetzung sodann in den Fällen verneint werden müsse, in denen der Schaden nicht "in Ausführung der Tätigkeit" entstanden sei, was bedeute, dass der Anscheinsbeweis immer dann ausscheide, wenn nicht feststehe, dass sich das schädigende Ereignis während der werkvertraglichen Arbeiten ereignet habe und eine zeitliche Zäsur zwischen den Ausführungsarbeiten und dem Schadenseintritt liege. Während sich die Entscheidungen vom 29.10.1959 (VII ZR 176/58, a.a.O.), vom 17.2.1964 (II ZR 98/62, a.a.O.) und vom 18.6.1985 (X ZR 71/84, a.a.O.) überhaupt nicht mit dem Beweis ersten Anscheins beschäftigen, ging es bei der Entscheidung vom 18.12.1952 (VI ZR 54/52, a.a.O.) um die Anwendung des Anscheinsbeweises bei einem Verkehrsunfall mit der Haftung aus unerlaubter Handlung und einem Beförderungsvertrag. Auch in dieser Entscheidung findet sich die vom Berufungsgericht formulierte Einschränkung des Anscheinsbeweises nicht. Im Gegenteil ist der Zweck der Rechtsfigur des Anscheinsbeweises gerade die Überwindung der Beweisschwierigkeiten im Ursachenzusammenhang, wenn sich nicht völlig ausschließen lässt, dass auch andere als die vom Gläubiger genannten, nach typischem Geschehensablauf wahrscheinlichen Ursachen für die Schadensverursachung in Betracht kommen. Seine Anwendung ist durch zeitliche Zäsuren von mehreren Tagen oder sogar Wochen nicht gehindert (vgl. BGH, Urt. v. 27.9.1957 - VI ZR 139/56, MDR 1958, 326).
Fundstellen
Haufe-Index 6988605 |
BB 2014, 1537 |