Entscheidungsstichwort (Thema)
Schneeballsystem. Kondiktionssperre bei Schneeballsystem
Leitsatz (amtlich)
Der Kondiktionssperre nach § 817 S. 2 BGB können ausnahmsweise der Grund und der Schutzzweck der Nichtigkeitssanktion (§ 138 Abs. 1 BGB) - hier: sittenwidriger, nach dem Schneeballsystem organisierter "Schenkkreis" - entgegenstehen.
Normenkette
BGB § 817 S. 2, § 138 Abs. 1
Verfahrensgang
LG Koblenz (Urteil vom 16.03.2005; Aktenzeichen 12 S 270/04) |
AG Altenkirchen (Entscheidung vom 23.09.2004; Aktenzeichen 71 C 304/04) |
Tenor
Die Revision der Beklagten gegen das Urteil der 12. Zivilkammer des LG Koblenz v. 16.3.2005 wird zurückgewiesen.
Die Beklagte hat die Kosten des Revisionsrechtszuges zu tragen.
Von Rechts wegen
Tatbestand
Der Kläger verlangt die Rückerstattung eines Betrages, den er am 19.11.2003 im Zuge der Teilnahme an einem sog. "Schenkkreis" an die Beklagte gezahlt hat.
Die "Schenkkreise" waren nach Art einer Pyramide organisiert. Die an der Spitze stehenden Mitglieder des "Empfängerkreises" erhielten von ihnen nachgeordneten "Geberkreisen" bestimmte Geldbeträge. Darauf schieden die "Beschenkten" aus dem "Spiel" aus; an ihre Stelle traten die Mitglieder der nächsten Ebene, die nunmehr die Empfängerposition einnahmen. Es galt dann, genügend Teilnehmer für neu zu bildende "Geberkreise" zu finden, die bereit waren, den festgelegten Betrag an die in den "Empfängerkreis" aufgerückten Personen zu zahlen. Die Anwerbung war Sache der auf der untersten Reihe verbliebenen "Mitspieler".
In Kenntnis des vorbeschriebenen Systems trat der Kläger in einen "Geberkreis" ein und zahlte an die Beklagte, die mit anderen den "Empfängerkreis" besetzt hatte, 1.250 EUR. Er wollte weiter im Spiel bleiben und selbst später "Beschenkter" werden.
AG und Berufungsgericht haben dem Kläger die eingeklagten 1.250 EUR nebst Zinsen und 13,70 EUR Auslagen zugesprochen. Mit der von dem Berufungsgericht zugelassenen Revision verfolgt die Beklagte ihren Antrag, die Klage abzuweisen, weiter.
Entscheidungsgründe
Die Revision ist unbegründet.
I.
Das Berufungsgericht hat ausgeführt, die den "Schenkkreisen" zu Grunde liegende Spielvereinbarung sei sittenwidrig und daher nichtig. Es habe sich um ein Schneeballsystem gehandelt. Die "Schenkkreise" seien darauf angelegt gewesen, den ersten "Mitspielern" einen sicheren Gewinn zu verschaffen, während die große Masse der späteren Teilnehmer keine Chance auf einen Gewinn gehabt habe und ihren "Einsatz" habe verlieren müssen; denn in absehbarer Zeit habe die für das Aufrücken der - größer werdenden - Zahl von "Gebern" in den "Empfängerkreis" notwendige, immer größer werdende Zahl von "Schenkern" nicht mehr gewonnen werden können.
Den auf Grund der nichtigen Vereinbarung gezahlten Betrag könne der Kläger unter dem Gesichtspunkt der ungerechtfertigten Bereicherung von der Beklagten zurückfordern. Der Anspruch sei nicht gem. § 817 S. 2 BGB ausgeschlossen, weil der Kläger - als Leistender - selbst gegen die guten Sitten verstoßen habe. In dieser Phase des "Spiels" sei er noch passiv gewesen. Im Übrigen sei es mit Treu und Glauben nicht zu vereinbaren, wenn die Beklagte den durch anstößiges Verhalten erlangten Vorteil behalten dürfte, während diejenigen, die sie wie der Kläger "beschenkt" hätten, Opfer des Schneeballsystems würden.
II.
Das Berufungsurteil hält der rechtlichen Prüfung stand. Der Kläger kann von der Beklagten Zahlung von 1.250 EUR nebst Zinsen und Auslagen fordern.
1. Anspruchsgrundlage ist § 812 Abs. 1 S. 1 Alt. 1 BGB. Dem Kläger steht diese Leistungskondiktion zu, weil er 1.250 EUR ohne rechtlichen Grund an die Beklagte gezahlt hat. Die Vereinbarung des "Schenkkreises" war, da auf ein Schneeballsystem gerichtet, sittenwidrig und damit nichtig (§ 138 Abs. 1 BGB; BGH, Urt. v. 22.4.1997 - XI ZR 191/96, GmbHR 2005, 1126 = BGHReport 2005, 1458 = NJW 1997, 2314 [2315]). Das stellt auch die Revision nicht in Frage.
2. Der Bereicherungsanspruch scheitert entgegen der Annahme der Revision nicht an § 817 S. 2 BGB. Danach ist eine Rückforderung ausgeschlossen, wenn dem Leistenden gleichfalls ein Gesetz- oder Sittenverstoß zur Last fällt. Das Berufungsgericht hat dazu ausgeführt, es spreche zwar einiges dafür, dass der Kläger sich der Sittenwidrigkeit der Spielanlage bewusst gewesen sei oder sich zumindest dieser Einsicht leichtfertig verschlossen habe. Mit der Zahlung an die Beklagte habe er indes nicht unmittelbar sittenwidrige Ziele verfolgt; er sei in dieser Phase des "Spiels" passiv gewesen. Ob dem zu folgen ist, kann dahinstehen.
Dem Berufungsgericht ist jedenfalls darin zuzustimmen, dass der Grund und der Schutzzweck der Nichtigkeitssanktion (§ 138 Abs. 1 BGB) hier - ausnahmsweise - gegen eine Kondiktionssperre gem. § 817 S. 2 BGB sprechen (vgl. zu einer solchen Einschränkung des § 817 S. 2 BGB im Hinblick auf den Zweck eines Verbotsgesetzes i.V.m. dem Grundsatz von Treu und Glauben: BGH v. 31.5.1990 - VII ZR 336/89, BGHZ 111, 308 [312 f.] = MDR 1990, 1100, einerseits, v. 30.4.1992 - III ZR 151/91, BGHZ 118, 142 [150] = AG 1992, 438 m. Anm. Claussen = MDR 1992, 858 = GmbHR 1992, 615; v. 5.5.1992 - X ZR 134/90, BGHZ 118, 182 [193] = MDR 1992, 938; Urt. v. 14.7.1993 - XII ZR 262/91, WM 1993, 1765 [1767], andererseits; OLG Celle v. 20.3.1996 - 13 U 146/95, NJW 1996, 2660 [2661]; OLG Köln v. 6.5.2005 - 20 U 129/04, OLGReport Köln 2005, 357 = NJW 2005, 3290 [3291 f.]; Lieb in MünchKomm/BGB, 4. Aufl. 2004, § 817 Rz. 13; Erman/H.P. Westermann, BGB, 11. Aufl. 2004, § 817 Rz. 15; Larenz/Canaris, Lehrbuch des Schuldrechts, Bd. II, Besonderer Teil, 2. Halbband, 13. Aufl. 1994, S. 166).
a) Die im Streitfall zu beurteilenden, nach dem Schneeballsystem organisierten "Schenkkreise" waren anstößig (§ 138 Abs. 1 BGB), weil die große Masse der Teilnehmer - im Gegensatz zu den initiierenden "Mitspielern", die (meist) sichere Gewinne erzielten - zwangsläufig keinen Gewinn machten, sondern lediglich ihren "Einsatz" verloren. Das "Spiel" zielte allein darauf ab, zu Gunsten einiger weniger "Mitspieler" leichtgläubige und unerfahrene Personen auszunutzen und sie zur Zahlung des "Einsatzes" zu bewegen (BGH, Urt. v. 22.4.1997 - XI ZR 191/96, GmbHR 2005, 1126 = BGHReport 2005, 1458 = NJW 1997, 2314 [2315]). Einem solchen sittenwidrigen Verhalten steuert § 138 Abs. 1 BGB, indem er für entsprechende Vereinbarungen Nichtigkeit anordnet. Das würde aber, wie das Berufungsgericht zu Recht ausgeführt hat, im Ergebnis konterkariert und die Initiatoren solcher "Spiele" zum Weitermachen geradezu einladen, wenn sie die mit sittenwidrigen Methoden erlangten Gelder - ungeachtet der Nichtigkeit der das "Spiel" tragenden Abreden - behalten dürften.
b) Der vorstehenden, § 817 S. 2 BGB einschränkenden Wertung steht nicht entgegen, dass das auf Grund eines Spiels Geleistete gem. § 762 Abs. 1 S. 2 BGB nicht zurückgefordert werden kann (BGH, Urt. v. 22.4.1997 - XI ZR 191/96, GmbHR 2005, 1126 = BGHReport 2005, 1458 = NJW 1997, 2314 [2315]). Diese Vorschrift greift nur dann Platz, wenn die Rückforderung auf den Spielcharakter gestützt wird. Ist die "Spielvereinbarung" - wie hier - gem. § 138 Abs. 1 BGB nichtig, gelten die allgemeinen Regeln (§§ 812 ff. BGB; OLG Bamberg v. 7.3.2001 - 3 U 105/00, OLGReport Bamberg 2001, 193 = NJW-RR 2002, 1393 [1394]; LG Trier NJW 1990, 313; LG Freiburg v. 9.9.2004 - 2 O 176/04, NJW-RR 2005, 491 [492]; Staudinger/Engel, BGB, 2001, § 762 Rz. 26; Janoschek in Bamberger/Roth, BGB, 2003, § 762 Rz. 17; Habersack in MünchKomm/BGB, 4. Aufl. 2004, § 762 Rz. 13, 24; Palandt/Sprau, BGB, 64. Aufl. 2005, § 762 Rz. 10).
Fundstellen
NJW 2006, 45 |
BGHR 2006, 249 |
EWiR 2006, 103 |
WM 2006, 335 |
DVP 2006, 343 |
JA 2006, 244 |
JuS 2006, 265 |
MDR 2006, 622 |
VersR 2006, 419 |
VuR 2006, 38 |
VuR 2006, 72 |
WRP 2006, 112 |
Kriminalistik 2006, 120 |
LL 2006, 303 |