Entscheidungsstichwort (Thema)
Fristbindung der Ausschlagung eines Vermächtnisses. Unwirksamkeit von Verfügungen von Todes wegen beim gemeinschaftlichen Testament
Leitsatz (amtlich)
1. Die Ausschlagung eines Vermächtnisses ist nicht fristgebunden. Eine entsprechende Anwendung der Ausschlagungsfrist des § 1944 BGB auf Vermächtnisse kommt auch bei wechselbezüglichen Verfügungen i.S.v. §§ 2270, 2271 BGB nicht in Betracht.
2. Hat bei einem gemeinschaftlichen Testament der überlebende Ehegatte das ihm Zugewendete ausgeschlagen und eine neue abweichende Verfügung von Todes wegen getroffen und hat dies nach § 2270 Abs. 1 BGB die Unwirksamkeit der Verfügung des vorverstorbenen Ehegatten zur Folge, bleibt es bei der Unwirksamkeit selbst wenn der überlebende Ehegatte seine Verfügung erneut ändert.
Normenkette
BGB §§ 1944, 2180 Abs. 3, § 2271 Abs. 2 S. 1 Hs. 2, § 2270 Abs. 1
Verfahrensgang
OLG Karlsruhe (Urteil vom 04.11.2009; Aktenzeichen 3 U 49/07 (09)) |
LG Karlsruhe (Entscheidung vom 07.11.2007; Aktenzeichen 4 O 672/06) |
Tenor
Auf die Revision der Beklagten wird das Urteil des 3. Zivilsenats des OLG Karlsruhe vom 4.11.2009 aufgehoben.
Die Sache wird zur neuen Verhandlung und Entscheidung, auch über die Kosten des Revisionsverfahrens, an das Berufungsgericht zurückverwiesen.
Von Rechts wegen
Tatbestand
Rz. 1
Die Klägerin wendet sich mit ihrer Drittwiderspruchsklage gegen die von der Beklagten betriebene Teilungsversteigerung eines Grundstücks. Die Mutter der Klägerin und ihres Bruders Walter K., des Ehemannes der Beklagten, ist die am 25.7.2000 verstorbene Erblasserin Gisela K. Sie war zusammen mit ihrem Ehemann Alfons K. Miteigentümer zu je 1/2 des Grundstücks. Am 30.1.2000 errichteten die Eheleute Gisela und Alfons K. ein handschriftliches gemeinschaftliches Testament, in dem es u.a. heißt:
"1. Erbeinsetzung a) Erster Erbfall Wir, die Eltern Alfons und Gisela K. setzen zu unseren Erben jeweils die beiden Kinder Walter und Ewelina ein und zwar Walter zu 2/3 und Ewelina zur Miterbin zu 1/3. b) Zweiter Erbfall Für den zweiten Erbfall setzt der überlebende Ehegatte von uns die beiden Kinder Walter und Ewelina jeweils zu Miterben ein und zwar Walter zum Miterben zu 2/3 und Ewelina zur Miterbin zu 1/3. ... 3. Vermächtnisse nach dem Tod des Erststerbenden von uns a) Vermächtnis zugunsten des Überlebenden Ehegatten Der überlebende Ehegatte erhält ein Vorausvermächtnis hinsichtlich des gesamten beweglichen Vermögens des vorverstorbenen Ehegatten. Demgemäß bezieht sich das Vermächtnis auch auf das gesamte Inventar, die Sparkonten u.Ä. Außerdem erhält der überlebende Ehegatte den Nießbrauch an der gesamten Immobilie Brettener Str. 15 in G. b) Unsere Tochter Ewelina K. -B. hat das Recht, von unserem Sohn Walter die Übertragung einer aus der Immobilie Brettener Str. 15 in G. zu bildenden Eigentumswohnung und zwar entsprechend der Wohnung Nr. 2 nach Maßgabe der notariellen Teilungserklärung vom 25.8.1997 zu verlangen und zwar unbelastet von der zu seinen Gunsten eingetragenen Grundschuld von 200.000 DM. ... c) Unsere Tochter Ewelina K. -B. kann von dem überlebenden Ehegatten verlangen, dass dieser ihr bis zu seinem Tode das alleinige Benutzungsrecht an der Wohnung Nr. 2 gewährt. Dieses Recht unserer Tochter stellt sich als Untervermächtnis zu dem Vermächtnisanspruch des überlebenden Ehegatten gemäß obengenannten Buchst. a) dar. 4. Wechselbezüglichkeit Die Erbeinsetzung und die Vermächtnisanordnungen sind vertragsgemäß. ... Eine Abwendungsbefugnis für den überlebenden Ehegatten besteht nicht. 5. Anfechtungsverzicht Der überlebende Ehegatte hat auch nicht die Möglichkeit, die Schlusserbeneinsetzung und die Vermächtnisanordnung gem. § 2079 BGB wegen Übergehung eines Pflichtteilsberechtigten anzufechten. ..."
Rz. 2
Vor diesem gemeinschaftlichen Testament hatte die Erblasserin bereits mit Testament vom 16.7.1998 die Klägerin als ihre Alleinerbin eingesetzt. Nach dem Tod der Erblasserin teilte Alfons K. dem Notariat B. mit Schreiben vom 20.11.2000 mit, das gemeinschaftliche Testament entspreche nicht seinem Willen, da er von der Erblasserin damit unter Druck gesetzt worden sei, dass sie sich das Leben nehmen werde. Am 2.10.2001 übertrug Alfons K. seinen hälftigen Miteigentumsanteil auf den Ehemann der Beklagten. Letzterer betrieb zunächst die Teilungsversteigerung aus dem Grundstück, gegen die die Klägerin sich wandte. Durch Urteil des LG Karlsruhe vom 19.4.2005 (4 O 737/03) wurde die Teilungsversteigerung für unzulässig erklärt. Mit Schreiben vom 21.8.2005 ggü. der Klägerin sowie dem Ehemann der Beklagten schlug Alfons K. das ihm zugewandte Vermächtnis aus. In einem handschriftlichen Testament vom 19.9.2005 setzte er den Ehemann der Beklagten als Alleinerben ein. Mit Vertrag vom 25.11.2005 übertrug der Ehemann der Beklagten dieser einen 2/18 Miteigentumsanteil an dem Grundstück.
Rz. 3
Das LG hat die Drittwiderspruchsklage abgewiesen, das Berufungsgericht hat ihr stattgegeben. Dagegen wendet sich die Revision der Beklagten.
Entscheidungsgründe
Rz. 4
Das Rechtsmittel hat Erfolg und führt zur Aufhebung des angefochtenen Urteils.
Rz. 5
I. Das Berufungsgericht hat ausgeführt, die materielle Rechtskraft des zwischen der Klägerin und dem Ehemann der Beklagten ergangenen Urteils, mit dem die von diesem betriebene Teilungsversteigerung für unzulässig erklärt worden war, wirke zwar nach § 325 ZPO auch ggü. der Beklagten, stehe aber gem. § 322 ZPO der nunmehr betriebenen Teilungsversteigerung wegen der veränderten Verhältnisse infolge der Ausschlagung des Vermächtnisses durch den überlebenden Ehegatten und der Errichtung eines neuen Testaments nicht generell entgegen. Der überlebende Ehemann habe nach dem Tod der Erblasserin durch Ausschlagung des Vermächtnisses gem. § 2271 Abs. 2 Satz 1 Halbs. 2 BGB die Möglichkeit erlangt, seine bisherige Verfügung aufzuheben. Diesem Recht stehe das Testament nicht entgegen. Die Ausschlagung sei auch nicht fristgebunden. Ferner dürfte die Beweiswürdigung des LG, wonach das Ausschlagungsrecht nicht durch vorherige Annahme des Vermächtnisses ausgeschlossen sei, nicht zu beanstanden sein. Diese Fragen könnten jedoch offen bleiben, da sich selbst bei wirksamer Ausschlagung die erbrechtliche Lage nicht geändert habe. Zwar habe Alfons K. als überlebender Ehegatte seine Testierfreiheit wieder gewonnen und er habe in dem Testament vom 19.9.2005 nunmehr auch seinen Sohn zum Alleinerben eingesetzt. Da Alfons K. aber noch lebe, könne er sein Aufhebungstestament widerrufen und dadurch auch die eigenen wechselbezüglichen Verfügungen im gemeinschaftlichen Testament wieder herstellen, was zur Folge habe, dass entsprechend auch die wechselbezüglichen Verfügungen der Erblasserin wirksam blieben. Daraus ergebe sich, dass sich durch die Ausschlagung und das Testament vom 19.9.2005 an der Rechtslage ggü. der Entscheidung des LG vom 19.4.2005 noch nichts geändert habe. Die rechtskräftig entschiedene Vorfrage, dass das gemeinschaftliche Testament der Teilungsversteigerung entgegenstehe, sei daher nicht neu zu beurteilen, sondern das rechtskräftige Urteil der Entscheidung ohne sachliche Prüfung zugrunde zu legen.
Rz. 6
II. Das hält rechtlicher Nachprüfung nicht stand.
Rz. 7
Das rechtskräftige Urteil des LG Karlsruhe vom 19.4.2005 hindert eine neue Entscheidung in der Sache nicht.
Rz. 8
1. Zwar ist das Berufungsgericht im Ansatz zutreffend von den Grenzen der Rechtskraft nach § 322 ZPO ausgegangen. Nach ständiger Rechtsprechung des BGH verbietet die materielle Rechtskraft einer gerichtlichen Entscheidung eine neue Verhandlung über denselben Streitgegenstand (BGH, Urt. v. 19.11.2003 - VIII ZR 60/03, NJW 2004, 1252 unter II 1; v. 17.3.1995 - V ZR 178/93, NJW 1995, 1757 unter II 1a). Der Streitgegenstand wird durch den gesamten historischen Lebensvorgang bestimmt, auf den sich das Rechtsschutzbegehren der Klägerin bezieht. Unter die Rechtskraftwirkung fällt nicht nur die Präklusion der im ersten Prozess vorgetragenen Tatsachen, sondern auch die der nicht vorgetragenen, soweit diese nicht erst nach Schluss der mündlichen Verhandlung im ersten Prozess entstanden sind (BGH, Urt. v. 19.11.2003, a.a.O., unter II 1a aa und 17.3.1995, a.a.O., unter II 1b; Zöller/Vollkommer, ZPO, 28. Aufl. vor § 322 Rz. 57). Hier sind die maßgeblichen Tatsachen der Ausschlagung des Vermächtnisses durch Alfons K. am 21.8.2005 sowie die Erbeinsetzung des Ehemannes der Beklagten am 19.9.2005 erst nach der letzten mündlichen Verhandlung im Verfahren 4 O 737/03 vor dem LG Karlsruhe eingetreten.
Rz. 9
2. Soweit das Berufungsgericht im Ergebnis gleichwohl Präklusion angenommen hat, weil bei einem gemeinschaftlichen Testament nach Ausschlagung des Zugewendeten durch den überlebenden Ehegatten und einem neuen Testament noch keine Änderung der erbrechtlichen Lage eingetreten sei, da der überlebende Ehegatte ein neues Testament wieder aufheben und die frühere gemeinschaftliche Verfügung auch des vorverstorbenen Ehegatten wieder herstellen könnte, ist das unzutreffend. Es besteht daher auch keine Bindungswirkung an das Urteil des LG vom 19.4.2005 mehr.
Rz. 10
a) Bei einem gemeinschaftlichen Testament können wechselbezügliche Verfügungen i.S.v. § 2270 BGB zu Lebzeiten des anderen Ehegatten nach § 2271 Abs. 1 BGB nur nach den für den Rücktritt von einem Erbvertrag geltenden Vorschriften des § 2296 BGB widerrufen werden. Das Recht zum Widerruf erlischt mit dem Tod des anderen Ehegatten (§ 2271 Abs. 2 Satz 1 Halbs. 1 BGB). Allerdings kann der Überlebende seine Verfügung aufheben, wenn er das ihm Zugewendete ausschlägt (§ 2271 Abs. 2 Satz 1 Halbs. 2 BGB). Dieses Ausschlagungsrecht erfasst nicht nur den Fall, dass der überlebende Ehegatte zum Erben berufen wurde, sondern auch die Konstellation, in der er - wie hier - mit einem Vermächtnis bedacht wurde (Litzenburger in Bamberger/Roth, BGB, 2. Aufl., § 2271 Rz. 24). Die Eheleute hatten in dem gemeinschaftlichen Testament ihre beiden Kinder jeweils als Erben eingesetzt, dem überlebenden Ehegatten aber ein Vermächtnis sowohl hinsichtlich des gesamten beweglichen Vermögens als auch einen Nießbrauch an dem Grundstück eingeräumt.
Rz. 11
Zutreffend geht das Berufungsgericht auch davon aus, dass das Recht, sich von dem gemeinschaftlichen Testament durch Ausschlagung des Vermächtnisses und Neutestierung zu lösen, nicht durch Ziff. 4 des Testaments ausgeschlossen ist, wonach eine Abwendungsbefugnis für den überlebenden Ehegatten nicht bestehen soll. Das in § 2271 Nr. 2 Satz 1 Halbs. 2 BGB bestimmte Recht zur Ausschlagung kann zum Schutz der testierenden Ehegatten nicht abbedungen werden.
Rz. 12
b) Die Ausschlagung des Vermächtnisses ist nicht fristgebunden. § 2180 BGB sieht keine Frist für die Ausschlagung eines Vermächtnisses vor. Die Regelung des § 1944 BGB, wonach die Ausschlagung nur binnen sechs Wochen erfolgen kann, findet auf das Vermächtnis keine Anwendung, da in § 2180 Abs. 3 BGB auf sie gerade nicht verwiesen wird. Eine analoge Anwendung des § 1944 BGB jedenfalls im Fall des § 2271 Abs. 2 BGB, die nach Auffassung der Klägerin geboten ist, um einen Zustand länger andauernder Rechtsunsicherheit zu vermeiden, kommt nicht in Betracht. Abgesehen davon, dass es angesichts der eindeutigen Regelung in § 2180 Abs. 3 BGB bereits an einer planwidrigen Gesetzeslücke fehlt, kann dem Bedürfnis nach Rechtsklarheit in überschaubarer Zeit auch auf andere Weise genügt werden. Zunächst ist eine Ausschlagung nach § 2180 Abs. 1 BGB ohnehin nur dann möglich, wenn das Vermächtnis nicht bereits angenommen wurde (hierzu unter III). Außerdem kann der Erbe, wenn es sich bei dem Vermächtnisnehmer - wie hier - zugleich um einen Pflichtteilsberechtigten handelt, diesem nach § 2307 Abs. 2 BGB eine angemessene Frist zur Erklärung über die Annahme des Vermächtnisses setzen. Mit dem Ablauf der Frist gilt das Vermächtnis als ausgeschlagen, wenn nicht vorher die Annahme erklärt wird. Die Klägerin hätte daher, wenn sie sich darüber unklar war, ob ihr Vater das Vermächtnis angenommen hat, diesem eine entsprechende Frist setzen können.
Rz. 13
c) Nicht erörtert haben die Vorinstanzen allerdings die weitere von der Revision aufgeworfene Frage, ob die Ausschlagung zur Wiedererlangung der Testierfreiheit sich nur auf das durch die Verfügung von Todes wegen Zugewendete beziehen oder der Ausschlagende zugleich sein gesetzliches Erbrecht ausschlagen muss. Für letzteres könnte streiten, dass der durch eine letztwillige Verfügung Bedachte einerseits das ihm Zugewandte ausschlagen und damit seine Verfügungsfreiheit zurückerlangen kann, dann andererseits aber gesetzlicher Erbe werden und schließlich wirtschaftlich genau soviel oder sogar noch mehr erhalten kann als er durch die letztwillige Verfügung bekommen hätte. Deshalb wird teilweise vertreten, dass der Bedachte seine Verfügungsfreiheit nur dann wiedererlangt, wenn er auch den gesetzlichen Erbteil ausschlägt, es sei denn, dass dieser erheblich hinter dem Zugewendeten zurückbleibt, was bei einer Abweichung von 1/4 noch nicht der Fall sein soll (KG NJW-RR 1991, 330, 331; Litzenburger in Bamberger/Roth, BGB, 2. Aufl., § 2271 Rz. 27). Eine andere Auffassung hält dies für eine Frage der (ergänzenden) Auslegung des Testaments, wonach die letztwillige Verfügung dahin ausgelegt werden könne, dass der Überlebende unter der aufschiebenden Bedingung enterbt und damit auch nicht gesetzlicher Erbe wird, dass er ausschlägt und der testamentarische Erbteil im Wesentlichen dem gesetzlichen entspricht (Soergel/Wolf, BGB, 13. Aufl., § 2271 Rz. 19; Staudinger/Kanzleiter, BGB [2006] § 2271 BGB Rz. 43; Musielak in MünchKomm/BGB, 5. Aufl., § 2271 BGB Rz. 25; Palandt/Weidlich, BGB, 70. Aufl., § 2271 BGB Rz. 18).
Rz. 14
Welcher Auffassung zu folgen ist, kann offen bleiben. Waren die wechselbezüglichen Verfügungen nach § 2270 Abs. 1 BGB unwirksam, käme über § 2258 Abs. 2 BGB wieder das frühere Testament der Erblasserin vom 16.7.1998 zur Geltung, in dem sie die Klägerin als Alleinerbin eingesetzt hat (dazu nachfolgend unter d). Dem Ehemann der Erblasserin stünde dann nur ein Pflichtteil zu, während er durch das Testament vom 30.1.2000 ein Vermächtnis erhalten hat, welches wirtschaftlich über diesen Pflichtteil von 1/4 hinausgeht, da ihm als Vorausvermächtnis das gesamte bewegliche Vermögen zugewandt wurde und er ein Nießbrauchsrecht an dem Grundstück erhalten hat. Einer gesonderten Ausschlagung des gesetzlichen Erbrechts durch ihn bedurfte es nach beiden insoweit vertretenen Auffassungen daher nicht.
Rz. 15
d) Durch die (wirksame) Ausschlagung erlangt der überlebende Ehegatte seine Testierfreiheit wieder. Wegen der Beseitigung der Bindung durch Ausschlagung kann er deshalb seine eigenen Verfügungen aufheben. Bei dieser Aufhebung gem. § 2271 Abs. 2 Satz 1 Halbs. 2 BGB handelt es sich zugleich um den Widerruf i.S.v. § 2270 Abs. 1 BGB (vgl. BGH v. 24.9.2008 - IV ZR 26/08, ErbR 2009, 157; Lustig, ZEV 2009, 140; Rudy, ErbR 2009, 158; anders OLG Celle, ZEV 2009, 138). Der Ehemann der Erblasserin hat durch die Ausschlagung mithin die Möglichkeit erlangt, neu zu testieren, wovon er in dem Testament vom 19.9.2005 Gebrauch gemacht hat, indem er den Ehemann der Beklagten als Alleinerben eingesetzt hat. Damit hat er seine Verfügung in dem gemeinschaftlichen Testament bezüglich einer Erbeinsetzung des Sohnes zu 2/3 und der Tochter zu 1/3 widerrufen. Die Eheleute hatten in Ziff. 1a und b des Testaments ausdrücklich vereinbart, dass nach dem ersten und nach dem zweiten Erbfall der Sohn zu 2/3 sowie die Tochter zu 1/3 erben sollen. Insoweit ist wegen des (teilweisen) Widerrufs gem. § 2270 Abs. 1 BGB im Zweifel davon auszugehen, dass auch die entsprechende Erbeinsetzung seitens der Erblasserin unwirksam ist.
Rz. 16
aa) Etwas anders gilt nur dann, wenn sich durch Auslegung des Testaments ergibt, dass der Erblasser seine Verfügung auch dann getroffen hätte, wenn ihm die Unwirksamkeit der Verfügung des anderen Ehegatten bekannt gewesen wäre. Die Verfügung bleibt dann als einseitige aufrechterhalten (BGH, Urt. v. 4.10.1972 - IV ZR 133/70, Umdr. S. 7; wiedergegeben bei Johannsen, WM 1973, 530; Soergel/Wolf, BGB, 13. Aufl., § 2270 Rz. 18). Für einen Willen der Erblasserin zur Fortgeltung der von ihr vorgenommenen Erbeinsetzung als Einzelverfügung bestehen indessen keine Anhaltspunkte. Maßgebend hierfür ist, dass es dem Willen der Erblasserin entsprach, der Klägerin durch das Vermächtnis in Ziff. 3b des Testaments sowie die Auflage in Ziff. 6a nach dem Tod des längstlebenden Ehegatten die Wohnung Nr. 2 zu Alleineigentum zu verschaffen. Der Wille der Erblasserin konnte bei Fortbestehen nur ihrer letztwilligen Verfügung mit einer Einsetzung der Klägerin zu 1/3 auf ihren hälftigen Grundstücksanteil verbunden mit einer Vermächtnisanordnung aber nicht mehr verwirklicht werden, da die Klägerin hierdurch alleine nicht das Alleineigentum an der Wohnung Nr. 2 erhalten könnte. Der Ehemann der Beklagten hat den Miteigentumsanteil des Vaters bereits durch rechtsgeschäftliche Verfügung unter Lebenden ohne jede Beschränkung durch das Vermächtnis bezüglich der Wohnung zugunsten der Klägerin erhalten. Kann aber der Wille der Erblasserin, der Klägerin das Alleineigentum an der Wohnung Nr. 2 zu verschaffen, durch Aufrechterhaltung nur ihrer Erbeinsetzung als Einzelverfügung nicht verwirklicht werden, so bleibt es bei der Unwirksamkeit auch ihrer Erbeinsetzung und der Vermächtnisanordnung nach § 2270 Abs. 1 BGB. Folge dieser Unwirksamkeit ist gem. § 2258 Abs. 2 BGB das Wiederaufleben des Testaments vom 16.7.1998 mit der Erbeinsetzung der Klägerin auf den Miteigentumsanteil der Erblasserin.
Rz. 17
bb) Soweit das Berufungsgericht dennoch davon ausgehen will, dass jedenfalls derzeit die erbrechtliche Lage noch unverändert sei und insb. die Verfügung der Erblasserin nach § 2270 Abs. 1 BGB noch Bestand habe, da der Ehemann der Erblasserin noch lebe und sein abweichendes Testament vom 19.9.2005 auch wieder aufheben könnte, ist das nicht haltbar. Hat der überlebende Ehegatte wirksam ausgeschlagen und von seiner Testierfreiheit durch eine Verfügung Gebrauch gemacht, die von der bisherigen wechselbezüglichen Verfügung abweicht, so hat dies grundsätzlich nach § 2270 Abs. 1 BGB die Unwirksamkeit auch der wechselbezüglichen Verfügung des vorverstorbenen Ehegatten zur Folge. Aus §§ 2270, 2271 BGB ergibt sich nicht, dass diese Wirkung erst mit dem Tod des überlebenden Ehegatten eintreten soll. Die Verfügung des verstorbenen Ehegatten bleibt vielmehr auch dann nach § 2270 Abs. 1 BGB unwirksam, wenn der überlebende Ehegatte die Aufhebung seiner Verfügung wiederum rückgängig macht (Staudinger/Kanzleiter, BGB [2006], § 2271 Rz. 41; AnwKomm/BGB/Müsig, 2. Aufl., § 2271 Rz. 64; Planck/Greiff, BGB, 4. Aufl., § 2271 Anm. IV 1b; a.A. Lustig, ZEV 2009, 140, 141; Strohal, Das deutsche Erbrecht, Bd. 1 3. Aufl. S. 342 Fn. 34). Auch der Senat ist bisher ohne Weiteres davon ausgegangen, dass Ausschlagung und der Widerruf durch den überlebenden Ehegatten diese Folgen haben, unabhängig davon, ob der überlebende Ehegatte ebenfalls bereits verstorben ist oder nicht (Senatsbeschluss v. 24.9.2008 - IV ZR 26/08, ErbR 2009, 157; BGH, Urt. v. 4.10.1972 - IV ZR 133/70, auszugsweise wiedergegeben bei Johannsen, WM 1973, 534). Das folgt bereits aus der Gestaltungswirkung des Widerrufs, der das widerrufene Testament mit dem Zeitpunkt der Unterschrift unter das Widerrufstestament aufhebt, auch wenn das Widerrufstestament erst mit dem Zeitpunkt des Erbfalles seine letztwilligen Wirkungen entfaltet (Hagena in MünchKomm/BGB, 5. Aufl., § 2253 Rz. 5).
Rz. 18
Zwar lassen Verfügungen von Todes wegen die Rechtslage zu Lebzeiten des Erblassers unberührt (Leipold in MünchKomm/BGB, 5. Aufl., § 1937 Rz. 5). So kann auch der Ehemann der Erblasserin abweichende Verfügungen von seinem Testament vom 19.9.2005 treffen. Das ändert aber nichts daran, dass er die Ausschlagung des Vermächtnisses erklärt und eine vom gemeinschaftlichen Testament abweichende letztwillige Verfügung getroffen hat, die sich entsprechend auf die Wirksamkeit auch der letztwilligen Verfügung der Erblasserin nach § 2270 Abs. 1 BGB auswirkt. Schon aus Gründen der Rechtsklarheit kann das Schicksal der Verfügung des vorverstorbenen Ehegatten nicht davon abhängig sein, ob und ggf. wann der überlebende Ehegatte seinen zunächst erklärten Widerruf wieder rückgängig macht. Das ursprüngliche Testament hat vielmehr durch den Widerruf nach § 2270 Abs. 1 BGB seine Wirkung verloren. Die Auffassung des Berufungsgerichts läuft demgegenüber darauf hinaus, die Gestaltungswirkung der Ausschlagung verbunden mit der abweichenden Verfügung zunächst nicht zu berücksichtigen, sondern auf den Todeszeitpunkt des überlebenden Ehegatten zu verschieben. Einen derartigen Schwebezustand sieht das Gesetz nicht vor. Er wäre auch nicht sachgerecht, weil hierdurch über längere Zeit, unter Umständen Jahrzehnte, die Erbfolge nach dem erstversterbenden Ehegatten offen bleiben könnte. Das widerspräche nicht nur der Rechtssicherheit, sondern auch den Interessen der in den letztwilligen Verfügungen Bedachten.
Rz. 19
III. Das angefochtene Urteil ist mithin aufzuheben und die Sache an das Berufungsgericht zurückzuverweisen. An einer eigenen Sachentscheidung ist der Senat gehindert, weil das Berufungsgericht - von seinem Standpunkt aus folgerichtig - die Frage offen gelassen hat, ob das Ausschlagungsrecht des Ehemannes der Erblasserin nicht schon durch vorherige Annahme des Vermächtnisses nach § 2180 Abs. 1 BGB ausgeschlossen war. Hierzu wird das Berufungsgericht noch entsprechende Feststellungen zu treffen haben. Soweit die Klägerin mit ihrer Berufung u.a. geltend macht, die Feststellungen des LG seien unzutreffend und es sei durch die Nutzung der Kellergeschosswohnung durch Alfons K. eine Annahme des Vermächtnisses erfolgt, ist zwar grundsätzlich anerkannt, dass die Annahme des Vermächtnisses auch durch stillschweigendes Handeln, etwa die Ingebrauchnahme des zugewendeten Gegenstandes, erfolgen kann (Palandt/Weidlich, BGB, 70. Aufl., § 2180 Rz. 1; Staudinger/Otte, BGB [2003] § 2180 Rz. 5; Soergel/Stein, BGB, 13. Aufl., § 1943 Rz. 5). Allerdings lässt das bloße Wohnenbleiben in einer durch Vermächtnis zugewandten Wohnung allein nicht ohne Weiteres auf eine konkludente Annahmeerklärung schließen (OLG Oldenburg FamRZ 1999, 1618).
Fundstellen
Haufe-Index 2659967 |
NJW 2011, 1353 |
NJW 2011, 6 |
NWB 2011, 600 |
EBE/BGH 2011 |
MittBayNot 2011, 313 |
WM 2011, 708 |
ZAP 2011, 234 |
ZEV 2011, 251 |
ZEV 2011, 6 |
ErbBstg 2011, 65 |
JuS 2011, 839 |
MDR 2011, 304 |
NJ 2011, 5 |
NJW-Spezial 2011, 200 |
NWB direkt 2011, 186 |
NotBZ 2011, 170 |
RENOpraxis 2011, 130 |
ZErb 2011, 139 |
EE 2011, 59 |