Entscheidungsstichwort (Thema)
Unfallversicherung. Invalidität, Risikoausschluss. Kausalität. Beweismaß. Beweiswürdigung. Feststellungen des Berufungsgerichts. Sachverständigengutachten. Prüfungsumfang des Berufungsgerichts
Leitsatz (redaktionell)
Bei schwerwiegenden Fehlern des vorinstanzlichen Urteils sind erneute Feststellungen des Berufungsgerichts zwingend geboten.
Normenkette
GG Art. 103 Abs. 1; ZPO §§ 286-287, 529 Abs. 1 Nr. 1; AUB 61 § 8 II (1) S. 1; AUB 88 § 7 I (1) S. 1, § 2 Abs. 4
Verfahrensgang
OLG München (Entscheidung vom 12.08.2005; Aktenzeichen 25 U 5545/04) |
LG München I (Entscheidung vom 26.10.2004; Aktenzeichen 28 O 18942/01) |
Tenor
Auf die Revision der Klägerin wird das Urteil des 25. Zivilsenats des Oberlandesgerichts München vom 12. August 2005 aufgehoben.
Die Sache wird zur neuen Verhandlung und Entscheidung, auch über die Kosten des Revisionsverfahrens, an den 14. Zivilsenat des Berufungsgerichts zurückverwiesen.
Von Rechts wegen
Tatbestand
Die Klägerin verlangt von der Beklagten Invaliditätsleistungen aus zwei Unfallversicherungsverträgen sowie Genesungsgeld aus dem einen Vertrag. Die Beklagte fordert mit der Widerklage die Rückzahlung von Vorschüssen auf die Invaliditätsleistung.
Die Klägerin erlitt am 3. April 1998 bei einem Verkehrsunfall eine HWS-Distorsion. Beim Halt an einer Ampel war ein LKW auf ihr Fahrzeug aufgefahren. Wegen Schmerzen im Schulter- und Nackenbereich suchte sie einen Arzt auf, erhielt eine Schanz'sche Krawatte verordnet und wurde in der Zeit vom 7. bis 10. April 1998 stationär behandelt.
Im Unfallzeitpunkt bestand zwischen den Parteien ein Vertrag über eine Unfallversicherung nach Maßgabe der Allgemeinen Unfallversicherungs-Bedingungen 1988 (AUB 88), der bei Vollinvalidität eine Leistung von 300.000 DM vorsah. Außerdem war sie Versicherte in einer Gruppenunfallversicherung, die die Beklagte als ihr Arbeitgeber abgeschlossen hatte und der die Allgemeinen Unfallversicherungs-Bedingungen 1961 (AUB 61) zugrunde lagen. Danach bestand bei Vollinvalidität ein Anspruch in Höhe von 110.000 DM.
Die Beklagte holte zunächst ein Gutachten des Privatdozenten Dr. N. über den Gesundheitszustand der Klägerin ein, das dieser nach Untersuchung vom 18. August 1999 am 8. Dezember 1999 erstattete. In seinem ressortübergreifenden Zusammenhangsgutachten kam er zu dem Ergebnis, dass bei der Klägerin eine Invalidität von insgesamt 70% vorliege, wobei ein Anteil von 3/7 auf unfallunabhängigen Ursachen beruhe und die Klägerin demgemäß aufgrund reiner Unfallfolgen zu 40% in ihrer normalen körperlichen und geistigen Leistungsfähigkeit beeinträchtigt sei. Er empfahl eine abschließende Nachuntersuchung in etwa einem Jahr. Mit Schreiben vom 20. Dezember 1999 teilte die Beklagte dem Rechtsanwalt der Klägerin unter Übersendung des Gutachtens mit, aufgrund reiner Unfallfolgen bestehe derzeit eine Invalidität von 40%. Da ein Endzustand noch nicht erreicht sei, werde sie im Dezember 2000 nochmals eine Nachuntersuchung veranlassen. Sie rechnete dann bei beiden Verträgen das Unfallkrankenhaustagegeld ab und zahlte vorbehaltlich einer abschließenden Festsetzung unter Vorbehalt der Rückforderung auf die zu erwartende Invalidität aus dem Einzelvertrag einen Vorschuss in Höhe von 40.000 DM und aus der Gruppenunfallversicherung von 30.000 DM.
Am 20. November 2000 beauftragte die Beklagte Dr. N. mit der Erstellung eines weiteren Gutachtens, das dieser nach Untersuchung der Klägerin am 10. Januar 2001 wiederum als ressortübergreifendes Zusammenhangsgutachten am 27. Juni 2001 vorlegte. Darin gelangt er zu einer unfallbedingten Beeinträchtigung der normalen körperlichen oder geistigen Leistungsfähigkeit und der Arbeitsfähigkeit unter ausschließlicher Berücksichtigung medizinischer Gesichtspunkte von 100%, wobei die Beeinträchtigung zu 30% durch psychische Reaktionen bedingt sei. Er nimmt eine dauernde Beeinträchtigung der Augen durch Doppelbilder und Verschwommensehen mit einem Invaliditätsgrad von 20% an, ferner eine schmerzhafte Bewegungseinschränkung im Bereich der HWS mit 20%, Gleichgewichtsstörungen und beidseitigem Tinnitus mit 40%, stärker behindernde psychoreaktive Störungen mit wesentlicher Einschränkung der Erlebnis- und Gestaltungsfähigkeit mit 30% und Sensibilitätsstörungen im Bereich des Gesichts und der rechten Körperhälfte mit 10%. Eine weitere Verbesserung oder Verschlechterung dieses Krankheitszustandes sei nicht zu erwarten.
Mit Schreiben vom 8. August 2001 lehnte die Beklagte unter Berufung auf ein Gutachten von Dr. S. vom Institut für ärztliche Begutachtung jegliche Invaliditätsentschädigung ab, weil das Gutachten von Dr. N. fehlerhaft und nicht nachvollziehbar sei. Für den Fall einer gerichtlichen Auseinandersetzung behielt sie sich die Rückforderung der Vorschussleistungen vor.
Mit der im Oktober 2001 eingereichten Klage macht die Klägerin weitere Invaliditätsleistungen in Höhe von 330.000 DM (168.726,32 EUR) sowie Genesungsgeld in Höhe von 1.100 DM (562,42 EUR) geltend. Sie geht von einem Invaliditätsgrad von 100% aus und beruft sich dafür auf die Neubemessung in dem Gutachten Dr. N. vom 27. Juni 2001, insbesondere auf dessen Feststellungen zu den dauernden gesundheitlichen Beeinträchtigungen. Die Beklagte bestreitet den Eintritt unfallbedingter Invalidität. Mit der Widerklage verlangt sie Vorschüsse auf die Invaliditätsleistungen in Höhe von 34.030,04 EUR zurück.
Nach Einholung eines Sachverständigengutachtens hat das Landgericht die Klage abgewiesen und der Widerklage stattgegeben. Das Oberlandesgericht hat die Berufung der Klägerin (ohne Beweisaufnahme) zurückgewiesen. Mit der Revision verfolgt die Klägerin ihre Ansprüche und die Abweisung der Widerklage weiter.
Entscheidungsgründe
Die Revision der Klägerin führt zur Aufhebung des angefochtenen Urteils und zur Zurückverweisung der Sache an das Berufungsgericht.
I.
Das Berufungsgericht hat gesehen, dass der Beweisbeschluss des Landgerichts vom 18. Dezember 2001 fehlerhaft war, weil dem Sachverständigen unrichtige Vorgaben gemacht worden waren. Es habe dem Sachverständigen nicht vorgegeben, seine Beurteilung der Invalidität auf den Schluss des dritten Jahres nach dem Unfall auszurichten. Das vom Sachverständigen gefundene Ergebnis werde dadurch aber nicht verfälscht. Er habe sich mit einer Vielzahl von innerhalb des Dreijahreszeitraums erhobenen Befunden und insbesondere auch mit dem Privatgutachten Dr. N. auseinandergesetzt. Dabei habe er bei der Klägerin aufgrund des Unfallereignisses auf nervenärztlichem Gebiet keine Unfallfolgen feststellen können. Es sei zu keiner Schädigung nervaler Strukturen gekommen. Die Veränderungen an der Halswirbelsäule der Klägerin seien degenerativ bedingt. Der Senat gebe dem Gutachten des Sachverständigen Dr. Nu. den Vorzug vor dem Gutachten des Privatsachverständigen Dr. N. , weil Letztgenannter von Beschwerden und Symptomkomplexen ausgegangen sei und sodann versucht habe, unfallbedingte Ursachen ausfindig zu machen, während Dr. Nu. geprüft habe, ob Primärschädigungen vorlägen und was an Folgen der Primärverletzungen überhaupt ernsthaft in Betracht komme.
Zwar habe das Landgericht dem Sachverständigen auch nicht das Beweismaß des § 287 ZPO für die Beurteilung des Umfangs des eingetretenen Schadens vorgegeben. Gleichwohl habe sich auch dieser Fehler nicht ausgewirkt, nachdem der Sachverständige das Vorliegen von Unfallfolgen definitiv ausgeschlossen habe. Deshalb habe sich die Frage, ob im Rahmen der haftungsausfüllenden Kausalität eine überwiegende Wahrscheinlichkeit genügen würde, nicht gestellt. Angesichts der eindeutigen Feststellungen schließe der Senat aus, dass der Sachverständige zu einem anderem Ergebnis gelangt wäre, wenn ihm, wie dargestellt, das Beweismaß des § 287 ZPO vorgegeben worden wäre.
Dagegen habe das Landgericht zu Recht die Beweisaufnahme nicht auf die von der Klägerin behaupteten Beeinträchtigungen auf psychiatrischem Gebiet erstreckt. Schon nach dem Gutachten Dr. N. vom 27. Juni 2001 liege insoweit eine psychoreaktive Störung vor, welche gemäß § 2 Abs. 4 AUB 88 vom Versicherungsschutz ausgeschlossen werde.
Ein Anspruch auf Genesungsgeld sei im gewählten Tarif nicht vereinbart.
II.
Die Revision beanstandet zu Recht, dass das Berufungsurteil auf verfahrensfehlerhaften Feststellungen und einer teilweise unzutreffenden Beurteilung der materiellen Rechtslage beruht.
1.
Das Berufungsgericht ist insbesondere seiner tatrichterlichen Pflicht zur Überprüfung des Urteils der Vorinstanz nicht nachgekommen. Es hätte unter Verwertung des gesamten Prozessstoffs auch der ersten Instanz neue Feststellungen treffen und den Vortrag und die Beweisanträge der Parteien zur Kenntnis nehmen und prozessordnungsgemäß bescheiden müssen. Dies war deshalb geboten, weil nicht nur konkrete Zweifel an der Richtigkeit und Vollständigkeit der entscheidungserheblichen Feststellungen der Vorinstanz begründet waren, sondern weil das Urteil des Landgerichts wegen schwerwiegender Fehler keine hinreichende Entscheidungsgrundlage darstellt. In einem solchen Fall sind erneute Feststellungen des Berufungsgerichts i.S. von § 529 Abs. 1 Nr. 1 ZPO erst recht zwingend geboten (vgl. BGHZ 158, 269, 277 f. ; BVerfG NJW 2003, 2524).
2.
Nach dem Beschluss des Landgerichts vom 18. Dezember 2001 war durch Einholung eines medizinischen Gutachtens Beweis zu erheben über die bestrittene Behauptung der Klagepartei, sie sei aufgrund der medizinischen Folgen aus dem Unfall vom 3. April 1998 ohne Berücksichtigung der psychischen bzw. psychiatrischen Folgen zu 100% arbeits- bzw. berufs- bzw. erwerbsunfähig, die Beklagte werde zum Gegenbeweis zugelassen.
a)
Das Landgericht hat schon nicht beachtet, dass nach dem unstreitigen Parteivortrag den Verträgen unterschiedliche Bedingungen zugrunde liegen. Es hat damit die Feststellung des Vertragsinhalts als grundlegender Voraussetzung für eine sachgerechte Behandlung und Entscheidung des Rechtsstreits versäumt. § 8 II (1) Satz 1 AUB 61 definiert Invalidität als dauernde Beeinträchtigung der Arbeitsfähigkeit, § 7 I (1) Satz 1 AUB 88 als dauernde Beeinträchtigung der körperlichen oder geistigen Leistungsfähigkeit. Auf diese unterschiedliche Definition mag es im Ergebnis häufig nicht ankommen. Erhebliche Unterschiede bestehen jedoch, soweit es um Risikoausschlüsse für Erkrankungen infolge psychischer Einwirkung und für Folgen psychischer und nervöser Störungen im Anschluss an einen Unfall (§ 2 (3) b und § 10 (5) AUB 61) und krankhafte Störungen infolge psychischer Reaktionen, gleichgültig, wodurch diese verursacht sind (§ 2 IV AUB 88), geht. Der Ausschluss des § 2 IV AUB 88 geht erheblich über den der AUB 61 hinaus (Knappmann in Prölss/Martin, VVG 27. Aufl. § 2 AUB 94 Rdn. 41; vgl. zu den jeweiligen Risikoausschlüssen Senatsurteile vom 29. September 2004 - IV ZR 233/03 - VersR 2004, 1449 unter 2 a m.w.N.; BGHZ 159, 360, 363 ff. ; vom 27. September 1995 - IV ZR 283/94 - VersR 1995, 1433 unter 3 und 4 und vom 19. April 1972 - IV ZR 50/71 - VersR 1972, 582 unter II). Das Berufungsgericht hat ebenfalls nicht zur Kenntnis genommen, dass der Gruppenversicherung die AUB 61 zugrunde liegen. Das Landgericht hat im Übrigen ebenso wie das Berufungsgericht nicht gesehen, dass psychische Leiden, die auf einer organischen Schädigung oder Reaktion beruhen, nach der Rechtsprechung des Senats weder nach den AUB 88 noch nach den AUB 61 unter den Ausschlusstatbestand fallen. Es war deshalb verfehlt, "psychische bzw. psychiatrische" Unfallfolgen von der Beweiserhebung auszunehmen, zumal die Beweislast für den Risikoausschluss nach der zitierten Rechtsprechung des Senats und allgemeiner Auffassung der Versicherer trägt. Es erscheint im Übrigen widersprüchlich, dass sich das Berufungsgericht für das Vorliegen einer "psychoreaktiven Störung" auf das Gutachten Dr. N. beruft, dem es zuvor die Überzeugungskraft unter Hinweis auf das gerichtliche Gutachten Dr. Nu. abgesprochen hat, und sich zudem nicht damit auseinandersetzt, dass Dr. Nu. den Ausführungen von Dr. N. zu psychischen, neuropsychologischen und psychoreaktiven Störungen nicht beizupflichten vermochte (Gutachten S. 173, GA I 216).
b)
Mit Recht hat das Berufungsgericht angenommen, dass für die Beurteilung der Invalidität das Ende des dritten Jahres nach dem Unfall maßgeblich ist. Nach beiden hier einschlägigen Bedingungswerken kommt es auf den zu diesem Zeitpunkt erkennbaren, d.h. hinreichend prognostizierbaren Dauerzustand an, wenn eine Erstfeststellung stattgefunden hat und die Neubemessung bedingungsgemäß möglich ist (Senatsbeschluss vom 16. Januar 2008 - IV ZR 271/06 - VersR 2008, 527 f.; Senatsurteile vom 20. April 2005 - IV ZR 237/03 - VersR 2005, 927 unter II 1 und vom 16. Juli 2003 - IV ZR 310/02 - VersR 2003, 1165 unter B I 1 b). Das Schreiben der Beklagten vom 20. Dezember 1999 ist als eine Erstfeststellung der Invalidität dem Grunde nach mit der Folge einer Vorschusszahlung nach §§ 11 Satz 1, 13 (2) Satz 1 AUB 61, § 11 III AUB 88 anzusehen mit der Erklärung des Vorbehalts der Neubemessung nach einem Jahr.
c)
Das Berufungsgericht hat auch richtig gesehen, dass für den Beweis der Kausalität zwischen dem (nach § 286 ZPO zu beweisenden) unfallbedingten ersten Gesundheitsschaden und der (ebenfalls nach § 286 ZPO zu beweisenden) Invalidität der Maßstab des § 287 ZPO gilt (BGHZ 159, 360, 368 f. ; Senatsurteil vom 17. Oktober 2001 - IV ZR 205/00 - VersR 2001, 1547 unter II 1 und 2 a). Darauf hätte das Landgericht den Sachverständigen hinweisen müssen. Das Verkennen des Beweismaßes führt zur Unvollständigkeit des Gutachtens und damit zu Zweifeln an der Richtigkeit der Feststellungen der Vorinstanz (BGH, Urteil vom 8. Juni 2004 - VI ZR 230/03 - VersR 2004, 1477 unter II 2 a und b). Bei Zweifeln an der Richtigkeit und Vollständigkeit entscheidungserheblicher Feststellungen ist nach der gesetzlichen Neuregelung eine erneute Beweisaufnahme zwingend geboten (BVerfG NJW 2003, 2524). Es war rechtsfehlerhaft, die gebotene Beweisaufnahme mit der eigene Sachkunde nicht ausweisenden Leerformel zu unterlassen, der Senat schließe aus, dass der Sachverständige zu einem anderen Ergebnis gelangt wäre, wenn ihm, wie dargestellt, das Beweismaß des § 287 ZPO vorgegeben worden wäre.
d)
Erneute Feststellungen des Berufungsgerichts waren auch deshalb geboten, weil das Landgericht unter Verstoß gegen Art. 103 Abs. 1 GG die mehrfachen Anträge der Klägerin auf Anhörung des gerichtlichen Sachverständigen ignoriert hat. Einem solchen Antrag ist auch dann stattzugeben, wenn das Gericht selbst keinen Erläuterungsbedarf sieht und nicht erwartet, dass der Gutachter seine Auffassung ändert (BGH, Beschluss vom 10. Mai 2005 - VI ZR 245/04 - VersR 2005, 1555 unter 2 a m.w.N. und Senatsbeschluss vom 15. März 2006 - IV ZR 182/05 -VersR 2006, 950 Tz. 6; BVerfG NJW 1998, 2273 f. ). Da das Berufungsgericht, wie erwähnt, bei seinen erneuten Feststellungen auch den gesamten Prozessstoff der ersten Instanz zu berücksichtigen hat, muss es den Sachverständigen auch ohne dahingehende Rüge laden, wenn es seine Entscheidung auf das Gutachten dieses Sachverständigen stützen will und die Partei nach einem Hinweis darauf nicht ausdrücklich auf die Ladung verzichtet (vgl. Senatsurteil vom 23. Januar 2008 - IV ZR 10/07 -VersR 2008, 479 Tz. 15; BGH, Beschluss vom 10. Mai 2005 aaO; BGHZ 158, 269, 278 ff.) .
e)
Zweifel an der Richtigkeit und Vollständigkeit der Feststellungen des Landgerichts ergeben sich auch aus der widersprüchlichen Beweiswürdigung. Es meint einerseits, unfallbedingte Verletzungen seien nicht feststellbar und nicht nachgewiesen. Damit wird verkannt, wie das Landgericht an anderer Stelle selbst sieht, dass das Unfallereignis und eine dadurch eingetretene Gesundheitsschädigung, die HWS-Distorsion jedenfalls nach dem Grad ACIR I, unstreitig sind. Es bleibt auch offen, ob das Landgericht die von der Klägerin behaupteten dauernden Gesundheitsbeeinträchtigungen, wie sie im Gutachten Dr. N. vom 27. Juni 2001 festgestellt sind, für unstreitig, bewiesen oder nicht bewiesen hält. Das Berufungsgericht hält dies ebenso wie die von Dr. N. geprüfte Frage der Unfallbedingtheit der festgestellten Dauerfolgen für unerheblich, weil es den von den Primärschädigungen ausgehenden Ansatz des Gerichtssachverständigen für vorzugswürdig hält und mangels entsprechender Primärverletzungen unfallbedingte Dauerschäden ausschließt. Es ist nicht dargelegt, dass das Berufungsgericht über die erforderliche Sachkunde verfügt zu beurteilen, ob der methodische Ansatz des Gerichtssachverständigen oder des von der Beklagten zunächst zugezogenen Sachverständigen Dr. N. richtig ist. Das Berufungsurteil enthält auch im Übrigen keine den Anforderungen der Rechtsprechung des Bundesgerichtshofs genügende Auseinandersetzung mit dem Gutachten Dr. N. (vgl. zu diesen Anforderungen Senatsurteile vom 23. Januar 2008 - IV ZR 10/07 - VersR 2008, 479 Tz. 17, 18 und vom 22. September 2004 - IV ZR 200/03 - VersR 2005, 676 unter II 2 b; BGH, Urteil vom 14. April 1981 - VI ZR 264/79 - VersR 1981, 576 unter II 1 b). Weiter wird darauf hingewiesen, dass das von der Klägerin mit Schriftsatz vom 9. Januar 2003 vorgelegte, für das Sozialgericht erstattete Gutachten des Neurologen und Psychiaters Dr. S. bisher nicht zur Kenntnis genommen und auch vom Gerichtssachverständigen nicht berücksichtigt worden ist. Dr. S. geht von wesentlich schwereren (primären) Unfallverletzungen und unfallbedingten Dauerschäden aus. Zu den vom Gerichtssachverständigen angesprochenen fehlenden technischen Erkenntnissen zum Unfallhergang ist darauf hinzuweisen, dass die Klägerin ein Schadensgutachten über ihr Fahrzeug zu den Akten gegeben hat. Zur so genannten Harmlosigkeitsgrenze bei HWS-Verletzungen wird auf das Urteil des VI. Zivilsenats des Bundesgerichtshofs vom 28. Januar 2003 hingewiesen (VI ZR 139/02 - NJW 2003, 1116 ff.).
3.
Soweit das Berufungsgericht einen Anspruch auf Genesungsgeld ablehnt, hat es nicht zur Kenntnis genommen, dass sich ein solcher Anspruch aus Ziff. 2 der Besonderen Bedingungen für Mehrleistung bei einem Invaliditätsgrad ab 90% in der Gruppenunfallversicherung ergeben kann.
Hinweise:
Verkündet am: 13. Mai 2009
Fundstellen
NJW-RR 2009, 1193 |
VersR 2009, 1213 |
ZfS 2009, 520 |