Leitsatz (amtlich)
Ein ausdrücklicher Wunsch des Versicherungsnehmers nach vollständiger Vertragserfüllung i.S.v. § 8 Abs. 3 Satz 2 VVG setzt ebenso wie dessen Zustimmung zum Beginn des Versicherungsschutzes vor Ende der Widerrufsfrist gem. § 9 Abs. 1 Satz 1 VVG voraus, dass der Versicherungsnehmer entweder über sein Widerrufsrecht belehrt wurde oder der Versicherer aufgrund anderer Umstände davon ausgehen konnte, dem Versicherungsnehmer sei sein Widerrufsrecht bekannt gewesen.
Normenkette
VVG § 8 Abs. 3 S. 2, § 9 Abs. 1 S. 1
Verfahrensgang
OLG Celle (Urteil vom 23.10.2014; Aktenzeichen 8 U 194/14) |
LG Hannover (Entscheidung vom 28.04.2014; Aktenzeichen 2 O 268/13) |
Tenor
Auf die Revision des Klägers wird das Urteil des 8. Zivilsenats des OLG Celle vom 23.10.2014 aufgehoben.
Die Sache wird zur neuen Verhandlung und Entscheidung, auch über die Kosten des Revisionsverfahrens, an das Berufungsgericht zurückverwiesen.
Der Streitwert wird für das Revisionsverfahren auf bis 6.000 EUR festgesetzt.
Von Rechts wegen
Tatbestand
Rz. 1
Der Kläger verlangt von der Beklagten die Rückzahlung von Versicherungsbeiträgen.
Rz. 2
Er beantragte am 8.8.2008 bei der Beklagten den Abschluss eines Rentenversicherungsvertrages mit eingeschlossener Berufsunfähigkeits-Zusatzversicherung. Die Beklagte nahm den Antrag an und übersandte dem Kläger den Versicherungsschein. Der Kläger hat behauptet, keine Widerrufsbelehrung erhalten zu haben.
Rz. 3
Nachdem der Kläger Versicherungsbeiträge i.H.v. insgesamt 8.008,75 EUR gezahlt hatte, kündigte er den Vertrag zum 30.6.2011. Die Beklagte zahlte daraufhin einen Rückkaufswert von 3.432 EUR aus. Mit Schreiben vom 15.4.2013 erklärte der Kläger den Widerruf seiner Vertragserklärung.
Rz. 4
Mit der Klage verlangt er, soweit für das Revisionsverfahren von Interesse, die Rückzahlung der geleisteten Beiträge nebst Zinsen abzgl. des bereits gezahlten Rückkaufswerts, insgesamt 5.710,24 EUR.
Rz. 5
Das LG hat die Klage insoweit abgewiesen, das OLG die hiergegen gerichtete Berufung zurückgewiesen. Mit der Revision verfolgt der Kläger das Klagebegehren weiter.
Entscheidungsgründe
Rz. 6
Die Revision führt zur Aufhebung des Berufungsurteils und zur Zurückverweisung der Sache an das Berufungsgericht.
Rz. 7
I. Das Berufungsgericht hat einen aus dem Widerruf resultierenden Prämienrückerstattungsanspruch gem. § 9 VVG i.V.m. §§ 346, 357 Abs. 1 Satz 1, 355 BGB verneint. Das Widerrufsrecht des Klägers sei zwar nicht durch Fristablauf erloschen, da die Beklagte nicht bewiesen habe, dass der Kläger eine Widerrufsbelehrung erhalten habe. Es sei aber gem. § 8 Abs. 3 Satz 2 VVG erloschen. Mit der vom Kläger jedenfalls zunächst akzeptierten Auszahlung des Rückkaufswertes nach Kündigung des Vertrages seien die beiderseitigen Leistungspflichten vollständig erfüllt worden. Dem stehe nicht entgegen, dass die Beklagte nach dem Vortrag des Klägers ihren Informationspflichten nach §§ 1 und 2 VVG-InfoV nicht nachgekommen sein soll, da es sich bei diesen lediglich um Nebenpflichten handele. Gegen das Erlöschen des Widerrufsrechts könne der Kläger nicht einwenden, über den Verlust des Widerrufsrechts bei beiderseitiger vollständiger Leistungserbringung nicht informiert worden zu sein.
Rz. 8
II. Das hält rechtlicher Nachprüfung nicht in allen Punkten stand. Ein Anspruch auf Rückzahlung der geleisteten Versicherungsbeiträge kann dem Kläger mit der vom Berufungsgericht gegebenen Begründung nicht versagt werden.
Rz. 9
1. Zutreffend ist das Berufungsgericht allerdings davon ausgegangen, dass die Parteien zunächst einen wirksamen Versicherungsvertrag abgeschlossen haben. Wie der Senat in anderer Sache mit Urteil vom 28.6.2017 (IV ZR 440/14, VersR 2017, 997) entschieden und näher begründet hat, setzt das wirksame Zustandekommen des Versicherungsvertrages nicht voraus, dass der Versicherer dem Versicherungsnehmer die in § 7 Abs. 1 VVG genannten Vertragsbestimmungen und Informationen vor Abgabe von dessen Vertragserklärung mitgeteilt hat (a.a.O. Rz. 16 ff.).
Rz. 10
2. Die Begründung des Berufungsurteils trägt jedoch nicht die Annahme, dass der Kläger sein Widerrufsrecht gem. § 8 Abs. 1 Satz 1 VVG durch das Schreiben vom 15.4.2013 nicht wirksam ausgeübt habe.
Rz. 11
a) Rechtsfehlerfrei ist das Berufungsgericht allerdings zu dem Ergebnis gelangt, dass das Widerrufsrecht zu diesem Zeitpunkt nicht durch Ablauf der gem. § 152 Abs. 1 VVG dreißigtägigen Widerrufsfrist erloschen war. Im Gegensatz zur Ansicht der Revisionserwiderung ist die Feststellung des Berufungsgerichts zugrunde zu legen, dass der Kläger keine Widerrufsbelehrung erhalten hat. Anders als die Revisionserwiderung meint, konnte allein deswegen, weil sich der Kläger auf das Gegenvorbringen der Beklagten, ihm die mit der Klageerwiderung vorgelegte Widerrufsbelehrung übersandt zu haben, erstinstanzlich nicht mehr geäußert hat, die entsprechende Behauptung der Beklagten nicht gem. § 138 Abs. 3 ZPO als zugestanden angesehen werden. Nach dieser Vorschrift sind Tatsachen, die nicht ausdrücklich bestritten werden, als zugestanden anzusehen, wenn nicht die Absicht, sie bestreiten zu wollen, aus den übrigen Erklärungen der Partei hervorgeht. Dabei kann bereits in einem vorangegangenen widersprechenden Vortrag ein konkludentes Bestreiten nachfolgender Behauptungen liegen (BGH, Urt. v. 15.5.2001 - VI ZR 55/00, NJW-RR 2001, 1294 unter II 1). So ist es hier. Der Kläger hatte sein Begehren bereits in der Klageschrift auf die Behauptung gestützt, keine Widerrufsbelehrung erhalten zu haben. Weder aus der fehlenden Wiederholung dieser Behauptung im erstinstanzlichen Verfahren noch aus seiner Alternativbegründung des Klagebegehrens kann darauf geschlossen werden, dass der Kläger dem Vortrag der Beklagten zur Übersendung der Widerrufsbelehrung nicht entgegentreten wollte. Wie die Revisionserwiderung nicht verkennt, hat der Kläger im Übrigen sein Bestreiten im Verfahren vor dem Berufungsgericht ausdrücklich aufrechterhalten.
Rz. 12
b) Wie der Senat zum Widerrufsrecht gem. § 8 Abs. 4 VVG in der vom 1.1.1991 bis zum 28.7.1994 gültigen Fassung entschieden hat, schließt bei einem nicht ausreichend über sein Widerrufsrecht belehrten Versicherungsnehmer die zuerst erklärte Kündigung des Versicherungsvertrages den späteren Widerruf nicht aus (BGH, Urt. v. 16.10.2013 - IV ZR 52/12, VersR 2013, 1513 Rz. 24). Dasselbe gilt für das Widerrufsrecht nach § 8 Abs. 1 Satz 1 VVG.
Rz. 13
c) Das Berufungsgericht hätte jedoch mit der gegebenen Begründung nicht annehmen dürfen, dass das Widerrufsrecht des Klägers gem. § 8 Abs. 3 Satz 2 VVG erloschen sei.
Rz. 14
Nach dieser Vorschrift erlischt das Widerrufsrecht, wenn der Vertrag von beiden Seiten auf ausdrücklichen Wunsch des Versicherungsnehmers vollständig erfüllt ist, bevor der Versicherungsnehmer sein Widerrufsrecht ausgeübt hat. Wie bereits § 48c Abs. 3 VVG in der vom 8.12.2004 bis zum 31.12.2007 gültigen Fassung (im Folgenden: a.F.) dient § 8 Abs. 3 Satz 2 VVG der Umsetzung von Art. 6 Abs. 2 Buchst. c) der Richtlinie 2002/65/EG des Europäischen Parlaments und des Rates vom 23.9.2002 über den Fernabsatz von Finanzdienstleistungen an Verbraucher und zur Änderung der Richtlinie 90/619/EWG des Rates und der Richtlinien 97/7/EG und 98/27/EG (ABl. EG Nr. L 271/16 vom 9.10.2002 - Fernabsatzrichtlinie II) in das deutsche Recht (BT-Drucks. 16/3945, 62). Anders als dies etwa bei § 7 Abs. 2 Satz 3 VerbrKrG a.F. und bei § 2 Abs. 1 Satz 4 HWiG a.F. der Fall war (zu diesen Bestimmungen: Senatsurteil vom 16.10.2013, a.a.O., Rz. 28), setzt § 8 Abs. 3 Satz 2 VVG für das Erlöschen des Widerrufsrechts neben der vollständigen Vertragserfüllung einen hierauf gerichteten "ausdrücklichen Wunsch" des Versicherungsnehmers voraus.
Rz. 15
Im Streitfall kann offen bleiben, welche Anforderungen im Einzelnen für eine vollständige Vertragserfüllung i.S.d. § 8 Abs. 3 Satz 2 VVG gegeben sein müssen und ob hierfür insb. erforderlich ist, dass der Versicherer seine Informationspflicht gem. § 7 Abs. 1 Satz 1 VVG erfüllt hat (hierzu: LG Offenburg VersR 2012, 1417, 1418; Knops in Bruck/Möller, VVG 9. Aufl., § 8 Rz. 57; Rixecker in Langheid/Rixecker, VVG 5. Aufl., § 8 Rz. 17; Heinig/Makowsky in Looschelders/Pohlmann, VVG 3. Aufl., § 8 Rz. 24; MünchKomm/VVG/Eberhardt, 2. Aufl., § 8 Rz. 44; Ebers in PK-VVG, 3. Aufl., § 8 Rz. 60; Armbrüster in Prölss/Martin, VVG 29. Aufl., § 8 Rz. 58; Reusch, VersR 2013, 1364, 1367). Da nach dem revisionsrechtlich maßgeblichen Sachverhalt weder der Kläger über sein Widerrufsrecht belehrt worden war noch die Beklagte aufgrund anderer Umstände davon ausgehen konnte, ihm sei sein Widerrufsrecht bekannt gewesen, als er die Kündigung des Vertrages zum 30.6.2011 erklärte, kann in der Kündigungserklärung jedenfalls nicht, wie das Berufungsgericht meint, die Äußerung eines auf eine vollständige Vertragserfüllung gerichteten Wunsches gesehen werden.
Rz. 16
In Übereinstimmung mit der einhelligen Auffassung in Literatur und Rechtsprechung ist das Berufungsgericht noch zutreffend davon ausgegangen, dass § 8 Abs. 3 Satz 2 VVG Ausdruck des allgemeinen Verbots widersprüchlichen Verhaltens ist (LG Offenburg, a.a.O., 1418; Knops, a.a.O., § 8 Rz. 57; Rixecker, a.a.O., § 8 Rz. 17; Heinig/Makowsky, a.a.O., § 8 Rz. 25; Ebers, a.a.O., § 8 Rz. 60; Armbrüster, a.a.O., § 8 Rz. 56; Reusch, a.a.O., 1366). § 8 Abs. 3 Satz 2 VVG beruht nicht allein auf dem Gedanken der Rechtssicherheit sowie der Überlegung, dass für einen Widerruf bei vollständiger Vertragserfüllung kein Anlass mehr besteht, weil das Schuldverhältnis durch einen "lückenlosen" Leistungsaustausch zwischen den Parteien abgewickelt worden ist, wie dies bei den genannten Bestimmungen des Verbraucherkreditgesetzes und des Haustürwiderrufsgesetzes der Fall war (vgl. Senatsurteil vom 16.10.2013, a.a.O., Rz. 28 m.w.N.). Denn diese Gesichtspunkte bieten keine Erklärung dafür, weshalb das Erlöschen des Widerrufsrechts gem. § 8 Abs. 3 Satz 2 VVG einen auf eine vollständige Vertragserfüllung gerichteten "ausdrücklichen Wunsch" des Versicherungsnehmers voraussetzt. Diese zusätzliche Tatbestandsvoraussetzung erklärt sich vielmehr erst bei einem Verständnis der Bestimmung als Ausdruck des Verbots des venire contra factum proprium.
Rz. 17
Daher setzt § 8 Abs. 3 Satz 2 VVG für die Annahme eines auf die vollständige Vertragserfüllung gerichteten "ausdrücklichen Wunsches" des Versicherungsnehmers voraus, dass dieser vor Abgabe der betreffenden Erklärung entweder über sein Widerrufsrecht belehrt wurde oder der Versicherer aufgrund anderer Umstände davon ausgehen konnte, dem Versicherungsnehmer sei sein Widerrufsrecht bekannt gewesen (vgl. LG Offenburg, a.a.O., 1418; Rixecker, a.a.O., § 8 Rz. 17; Armbrüster, a.a.O., § 8 Rz. 60; Heinig/Makowsky, a.a.O., § 8 Rz. 25; Ebers, a.a.O., § 8 Rz. 60; Reusch, VersR 2013, 1364, 1367 f.; a.A. OLG Karlsruhe ZIP 2011, 2051, 2054 (zu § 312d Abs. 3 Nr. 1 BGB in der vom 8.12.2004 bis zum 3.8.2009 gültigen Fassung); BeckOGK-BGB/Mörsdorf, Stand 15.7.2017 § 356 Rz. 54 (zu § 356 Abs. 4 Satz 3 BGB); Staudinger/Thüsing (2012), BGB § 312d Rz. 39 (zu § 312d Abs. 3 BGB in der vom 4.8.2009 bis zum 12.6.2014 gültigen Fassung)). Soweit diese Voraussetzungen nicht erfüllt sind, begründet ein Versicherungsnehmer entgegen der Ansicht des Berufungsgerichts nicht allein dadurch einen rechtlich relevanten Vertrauenstatbestand für die spätere Nichtausübung des Widerrufsrechts, dass er den Vertrag kündigt.
Rz. 18
Gegenteiliges ergibt sich auch nicht - wie das Berufungsgericht anzunehmen scheint - aus der Rechtsprechung des BGH zu § 312d Abs. 3 BGB in der vom 1.8.2002 bis zum 7.12.2004 gültigen Fassung (im Folgenden: a.F.), nach der das Erlöschen des Widerrufsrechts gemäß dieser Vorschrift keine Belehrung des Verbrauchers über das Widerrufsrecht erfordert (BGH, Urt. v. 16.3.2006 - III ZR 152/05, BGHZ 166, 369 Rz. 34). § 312d Abs. 3 BGB a.F. setzt für das Erlöschen des Widerrufsrechts nur voraus, dass der Unternehmer mit der Ausführung der Dienstleistung mit ausdrücklicher Zustimmung des Verbrauchers vor Ende der Widerrufsfrist begonnen hat oder der Verbraucher diese selbst veranlasst hat, und hat damit andere Tatbestandsvoraussetzungen als § 8 Abs. 3 Satz 2 VVG. Davon abgesehen trifft die Begründung für die genannte Rechtsprechung, dass der Verbraucher in Bezug auf die Belehrung über das Widerrufsrecht nicht schutzwürdig ist, wenn die angebotene Dienstleistung in seinem Interesse typischerweise sofort erbracht wird, und die bloße Unterrichtung über das Widerrufsrecht in diesen Fällen sinnlos wäre, da es mit dem Beginn der Leistungserbringung sogleich erlischt (BGH, Urt. v. 16.3.2006, a.a.O., Rz. 34), auf § 8 Abs. 3 Satz 2 VVG, der eine vollständige Vertragserfüllung verlangt, nicht zu. Der Gesetzgeber geht stattdessen davon aus, dass die Voraussetzungen des § 8 Abs. 3 Satz 2 VVG bereits deswegen nur in Ausnahmefällen erfüllt sein dürften, weil es im Bereich des Versicherungsrechts Verträge mit Verbrauchern, die vor Ende der Widerrufsfrist erfüllt sind, kaum geben werde (BT-Drucks. 15/2946, 30 (zu § 48c Abs. 3 VVG a.F.)).
Rz. 19
3. Infolge der nach dem revisionsrechtlich maßgeblichen Sachverhalt wirksamen Ausübung des Widerrufsrechts durch den Kläger wären gem. § 357 Abs. 1 Satz 1 BGB in der vom 1.1.2002 bis zum 10.6.2010 gültigen Fassung (im Folgenden: § 357 Abs. 1 Satz 1 BGB a.F.) i.V.m. § 346 Abs. 1 BGB die empfangenen Leistungen dem Grunde nach zurückzugewähren und die gezogenen Nutzungen herauszugeben; die Geltung des § 357 Abs. 1 Satz 1 BGB a.F. für den zwischen den Parteien abgeschlossenen Vertrag ergibt sich aus Art. 229 § 22 Abs. 2 EGBGB.
Rz. 20
a) Nach einhelliger und zutreffender Ansicht richten sich die Rechtsfolgen der wirksamen Ausübung des gem. § 8 Abs. 1 Satz 1 VVG begründeten Widerrufsrechts nach den einschlägigen Vorschriften des BGB, wenn die Voraussetzungen der diese Vorschriften modifizierenden Bestimmung des § 9 Abs. 1 VVG (im Streitfall: i.V.m. § 152 Abs. 2 VVG) nicht erfüllt sind (Knops, a.a.O., § 9 Rz. 7; Rixecker, a.a.O., § 9 Rz. 7; Heinig/Makowsky, a.a.O., § 9 Rz. 16; Eberhardt, a.a.O., § 9 Rz. 3; MünchKomm/VVG/Heiss, 2. Aufl., § 152 Rz. 10; Ebers, a.a.O., § 9 Rz. 10; Armbrüster, a.a.O., § 9 Rz. 2 f.; Schimikowski in Rüffer/Halbach/Schimikowski, HK-VVG 3. Aufl., § 9 Rz. 3; Brambach, a.a.O., § 152 Rz. 15; Marlow/Spuhl, Das Neue VVG kompakt, 4. Aufl. Rz. 134 u. Rz. 137; Wandt/Ganster, VersR 2008, 425, 429, 432 f.). Denn § 9 Abs. 1 VVG ist eine Spezialregelung gegenüber den im BGB enthaltenen allgemeinen Vorschriften über die Widerrufsfolgen, die letztere nur verdrängt, wenn sie tatbestandsmäßig anwendbar ist. Dies entspricht auch der Vorstellung des Gesetzgebers (BT-Drucks. 16/3945, 62).
Rz. 21
b) Im Streitfall wären nach dem revisionsrechtlich zu unterstellenden Sachverhalt die Voraussetzungen des § 9 Abs. 1 VVG i.V.m. § 152 Abs. 2 VVG nicht erfüllt. Es fehlte danach an der Zustimmung des Klägers, dass der Versicherungsschutz vor Ende der Widerrufsfrist beginnt.
Rz. 22
aa) § 9 Abs. 1 VVG setzt nicht nur in dem von seinem Satz 1 erfassten Fall, dass der Versicherungsnehmer in der Belehrung nach § 8 Abs. 2 Satz 1 Nr. 2 VVG auf sein Widerrufsrecht, die Rechtsfolgen des Widerrufs und den zu zahlenden Betrag hingewiesen worden ist, sondern auch im Fall seines Satzes 2, in dem der genannte Hinweis - wie hier - unterblieben ist, voraus, dass der Versicherungsnehmer dem Beginn des Versicherungsschutzes vor Ende der Widerrufsfrist zugestimmt hat (Rixecker, a.a.O., § 9 Rz. 10; Heinig/Makowsky, a.a.O., § 9 Rz. 28; Eberhardt, a.a.O., § 9 Rz. 17 u. Rz. 22; Ebers, a.a.O., § 9 Rz. 13; Schimikowski, a.a.O., § 9 Rz. 4; Brambach, a.a.O., § 152 Rz. 16; Marlow/Spuhl, a.a.O., Rz. 134 u. Rz. 137; Wandt/Ganster, a.a.O., 433 f.; a.A. Armbrüster, a.a.O., § 9 Rz. 25 f.). Das ergibt sich aus der Systematik der Vorschrift. Die in Satz 2 geregelte Konstellation knüpft an den Fall des Satzes 1 an und unterscheidet sich von diesem allein durch das Fehlen des in Satz 1 genannten "Hinweises", also des Hinweises auf das Widerrufsrecht, die Rechtsfolgen des Widerrufs und den zu zahlenden Betrag.
Rz. 23
bb) Der Kläger hat nach dem revisionsrechtlich zu unterstellenden Sachverhalt dem Beginn des Versicherungsschutzes vor Ende der Widerrufsfrist nicht wirksam zugestimmt. Dabei kann offen bleiben, ob § 9 Abs. 1 VVG voraussetzt, dass die Zustimmung ausdrücklich erteilt wird (hierfür: Knops, a.a.O., § 9 Rz. 15; Ebers, a.a.O., § 9 Rz. 17) oder ob auch eine konkludent erteilte Zustimmung genügt (hierfür: Rixecker, a.a.O., § 9 Rz. 10; Heinig/Makowsky, a.a.O., § 9 Rz. 13; Eberhardt, a.a.O., § 9 Rz. 18; Armbrüster, a.a.O., § 9 Rz. 16; Schimikowski, a.a.O., § 9 Rz. 11; Marlow/Spuhl, a.a.O., Rz. 139; Wandt/Ganster, a.a.O., 432). Denn allein darin, dass der Kläger ein Angebot auf Abschluss des Versicherungsvertrages unterzeichnete, in dem das Datum des Versicherungsbeginns bezeichnet war, und er später die Versicherungsbeiträge leistete, kann auch keine konkludente Zustimmung zu dem Beginn des Versicherungsschutzes gerade vor Ende der Widerrufsfrist gesehen werden. Voraussetzung für die Annahme einer solchen konkludenten Zustimmungserklärung wäre zumindest, dass der Versicherungsnehmer über das Widerrufsrecht belehrt wurde oder der Versicherer aufgrund anderer Umstände davon ausgehen konnte, diesem sei sein Widerrufsrecht bekannt gewesen (vgl. BeckOK-VVG/Brand, Stand 30.6.2016 § 9 Rz. 14). Andernfalls bringt der Versicherungsnehmer aus Sicht des Erklärungsempfängers nicht schlüssig zum Ausdruck, dass er mit dem Versicherungsbeginn vor Ablauf der Widerrufsfrist einverstanden ist.
Rz. 24
Die an eine Zustimmung des Versicherungsnehmers nach § 9 Abs. 1 Satz 1 VVG zu stellenden Anforderungen sind insoweit nicht vergleichbar mit der Zustimmung eines Verbrauchers im Sinne des bereits genannten § 312d Abs. 3 BGB a.F.; für die Anwendung jener Vorschrift sollte es nach der Rechtsprechung des BGH nicht erforderlich sein, dass der Unternehmer auf das Widerrufsrecht hingewiesen hatte (vgl. BGH, Urt. v. 16.3.2006 - III ZR 152/05, BGHZ 166, 369 Rz. 34). Für den Versicherungsvertrag schließt es das System aus den Informationspflichten nach § 7 VVG, dem Widerrufsrecht aus § 8 VVG und den Rechtsfolgen des Widerrufs gem. § 9 VVG dagegen aus, eine Zustimmung des Versicherungsnehmers zum Beginn des Versicherungsschutzes vor Ablauf der Widerrufsfrist anzunehmen, wenn dieser weder über das Widerrufsrecht belehrt wurde noch der Versicherer aufgrund anderer Umstände davon ausgehen durfte, diesem sei sein Widerrufsrecht bekannt gewesen.
Rz. 25
cc) Da sich die Rechtsfolgen des Widerrufs im Streitfall nach dem revisionsrechtlich maßgeblichen Sachverhalt nicht nach § 9 Abs. 1 VVG i.V.m. § 152 Abs. 2 VVG richten, stellt sich die Frage der Richtlinienkonformität dieser Vorschriften nicht.
Rz. 26
III. Die Sache ist noch nicht entscheidungsreif, weil das Berufungsgericht zu den vorstehend genannten Punkten noch ergänzende Feststellungen zu treffen und sich ggf. mit der Höhe der nach § 346 Abs. 1 BGB zurück zu gewährenden Leistungen zu befassen haben wird.
Fundstellen
Haufe-Index 11261845 |
BGHZ 2019, 1 |