Verfahrensgang

BPatG (Urteil vom 11.11.2020; Aktenzeichen 5 Ni 2/19 (EP))

 

Tenor

Auf die Berufung wird das Urteil des 5. Senats (Nichtigkeitssenats) des Bundespatentgerichts vom 11. November 2020 abgeändert.

Die Klage wird abgewiesen.

Die Klägerin trägt die Kosten des Rechtsstreits.

Von Rechts wegen

 

Tatbestand

Rz. 1

Die Beklagte ist Inhaberin des mit Wirkung für die Bundesrepublik Deutschland erteilten europäischen Patents 2 310 180 (Streitpatents), das am 14. Mai 2009 unter Inanspruchnahme einer schwedischen Priorität vom 16. Mai 2008 angemeldet worden ist und ein im Zwei-Komponenten-Spritzgussverfahren hergestelltes Spenderteil betrifft.

Rz. 2

Patentanspruch 1, auf den dreizehn weitere Ansprüche zurückbezogen sind, lautet in der Verfahrenssprache:

Dispenser part comprising at least two component parts (17, 18; 31, 32; 41 a, 42a; 41b, 42b; 41c, 42c; 41 d, 42d) each joined by a seam (21; 33; 43a, 43b, 43c, 43d), said dispenser part (20) comprising a first injection moulded plastic component part (17; 31; 41a) having an associated first mating surface; a second injection moulded plastic component part (18; 32; 42a) having an associated second mating surface; and a seam (21; 33; 43a) formed by said first mating surface and said second mating surface during injection moulding for joining said first component part and said second component part (17, 18; 31, 32; 41a, 42a; 41b, 42b; 41c, 42c; 41d; 42d) to define a dispenser part (20), characterised in that an edge portion (44b, 44c, 44d) on one dispenser part extends past a transverse extension of the seam (43b; 43c; 43d) such that the resulting seam (21; 33; 43a; 43b; 43d) has an impact strength equal to or greater than the strength of at least one of said first and second moulded plastic component parts (17, 18; 31, 32; 41a, 42a; 41b, 42b; 41c, 42c; 41d; 42d) adjacent the seam (21; 33; 43a; 43b; 43c).

Rz. 3

Die Klägerin hat geltend gemacht, der Gegenstand des Streitpatents sei nicht patentfähig und die Erfindung nicht so offenbart, dass ein Fachmann sie ausführen könne. Die Beklagte hat das Streitpatent in der erteilten Fassung und hilfsweise in fünf geänderten Fassungen verteidigt.

Rz. 4

Das Patentgericht hat das Streitpatent für nichtig erklärt. Dagegen wendet sich die Berufung der Beklagten, die das Streitpatent weiterhin mit ihren erstinstanzlichen Anträgen verteidigt. Die Klägerin tritt dem Rechtsmittel entgegen.

 

Entscheidungsgründe

Rz. 5

Die zulässige Berufung ist begründet und führt zur Abweisung der Klage.

Rz. 6

I. Das Streitpatent betrifft ein im Zwei-Komponenten-Spritzgussverfahren hergestelltes Spenderteil.

Rz. 7

1. Nach den Ausführungen in der Streitpatentschrift kann es aus unterschiedlichen Gründen wünschenswert sein, ein Spenderteil vorzusehen, bei dem zumindest die Außenfläche, die Schale oder ein vergleichbarer Teil aus zwei ähnlichen oder unterschiedlichen Kunststoffen gefertigt ist. So sei denkbar, einen Abschnitt des Spenderteils transparent zu gestalten, um die Kontrolle des Füllstands des im Spender enthaltenen Verbrauchsguts zu erleichtern. Ein zweiter Abschnitt könne opak gestaltet sein, um einen Ausgabemechanismus zu verbergen und dem Spender ein ästhetisch ansprechendes Aussehen zu geben (Abs. 2).

Rz. 8

Für die Herstellung eines solchen Spenderteils werde üblicherweise die erste Komponente durch Spritzguss in einer ersten Form angefertigt. Anschließend werde sie in eine zweite Form umgesetzt und dort mit einer sodann gespritzten weiteren Komponente verbunden. Hierbei könne es zu einem Verzug zumindest der ersten Komponente und der Naht kommen, insbesondere in oder nahe den Bereichen der Seitenkanten. Die Komponenten würden in der Regel durchgehend (end-to-end) miteinander verbunden; selbst mit lokalen Verstärkungen könne es der Verbindungsnaht an ausreichender Stabilität fehlen, um den zu erwartenden Kräften standzuhalten (Abs. 3).

Rz. 9

2. Das Streitpatent betrifft vor diesem Hintergrund das technische Problem, ein Spenderteil bereitzustellen, das geringen Verzug aufweist und an der Naht von hoher Festigkeit ist.

Rz. 10

3. Zur Lösung schlägt das Streitpatent in Patentanspruch 1 ein Spenderteil vor, dessen Merkmale sich wie folgt gliedern lassen (die abweichende Gliederung im erstinstanzlichen Urteil ist in eckigen Klammern wiedergegeben):

1. Das Spenderteil (20) weist mindestens zwei Komponententeile (17, 18; 31, 32; 41a, 42a; 41b, 42b; 41c, 42c; 41d, 42d) auf [1; 1.1].

2. Das erste (17; 31; 41a; 41b; 41c; 41d) und das zweite spritzgegossene Komponententeil (18; 32; 42a; 42b; 42c; 42d)

a) weisen jeweils eine Verbindungsfläche auf [1.2, 1.3] und

b) sind durch eine Naht (21; 33; 43a; 43b; 43c; 43d) verbunden [1.1.1],

(1) die durch die erste Verbindungsfläche und die zweite Verbindungsfläche während des Zwei-Komponenten-Spritzgießens zum Verbinden des ersten Komponententeils und des zweiten Komponententeils ausgebildet wird, um das Spenderteil (20) zu definieren [1.4];

(2) wobei sich ein Randabschnitt (44b, 44c, 44d) an einem Spenderteil über eine Querausdehnung der Naht (43b; 43c; 43d) hinaus erstreckt, so dass die sich ergebende Naht eine Schlagfestigkeit (impact strength) aufweist, die gleich wie oder höher als die Festigkeit zumindest eines der beiden gegossenen Kunststoff-Komponententeile ist, die an die Naht angrenzend liegen [1.5].

Rz. 11

4. Einige Merkmale bedürfen näherer Erörterung.

Rz. 12

a) Wie der Senat bereits im Zusammenhang mit dem denselben Prioritätstag wie das Streitpatent in Anspruch nehmenden europäischen Patent 2 313 243 ausgeführt und näher begründet hat, muss ein Spenderteil im Sinne von Merkmal 1 ein Bauteil sein, das die Struktur des Spendergehäuses maßgeblich prägt; entsprechendes gilt für ein Komponententeil im Sinne von Merkmal 2 (BGH, Urteil vom 7. Dezember 2021 - X ZR 111/19, Rn. 12 ff.).

Rz. 13

Für das Streitpatent, dessen Beschreibung in weiten Teilen mit derjenigen des genannten Patents übereinstimmt und das in Patentanspruch 1 insoweit dieselben Begriffe verwendet, gilt nichts Anderes.

Rz. 14

b) Die Naht, die die beiden Komponententeile miteinander verbindet, ist in Merkmalsgruppe 2 b durch ihre Herstellungsart, ihre räumliche Erstreckung und ihre Stabilität charakterisiert.

Rz. 15

aa) Nach Merkmal 2 b (1) muss die Naht während des Zwei-Komponenten-Spritzgießens zum Verbinden der beiden Komponententeile ausgebildet werden. Die nähere Ausgestaltung dieses Fertigungsschritts bleibt dem Fachmann überlassen.

Rz. 16

bb) Um der Naht eine höhere Schlagfestigkeit zu verleihen, erstreckt sich gemäß Merkmal 2 b (2) ein Randabschnitt über die Querausdehnung der Naht hinaus.

Rz. 17

Ausführungsbeispiele für diese Gestaltung sind in den nachfolgend wiedergegebenen Figuren 4b, 4c und 4d dargestellt.

Rz. 18

Der Randabschnitt wird bei diesen Ausführungsformen durch eine Lippe (44b, 44c und 44d) eines Komponententeils (41b, 41c, 41d) gebildet, die die rückwärtige Fläche des zweiten Komponententeils (42b, 42c, 42d) überlappt (Abs. 65-68). Die drei Beispiele unterscheiden sich hinsichtlich der Form dieser Lippe.

Rz. 19

Bei allen drei Ausführungsbeispielen dient die Überlappung dazu, die Naht zu verbergen und zu verstärken (Abs. 65 Z. 27-29; Abs. 66 Z. 42-44; Abs. 67 Z. 57-58; Abs. 68 Z. 6-7).

Rz. 20

Die Querrichtung der Naht bezeichnet die Richtung, die rechtwinklig zu der vorderen Kante des jeweiligen Komponententeils verläuft, an die sich die Naht anschließt (Abs. 14). In den oben dargestellten Ausführungsbeispielen verläuft die genannte Kante senkrecht zur Darstellungsebene; die Querrichtung verläuft von links nach rechts. Die Querausdehnung der Naht entspricht dem Bereich, in dem die beiden Komponententeile in Querrichtung oder schräg dazu aneinander stoßen. Die Lippe bzw. der Randabschnitt (44b, 44c, 44d) liegt demgegenüber auf der rückwärtigen Oberfläche des zweiten Komponententeils auf.

Rz. 21

Weitere Ausführungsbeispiele sind in den nachfolgend wiedergegebenen Figuren 12b und 12c dargestellt.

Rz. 22

Diese Ausgestaltungen dienen ebenfalls dazu, die Naht zu verbergen und zu verstärken (Abs. 79 Z. 42-43).

Rz. 23

cc) Die Schlagfestigkeit der Naht, die mit dieser Ausgestaltung erreicht werden soll, ist in Merkmal 2 b (2) nicht durch einen absoluten Wert vorgegeben, sondern dadurch, dass sie höher sein muss als die Schlagfestigkeit mindestens eines der beiden angrenzenden Komponententeile. Absolute Werte für die Schlagfestigkeit und ein entsprechendes Testverfahren werden in Patentanspruch 14 vorgegeben.

Rz. 24

dd) Entgegen der Auffassung des Patentgerichts ist die Schlagfestigkeit im Sinne von Merkmal 2 b (2) anhand einer Stoßbelastung zu bestimmen, nicht hingegen anhand von Biegeversuchen.

Rz. 25

Dies ergibt sich aus den Ausführungen in der Beschreibung, wonach die Schlagfestigkeit (impact strength) definiert werden kann als die Energie, die erforderlich ist, um eine Probe durch eine Stoßbelastung (shock loading) zu brechen, etwa bei einem Stoßversuch (Abs. 27). Trotz der Verwendung des Wortes "kann" und dem an gleicher Stelle gegebenen Hinweis auf die alternativen Bezeichnungen "impact energy", "impact value", "impact resistance" und "energy absorption" ergibt sich aus dem Zusammenhang hinreichend deutlich, dass die Beschreibung damit eine eigene Definition des Begriffs der Schlagfestigkeit gibt.

Rz. 26

Dass nach der Lehre des Streitpatents eine etwa gegebene Biegefestigkeit nicht ohne weiteres auf das Vorliegen einer Schlagfestigkeit gemäß der patenteigenen Definition schließen lässt, ergibt sich daraus, dass mehrere Stellen der Beschreibung auch die Biegefestigkeit behandeln, die mit Hilfe von Biegetests ermittelt wird (Abs. 34, 68, 87, Tabelle 1), und dass im Zusammenhang mit den Ausführungsbeispielen nach den Figuren 4b, 4c und 4d unter Bezugnahme auf vergleichende Biege- und Stoßtests von nur geringen Verbesserungen der Biegefestigkeit berichtet wird, während bei Stoßtests ein deutlicher positiver Effekt zu beobachten gewesen sei (Abs. 68). In Einklang damit erfolgen Angaben zur Schlagfestigkeit in der nach den Feststellungen des Patentgerichts dafür üblichen Maßeinheit Joule (Abs. 38, 80, 94), während für die Biegefestigkeit die dafür übliche Maßeinheit Megapascal verwendet wird (Abs. 34, 87, Tabelle 1).

Rz. 27

Vor diesem Hintergrund kommt dem Umstand, dass Schlag- und Biegefestigkeit gewisse Verwandtschaft aufweisen und die zur Ermittlung dieser Größen üblichen Versuche sich in manchen Beziehungen ähneln, keine ausschlaggebende Bedeutung zu. Der Umstand, dass die Beschreibung des Streitpatents gerade im Hinblick auf Ausführungsformen mit dem Merkmal 2 b (2) insoweit die beobachteten Unterschiede hervorhebt, lässt erkennen, dass das Streitpatent diese beiden Begriffe unterscheidet.

Rz. 28

II. Das Patentgericht hat seine Entscheidung im Wesentlichen wie folgt begründet:

Rz. 29

Der Gegenstand von Patentanspruch 1 in der erteilten Fassung beruhe nicht auf erfinderischer Tätigkeit. Er sei dem Fachmann, einem Diplom-Ingenieur der Fachrichtung Maschinenbau bzw. Kunststofftechnik mit Fachhochschul- oder vergleichbarem Abschluss und mehrjähriger Berufserfahrung in der Produktentwicklung von Aufnahmebehältern, der in der Formgebung von Kunststoffen bewandert sei und einen Fachmann der Spritztechnik mit Erfahrung im Bereich der Werkstoffprüfung von Kunststoffen hinzuziehe, durch die internationale Patentanmeldung 2006/054965 (N4) und die japanische Patentanmeldung Sho 59-133029 (N6) nahegelegt.

Rz. 30

N4 offenbare einen Spender zur Ausgabe von als Rolle bereitgestellten Papierhandtüchern mit den Merkmalen 1, 2 a, 2 b und 2 b (1). Nicht offenbart sei Merkmal 2 b (2).

Rz. 31

Bei der Ausbildung der Geometrie der Fügeverbindung des in N4 offenbarten Spenderteils orientiere sich der Fachmann im Wesentlichen an den Anforderungen, die die Funktionalität und Stabilität eines Papierspenders an die Konstruktion stellten, sowie an seinem Fachwissen über die Ausgestaltung der Naht beim Anspritzen zweier Kunststoffkomponenten. Der Fachmann kenne daher auch die N6, die eine durch Ultraschallschweißen und eine im Zwei-Komponenten-Spritzgussverfahren hergestellte Naht mit jeweils hoher Biegefestigkeit zeige. Da der Fachmann für einen Papierspender aus Verschmutzungs- bzw. Hygienegründen eine außenliegende Nut nicht vorsehe, ziehe er die in N6 offenbarte Schweißverbindung für das Zwei-Komponenten-Spritzgießen in Betracht. Eine solche, dem Fachmann bekannte und von ihm spritztechnisch ohne Schwierigkeiten ausführbare Verbindung durch Überlappen der Stoßstelle gewährleiste, dass die Stoßverbindung auf der Sichtseite optisch ansprechend sei, eine spaltfreie Oberfläche aufweise und darüber hinaus über eine ausreichend hohe Festigkeit verfüge. Die Festigkeit einer sich überlappenden Naht entsprechend den Figuren 2 und 3 der N6 könne der Fachmann anhand der Grundlagen der Festigkeitslehre abschätzen. Bei einer überschlägigen Betrachtung reduziere die Verdoppelung der Dicke im Bereich der Naht die Spannungsbelastung auf ein Viertel. Dies lasse erwarten, dass die Naht weder bei einem Standardbiegeversuch noch bei einem Test der Schlagzähigkeit versage. Diese Parameter unterschieden sich lediglich hinsichtlich der Belastungsgeschwindigkeit, so dass das Verhalten des Werkstoffs insoweit nicht unterschiedlich einzuschätzen sei.

Rz. 32

Der Gegenstand der Hilfsanträge 1 bis 3 beruhe ebenfalls nicht auf erfinderischer Tätigkeit. Die Verteidigung des Streitpatents in den Fassungen der Hilfsanträge 4 und 5 sei als verspätet zurückzuweisen.

Rz. 33

III. Diese Beurteilung hält der Überprüfung im Berufungsverfahren nicht stand.

Rz. 34

Entgegen der Auffassung des Patentgerichts ist der Gegenstand von Patentanspruch 1 in der erteilten Fassung nicht durch eine Kombination von N4 und N6 nahegelegt.

Rz. 35

1. Das Patentgericht hat zu Recht entschieden, dass N4 den Gegenstand von Patentanspruch 1 in der erteilten Fassung nicht vollständig offenbart.

Rz. 36

a) N4 offenbart einen Spender für Papierrollen.

Rz. 37

Ein Ausführungsbeispiel ist in der nachfolgend wiedergegebenen Figur 1 in perspektivischer Darstellung und in Figur 2 in einer Seitenansicht dargestellt.

Rz. 38

Der Spender (1) umfasst einen Körper (3) und eine Abdeckung (2).

Rz. 39

Der Körper (3) besteht aus einem hinteren Abschnitt mit oberen und unteren Flächen, Seitenflächen und einer hinteren Befestigungsfläche (10). Er kann eine im Spender unterzubringende Papierrolle zumindest teilweise aufnehmen und ist für eine Montage in einer Nische oder an einer Wand geeignet (S. 3 Z. 10-15; S. 7 Z. 20 bis S. 8 Z. 4).

Rz. 40

Die Abdeckung (2) kann neben einer Ausgabeöffnung (5) und einem die Ausgabe eines Handtuchs anstoßenden Sensor (6) ein eingelassenes transparentes Sichtfenster (4) aufweisen (S. 5 Z. 18-19). In diesem Fall ist die Abdeckung über den Großteil ihrer Oberfläche entweder undurchsichtig oder transluzent gestaltet. In einer als bevorzugt geschilderten Ausführung wird sie zusammen mit dem Fenster im Zwei-Komponenten-Spritzgussverfahren hergestellt, um das Fenster baulich besser in die Abdeckung einzufügen (S. 7 Z. 6-12).

Rz. 41

Die Abdeckung (2) ist mit dem Körper (3) mittels einer ersten und zweiten Scharnierstruktur (8), beispielsweise in Form von Gelenkstiften, schwenkbar verbunden und kann deshalb zur Wartung oder zum Austausch der Papierrolle geöffnet werden (S. 3 Z. 17-22). Alternativ kommt jede andere Ausgestaltung in Betracht, die ein Verschwenken ermöglicht, zum Beispiel die Ausformung von Vorsprüngen am Körper (3), die in Öffnungen in der Abdeckung (2) greifen (S. 5 Z. 8-13). Im geschlossenen Zustand wird die Abdeckung mittels einer Verriegelungsstruktur (7) am Körper (3) gehalten (S. 3 Z. 22-24).

Rz. 42

b) Damit sind, wie das Patentgericht zutreffend angenommen hat und auch die Berufung nicht in Zweifel zieht, die Merkmale 1, 2 a, 2 b und 2 b (1) offenbart.

Rz. 43

c) Nicht offenbart ist dagegen, wie das Patentgericht zu Recht entschieden hat und auch die Berufungserwiderung nicht in Zweifel zieht, Merkmal 2 b (2).

Rz. 44

2. Entgegen der Auffassung des Patentgerichts war der Gegenstand von Patentanspruch 1 nicht durch eine Kombination von N4 mit N6 nahegelegt.

Rz. 45

N6 offenbart ein Erzeugnis mit integrierten, aus Harz geformten Komponententeilen in unterschiedlichen Farben und nennt als Anwendungsbeispiel das Gehäuse eines Tastentelefons (N6-DE S. 2 Z. 8-10), wie es beispielhaft in der nachfolgend wiedergegebenen Figur 1 dargestellt ist.

Rz. 46

Eine im Stand der Technik übliche, durch Ultraschallschweißen hergestellte Verbindung ist in den nachfolgend wiedergegebenen Figuren 2 und 3 dargestellt. Beide zeigen eine Querschnittsansicht entlang der in Figur 1 eingezeichneten Linie (3).

Rz. 47

Bei einem anderen konventionellen Verfahren, das als Zwei-Farben-Formung bezeichnet werde, würden zwei Kunststoffe durch Spritzgießen mit zwei Düsen verarbeitet. Ein Beispiel ist schematisch in den nachfolgend wiedergegebenen Figuren 4 und 6 dargestellt.

Rz. 48

Das Ultraschall-Verfahren habe neben der Kostenintensität den Nachteil, dass das äußere Erscheinungsbild durch Grate beeinträchtigt werde. Bei einer Entfernung der Grate leide die Stabilität (N6-DE S. 3 Z. 3-17; S. 4 Z. 13-15). Beim Spritzgießen in der herkömmlichen Form bestehe die Gefahr, dass die Verbindungsnaht (wie in Figur 6 gezeigt) nicht geradlinig verlaufe und die Biegefestigkeit gering sei (N6-DE S. 3 Z. 18 bis S. 4 Z. 12; S. 4 Z. 15-17).

Rz. 49

Zur Lösung schlägt N6 vor, die Verbindungsfläche eines Komponententeils (7) mit Stufen zu versehen und das zweite Komponententeil (8) durch Spritzgießen an diese gestufte Fläche anzuschließen, wobei im Grenzbereich der beiden Kunststoffkomponenten Nuten vorgesehen sind (N6-DE S. 5 Z. 1-5).

Rz. 50

Ein Ausführungsbeispiel ist in den nachfolgend wiedergegebenen Figuren 8 und 9 dargestellt.

Rz. 51

Die Kante des Kunststoffteils der Farbe A (7) weist einen in der deutschen Übersetzung als dicken vorstehenden Streifen bezeichneten Vorsprung (12) auf, an dessen Oberfläche eine erste Stufe in Form einer Nut (10) und eine weitere Stufe (14) ausgebildet sind. Dazwischen ist eine Stirnfläche (15) angeordnet. Die beiden Teile sind an der Stirnfläche (15) und an der oberen Seite der zweiten Stufe (14) miteinander verbunden. Auf der rückwärtigen (inneren) Fläche des Kunststoffteils (7) ist eine Nut (13) vorgesehen, die den Übergang zum Vorsprung (12) markiert (N6-DE S. 5 Z. 9-23).

Rz. 52

Die Nut (13) und der Vorsprung (12) haben eine zweifache Funktion. Während der Formung der beiden Kunststoffteile sollen sie den hierbei entstehenden Druck aufnehmen. Dazu ist in diesem Stadium in die Nut (13) eine Form eingeführt. Nach Abschluss des Formungsprozesses und Entfernung dieser Form sollen die Nut (13) und der Vorsprung (12) für eine erhöhte Biegefestigkeit des Erzeugnisses sorgen (N6-DE S. 5 Z. 23-31; S. 6 Z. 14-16).

Rz. 53

Die Nut (10) auf der vorderen, äußeren Fläche des Kunststoffteils (7) dient dem weiteren Ziel der N6, einen geradlinigen Verlauf der Verbindungsnaht zu gewährleisten (N6-DE S. 6 Z. 16-18).

Rz. 54

b) Damit sind die Merkmale 2 a und 2 b (1) offenbart.

Rz. 55

c) Nicht offenbart ist hingegen Merkmal 1.

Rz. 56

N6 bezieht sich zwar allgemein auf Erzeugnisse, die aus zwei Kunststoffkomponenten bestehen. Spenderteile im Sinne von Merkmal 1 sind aber nicht ausdrücklich erwähnt.

Rz. 57

d) Ebenfalls nicht offenbart ist Merkmal 2 b (2).

Rz. 58

Zwar dürfte der in N6 offenbarte Vorsprung (12) dem Randabschnitt (44b, 44c, 44d) im Sinne des Streitpatents entsprechen. N6 offenbart aber nicht, dass die Naht eine Schlagfestigkeit aufweist, die derjenigen eines der Kunststoffkomponententeile entspricht oder gar höher ist.

Rz. 59

Entgegen der Auffassung des Patentgerichts ermöglichen die in N6 enthaltenen Ausführungen zur erhöhten Biegefestigkeit keinen sicheren Schluss auf eine erhöhte Schlagfestigkeit. Wie oben dargelegt wurde, bestehen zwar gewisse Beziehungen zwischen diesen beiden Eigenschaften. Auch nach den Feststellungen des Patentgerichts besteht aber keine Gewähr dafür, dass eine hohe Biegefestigkeit ohne weiteres auch zu einer hohen Schlagfestigkeit führt. Entgegen der Auffassung des Patentgerichts ist nach dem Streitpatent aber gerade die Schlagfestigkeit von entscheidender Bedeutung.

Rz. 60

e) Unabhängig davon lag es ausgehend von N4 nicht nahe, die in N6 offenbarten Möglichkeiten des Zwei-Komponenten-Spritzgießens in Betracht zu ziehen.

Rz. 61

aa) Dass N6 als Anwendungsbeispiel ein Telefongehäuse beschreibt, stünde dem allerdings nicht entgegen.

Rz. 62

Im Zentrum der Entgegenhaltung steht das kostengünstige und sichere Zusammenfügen von zwei unterschiedlichen Kunststoff-Komponenten. Dieses Problem stellt sich auch ausgehend von N4.

Rz. 63

bb) Gegen eine Kombination der beiden Entgegenhaltungen spricht aber der Umstand, dass N6 sich nur mit der Biegefestigkeit befasst, während bei Spenderteilen im Sinne von N4 die Schlagfestigkeit von Bedeutung ist.

Rz. 64

Die bereits erwähnten Zusammenhänge zwischen diesen beiden Eigenschaften sind auch nicht derart klar, dass ein Hinweis auf erhöhte Biegefestigkeit ohne weiteres die Erwartung begründet, dass eine solche Verbindung auch eine erhöhte Schlagfestigkeit haben könnte.

Rz. 65

cc) Gegen eine Kombination spricht darüber hinaus die Feststellung des Patentgerichts, dass außen liegende Nuten für Papierspender ungünstig sind.

Rz. 66

Entgegen der Auffassung des Patentgerichts ergab sich ausgehend von dieser Überlegung aus N6 nicht die Anregung, auf Zwei-Komponenten-Spritzgießen ohne solche Nut auszuweichen. Diese Ausgestaltung wird in N6 als bekannt und wenig stabil bezeichnet. Die zur Verbesserung vorgeschlagene Überlappung geht nach den Ausführungen in N6 mit der Ausbildung der beiden Nuten einher. Anhaltspunkte dafür, dass auch ohne diese Nuten eine stabile Verbindung erzielt werden könnte, sind N6 nicht zu entnehmen.

Rz. 67

IV. Die angefochtene Entscheidung erweist sich nicht aus anderen Gründen als im Ergebnis zutreffend (§ 119 Abs. 1 PatG).

Rz. 68

1. Der Gegenstand von Patentanspruch 1 in der erteilten Fassung war auch durch den weiteren Stand der Technik nicht nahegelegt.

Rz. 69

a) Mit der geltend gemachten Vorbenutzung des Unternehmens Kimberly-Clark mit der Bezeichnung "cleanteam", die in zwei Stellungnahmen eines Privatgutachters und früheren Mitarbeiters des Unternehmens (N25 und N27, deutsche Übersetzungen in N26 und N28) beschrieben wird, ist eine Naht mit dem Merkmal 2 b (2) nicht offenbart.

Rz. 70

aa) Die geltend gemachte Vorbenutzung betrifft einen Spender für Feuchttücher. Dieser ist in den nachfolgend abgebildeten Fotografien dargestellt.

Rz. 71

Der Spender weist einen Hauptdeckel mit einem mittig angeordneten Druckknopf zum Öffnen eines kleineren Deckels auf. Der kleine Deckel gibt eine weiche Spenderöffnung frei, durch die ein kleiner Teil des Feuchttuchs hindurchragt. Die Spenderöffnung, die Seitenflächen des Druckknopfs und ein den Hauptdeckel umgebender Rand sind aus gelbem TPE (thermoplastische Elastomere). Sie sind durch Zwei-Komponenten-Spritzguss an den aus härterem Harz bestehenden Hauptdeckel angeformt (N25 S. 7).

Rz. 72

Die Verbindung zwischen den beiden Komponenten sind in den nachfolgend wiedergegebenen Fotos (N25 S. 8, N27 S. 2) im Querschnitt dargestellt.

Rz. 73

bb) Daraus ergeben sich keine gesicherten Erkenntnisse zur Belastbarkeit der Naht.

Rz. 74

Nach dem auf den Privatgutachter gestützten Vorbringen der Klägerin dient die oben dargestellte Ausgestaltung der Naht zwar dem Ziel, eine starke Verbindung zu erzeugen. Hieraus ergibt sich aber nicht, dass diese Verbindung den Anforderungen des Merkmals 2 b (2) genügt. Dass eine hohe Schlagfestigkeit erwartet wurde, dass die in Merkmal 2 b (2) definierte Festigkeit als ideal angesehen werden kann, und dass dieses Ideal bei der Entwicklung des Spenders "cleanteam" angestrebt wurde, ermöglicht nicht die Schlussfolgerung, dass dieses Ziel erreicht worden ist.

Rz. 75

b) Die von der Klägerin geltend gemachte Vorbenutzung des Papierspenders "Aqua" mit der Modellnummer 6973 (Anlagenkonvolut N16), der ebenfalls aus dem Unternehmen Kimberly-Clark stammt, nimmt das Merkmal 2 b (2) ebenfalls nicht vorweg.

Rz. 76

aa) Die geltend gemachte Vorbenutzung betrifft einen Papierspender mit Sichtfenster.

Rz. 77

Die nachfolgend wiedergegebene Fotografie zeigt eine Frontansicht.

Rz. 78

Der Übergang zwischen den beiden Teilen ist in einer Fotografie dargestellt, die nachfolgend in zwei unterschiedlichen Vergrößerungsstufen wiedergegeben ist.

Rz. 79

bb) Ob der T-förmige Vorsprung, den die transparente Komponente im Bereich der Naht aufweist und der einen Teil der opaken Komponente umgreift, über die Querausdehnung der Naht hinausgeht und damit einem Randabschnitt im Sinne von Merkmal 2 b (2) entspricht, lässt sich den vorgelegten Abbildungen nicht eindeutig entnehmen, kann aber letztlich dahin gestellt bleiben.

Rz. 80

Jedenfalls ergeben sich aus den Abbildungen und aus dem Vorbringen der Klägerin und des Privatgutachters keine hinreichenden Hinweise darauf, dass die Verbindung die in Merkmal 2 b (2) definierten Anforderungen an die Schlagfestigkeit erfüllt.

Rz. 81

2. Entgegen der Auffassung der Klägerin ist die Erfindung so offenbart, dass ein Fachmann sie ausführen kann.

Rz. 82

Wie die Klägerin im Ansatz zutreffend geltend macht, gibt Patentanspruch 1 in Merkmal 2 b (2) allerdings ein abstraktes Ziel vor, ohne Mittel zu benennen, mit denen dieses Ziel erreicht werden kann. Dass die bloße Ausgestaltung mit einem Randabschnitt, wie ihn Merkmal 2 b (2) vorsieht, ausreicht, um die vorgegebene Schlagfestigkeit zu erreichen, ist weder geltend gemacht noch sonst ersichtlich.

Rz. 83

Wie das Patentgericht in dem nach § 83 Abs. 1 PatG erteilten Hinweis zutreffend ausgeführt hat, geben indes die Ausführungen zu den Ausführungsbeispielen in den Figuren 4b, 4c, 4d, 12b und 12c konkrete Hinweise, wie die angestrebte Schlagfestigkeit erreicht werden kann. Dass gegebenenfalls - wie in der Streitpatentschrift geschildert (Abs. 96) - mehrere Versuche erforderlich sind, um die gewünschten, in Merkmal 2 b (2) festgelegten Eigenschaften hinsichtlich der Schlagfestigkeit zu erhalten, die nach den Erläuterungen in der Streitpatentschrift in der Praxis bedeuten, dass das Spenderteil bei einem Stoß zuerst auf einer Seite oder parallel zu der Naht, aber nicht an der Naht selber bricht (Abs. 28), steht der Bejahung einer ausführbaren Offenbarung nicht entgegen.

Rz. 84

V. Der Rechtsstreit ist zur Endentscheidung reif (§ 119 Abs. 5 Satz 2 PatG).

Rz. 85

Aus den oben aufgezeigten Erwägungen ergibt sich, dass der Gegenstand des Streitpatents patentfähig ist. Die Klage ist daher abzuweisen.

Rz. 86

VI. Die Kostenentscheidung beruht auf § 121 Abs. 2 PatG und § 91 Abs. 1 ZPO.

Bacher     

Hoffmann     

Deichfuß

Kober-Dehm     

Rombach     

 

Fundstellen

Dokument-Index HI15671167

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