Entscheidungsstichwort (Thema)
Berücksichtigung von Vordienstzeiten bei Berechnung der Versorgungsrente von Beschäftigten im öffentlichen Dienst
Leitsatz (redaktionell)
1. Wird bei der Berechnung der Versorgungsrente der Halbanrechnungsgrundsatz auf Vordienstzeiten für Versicherte, die bis zum 31.12.2000 versorgungsberechtigt geworden sind, angewendet, verstößt dies nicht gegen Art. 3 Abs. 1 GG.
2. Ist mit der Halbanrechnung von Vordienstzeiten eine Ungleichbehandlung gegenüber denjenigen Versicherten verbunden, die ihr ganzes Leben im öffentlichen Dienst verbracht haben, hält sich diese Ungleichbehandlung im Rahmen einer zulässigen Typisierung und Generalisierung einer komplizierten und sehr großen Gruppe betreffenden Materie.
Normenkette
GG Art. 3 Abs. 1
Verfahrensgang
OLG Karlsruhe (Urteil vom 02.05.2002; Aktenzeichen 12 U 270/01) |
Tenor
Die Revision gegen das Urteil des 12. Zivilsenats des OLG Karlsruhe v. 2.5.2002 wird auf Kosten des Klägers zurückgewiesen.
Von Rechts wegen
Tatbestand
Der Kläger begehrt eine höhere Zusatzversorgungsrente von der Beklagten.
Er ist 1938 geboren und war in der ehemaligen DDR beschäftigt. Zum 27.2.1991 wurde er bei der Beklagten zur Versicherung angemeldet. Seit dem 1.4.2000 erhält er neben einer Rente von der Bundesversicherungsanstalt für Angestellte (BfA) auch eine Versorgungsrente der Beklagten.
Bei der Berechnung der Rentenhöhe hatte die Beklagte zunächst die Vordienstzeiten vor dem 3.10.1990 nicht und die danach zur Hälfte berücksichtigt. Nach dem Senatsurteil v. 27.9.2000 (BGH v. 27.9.2000 - IV ZR 140/99, MDR 2001, 30 = VersR 2000, 1530) berechnete sie die Rente rückwirkend zum Rentenbeginn neu. Dabei legte sie zwar nunmehr alle Vordienstzeiten zu Grunde. Gestützt auf § 42 Abs. 2 S. 1 Buchst. a Doppelbuchst. aa ihrer Satzung (im Folgenden: VBLS) in der für die Berechnung der Rentenhöhe des Klägers maßgebenden Fassung berücksichtigte sie aber für den Faktor der gesamtversorgungsfähigen Zeit, von dem die Höhe ihrer Zusatzrente abhängt, außer den Umlagemonaten, in denen ein Arbeitgeber des öffentlichen Dienstes mit Umlagezahlungen an die Beklagte für die Altersversorgung des bei ihm beschäftigten Klägers beigetragen hat, darüber hinaus andere Zeiten, die (über die Umlagemonate hinaus) der gesetzlichen Rente des Klägers zu Grunde liegen, nur zur Hälfte (sog. Halbanrechnungsgrundsatz). Andererseits war nach der seinerzeit geltenden Satzung bei der Berechnung der Versorgungsrente grundsätzlich von der vollen Höhe der an den Kläger gezahlten gesetzlichen Rente auszugehen; diese wurde durch die von der Beklagten gewährte Zusatzversorgung lediglich insoweit aufgestockt, wie die gesetzliche Rente hinter der nach der Satzung berechneten Gesamtversorgung zurückblieb (§ 40 Abs. 1 VBLS a.F.). Das BVerfG hat in der Halbanrechnung von Vordienstzeiten bei voller Berücksichtigung der gesetzlichen Rente einen Verstoß gegen Art. 3 Abs. 1 GG gesehen, der nur bis zum Ablauf des Jahres 2000 hingenommen werden könne (BVerfG v. 22.3.2000 - 1 BvR 1136/96, VersR 2000, 835 = NJW 2000, 3341).
Der Kläger hat beantragt festzustellen, (1) dass die Beklagte verpflichtet sei, ihm ab 1.4.2000 eine monatliche Versorgungsrente in satzungsgemäßer Höhe ohne Berücksichtigung der von ihm für die Zeiten von 1975 bis 1990 geleisteten freiwilligen Beträge bei der BfA zu gewähren. Weiterhin hat er die Feststellung begehrt, (2) dass die Beklagte verpflichtet sei, ihm ab 1.4.2000 eine weitere monatliche Versorgungsrente in satzungsgemäßer Höhe zu gewähren, wobei für die Bestimmung der gesamtversorgungsfähigen Zeit nach § 42 Abs. 2 S. 1 Buchst. a Doppelbuchst. bb VBLS a.F. die zurückgelegten Sozialversicherungszeiten in der DDR in Gänze zu berücksichtigen seien.
Das LG hat der Klage - unter ihrer Abweisung im Übrigen - im Feststellungsantrag (2) ab 1.1.2001, bis eine neue, die Regelung der Vordienstzeiten ändernde Satzung in Kraft tritt, stattgegeben. Das OLG hat die Berufung des Klägers, mit der er seinen Feststellungsantrag (2) vollauf weiter verfolgt, zurückgewiesen und auf die Berufung der Beklagten die Klage abgewiesen. Mit der Revision verfolgt der Kläger sein Berufungsbegehren weiter.
Entscheidungsgründe
Die Revision bleibt ohne Erfolg.
1. Nach Auffassung des Berufungsgerichts gehören Berechtigte, die - wie der Kläger - am 31.12.2000 schon Renten von der Beklagten bezogen haben, nicht zu dem Personenkreis, für den das BVerfG die streitige Regelung beanstandet hat. Selbst wenn man aber annehme, dass auch für diese Gruppe von Rentenberechtigten die Halbanrechnung unzulässig und die Satzung insoweit unwirksam sei, könne die Klage keinen Erfolg haben. Denn es stehe eine Grundentscheidung der beteiligten Sozialpartner infrage, die jedenfalls hier nicht vom Gericht im Wege ergänzender Auslegung eines lückenhaft gewordenen Vertrages geschlossen werden könne. Die Beklagte könne ihr Grundleistungsangebot nicht selbst gestalten, sondern müsse ein von den Sozialpartnern ausgehandeltes Ergebnis umsetzen, das notwendig kompromisshafte Züge trage und deshalb einer Auslegung unter dem Gesichtspunkt der Systemgerechtigkeit kaum zugänglich sei. Die vom Kläger geforderte zusätzliche Leistung sei, wenn man ihre finanziellen Auswirkungen auf die Beklagte abschätze, nicht etwa nur als Abrundung ihres Angebots zu werten, sondern erschüttere die Beklagte in ihrer wirtschaftlichen Substanz. Deshalb müsse als mögliche Neuregelung auch in Betracht gezogen werden, dass Vordienstzeiten bei der Berechnung der von der Beklagten gezahlten Zusatzrente überhaupt nicht mehr berücksichtigt werden könnten.
Im Zeitpunkt der letzten mündlichen Verhandlung vor dem Berufungsgericht lag der Tarifvertrag über die betriebliche Altersversorgung der Beschäftigten des öffentlichen Dienstes v. 1.3.2002 vor, der das bisherige Gesamtversorgungssystem der Beklagten durch ein an den Grundsatz der Betriebstreue anknüpfendes Punktemodell ersetzt; Vordienstzeiten werden - abgesehen vom Bestandsschutz - nicht mehr berücksichtigt (Gilbert/Hesse, Die Versorgung der Angestellten und Arbeiter des öffentlichen Dienstes, 37. Ergl.8.2002 Teil C Anl. 5). Im Hinblick darauf hat das Berufungsgericht keinen Anlass gesehen, die Satzung etwa wegen Untätigkeit der Sozialpartner ergänzend auszulegen.
2. Dem ist jedenfalls im Ergebnis zuzustimmen.
a) Am 19.9.2002 hat die Beklagte ihre Satzung mit Wirkung ab 1.1.2001 geändert. Nach der Übergangsregelung in § 75 Abs. 2 der Neufassung werden die nach bisherigem Satzungsrecht gezahlten Versorgungsrenten grundsätzlich als Besitzstandsrenten weitergezahlt und entsprechend § 39 der Neufassung jährlich um 1 % vom Jahr 2002 an erhöht. Die vom Kläger geforderte volle Anrechnung der Vordienstzeiten ist nach wie vor nicht vorgesehen.
b) Das BVerfG hat in seinem Beschluss v. 22.3.2000 (BVerfG v. 22.3.2000 - 1 BvR 1136/96, VersR 2000, 835 = NJW 2000, 3341), auf den sich der Kläger stützt, die Verfassungsbeschwerde einer 1921 geborenen Rentnerin, die seit Anfang 1983 Leistungen von der Beklagten erhielt und im Ausgangsverfahren erfolglos deren Erhöhung wegen Unwirksamkeit von Satzungsbestimmungen verlangt hatte, nicht zur Entscheidung angenommen. Soweit sich die Beschwerdeführerin gegen die volle Berücksichtigung ihrer Sozialversicherungsrente bei der Bestimmung der Höhe der Zusatzversorgung einerseits, aber die nur halbe Berücksichtigung von Zeiten vor Aufnahme ihrer Tätigkeit im öffentlichen Dienst bei der Bemessung der gesamtversorgungsfähigen Zeit andererseits gewandt hatte, hat das BVerfG die Regelung in § 42 Abs. 2 S. 1 Buchst. a Doppelbuchst. aa VBLS a.F. zwar im Hinblick auf Art. 3 Abs. 1 GG beanstandet, eine Verletzung von Grundrechten der Beschwerdeführerin aber "(noch) nicht" festgestellt. Die Ungleichbehandlung sei zwar gravierend, halte sich derzeit jedoch noch im Rahmen einer zulässigen Generalisierung. Der Satzungsgeber sei wegen der hochkomplizierten Materie zu gewissen Vereinfachungen gezwungen. Dabei dürfe er Ungleichbehandlungen in Kauf nehmen, solange davon nur eine verhältnismäßig kleine Zahl von Personen betroffen und der Verstoß gegen den Gleichheitssatz nicht sehr intensiv sei. Das treffe auf die Rentnergeneration der Beschwerdeführerin zu, wie das BVerfG feststellt. Für die jüngeren Versichertengenerationen sei ein bruchloser Verlauf der Erwerbsbiografie im öffentlichen Dienst angesichts stark gestiegener Teilzeitarbeit und einer stärkeren Diskontinuität des Erwerbslebens allerdings nicht mehr in hinreichender Weise typisch. Angesichts dieser Entwicklung könne die Benachteiligung der Rentner durch volle Anrechnung der in Vordienstzeiten erworbenen Rentenansprüche bei nur hälftiger Berücksichtigung dieses Teils ihrer Lebensarbeitszeit im Rahmen der Berechnung der gesamtversorgungsfähigen Dienstzeit nicht länger als bis zum Ablauf des Jahres 2000 hingenommen werden. Zu diesem Zeitpunkt sei die Beklagte durch die Entscheidung BVerfGE 98, 365 (BVerfG v. 15.7.1998 - 1 BvR 1554/89, 1 BvR 963/94, 1 BvR 964/94 = BVerfGE 98, 365, VersR 1999, 600) ohnehin zu einer grundlegenden Änderung ihrer Satzung gezwungen.
c) Dieser Beschluss des BVerfG mag bei den Rentenempfängern der Beklagten die Erwartung geweckt haben, ihnen stehe vom Jahr 2001 an eine höhere Rente zu, wie sie sich bei voller Berücksichtigung der Vordienstzeiten aus der früher geltenden Fassung der VBLS ergeben würde. Der Kläger des vorliegenden Verfahrens gehört jedoch nicht zu jenen jüngeren Versichertengenerationen, für die die angegriffene Halbanrechnung nach Auffassung des BVerfG nicht mehr hinnehmbar ist. Das BVerfG hat die Halbanrechnung trotz verfassungsrechtlicher Bedenken noch als zulässige Typisierung und Generalisierung im Rahmen einer komplizierten Materie angesehen, weil ein bruchloser Verlauf der Erwerbsbiografie im öffentlichen Dienst erst für die jüngeren Versichertengenerationen nicht mehr hinreichend typisch sei. Bis zum Ablauf des Jahres 2000 könne die Halbanrechnung aber noch hingenommen werden. Mithin ist das BVerfG davon ausgegangen, dass alle Versicherten, die vor Ablauf des Jahres 2000 Rentner bei der Beklagten geworden sind, noch zu denjenigen Generationen zählen, für die ein bruchloser Verlauf der (bei Rentenbeginn abgeschlossenen) Erwerbsbiografie als typisch angesehen werden kann. Soweit die Versicherten im Revisionsverfahren diese Annahme des BVerfG mittels statistischen Materials und unter Berufung auf ein einzuholendes Sachverständigengutachten in Zweifel gezogen haben, ist dies in Bezug auf die rein wertende Abgrenzung der Versichertengenerationen durch das BVerfG unerheblich. Der Kläger bezieht bereits seit 1.4.2000 eine Zusatzrente von der Beklagten. Für ihn und für die Generation, der er angehört, ist die Halbanrechnung der Vordienstzeiten also noch hinzunehmen.
Die Unterscheidung, die das BVerfG zwischen der Rentnergeneration der dortigen Beschwerdeführerin einerseits und den jüngeren Versichertengenerationen andererseits trifft, verlöre ihren Sinn, wenn auch Personen, die vor dem Stichtag schon Rentner bei der Beklagten waren, nach dem Stichtag als Angehörige der jüngeren Versichertengeneration hätten gelten sollen. Dass auch die Beschwerdeführerin (und nicht nur die am Verfahren vor dem BVerfG nicht beteiligten jüngeren Versichertengenerationen) vom Stichtag an einen Anspruch auf Änderung der sie benachteiligenden, gegen Art. 3 Abs. 1 GG verstoßenden Satzungsbestimmungen gehabt hätte, ist nicht ersichtlich.
d) Der Senat folgt dem BVerfG darin, dass die Anwendung des § 42 Abs. 2 S. 1 Buchst. a Doppelbuchst. aa VBLS a.F. bei der Berechnung der Versorgungsrente für solche Versicherte, die - wie der Kläger - bis zum 31.12.2000 versorgungsberechtigt geworden sind, nicht gegen Art. 3 Abs. 1 GG verstößt. Damit liegt auch kein Verstoß gegen §§ 9 AGBG, 307 BGB vor. Dabei kann auf sich beruhen, ob den Erwägungen des BVerfG zur Ungleichbehandlung der von der Halbanrechnung betroffenen Versichertengruppe trotz der Kritik der Beklagten in jedem Punkte zu folgen ist (Hebler, ZTR 2000, 337 ff.). Denn mit dem BVerfG ist der Senat der Auffassung, dass - ist mit der Halbanrechnung eine Ungleichbehandlung ggü. denjenigen Versicherten verbunden, die ihr ganzes Berufsleben im öffentlichen Dienst verbracht haben - sich die Ungleichbehandlung jedenfalls im Rahmen einer zulässigen Typisierung und Generalisierung einer komplizierten, eine sehr große Gruppe von Versicherten betreffenden Materie hielt. Diese Ungleichbehandlung hat ein Versicherter, der bis zum Ablauf des Jahres 2000 Zusatzrentenempfänger geworden ist, nicht zuletzt auch im Interesse der Erhaltung der finanziellen Leistungsfähigkeit des Versorgungsträgers hinzunehmen, selbst wenn für die Zukunft eine andere, eine die Ungleichbehandlung für zukünftige Rentenempfänger vermeidende Regelung zu treffen ist.
e) Der Senat hat darüber hinaus in seinem Urteil v. 11.2.2004 (BGH v. 11.2.2004 - IV ZR 52/02, MDR 2004, 686 = BGHReport 2004, 730 = VersR 2004, 599 unter 2d) klargestellt, dass Vordienstzeiten in der früheren DDR nicht - wie Umlagezeiten - voll angerechnet werden können, weil es an entsprechenden Umlagen des Arbeitgebers in dieser Zeit fehlt, und dass dadurch die davon betroffenen Personen nicht in ihren Grundrechten verletzt werden. Das ergibt sich - wie der Senat bereits im Zusammenhang mit der Regelung des § 105b VBLS a.F. ausgeführt hat (BGH, Urt. v. 14.5.2003 - IV ZR 72/02, MDR 2003, 1051 = BGHReport 2003, 942 = VersR 2003, 893, unter II 2a, b) - aus dem Urteil des BVerfG v. 28.4.1999 (BVerfG, Urt. v. 28.4.2004 - 1 BvL 32/95, 1 BvR 2105/95, BVerfGE 100, 1 ff.).
f) Der Kläger wird auch ggü. Versicherten, deren Rente sich nach der ab 1.1.2001 geltenden Neufassung der VBLS richtet, nicht in rechtlich erheblicher Weise benachteiligt. Nach unwidersprochenem Vortrag der Beklagten ist das Niveau der von ihr in Zukunft auf Grund ihrer neuen Satzung zu leistenden Versorgungsrenten generell niedriger als bisher; den Berechtigten wird daneben eine ergänzende Altersvorsorge angeboten, die aus eigenen Beiträgen aufgebaut werden muss. Dass der Kläger trotz der dynamisierten Besitzstandsrente, die er nach § 75 Abs. 2 VBLS n.F. erhält, wirtschaftlich im Ergebnis schlechter stehe als Berechtigte, deren Versorgungsrente nach neuem Satzungsrecht ohne Rücksicht auf Vordienstzeiten außerhalb des öffentlichen Dienstes berechnet wird, ist von ihm weder dargetan noch ersichtlich. Der in der Halbanrechnung von Vordienstzeiten vom BVerfG gesehene Verstoß gegen den Gleichheitssatz ist für die Zukunft ausgeräumt. Im Hinblick darauf stehen Rentenempfängern alten Rechts wie dem Kläger über die Wahrung ihres Besitzstandes hinaus auch nach dem 31.12.2000 keine weiter gehenden Ansprüche aus Gründen der Gleichbehandlung zu.
g) Entgegen der Ansicht der Revision haben sich die Tarifvertragsparteien schließlich auch nicht durch die Vereinbarung, eine bundesgerichtliche Entscheidung zu Gunsten einer höheren als der in der Übergangsregelung der neuen Satzung vorgesehenen Versorgungsrente zu Gunsten aller davon Betroffenen umzusetzen, darauf verständigt, die Entscheidung über Halb- oder Vollanrechnung den Gerichten vorzubehalten. Damit wird lediglich zum Ausdruck gebracht, dass einer solchen Entscheidung sogar rückwirkend Folge geleistet werden soll.
Fundstellen