Entscheidungsstichwort (Thema)
Bestimmung des eheangemessenen Unterhaltsbedarfs. Verletzung der Erwerbsobliegenheit nach Pensionierung. Strahlflugzeugführer mit vorgezogener Altersgrenze. Erwerbstätigenbonus. Additions-, Differenzmethode
Leitsatz (amtlich)
Zur unterhaltsrechtlichen Erwerbsobliegenheit von Beamten und Soldaten mit vorgezogener Altersgrenze nach ihrer Pensionierung (hier: Pensionierung eines Strahlflugzeugführers mit 41 Jahren).
Normenkette
BGB § 1573 Abs. 2, § 1578 Abs. 1
Verfahrensgang
OLG München (Urteil vom 31.01.2001) |
AG Landsberg a. Lech |
Tenor
Die Revision gegen das Urteil des 4. Zivilsenats - zugleich Familiensenat - des OLG München, Zivilsenate in Augsburg, v. 23.1.2001 wird auf Kosten des Antragstellers zurückgewiesen.
Von Rechts wegen
Tatbestand
Die Antragsgegnerin verlangt vom Antragsteller im Scheidungsverbund nachehelichen Unterhalt.
Die Antragsgegnerin, geboren am 3.7.1956, und der Antragsteller, geboren am 20.1.1958, haben am 9.4.1976 geheiratet. Aus der Ehe sind zwei zwischenzeitlich volljährige Kinder hervorgegangen. Die Parteien haben sich im Januar 1994 getrennt. Die Antragsgegnerin war während des Zusammenlebens der Parteien nicht erwerbstätig. Von Mai 1997 bis August 1999 erzielte sie auf Grund einer Teilzeitarbeit ein monatliches Nettoeinkommen von 1.936 DM. Danach war sie arbeitslos und erhielt ein wöchentliches Arbeitslosengeld von 307,30 DM.
Der Antragsteller war bis zu seiner Ende März 1999 erfolgten Pensionierung Pilot der Luftwaffe. Sein Nettoeinkommen aus dieser Tätigkeit betrug zuletzt monatlich 5.797 DM einschließlich 13. Monatsgehalt und Urlaubsgeld. Seit April 1999 erhält er Versorgungsbezüge von monatlich netto 3.424,25 DM. Seit Juli 2000 ist der Antragsteller Lehrer für fliegertheoretische Ausbildung in den USA. Er erhält dafür ein monatliches Bruttogehalt von 6.500 DM nebst Zulagen, Urlaubsgeld und 13. Monatsgehalt, monatlich werden ihm 14.840,50 DM ausbezahlt. Auf die Schulden aus dem Erwerb eines im hälftigen Miteigentum der Parteien stehenden Einfamilienhauses zahlt der Antragsteller monatlich 758 DM.
Die Parteien hatten im einem vorausgehenden Rechtsstreit am 30.1.1996 einen Vergleich geschlossen, worin sich der Antragsteller verpflichtete, an die Antragsgegnerin einen Getrenntlebensunterhalt von monatlich 1.500 DM zu zahlen. Gleichzeitig verpflichtete sich die Antragsgegnerin, ihren damals anhängigen Scheidungsantrag zurückzunehmen und bis 31.3.1999 keinen neuen Scheidungsantrag zu stellen, um dem Antragsteller Rechtsnachteile zu ersparen, die im Falle einer Scheidung vor seiner Pensionierung entstehen würden.
Das FamG hat die Ehe der Parteien durch Verbundurteil geschieden und den Versorgungsausgleich geregelt. Insoweit ist das Urteil seit 21.3.2000 rechtskräftig. Den Antrag der Antragsgegnerin, den Antragsteller zur Zahlung eines monatlichen Unterhalts von 1.500 DM ab Rechtskraft der Scheidung zu verurteilen, hat das AG abgewiesen. Auf die Berufung der Antragsgegnerin hat das OLG das familiengerichtliche Urteil abgeändert und den Antragsteller unter Zurückweisung der weiter gehenden Berufung verurteilt, an die Antragsgegnerin ab Rechtskraft der Scheidung einen Unterhalt von monatlich 1.165 DM zu bezahlen. Hiergegen richtet sich die zugelassene Revision des Antragstellers, mit der er die Wiederherstellung des amtsgerichtlichen Urteils erstrebt.
Entscheidungsgründe
Die Revision des Antragstellers hat keinen Erfolg.
I.
1. Rechtlich bedenkenfrei und von der Revision als ihr günstig nicht angegriffen ist das OLG davon ausgegangen, dass der Antragsgegnerin ab Rechtskraft der Scheidung ein Unterhaltsanspruch nach § 1572 Nr. 1 BGB wegen Krankheit nicht zustehe, sie vielmehr bei gehöriger Ausnutzung ihrer Arbeitskraft aus einer vollschichtigen Erwerbstätigkeit ein monatliches Nettoeinkommen von 2.000 DM erzielen könnte.
2. Nach Meinung des OLG steht der Antragsgegnerin jedoch ein Anspruch auf Aufstockungsunterhalt nach § 1573 Abs. 2, § 1578 Abs. 1 S. 1 BGB i. H. v. monatlich 1.165 DM gegen den Antragsteller zu. Hierzu führt das Berufungsgericht im Wesentlichen aus: Das eheprägende Einkommen des Antragstellers betrage 4.749 DM. Dabei sei von seinem Nettoeinkommen als Berufssoldat von 5.797 DM und nicht von seinen Versorgungsbezügen von monatlich 3.424,25 DM auszugehen. Denn die Vereinbarung der Parteien v. 30.1.1996, auf Grund derer die Antragsgegnerin ihren ursprünglichen Scheidungsantrag zurücknahm, um dem Antragsteller Versorgungsvorteile zu sichern, dürfe nicht zum Nachteil der Antragsgegnerin führen. Außerdem treffe den Antragsteller nach seiner Pensionierung im Alter von 41 Jahren die Obliegenheit, wenigstens sein früheres Erwerbseinkommen zu halten. Der Betrag von 5.797 DM mindere sich pauschal um 5 % berufsbedingte Aufwendungen (290 DM) sowie die monatlichen Raten i. H. v. 758 DM zur Darlehensrückzahlung für das gemeinsame Haus auf 4.749 DM. Ein Erwerbstätigenbonus sei hiervon nicht in Abzug zu bringen, weil die Erwerbseinkünfte bereits pauschal um 5 % gekürzt worden seien und ein Arbeitsanreiz für den Antragsteller nicht erforderlich sei.
Das bedarfsprägende Einkommen der Antragsgegnerin betrage 1.000 DM. Auch ein fiktives Einkommen für die Haushaltsführung gehöre zum prägenden Einkommen. Denn die ehelichen Lebensverhältnisse würden auch von der Haushaltsführung geprägt. Deren Wert sei im konkreten Fall auf 1.000 DM zu schätzen.
Das die ehelichen Lebensverhältnisse insgesamt prägende Einkommen betrage daher 5.749 DM (4.749 DM + 1.000 DM). Davon stehe der Antragsgegnerin als eheangemessener Unterhaltsbedarf die Hälfte, also 2.875 DM, zu. Diesen Bedarf könne sie mit Einkünften i. H. v. 1.710 DM (Nettoeinkommen von 2.000 DM abzgl. 5 % berufsbedingter Aufwendungen abzgl. Erwerbstätigenbonus von 1/10) aus eigener Erwerbstätigkeit decken. Wegen ihres Restbedarfs (2.875 DM - 1.710 DM) könne sie vom Antragsteller Aufstockungsunterhalt von monatlich 1.165 DM verlangen.
II.
Dies hält den Angriffen der Revision im Ergebnis stand.
1. Die Revision rügt, das Berufungsgericht hätte - unabhängig von der Vereinbarung der Parteien v. 30.1.1996 - für die Bestimmung der bedarfsprägenden ehelichen Lebensverhältnisse i. S. v. § 1578 BGB nicht auf das Einkommen des Antragstellers als aktiver Berufssoldat, sondern auf seine im Zeitpunkt der Scheidung ausgezahlten Versorgungsbezüge abstellen müssen. Dem kann nicht gefolgt werden.
Richtig ist zwar, dass bei der Bestimmung des Unterhaltsbedarfs eine Minderung im Einkommen des unterhaltspflichtigen Ehegatten zu berücksichtigen ist, sofern diese nicht auf einer Verletzung der Erwerbsobliegenheit beruht oder durch freiwillige berufliche oder wirtschaftliche Dispositionen des Unterhaltspflichtigen veranlasst ist und von diesem durch zumutbare Vorsorge hätte aufgefangen werden können (vgl. BGH, Urt. v. 29.1.2003 - XII ZR 92/01, MDR 2003, 695 = BGHReport 2003, 536 = FamRZ 2003, 590 [592] m.N.). Dabei kommt es auch nicht entscheidend darauf an, ob die entsprechende Absenkung des Einkommens des Unterhaltspflichtigen - wie hier - bereits im Zeitpunkt der Rechtskraft der Scheidung oder erst später erfolgt ist (vgl. BGH, Urt. v. 29.1.2003 - XII ZR 92/01, MDR 2003, 695 = BGHReport 2003, 536 = FamRZ 2003, 590 [591 f.]; Urt. v. 5.2.2003 - XII ZR 29/00, BGHReport 2003, 666 = MDR 2003, 876 = FamRZ 2003, 848 [850]). Grundsätzlich hätte daher die Pensionierung des Antragstellers auch dann zu einer Minderung des ehelichen Bedarfs führen können, wenn die Ehe der Parteien - ohne die Vereinbarung v. 30.1.1996 - noch in der Zeit des aktiven Dienstes des Antragstellers geschieden worden wäre. Dass dies tatsächlich jedoch nicht der Fall ist, liegt, im Gegensatz zur Meinung des Berufungsgerichts, nicht in erster Linie an der Vereinbarung v. 30.1.1996. Entscheidend ist vielmehr, dass der nach den Feststellungen des Berufungsgerichts voll erwerbsfähige Antragsteller seine Erwerbsobliegenheit verletzen würde, wenn er sich bereits im Alter von 41 Jahren mit seinen Versorgungsbezügen begnügte. Anhaltspunkte dafür, dass er auf Grund seiner Beanspruchung als Strahlflugzeugführer einen besonderen physischen und psychischen Verschleiß erlitten hätte, so dass ihm auch jede andere berufliche Tätigkeit nicht mehr zumutbar wäre, hat er nicht vorgetragen. Unterhaltsrechtlich obliegt es ihm unter diesen Voraussetzungen vielmehr, wie das OLG zu Recht ausführt, das Niveau seines bisherigen Erwerbseinkommens über seine Pensionierung hinaus durch eine berufliche Tätigkeit zu halten. Tatsächlich übt er auch eine Berufstätigkeit aus.
2. Die Revision rügt weiter, das OLG hätte, wenn es schon die vormaligen Erwerbseinkünfte des Antragstellers als Pilot den ehelichen Lebensverhältnissen zu Grunde legt, diesem den üblichen Erwerbstätigenbonus nicht versagen dürfen. Diese Rüge verhilft der Revision im Ergebnis nicht zum Erfolg.
Dem erwerbstätigen Unterhaltspflichtigen muss bei der Bemessung des Unterhaltsbedarfs nach den ehelichen Lebensverhältnissen im Vergleich zum Unterhaltsberechtigten ein die Hälfte des verteilungsfähigen Einkommens maßvoll übersteigender Betrag verbleiben, um dem typischerweise mit der Berufstätigkeit erhöhten Aufwand, auch soweit er sich nicht in konkret messbare Kosten niederschlägt, und dem Gedanken des Erwerbsanreizes Rechnung zu tragen (vgl. BGH, Urt. v. 16.4.1997 - XII ZR 233/95, MDR 1997, 842 = FamRZ 1997, 806 [807]). Die Meinung des OLG, dass im vorliegenden Fall dem Antragsteller kein Erwerbstätigenbonus zu gewähren sei, weil seine Einkünfte bereits ohne besonderen Nachweis pauschal um 5 % gekürzt worden seien und es eines Erwerbsanreizes für den Antragsteller nicht bedürfe, erscheint bedenklich. Eine Entscheidung hierüber ist jedoch nicht erforderlich. Denn selbst wenn dem Antragsteller ein Erwerbstätigenbonus von 1/10, den das OLG der Höhe nach bei der Antragsgegnerin angesetzt hat, gewährt wird, führt dies, wie in der Berechnung am Ende des Urteils dargelegt, nicht zum Erfolg der Revision.
3. Schließlich führen auch die Ausführungen des Berufungsgerichts, wonach abweichend von der früheren Rechtsprechung des Senats für die Haushaltsführung der Antragstellerin ein die ehelichen Lebensverhältnisse prägendes fiktives Einkommen anzusetzen sei, nicht zur Aufhebung des angegriffenen Urteils.
Der Senat hat mit Urt. v. 13.6.2001 (BGH, Urt. v. 13.6.2001 - XII ZR 343/99, MDR 2001, 991 = BGHReport 2001, 549 = FamRZ 2001, 986) entschieden, dass sich der nach § 1578 BGB zu bemessende Unterhaltsbedarf eines Ehegatten, der seine Arbeitsfähigkeit während der Ehe ganz oder zum Teil in den Dienst der Familie gestellt, den Haushalt geführt und ggf. Kinder erzogen hat, nicht nur nach dem in der Ehe zur Verfügung stehenden Bareinkommen des Unterhaltspflichtigen errechnet. Vielmehr soll dieser Ehegatte auch nach der Scheidung an dem durch seine Familienarbeit verbesserten ehelichen Lebensstandard teilhaben, weil seine in der Ehe durch Haushaltsführung und etwaige Kinderbetreuung erbrachten Leistungen der Erwerbstätigkeit des verdienenden Ehegatten grundsätzlich gleichwertig sind und die ehelichen Lebensverhältnisse mitgeprägt haben. Ausgehend von dieser Gleichwertigkeit hat der Senat daher ein Erwerbseinkommen des unterhaltsberechtigten Ehegatten, welches dieser nach der Ehe erzielt und welches gleichsam als Surrogat des wirtschaftlichen Wertes seiner bisherigen Familienarbeit angesehen werden kann, bei der Unterhaltsbemessung mitberücksichtigt und den Unterhalt nicht mehr nach der so genannten Anrechnungs-, sondern nach der Additions- bzw. Differenzmethode ermittelt.
Als Surrogat des wirtschaftlichen Wertes der bisherigen Tätigkeit ist bei der Bemessung des Unterhaltsbedarfs auch ein fiktives Einkommen anzusetzen, das der Ehegatte, der in der Ehe den Haushalt geführt hat, bei Beachtung der ihm obliegenden Erwerbspflicht erzielen könnte (vgl. BGH, Urt. v. 13.6.2001 - XII ZR 343/99, MDR 2001, 991 = BGHReport 2001, 549 = FamRZ 2001, 986 [991]; Urt. v. 5.2.2003 - XII ZR 321/00, BGHReport 2003, 957 = FamRZ 2003, 434 [435]).
Daraus folgt, dass bei der Bestimmung des eheangemessenen Unterhaltsbedarfs nicht, wie das OLG angenommen hat, 1.000 DM für die Haushaltsführung der Antragsgegnerin anzusetzen sind, sondern ihr fiktives Nettoeinkommen von 2.000 DM vermindert um 5 % berufsbedingte Aufwendungen sowie einen Erwerbstätigkeitsbonus von 1/10, insgesamt also 1.710 DM.
Nach der Additionsmethode ergibt sich daher folgende Unterhaltsberechnung, wobei zu Gunsten des Antragstellers von seinem bereinigten Nettoeinkommen von monatlich 4.749 DM ein Erwerbstätigenbonus von 1/10 (475 DM) abgezogen wird, so dass sich ein anzusetzendes Einkommen von 4.274 DM errechnet:
prägendes Einkommen des Antragstellers 4.274,00 DM
prägendes Einkommen der Antragsgegnerin 1.710,00 DM
Summe: 5.984,00 DM
Bedarf: 5.984 DM : 2 = 2.992,00 DM
darauf anzurechnendes eigenes Einkommen der
Antragsgegnerin - 1.710,00 DM
Unterhalt 1.282,00 DM
Da das OLG den Antragsteller lediglich zur Zahlung eines Unterhalts von 1.165 DM monatlich verurteilt hat, ist die Revision zurückzuweisen.
Fundstellen
Haufe-Index 1090847 |
BGHR 2004, 381 |
FamRZ 2004, 254 |
FamRZ 2004, 360 |
NJW-RR 2004, 505 |
NVwZ-RR 2004, 506 |
FPR 2004, 138 |
MDR 2004, 575 |
FamRB 2004, 75 |
ZFE 2004, 86 |
JWO-FamR 2004, 36 |