Leitsatz (amtlich)
§ 80 Satz 1 VBLS verstößt nicht gegen das Transparenzgebot.
Normenkette
VBL-Satzung § 80 S. 1; BGB § 307 Abs. 1 S. 2
Verfahrensgang
LG Karlsruhe (Urteil vom 24.09.2010; Aktenzeichen 6 S 23/09) |
AG Karlsruhe (Urteil vom 24.11.2009; Aktenzeichen 2 C 213/04) |
Tenor
Auf die Revision der Beklagten wird das Urteil der 6. Zivilkammer des LG Karlsruhe vom 24.9.2010 aufgehoben, soweit zum Nachteil der Beklagten erkannt worden ist, und die Berufung der Klägerin gegen das Urteil des AG Karlsruhe vom 24.11.2009 auch im Übrigen zurückgewiesen.
Die Kosten des Rechtsstreits trägt die Klägerin.
Der Streitwert für das Revisionsverfahren wird auf bis 900 EUR festgesetzt.
Von Rechts wegen
Tatbestand
Rz. 1
Die Klägerin wendet sich gegen die Startgutschrift, die ihr als beitragsfrei versicherter Person von der beklagten Versorgungsanstalt des Bundes und der Länder nach Umstellung der Zusatzversorgung im öffentlichen Dienst erteilt wurde.
Rz. 2
Mit Neufassung ihrer Satzung vom 22.11.2002 (BAnz. Nr. 1 vom 3.1.2003; im Folgenden: VBLS) ersetzte die Beklagte ihr früheres - auf dem Versorgungstarifvertrag vom 4.11.1966 (Versorgungs-TV) beruhendes - endgehaltsbezogenes, im Umlageverfahren finanziertes Gesamtversorgungssystem durch ein auf einem Punktemodell beruhendes Betriebsrentensystem. Den Systemwechsel hatten die Tarifvertragsparteien des öffentlichen Dienstes im Tarifvertrag Altersversorgung vom 1.3.2002 (ATV) vereinbart.
Rz. 3
Die neue Satzung der Beklagten enthält Übergangsregelungen zum Erhalt von bis zur Systemumstellung erworbenen Rentenanwartschaften. Diese werden wertmäßig festgestellt und als sog. Startgutschriften auf die neuen Versorgungskonten der Versicherten übertragen. Dabei werden zunächst die Versicherten, deren Versorgungsfall noch nicht eingetreten ist, in rentennahe und rentenferne (Pflicht-)Versicherte unterschieden. Die Anwartschaften der rentennahen Versicherten werden weitgehend nach dem alten Satzungsrecht ermittelt und übertragen. Hingegen werden die Anwartschaften der rentenfernen Versicherten nach den §§ 78 Abs. 1 und 2, 79 Abs. 1 Satz 1 VBLS i.V.m. § 18 Abs. 2 BetrAVG (in der Fassung des Ersten Gesetzes zur Änderung des Gesetzes zur Verbesserung der betrieblichen Altersversorgung vom 21.12.2000, BGBl. I, 1914; im Folgenden auch: Betriebsrentengesetz) berechnet.
Rz. 4
Die Bestimmung der Anwartschaften der am 1.1.2002 beitragsfrei Versicherten, die am 1.1.2002 nicht mehr pflichtversichert waren, ohne dass ein Anspruch auf Betriebsrente bestand, und die nicht als pflichtversichert gelten, ist in § 80 VBLS geregelt, der - fast wortgleich mit § 34 Abs. 1 ATV - lautet:
"§ 80 Anwartschaften für am 1.1.2002 beitragsfrei Versicherte Die Anwartschaften der am 1.1.2002 beitragsfrei Versicherten werden nach der am 31.12.2001 geltenden Versicherungsrentenberechnung ermittelt (...)."
Rz. 5
Die am 4.10.1954 geborene Klägerin, die zu den rentenfernen Jahrgängen gehört, war vom 1.4.1975 bis zum 31.8.1993 als Beschäftigte im öffentlichen Dienst insgesamt 151 Monate bei der Beklagten pflichtversichert. Diese erteilte der Klägerin zum 31.12.2001 gem. § 80 VBLS i.V.m. § 44 VBLS a.F. eine Startgutschrift für beitragsfrei Versicherte i.H.v. 18,13 Versorgungspunkten (entsprechend einer monatlichen Rentenanwartschaft von 72,53 EUR).
Rz. 6
Die Klägerin meint, die ihr erteilte Startgutschrift lege den Wert ihrer im früheren Gesamtversorgungssystem erlangten Anwartschaft nicht verbindlich fest. Sie hat die Feststellung begehrt, dass die Beklagte verpflichtet sei, ihr eine Startgutschrift zu erteilen, deren Höhe wie die Versorgungsrente berechnet werde, hilfsweise aus dem 1,25-fachen der für sie entrichteten Beiträge und Umlagen, hilfsweise gem. § 2 BetrAVG. Weiterhin hat sie beantragt festzustellen, dass die Beklagte bei der Berechnung der Startgutschrift verpflichtet sei, die Entgelte gem. § 43 VBLS a.F. bis zum 31.12.2001 zu dynamisieren und danach den Altersfaktor gem. § 36 Abs. 3 VBLS n.F. anzuwenden. Hilfsweise hat sie beantragt festzustellen, dass die von der Beklagten erteilte Startgutschrift den Wert der von ihr bis zum 31.12.2001 erlangten Anwartschaft auf eine bei Eintritt des Versicherungsfalles zu leistende Betriebsrente nicht verbindlich festlege.
Rz. 7
Das AG hat die Klage abgewiesen. Das LG hat unter Zurückweisung der Berufung der Klägerin im Übrigen dem zuletzt genannten Hilfsantrag stattgegeben. Hiergegen wendet sich die Beklagte mit der Revision.
Entscheidungsgründe
Rz. 8
Die Revision hat Erfolg; sie führt zur Aufhebung des Berufungsurteils und Zurückweisung der Berufung, soweit dem Hilfsantrag der Klägerin stattgegeben worden ist.
Rz. 9
I. Nach Auffassung des Berufungsgerichts ist die der Klägerin erteilte Startgutschrift unverbindlich. Ob die Erwägungen in dem Senatsurteil vom 14.11.2007 (IV ZR 74/06, BGHZ 174, 127) zur Berechnung der Anwartschaften der rentenfernen Versicherten auf die Verhältnisse der beitragsfrei Versicherten übertragbar seien, könne dahinstehen. Jedenfalls sei die Übergangsregelung des § 80 VBLS schon wegen Intransparenz gem. §§ 307 Abs. 1 Satz 2 i.V.m. Satz 1, Abs. 3 Satz 2, 310 Abs. 4 Satz 3 BGB unwirksam. Insbesondere der Umstand, dass die Frage der Bedeutung des vom BVerfG als verfassungswidrig erkannten § 44a VBLS a.F. im Rahmen der Verweisung nicht verdeutlicht werde, verstoße gegen das Verständlichkeitsgebot.
Rz. 10
II. Das hält rechtlicher Nachprüfung nicht stand. Das Berufungsgericht hat die der Klägerin erteilte Startgutschrift zu Unrecht für unverbindlich erklärt.
Rz. 11
1. In vier Urteilen vom 29.9.2010 (IV ZR 11/10, VersR 2011, 63; IV ZR 8/10, juris; IV ZR 179/09, juris; IV ZR 99/09, juris) hat der Senat grundsätzlich über die beitragsfrei Versicherten gem. § 80 Satz 1 VBLS erteilten Startgutschriften entschieden.
Rz. 12
a) Der Senat hat § 80 Satz 1 VBLS nach dem maßgeblichen Verständnis des durchschnittlichen Versicherten so ausgelegt, dass die Anwartschaften entsprechend der - für die Klägerin maßgeblichen - Berechnung der (einfachen) Versicherungsrente nach § 44 VBLS a.F. oder - bei unverfallbaren Anwartschaften - der (qualifizierten) Versicherungsrente gem. § 18 Abs. 2 BetrAVG n.F. (in der ab dem 1.1.2001 geltenden Fassung) festgestellt werden (BGH vom 29.9.2010 - IV ZR 11/10, VersR 2011, 63 Rz. 12 ff.; IV ZR 8/10, juris Rz. 12 ff.; IV ZR 179/09, juris Rz. 9 ff.; IV ZR 99/09, juris Rz. 12 ff.).
Rz. 13
b) Mit der Verweisung auf § 18 Abs. 2 BetrAVG n.F. hielt die Übergangsregelung des § 80 Satz 1 VBLS einer Rechtsprüfung nicht in vollem Umfang stand. Da sie auf einer maßgeblichen Grundentscheidung der Tarifvertragsparteien beruht, war dem Senat eine Inhaltskontrolle nach den §§ 307 ff. BGB verwehrt (BGH vom 29.9.2010 - IV ZR 11/10, VersR 2011, 63 Rz. 22 f.; IV ZR 8/10, juris Rz. 22 f.; IV ZR 179/09, juris Rz. 19 f.; IV ZR 99/09, juris Rz. 22 f.; jeweils m.w.N.). Im Rahmen der gebotenen Überprüfung anhand der Grundrechte und grundgesetzlichen Wertentscheidungen hat der Senat entschieden, dass die Übergangsregelung für beitragsfrei Versicherte gegen den allgemeinen Gleichheitssatz des Art. 3 Abs. 1 GG verstößt, soweit sie auf die Berechnung der Versicherungsrente nach § 18 Abs. 2 BetrAVG Bezug nimmt und daher ein Versorgungssatz von 2,25 % für jedes volle Jahr der Pflichtversicherung zugrunde zu legen ist (BGH vom 29.9.2010 - IV ZR 11/10, VersR 2011, 63 Rz. 28 ff.; IV ZR 8/10, juris Rz. 28 ff.; IV ZR 179/09, juris Rz. 25 ff.; IV ZR 99/09, juris Rz. 28 ff. unter Bezugnahme auf das BGH, Urt. v. 14.11.2007 - IV ZR 74/06, BGHZ 174, 127 Rz. 128 ff.).
Rz. 14
2. Ob die Übergangsregelung des § 80 Satz 1 VBLS auch wegen Verstoßes gegen das Transparenzgebot unwirksam ist, hat der Senat in den Urteilen vom 29.9.2010 offengelassen, weil es darauf für die damals in Rede stehende Berechnung der qualifizierten Versicherungsrente gem. § 18 Abs. 2 BetrAVG n.F. nicht ankam (BGH vom 29.9.2010 - IV ZR 11/10, VersR 2011, 63 Rz. 37; IV ZR 8/10, juris Rz. 38; IV ZR 99/09, juris Rz. 37). Für die hier maßgebliche Bezugnahme auf die Berechnung der einfachen Versicherungsrente nach § 44 VBLS a.F. ist diese Frage entscheidungserheblich und zu verneinen.
Rz. 15
a) Da eine Inhaltskontrolle der Übergangsregelung des § 80 Satz 1 VBLS ausscheidet, kommt auch eine Überprüfung am Maßstab des Transparenzgebots gem. § 307 Abs. 1 Satz 2 BGB nicht in Betracht.
Rz. 16
b) Im Übrigen ist die in Rede stehende Übergangsregelung nicht intransparent.
Rz. 17
aa) Nach dem Transparenzgebot ist der Verwender Allgemeiner Geschäftsbedingungen entsprechend den Grundsätzen von Treu und Glauben gehalten, Rechte und Pflichten seines Vertragspartners möglichst klar und durchschaubar darzustellen (BGH, Urt. v. 24.3.1999 - IV ZR 90/98, BGHZ 141, 137, 143). Der durchschnittliche Versicherte kann § 80 Satz 1 VBLS entnehmen, dass darin nicht auf bestimmte Berechnungsregeln, insb. nicht auf die §§ 44 und 44a VBLS a.F. Bezug genommen wird, sondern nur auf die Berechnung der - einfachen oder qualifizierten - Versicherungsrente als solche und damit letztlich auf den Betrag, der sich für den jeweiligen beitragsfrei Versicherten errechnet, wenn die Voraussetzungen nach dem am Umstellungsstichtag maßgeblichen Satzungsrecht erfüllt sind (vgl. BGH vom 29.9.2010 - IV ZR 11/10, VersR 2011, 63 Rz. 14; IV ZR 8/10, juris Rz. 14; IV ZR 179/09, juris Rz. 11; IV ZR 99/09, juris Rz. 14). Die Verweisung auf die "am 31.12.2001 geltende Versicherungsrentenberechnung" verdeutlicht, dass es sich um alle Vorschriften handeln soll, die an diesem Tag nach der Satzung der Beklagten für die Berechnung der Versicherungsrente einschlägig waren.
Rz. 18
bb) Zudem ist ein Verstoß gegen das Transparenzgebot nicht schon dann gegeben, wenn der Versicherte keine oder nur eine erschwerte Möglichkeit hat, die betreffende Regelung zu verstehen. Sinn des Transparenzgebots ist es, der Gefahr vorzubeugen, dass der Versicherte von der Durchsetzung bestehender Rechte abgehalten wird. Erst in der Gefahr, dass der Versicherte wegen unklar abgefasster Allgemeiner Geschäftsbedingungen seine Rechte nicht wahrnimmt, liegt eine unangemessene Benachteiligung i.S.v. § 307 Abs. 1 BGB (vgl. BGH, Urt. v. 17.3.1999 - IV ZR 218/97, BGHZ 141, 153, 159; v. 23.11.1994 - IV ZR 124/93, BGHZ 128, 54, 60 f.; BAG NZA 2009, 538, 547 m.w.N.; BAGE 122, 12, 18 f. m.w.N.). Eine solche Gefahr ist hier weder dargelegt noch sonst erkennbar. Dass sich die Rechtsstellung der Klägerin durch die Verweisung verschlechtert, zeigt die Revisionserwiderung nicht auf. Dagegen spricht bereits, dass sich die Übergangsregelung darauf beschränkt, den Inhalt einer früher maßgeblichen Berechnung festzuschreiben.
Rz. 19
c) Schließlich begegnet die Übergangsregelung, soweit sie auf die - zur Berechnung der einfachen Versicherungsrente der Klägerin herangezogene - Bestimmung des § 44 VBLS a.F. verweist, keinen verfassungsrechtlichen Bedenken. Dies hat der Senat in den Urteilen vom 29.9.2010 (IV ZR 11/10, VersR 2011, 63 Rz. 27; IV ZR 8/10, juris Rz. 27; IV ZR 179/09, juris Rz. 24; IV ZR 99/09, juris Rz. 27) näher begründet. Bereits mit Urteil vom 14.1.2004 (IV ZR 56/03, VersR 2004, 453 unter II 2) hat er entschieden, dass die Regelung des § 44 VBLS a.F. hinzunehmen ist (vgl. auch BGH, Urt. v. 15.2.2006 - IV ZR 397/02, VersR 2006, 684 Rz. 11). Soweit sie für die Versicherungsrentenberechnung im Rahmen der Übergangsregelung herangezogen wird, ist eine abweichende Beurteilung nicht geboten. Dementsprechend hat der Senat schon in seiner Entscheidung vom 28.3.2007 (IV ZR 145/06, VersR 2007, 1214 Rz. 10 ff.) die Berechnung einer auf § 80 Satz 1 VBLS i.V.m. § 44 VBLS a.F. beruhenden Startgutschrift nicht beanstandet.
Fundstellen
Haufe-Index 3594476 |
EBE/BGH 2013 |
NVwZ-RR 2013, 419 |
MDR 2013, 595 |
VersR 2013, 344 |